Kapitel 50
„Willst du mich aufklären?" Leana schüttelt ihre prachtvollen Locken aus und grinst mich an, während ihre Augen belustigt mit der Sonne um die Wette funkeln. Also schildere ich ihr die Ereignisse der letzten Minuten in Kurzfassung und Leana hört feixend zu.
„Spaß muss sein", kommentiert sie, als ich ende und aufgrund dieses Satzes muss ich ihr einfach um den Hals fallen. Kaum zu glauben, dass wir uns erst seit einigen Tagen kennen und bereits so eine starke Verbindung zueinander haben.
„Oh, Mist!", unterbricht Leana diesen Moment hektisch und deutet über meine Schulter. Mit einem Ruck drehe ich mich um und registriere, dass der Bus gerade an unserer Haltestelle zum Stehen kommt.
Wieso habe ich auch nicht daran gedacht, den Busfahrplan im Internet abzurufen um den genauen Abfahrtstermin zu kennen?
Genau, mein Bruder kam mir mit seinem überfürsorglichen Beschützerinstinkt in die Quere.
Nur das ist der Grund, weshalb Leana und ich jetzt anfangen dem Bus entgegen zu sprinten, was sich mit Flipflops schwerer herausstellt als ursprünglich gedacht. Keuchend erreichen wir den Bus und in diesem Moment schließen sich die Türen mit einem dramatischen Seufzer.
Mit einem Hechtsprung werfe ich mich nach vorne und Leana tut es mir gleich.
„Glück gehabt", stoße ich hervor, als wir in den Innenraum des Busses stolpern. Lachend taumeln wir den Gang bis ganz nach hinten entlang und lassen uns schnaufend auf den Sitzen fallen.
„Wohin wollen wir überhaupt?", erkundigt sich Leana da und ich sehe mir die Haltestellenanzeige an.
„Uhm", mache ich.
„Jetzt sag bloß nicht, dass wir im falschen Bus sitzen!", meint Leana und kann sich ein hysterisches Kichern nicht verkneifen.
Gleich darauf fängt sie sich aber wieder uns studiert die Anzeigetafel. „Also wenn wir zum Strand wollen, können wir noch problemlos zwei Stationen weiter fahren und dann sind wir am Hafen. Und von da kommen wir auch ganz schnell zu zahlreichen Boutiquen an der Promenade oder wir fahren in die Stadt runter und amüsieren uns dort."
„Das klingt gut", kommentiere ich. „Aber lass uns lieber runter in die Stadt fahren. Von shoppen an der Promenade habe ich erst einmal genug."
Daraufhin schildere ich ihr die Situation mit Fabian in dem Laden, als mich der komische Verkäufer abgecheckt hat. Angewidert verzieht Leana ihr Gesicht und schüttelt den Kopf.
„Sowas ist echt das letzte, aber leider passieren solche Situationen viel zu oft. Ich verstehe einfach nicht, wieso sich Teile unserer Gesellschaft so verhalten. Was erhoffen sich diese Menschen denn davon!? So ein Verhalten ist abartig und einfach nur ekelerregend."
In diesem Punkt muss ich Leana einfach nur zustimmen, denn die Raten der Kriminalität, Verbrechen und Vergewaltigungen sind innerhalb der letzten Jahre nur so in die Höhe geschossen.
Nachdem der Bus einmal hält, macht Leana mich darauf aufmerksam, dass wir bei der nächsten Station aussteigen müssen. Wir begeben uns an die Tür und wenige Augenblicke später stoppt der Bus erneut abrupt. Die Türen öffnen sich und wir treten ins Sonnenlicht heraus. Hitze schlägt mir entgegen und ich muss meine Augen vor der Sonne abschirmen, weil sie mich zu sehr blendet.
Jemand rempelt mich an, aber bei dem ganzen Trubel hier auf der Promenade ist das auch kein überraschendes Wunder! Zu zweit schlendern wir die Promenade entlang und überblicken den weißen, langen Strand mit türkisenem Wasser. Ich glaube, ich war noch nie so froh hier zu sein.
Ich liebe Nizza!
