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Linus

Statt zur Schule zu gehen, meldete ich mich krank. Mom war heute morgen bereits zur Arbeit gewesen, weswegen sie nicht wusste, dass ich zuhause blieb. Aber sie wäre damit einverstanden gewesen. 
Sie weiß, dass es mir heute nicht gut geht.
Sie hatte mir bereits geschrieben ob bei mir alles okay ist. Der Tag war schwer für uns beide. Ich hatte bisher nicht die Kraft ihr zu antworten. Genauso wenig wie ich Maya antworten konnte, welche mir meine Note in der Arbeit verriet.
Es war eine Zwei. Die erste wirklich gute Note dieses Schuljahr. Und das dank Marlon. 
Oder ich hatte einfach Glück. 
Wer weiß das schon? Es war mir heute auch egal.
An jedem anderen Tag hätte die Note meine Laune verbessert, aber heute nicht.
Nicht an Dads Geburtstag.
Den ganzen Vormittag lag ich im Bett und starrte an die Wand. Manchmal fielen mir kurz die Augen zu und wenn ich dann wieder wach wurde, kamen mir die Tränen. 
Nun meldete sich aber doch ein Bedürfnis. Durst.
Notgedrungen stand ich auf und lief in die Küche. Es war bereits Mittag, aber Hunger hatte ich bisher noch nicht. Ich werde den ganzen Tag wohl kein Hunger haben.
Ich schnappte mir eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und schlurfte wieder die Treppen hoch. Selbst das war heute anstrengend. Alles war einfach anstrengend.
Ich setzte mich ins Bett, starrte zur Tür und dachte an Dad.

"Haapppyyy Birthdaaayyyy!", rief ich Dad zu und sprang in seine Arme.
"Danke, mein Kleiner."
"Ich hab was für dich!", rief ich aufgeregt und rannte in mein Zimmer.
Mom hat gesagt, dass er neue Schuhe zum Joggen braucht. Also sind wir in ein Geschäft gefahren und ich durfte die Schuhe aussuchen.
"Wow, die sind ja cool.", sagte Dad.
"Ich hab sie selbst ausgesucht!"

Ich reichte Dad seine Geschenkebox und beobachtete ihn mit einem Lächeln. Doch bevor er sie öffnete schaute er mich stirnrunzelnd an. 
"Linus, ich schwöre dir, wenn da wieder eine Kröte drin ist verstecke ich die in deinem Zimmer."
"Ich mach doch nicht den gleichen Streich wie letztes Jahr."
"Du hast den Streich das Jahr davor auch schon gemacht."
"Nein, da waren damals Nacktschnecken drin."
"Im Prinzip ist es das Gleiche."
"Jetzt mach endlich auf!"
Zugegeben, ich wollte dieses Jahr Spinnen in das Geschenk tun. Aber ich hab keine gefunden. Also gibt es dieses Jahr kein Streich zu seinem Geburtstag. Schade eigentlich.
Dad holte einen digitalen Fotorahmen aus dem Geschenk mit Bildern von uns.
"Hey, der ist ja geil. Danke!"

"Das meinst du nicht ernst oder?", fragte Dad lachend.
"Es ist keine lebende Kröte."
"Du schenkst mir ein Stofftier?"
"Guck weiter!"
Dad schaute wieder ins Paket und zog das nächste Stofftier raus.
Sofort fing ich an zu Lachen, als er die Nacktschnecke als Stofftier fand.
"Wo kriegt man sowas denn weg?", fragte Dad lachend und holte das dritte Stofftier aus der Box.
Eine Spinne.
Okay, das zählte eigentlich nicht ganz, weil die Box mit den Spinnen hab ich ihm damals zu Weihnachten geschenkt. 
"Wow... Das ist... toll...", sagte er ironisch und holte den vierten Gegenstand aus seinem Geschenk.
Das war das eigentliche Geschenk und als Dad es sah, wich jegliche Regung aus seinem Gesicht.
Es war ein Modellauto von seinem ersten Auto. Das Auto was er mehr geliebt hat als Mom und mich.
"Wow.", sagte er nur und schaute es sich ganz genau an.
Dann stand er auf und zog mich in eine feste Umarmung. "Du bist der beste Sohn."

