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Linus

"Hey, kleiner Mann. Mach nicht so ein Gesicht.", sagte mein Vater lachend. "Es ist doch alles gut. Du kannst einfach nach Hause gehen. Geh zu deiner Mom."
"Nein...", weinte ich und kratzte an meinem Arm.
"Mach die Schule zu Ende. Das hier hat keinen Sinn."
Doch, das machte Sinn. Es machte mir Spaß. Ich bin glücklicher als vorher.
"Linus." Plötzlich tauchte Marlon vor mir auf. "Ich mach mir Sorgen um dich."
Scheiße, ich ersticke. Ich bekam keine Luft mehr. Meine Brust tat weh, meine Lunge brauchte Sauerstoff.
"Wieso kommst du nicht zurück?"
Nein, wollte ich schreien. Nein! Ich kann nicht!
Ich konnte nicht schreien, weil ich keine Luft bekam.
Bitte Marlon, komm zu mir! Komm und hol mich hier raus! Lass uns gemeinsam abhauen. 
"Ich mach mir Sorgen um dich.", sagte Marlon.
Dann komm zu mir! Komm und hilf mir! 
"Deine Mom vermisst dich.", meldete sich jetzt Dad. "Geh zu ihr."
"Komm nach Hause Linus. Komm zu mir." Marlon.
"Geh nach Hause." Dad.
Ich kratzte meinen Arm weiterhin. Ich schrie. Nein, ich versuchte zu schreien. Aber es kam kein Ton aus mir raus, weil ich gerade verdammt nochmal ersticke. Wieso hilft mir denn keiner?!
Ich schaute auf das Blut, welches langsam aus den Rissen auf meinem Arm heraus lief.
Nein, ich ersticke nicht. Ich konnte atmen.
Langsam spürte ich die Luft zurückkommen. Mein Herz raste immer noch, doch meine Panik ließ langsam nach.
Erschöpft schaute ich auf die Uhr. Erst 15 Uhr. Ich musste um 20 Uhr auf der Arbeit sein. Dann hatte ich noch ein wenig Zeit zum Schlafen. Auch, wenn ich den Schlaf mittlerweile fürchtete.
Jedes Mal, wenn ich einschlief sah ich Dad oder Marlon. Manchmal auch Mom und Steve. Zusammen. Glücklich.
Das machte mich wahnsinnig.
Doch die Müdigkeit siegte in den meisten Fällen und ließ mich dann doch einschlafen.
Zurück in meine Albträume.

(...)