"Lass uns nach dahinten", Leana deutet mit ihrer Hand wage auf die linke Seite des Strandes und ich nicke, auch wenn ich nicht gesehen habe, wohin genau sie deutet. Der Strand ist einfach viel zu überfüllt und es gibt kein einziges freies Plätzchen.
Vorsichtig schlängeln wir uns zwischen diversen Handtüchern durch und bemühen uns auf niemanden zu fallen. Ein Mädchen steht auf und winkt.
"Ein paar Freunde von mir sind hier am Strand. Hoffe es ist okay, wenn wir uns zu ihnen setzen?" "Ja, klingt gut. Dann kann ich wenigstens so tun, als ob ich tausende von Menschen hier kenne..."
"Ach Chiara", lacht Leana und legt mir die Hände auf die Schultern.
Wir erreichen das Mädchen und neben ihr im Sand liegen noch drei Jungs, sowie ein Mädchen. Leana schmeißt ihre Sachen in den Sand und verteilt eine Runde von Küsschen, während ich meine Strandtasche auf den Boden abstelle.
"Hey, dich kenne ich ja gar nicht. Wer bist du?" Ein Junge mit wilden braunen Augen schaut zu mir auf und sein spitzbübisches Grinsen verrät mir, dass er sich sehr gut mit Chris verstehen könnte.
"Ich bin Chiara", stelle ich mich vor und reiche ihm die Hand und er schüttelt sie im Liegen.
"Ach stimmt. Leana hat schon viel von euch erzählt. Ihr wohnt in der Villa mit dem Privatstrand oder? Ich bin übrigens Nicolas."
Der Reihe nach stellen sich auch die anderen vor das Mädchen mit dem dunklen Teint und den braunen Haaren stellt sich als Zoé vor.
Claire ist eine zierliche Blondine mit blassblauen Augen.
Thierry hat schwarze Haare, und azurblaue Augen. Fabian, schießt es mir durch den Kopf. Verwirrt schüttel ich den Kopf. "Und das ist Jérôme", Leana deutet auf einen Braunhaarigen, der gerade auf dem Handtuch liegt und vor sich hin dämmert.
"Lasst uns jetzt endlich ins Wasser. Ich gehe hier draußen noch ein", eröffnet Leana dramatisch und erntet Lacher.
In Windeseile ziehen wir uns aus und rennen den mehr entgegen. Als das Wasser um unsere Beine spritzt, kreischen wir übermütig auf. Dann lasse ich mich frontal nach vorne kippen und tauche in das bereits lauwarme Wasser ein.
"Wo hast du eigentlich Nico gelassen?", will Zoe wissen und kichert. "Richtig. Sonst sieht man euch doch nur im Doppelpack", feixt Nicolas und bekommt eine Ladung Meerwasser ins Gesicht geklatscht.
"Wahrscheinlich bei uns", antworte ich und Thierry wischt sich eine imaginäre Träne aus dem Augenwinkeln. "Statt bei seinen Freunden zu sein, hängt der mit irgendwelchen Fremden Engländern rum."
Ich grinse.
"Genau genommen, kennen wir uns schon länger, als ihr euch."
"Warte-? Du bist die Chiara?", Thierry reist geschockt die Augen auf, dann schüttelt er seinen Kopf und zeigt mir seine schneeweißen Zähne.
"Das ist ja ein Ding. Es ist mir eine Ehre Sie endlich persönlich kennenzulernen Miss Hayden."
Ich ziehe spöttisch die Augenbraue hoch, gehe dann auf ihn zu und springe auf seinen Rücken, sodass er ins Wasser klatscht.
Glücklicherweise kann ich mich noch rechtzeitig retten.
Da taucht Thierry aber auch schon wieder auf, packt mich an den Hüften und wirft nicht weit von sich weg reichen tauche ich unter und bereue es, denn ich schlucke massenweise Salzwasser.
"Du Arsch", pustend komme ich wieder hoch und schwimme mit kräftigen Schwimmzügen auf ihn zu. Energisch spritze ich im Wasser entgegen und er duckt sich lachend weg, was absolut nicht funktioniert.