Durch ein Knallen wurde ich aus meinen Gedanken gerissen. Ich hörte Schritte im Flur. Vermutlich war Marlon oder Luise wieder da.
Ich hörte auf meinen Unterarm zu kratzen und trank einen Schluck Wasser.
"Hey, Linus.", hörte ich eine vertraute Stimme.
Ich blinzelte ein paar Mal und schob es auf meine Müdigkeit, dass ich Dads Stimme gehört habe.
Mein Unterarm fing heftig an zu jucken nachdem ich die Flasche wieder abgestellt hatte.
"Linus."

Dad und ich haben heute den ganzen Nachmittag damit verbracht nach einem neuen Auto zu schauen. Und da das ziemlich anstrengend ist, sitzen wir nun in der Stadt und essen ein Eis.
"Siehst du die Frau da?", flüsterte Dad mir zu und zeigte mit einem Kopfnicken auf eine Frau die an uns vorbeilief.
"Die ist bestimmt Kunstlehrerin."
"Wie kommst du darauf?"
"So sehen Kunstlehrer aus."
Ich überlegte kurz und dachte an meine Kunstlehrerin.
"Heilige Scheiße, du hast Recht.", lachte ich. 
"Und der Typ da.", sagte Dad. "Der ist Beamter."
"Woran machst du das fest?"
"Er sieht nicht aus als hätte er die Arbeit erfunden."
Ich schaute zu einem älteren Ehepaar, welches an uns vorbeilief. "Die beiden sind bestimmt Hippies."
"Und machen immer in einem FKK Dorf Urlaub."
"Baaahhh.", lachte ich.
"Da muss alles ganz schön hängen."
"Zu viele Details."
"Man könnte sagen die hängen ab."
"Nein, bitte keine Dadjokes.", lachte ich.
"Ich hab noch einen."
"Neiiinnn."
"Siehst du den Mann? Der ist per Anhalter hier."
"Ich weiß ich werde die Frage bereuen. Wie kommst du darauf?"
"Der sieht so mitgenommen aus."
Ich seufzte und schlug die Hände vors Gesicht. Womit hatte ich so schlechte Witze verdient?
"Hey, Linus.", sagte Dad. "Linus."
"Dad...?"
Er packte mein Handgelenk. "Hey! Hörst du mich?"

Marlon saß direkt vor mir und hielt meinen Arm fest. Sofort löste ich mich aus seinem Griff und krabbelte weiter ins Bett.
Wo ist Dad hin? Er war eben noch hier. 
"Hey.", sagte Marlon ruhig.
Ich schaute zur Tür und sah dort Dad stehen. 
"Dad...", hauchte ich.
Meine Sicht verschwamm und somit auch Dad.
"Linus...?", fragte Marlon und kam auf mich zu.
"Nein!", schrie ich ihn an. "Geh weg! Fass mich nicht an!"
Fuck, ich durfte nicht schreien. Ich bekam keine Luft mehr. Wieso schnürte sich meine Lunge zu? Ich ersticke. Wieso ersticke ich?
"Hey, du musst ruhig atmen.", sagte Dad welcher direkt vor mir stand. "Atme tief ein. Du wirst nicht ersticken."
Ich tat was er sagte und versuchte so tief es geht einzuatmen. 
"Gut und jetzt halt den Atem an. Ganz kurz. So ist gut. Okay, und langsam ausatmen."
Ich spürte wie sich mein Brustkorb entspannte und genügend Luft durch meine Lungen strömte.
"Es ist alles in Ordnung. Dir passiert nichts."
Ich wiederholte die Vorgänge noch einmal und sah wie Dad verschwand. Aber die Stimme war noch da. Jemand redete noch mit mir.
"Ich bin hier. Du bist in Sicherheit."
Ich blinzelte ein paar Mal um meine verschwommene Sicht weg zu bekommen.
Marlon kniete vor meinem Bett. 
Es war nicht Dad. Es war Marlon. Es war die ganze Zeit Marlon.
Natürlich war es nicht Dad...
"Alles okay?", fragte er mich.
Ich nickte nur. "Was...?"
"Du hattest eine Panikattacke. Hast du das öfters?"
Ich schüttelte mit dem Kopf.
"Darf ich zu dir kommen?"
Ein zustimmendes Nicken.
Er krabbelte zu mir ins Bett und sofort fing ich an zu weinen.
"Hey, was ist los?", fragte er und nahm mich in den Arm.
"Es ist Dads Geburtstag."

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