Draußen wurde es langsamer kälter. Ich musste jetzt ein wenig mehr Geld beiseite legen damit ich mir bald etwas wärmeres zum Anziehen kaufen konnte. Auch Zade hatte heute Schicht. Dieser kommt aber etwas später, muss dafür aber auch bis zum Schluss. Ich durfte heute gegen 2 Uhr nach Hause. Ethan war wirklich ein angenehmer Chef. Er achtete immer darauf, dass wir nicht zu viel arbeiteten und nicht über unsere sechs Stunden kommen, außer wir möchten das und wollen uns noch etwas Trinkgeld dazu verdienen. 
Dass wir koksen um den Scheiß auszuhalten kann man jetzt infrage stellen und als wirklich guter Chef müsste er dies auch eigentlich unterbinden. Aber man konnte ja nicht alles haben.
Auf dem Weg in den Club rauchte ich noch gemütlich meine Zigarette zu Ende, als mich plötzlich jemand am Arm packte und vom Weg zerrte.
"Fuck.", fluchte ich und wollte dem Idioten gerade eine reinhauen, als ich sah, dass es Marlon war.
"Bist du drauf?", fragte er wütend.
Ich grinste nur und verschränkte meine Arme vor der Brust. "Wieso? Willst du lieber einen Blowjob haben, wenn ich nicht drauf bin?"
"Nein, ich will mit dir reden, wenn du nicht drauf bist. Scheiße, Linus soll das hier jetzt dein Leben sein?"
"Was kümmert es dich? Ich kann doch machen was ich will."
"Klar, kannst du das. Aber ist das hier das, was dich glücklich macht?"
"Ja.", log ich.
"Bullshit. Komm mit mir nach Hause. Deine Mom sorgt sich wirklich um dich."
"Wenn sie das tun würde, hätte sie Steve nicht geheiratet."
Marlon verdrehte die Augen. "Jetzt hör doch einmal auf so egoistisch zu sein und denk an deine Familie!"
"Meine Familie? Euch?! Ihr seid nicht meine Familie! Ich finde meine eigene Familie, dafür brauche ich euch nicht!"
"Ich rede nicht von mir, Luise oder Steve. Ich rede von deiner Mom! Denkst du dein Dad hätte gewollt, dass du dich so benimmst?!"
Nach diesem Satz klatschte es. Marlon hielt sich seine rote Wange. "REDE NICHT ÜBER IHN! DU HAST KEINE AHNUNG WER ER IST!"
"Linus du brauchst Hilfe. Bitte-"
"Nein!", unterbrach ich ihn. "Ich brauche kein Hilfe! Verpiss dich einfach! Ich will nichts über dich wissen. Ich will nichts mehr mit dir zutun haben. Nie wieder!"
"Ich will dir nur helfen. Du gerätst auf die falsche Bahn. Dann komm halt nicht zurück. Aber mach deine Schule zu Ende! Und hör auf dich zu prostituieren."
"Du hast mir gar nichts zu sagen! Wieso mischst du dich überhaupt in mein Leben ein?!"
"Weil du mir wichtig bist."
Meine Gesichtszüge entglitten mir komplett. Doch nur für einen kurzen Moment.
Wichtig. Dass ich nicht lache.
"Geh jetzt Marlon. Und ich schwöre tauchst du auch nur einmal wieder auf werde ich der Securitiy bescheid geben. Und wenn du als Gast in dem Stripclub auftauchst werde ich dafür Sorgen, dass du Hausverbot bekommst. Wenn ich dich nur noch einmal sehe, verpfeife ich dich an die Polizei und lasse deine illegalen Kämpfe auffliegen. Du hast nichts mehr gegen mich in der Hand. Sag meiner Mutter halt, dass ich kokse und fremden Männer für Geld den Schwanz lutschte. Es ist mir scheißegal. Und jetzt geh mir aus den Augen. Du bist mir egal."
Das hat gegessen. Ich sah es in seinen Augen. Ich sah wie er versuchte die Tränen zurückzuhalten. Aber wenigstens wusste ich jetzt auch, dass er es endlich verstanden hatte. 
Endlich werde ich Ruhe vor ihm haben. Vor ihm uns seiner ganzen Drecksfamilie. Auf dem Weg in den Backstagebereich blockierte ich noch seine Nummer, damit er mir nur nie wieder auf den Sack ging.
Ich zog mich schnell um und klebte mir ein paar Glitersteine auf die Brust und aufs Gesicht, bevor ich zu meinen Kollegen ging.
"Was machst du denn schon hier?", fragte ich Zade.
"Ich fange heute eher an und mach länger. Heute ist Sonntag, da werden nochmal ein paar Euros für mich rausspringen."
Da hatte er Recht. Am Sonntag ist der Laden meistens am Besten besucht. Die ganzen Männer, welche ihren Stress am Wochenende nochmal rauslassen müssen, bevor sie Montag wieder Chef, Familienvater oder Angestellter sein müssen. 
Zade schob mir das Tablett zu und ich nahm gleich zwei Lines um nicht nur den Abend so gut es ging zu überstehen sondern auch um das Gespräch zwischen Marlon und mir zu vergessen.
Und um ihn endlich für immer zu vergessen.
Endlich war ich frei.

Frei....

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