Die anderen schließen sich mit Feuereifer unserer Wasserschlacht an und wir toben herum wie kleine Kinder. Die Leute um uns herum mustern uns amüsiert, andere sind genervt von unserem kindischen Verhalten, aber das könnte uns nicht gleichgültiger sein.
Mittlerweile ist Jérôme auch aufgewacht und hat sich uns angeschlossen.
"Puh, ich kann nicht mehr", keucht Claire und hält sich die Seite, doch das interessiert Nicolas absolut nicht, denn mit zwei Schritten ist er bei ihr und tunkt sie unter.
"Mann, du kannst es aber echt nie lassen oder?", pampt sie ihn an und kneift ihm in den Oberarm.
"Sorry, Schätzchen. Die Gelegenheit war einfach günstig und ich konnte nicht widerstehen." Unschuldig sieht er Claire an und sie verdreht nur die Augen.
"Was haltet ihr von einer Runde Jetski?" Thierry reibt sich die Hände und seine Augen funkeln.
"Ich weiß nicht. Könnt ihr überhaupt damit fahren?"
Auch wenn ich schon immer auf einem Jetski über die Wellen reiten wollte, behagt mir der Gedanke nicht ganz.
"Chiara", zieht Thierry meinen Namen lang, legt mir dann seine Hände auf die Schultern und lotst mich zu einem Verleih.
Die anderen folgen uns aufgekratzt. "Vertrau mir. Meinem Vater gehört der Verleih hier." Seine Stimme ist beruhigend und er lacht: "Wir standen schon von klein auf, auf Surfbrettern."
"Und vor vier Jahren durften wir das erste Mal Jetski fahren", pflichte Jérôme ihm bei und Nicolas schließt sich dem Vorhaben, mich zu überzeugen, an.
"Wir sind Profis darin. Es kann dir also fast nichts passieren. Zumindest zu 98%."
"Wie beruhigend", kicherer ich, aber zur großen Begeisterung aller Anwesenden schließe ich mich ihnen an.
"Es macht wirklich irre Spaß und der Adrenalinkick ist episch!" Zoé seufzt verträumt auf und lächelt mich an. "Du wirst es nicht bereuen", pflichtet Leana ihr bei und greift nach meinen Händen.
Amüsiert betrachte ich sie in ihrer Euphorie und kann nicht verhindern, dass mein Magen zur Freude Saltos schlägt.
"Kommt ihr jetzt oder wollte ich hier Wurzeln schlagen?", fragt Nicolas und wir schließen uns den Jungs wieder an.
Gemeinsam betreten wir die Holzstufen des Verleihs und ein braungebrannter Mann Mitte 50 kommt auf uns zu.
"Thierry, was verschafft mir die Ehre", das Lächeln des Mannes ist aufgesetzt und wie es den Anschein macht, ist er Thierrys Vater.
Die Stimme des Jungen ist kühl: "Wir hätten gerne fünf Jetskis."
"Geht klar." Er macht ein Zeichen ihm zu folgen und führt uns auf einen langen Holzsteg zu den Jets.
"Du weißt ja wie es geht?", hackt er an einen Sohn gewandt nach und dieser nickt steif.
"Ja ich weiß."
Von seiner abwesenden Maske ist nichts mehr übrig, als er sich zu uns umdreht und grinst.
"Zieht die Schwimmwesten an."
Ich lege mir eine schwarz-rote Schwimmweste an und blicke Thierry, der die Einteilung übernimmt, abwartend an.
"Jérôme fährt mit Zoe, Claire, Nicolas und Leana können alleine fahren und ich nehme das Frischfleisch."
"Hey, empöre ich mich", aber er übergeht meine Proteste einfach.
Während alle anderen ihre Jetskis besteigen und langsam aus dem Hafen fahren, bleibe ich mit Thierry am Steg stehen.
Er seufzt hörbar, bevor er alles Nötige vorbereitet.
"Du verstehst dich wohl nicht besonders mit deinem Vater?", frage ich vorsichtig und der Junge vor mir hält inne.
