26
Linus
Ich habe keine Ahnung was ich erwartet habe, aber keinen Boxring.
Linus hatte einen Schlüssel zu einer der leeren Hallen am Hafen.
"Hier finden alle paar Wochen illegale Boxkämpfe statt. Jeder der hiervon weiß kommt her, kann antreten oder einfach nur wetten auf den jeweiligen Boxer."
"Und du organisierst das?"
"Ne, ich kämpfe hier."
Ich schaute ihn mit großen Augen an. Marlon, der Vorzeigesohn und nette Nachbar, macht illegale Boxkämpfe. Ich wusste doch, dass er ein Geheimnis hat.
"Daher kommen deine blauen Flecken. Und dein blaues Auge letztens.", stellte ich fest.
"Gut erkannt."
"Und wieso hast du einen Schlüssel?"
"Ich bin einer der Erwählten die hier trainieren dürfen. Die Leute kommen hierher um mich zu sehen und dadurch bekommen die Organisatoren Geld, denn jeder der hierher kommt muss Eintritt zahlen. Und jeder der kämpfen will muss auch nochmal was zahlen."
"Und warum will jeder dich sehen?"
"Weil mich seit Monaten niemand geschlagen hat."
So langsam ging mir ein Licht auf. Marlon war durchtrainiert und muskulös. Ich habe es bereits am eigenen Leib erfahren wie es ist, wenn er einen wirklich im Griff hat. Auch ich konnte mich nicht gegen ihn wehren. Und natürlich gab es immer irgendwelche Halbstarken die denken, dass sie diejenigen sind, die Marlon besiegen können.
Ein lukratives Geschäft.
Marlon führte mich durch die Halle, bis wir bei einer Reihe Boxsäcken ankamen.
"Das Boxen hilft mir die Wut rauszulassen. Hast du sowas schon mal gemacht?"
"Ist das, das Gleiche wie sich zu prügeln?"
Marlon lachte. "Nein, ich zeigs dir."
Es gab keine Boxhandschuhe, wie man es vielleicht erwartet. Es wurde mit bloßer Hand geschlagen. Marlon sagte mir, dass die Boxkämpfe auch ohne Handschuhe ausgetragen wurden. Es war kein richtiges Boxen wie man es aus dem Fernsehen kennt. Es ging hier wirklich darum wer als erster auf dem Boden liegt und blutet.
Wer bewusstlos wurde, hatte verloren.
"Verstanden?", fragte Marlon.
"Nö, hab nicht zugehört."
Marlon seufzte und verdrehte die Augen, jedoch mit einem Lächeln auf den Lippen. "Dann schlag einfach mal drauf los."
Ich schaute den Boxsack sparsam ein. "Das wird nicht funktionieren."
"Weißt du nicht. Warum bist du heute so sauer geworden?"
"Das geht dich nichts an."
"Okay, du musst es mir ja nicht erzählen. Denk einfach daran und dann schlag."
Ich vermisse Dad. Ich vermisse die Zeit wo ich noch gute Noten hatte, weil Dad es mir erklären konnte. Wo ich nicht der böse Sohn war, der sich nicht benehmen kann. Wo ich glücklich war und es niemanden gab der Dad ersetzten will.
Ich vermisse mein altes Leben.
Die Tränen schluckte ich herunter, spürte jedoch die Wut wieder in mir aufflammen. Ich schlug erst einmal zu, dann zweimal. Die Wut in mir entfachte immer weiter, als ich daran dachte wie Mom mich angeschrien hat. Wie ich ihr gesagt habe, dass ich Dad lieber hier hätte als sie.
Der Boxsack schwang hin und her, während meine Fäuste immer weiter auf ihn einprügelten.
Ich wollte das nicht sagen, es ist mir rausgerutscht. Ich wusste nicht wohin mit meiner Wut. Ich weiß nie wohin mit ihr.
Zwei starke Arme packten mich von hinten und zogen mich vom Boxsack weg.
"Ist es besser?", fragte Marlon, während meine Hände in seinen ruhten und bluteten.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ich weinte und schämte mich sofort dafür. Ich wollte nicht, dass Marlon mich so sieht. Wahrscheinlich wird er mich in den nächsten Tagen damit aufziehen.
Ich atmete tief durch und spürte, dass die Wut wie weggeblasen war.
"Ja, es ist besser.... Danke."
Marlon lachte leicht. "Kein Problem. Wollen wir eine rauchen?"
"Gerne."
Wir gingen wieder raus und setzten uns auf die Stufen vor die Halle.
Marlon reichte mir eine Zigarette und ein Feuerzeug. Der Rauch tat nicht nur meiner Lunge gut, sondern vor allem meinem Gemüt. Ich fühlte mich sofort viel freier, was nicht nur an der Zigarette lag, sondern auch am Boxen.
"Du kannst einfach Bescheid sagen, wenn du nochmal herkommen willst. Wenn hier nicht gerade ein Kampf ist, kann ich dich immer herbringen."
"Wieso bist du jetzt so nett zu mir?"
"Hab ich dir doch gesagt. Ich hab nichts gegen dich und sehe, dass es dir nicht gut geht."
Ich seufzte. "Ich vermisse mein altes Leben."
"Ja...", sagte Marlon und blies den Rauch in die Luft. "Ich auch."
Eine Zeitlang sagte keiner von uns was. Wir hörten beide einfach den Wellen zu und genossen die frische Meeresluft.
"Gehst du oft joggen, wenn dir alles zu viel wird?", fragte Marlon irgendwann.
"Ja, aber es hilft nur für eine kurze Zeit... Ich hab das Gefühl, dass ich einfach nicht weiß wohin mit meiner Wut. Ich kann sie nicht alleine kontrollieren."
Marlon nickte und schien zu überlegen.
"Vielleicht kann ich... Nein, egal."
"Was?", fragte ich nach.
"Ist egal."
"Wolltest du vorschlagen, dass du mir hilfst?"
"Ja."
"Wie?"
"Nein, das ist eine dumme Idee."
"Du bist doch schon die ganze Zeit so nett, dann kannst du mit deiner Idee jetzt auch rausrücken."
"Ne... Ich bin nur nett zu dir, damit ich dir wieder einen blasen darf."
Ich lachte und schubste ihn zur Seite. "Das hast du auch geschafft obwohl du ein Arsch bist."
"Stimmt... Warum bin ich dann eigentlich nett, wenn du sowieso jeden ranlässt?"
"Wichser.", lachte ich. "Also, deine Idee?"
"Hör auf. Das war dumm."
"Schön, dann halt nicht."
Es wurde wieder still, während wir unsere Zigaretten aufrauchten.
"Linus?"
"Ja?"
"Du solltest dich bei deiner Mom entschuldigen."
"Ja... Das werde ich."
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