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Marlon
Ich hatte keine genaue Ahnung wo ich hin musste. Ich war erst einmal in diesem Haus. Das war als Dad und Caroline gerade zusammen waren. Wir wollten Essen gehen und sie und Linus abholen. Linus ist dann nicht mit gekommen, weil er "besseres" vorhatte. Schon damals hab ich mir gedacht, was das wohl für ein Typ ist, wenn er nicht mal mit Essen gehen will.
Ich musste mich wirklich gut konzentrieren das Haus zu finden. Aber meine Orientierung hat mich nicht ganz verlassen.
Außer Atem kam ich vor dem verlassenen Haus an. Es sah nicht so aus, als hätte sich in den letzten Monaten irgendwer darum gekümmert. Der Garten war überwuchert von Unkraut und Gras. Die Scheiben waren eingeschlagen und die Wände schmutzig. Manche waren mit Graffiti bemalt worden.
Die Haustür stand offen. Hier drinnen roch es miefig und es war stickig. Die Decke war überseht von Spinnengewebe. Auf dem Boden krabbelten hier und da Kakerlaken und andere Viecher rum.
"Linus?", schallte meine Stimme durch das Haus.
Keine Antwort. Gut, dann musste ich wohl alles auf den Kopf stellen. Es gab keine Versteckmöglichkeiten. Denn das Haus war leergeräumt. Unten war er jedoch nicht.
Scheiße, wenn er nicht hier war, flippe ich aus. Dann werde ich zur Polizei gehen. Mir egal ob sie mich dann festnehmen. Ich werde meine Zeit im Knast absitzen, solange es Linus gut geht.
"Linus?!", rief ich wieder und rannte die Treppen hoch.
Auch hier war in den ersten Räumen Fehlanzeige. Und dann hörte ich ein Murmeln in einen der hinteren Räume.
Erleichterung überflutete mich, als ich ihn auf den kalten, dreckigen Boden sitzen sah. Er starrte zum Fenster hinauf.
"Linus.", sagte ich erleichtert. "Alles okay?"
"Schau, da...", flüsterte er. "Überall sind kleine... Sterne..."
Fuck, das war Staub. Kleine Staubpartikel die in der Luft schweben und vom Tageslicht angestrahlt wurden. Keine Sterne.
"Sterne... Überall Sterne...", sagte er in einem Singsang.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Langsam trat ich auf ihn zu und sah seine viel zu großen Pupillen und sein blasses Gesicht.
"Sterne... Sterne, Sterne... Sterne..."
Er zeigte auf den Staub. Und ich konnte nichts tun, als mich neben ihn zu setzen und für ihn da zu sein.
"Überall... Da... Sterne... Da... Sterne... Sterne, Sterne, Sterne..."
Meine Hand wanderte zu seinem Oberschenkel und plötzlich erstarrte er.
Es war, als würde ich ihn aus seiner Trance rausholen. Er schaute mich an, seine Augen waren glasig, doch er lächelte.
"Du bist ja hier.", sagte er leise.
"Ja, natürlich."
Er schaute mich noch eine Weile an, bevor er anfing zu schniefen. "Marlon...", flüsterte er meinen Namen.
Ich wollte einfach nur weinen und zusammenbrechen. Das war nicht Linus. Es war nur eine Hülle, zerstört von den Drogen.
"Hilf mir. Bitte hilf mir."
Er sackte zusammen, doch ich konnte ihn gerade noch so auffangen und auf meinen Schoß legen. Ich spürte seine Tränen die Wange runterlaufen.
"Ich brauche Hilfe..."
Ich weiß, Süßer. Ich weiß...
Linus
Das Haus war wunderschön. Genau so wie ich es in Erinnerung hatte. Ich sah Mom und Dads Bett. Die Couch, auf welcher Dad immer seine komischen und überhaupt nicht lustigen Serien schaute. Die Küche, in der Mom immer das beste Essen vorbereitete. Nicht, dass Dad nicht kochen konnte und es auch gerne tat. Mom konnte es einfach nur besser.
Ich lief die Treppen hoch, vorbei an Dads Büro in welchem er den ganzen Tag immer saß. Doch sobald ich mit ihm joggen gehen wollte, klappte er seinen Laptop zu und hatte Zeit für mich. Hinter seinem Tisch hingen ganz viele Familienbilder.
Er ist immer sehr stolz auf unsere Familie und zeigte dies auch jedem.
Mein Zimmer hatte sich auch nicht verändert. Es sah noch genauso aus wie vorher.
Ich war müde, ich sollte schlafen. Mein Bett war gemütlich, das war es immer.
"Aufwachen, Langschläfer."
Dad stand im Türrahmen und grinste mich an. "Mom hat das Frühstück fertig."
Ich rieb mir meine Augen und setzte mich aufrichtig hin.
Irgendwas an Dad gefiel mir nicht. Er sah so blass aus, so krank.
"Alles okay, Dad?"
"Aufstehen!", schrie er mich an.
Ich wollte es, aber meine Beine reagierten nicht.
"Steh auf!"
"Dad?", fragte ich ängstlich.
Er kam einen Schritt auf mich zu und knallte die Tür hinter mir zu. "STEH AUF!"
Panik überkam mich. Das war nicht Dad. Wer war das? So kannte ich Dad nicht. Dad sah nicht so aus. Dad benahm sich auch nicht so.
"STEH-"
Ich schloss die Augen und hielt mir die Ohren zu. Mein Herz schlug viel zu schnell und ich traute mich erst gar nicht die Augen wieder zu öffnen.
Doch als ich es dann doch tat, war er weg. Aber meine Panik war noch da. Ich schaute zur geschlossenen Tür und sah Schritte, welche den Flur auf und abliefen.
"Linus.", ertönte Dads Stimme.
Durch den Türspalt drang Licht. Ich sah den Schatten von Dads Beinen vor der Tür stehen.
"Aufstehen. Mom hat Frühstück gemacht. HAST DU MICH GEHÖRT?!"
Er hämmerte gegen die Tür.
Zitternd nahm ich mein Handy raus und wollte seine Nummer wählen. Es ging nicht. Wieso ging das nicht? Wieso war er blockiert????
"LINUUUUSSS!!!"
Ein kleiner Schrei entfuhr mir, während sich der Anruf aufbaute.
Die Tür wurde aufgeschlagen und aus Angst legte ich sofort auf. Dad kam reingeplatzt und war im nächsten Moment wieder weg.
Die Tür war wieder zu, doch jemand stand vor dieser.
"LINUS! Aufstehen. Mom hat FRÜHSTÜCK GEMACHT!"
Wieder wählte ich seine Nummer.
"Hallo?"
"AUFSTEHEN!"
"Ich brauche Hilfe..."
Die Tür knallte auf, ich schloss die Augen und dieses mal ließ ich sie geschlossen.
Ich war müde. So müde...
(...)
Der Schlaf hat gut getan. Aber mein Bett war weg. Alles war weg. Mein Zimmer war leer? Ich schaute zur Tür, aber da stand keiner mehr.
Dad war auch weg.
Die Sonne strahlte durch das Fenster und überall sah ich kleine Sterne. Das war bestimmt von Dad. Dad hat mir die Sterne gebracht. Dad war doch noch da.
Weit entfernt hörte ich wie jemand meinen Namen rief. Dad, rief meinen Namen. Aber ich wollte mir die Sterne angucken. Ich wollte nicht nach unten kommen.
"Linus?!"
"Hier sind Sterne...", sagte ich leise zu ihm.
Und dann kam er in mein Zimmer. Aber es war gar nicht Dad.
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