"Meine Eltern haben viel Geld. Wenn du mich fragst, mehr als gesund ist. Sie sind der Meinung, dass sie mir pro Tag 200 € in die Hand drücken können und brauchen deswegen kein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie sich einen Dreck für mich und mein Leben interessieren."
"Kenne ich. Ist echt ätzend", murmel ich und Thierry schmunzelt.
"Ist so. Na ja, was soll ich sagen. Ich lebe damit. Komm lass uns los", würgt er dann das düstere Thema ab und reicht mir die Hand, um mir zu helfen hinter ihm Platz zu nehmen.
Ich klettere hinter Thierry auf den breiten, bequemen Sitz und er startet den Motor. Zögerlich lege ich in die Hände auf die Hüften, doch er packt meine Arme und schlingt sie einmal um seinen Bauch herum.
"Du solltest dich festhalten", rät er mir.
"Ich will echt nicht, dass dir etwas passiert. Es ist schmerzhaft, wenn man in vollem Tempo rückwärts aufs Wasser fliegt. Ich musste es leider auf die harte Tour lernen."
" Was ist passiert?", erkundige ich mich neugierig.
"Ach, nichts schlimmes. Bin nur hart auf die Wasseroberfläche geknallt und war kurz im Land der Träume."
"Also wenn ich es mir recht überlege, dann würde ich doch lieber-", beginne ich hastig, aber ich verstumme, als das Jetski einen Satz nach hinten macht.
Wir tuckern ganz langsam über das Meer. Meine Unsicherheit bezüglich Berührungen ist verflogen und ich klammere mich fest an Thierry, was dieser mit einem leisen Lachen kommentiert.
Die anderen haben geduldig gewartet und Jérôme reckt den Daumen in die Luft.
"Kann losgehen", ruft Nicolas und startet seinen Motor, bevor er in halsbrecherischem Tempo losrast. Ein Schwall Wasser ergießt sich über uns und Thierry flucht: "Na warte, du bist schon so gut wie tot. Das gibt Rache."
Er betätigt das Gas und wir schießen nach vorne. Den Schrei, der meiner Kehle entrinnt, kann ich leider nicht unterdrücken, gleichzeitig schießt Adrenalin durch meinen ganzen Körper.
Die kleinen Wellen bringen das Jet dazu immer und immer wieder für eine Millisekunde in die Luft zu hüpfen, nur um dann wieder auf dem Wasser zu landen. Das Gefühl der Freiheit flutet meinen Körper und ich könnte schreien vor Glück.
Deshalb tue ich es.
"Siehst du? Ich wusste es wird dir gefallen", ruft Thierry, aber seine Worte sind undeutlich, da der Wind nur so in meine Ohren pfeift.
Die Sonne prallt auf uns herab, Wasser spritzt und ich schieße mit einem Jetski übers Meer direkt in die Freiheit.
Gibt es etwas Schöneres?
Thierry drosselt das Tempo und schlussendlich kommen wir neben Nicolas zum Stehen. Auch die anderen stoßen zu uns.
"Lasst uns ein kleines Wettrennen veranstalten", animiert Jérôme uns und sofort sind alle ausnahmslos Feuer und Flamme. Also stellen wir uns in einer Reihe auf und die Jungs klären die Strecke, sowie das Ziel, mit den Mädchen ab.
"Halt dich fest", raunt Thierry mir zu. "Jetzt fliegen die Fetzen."
"Auf die Plätze."
"Fertig?"
"Los!", schreit Leana das Startsignal und Thierry gibt Gas wir fliegen regelrecht über das Wasser und können uns an die Spitze heften.
Allerdings ist die Freude nur von kurzer Dauer, denn Jérôme mit Zoé hinten drauf und Claire kämpfen sich neben uns. Thierry spannt sich an und dreht voll auf.
Ich erkenne den Ehrgeiz in den Gesichtern unserer Gegner und wage einen flüchtigen Blick über die Schulter. Leana und Nicolas sind uns dicht auf den Fersen, dennoch bin ich mir sicher, dass die beiden keine Gefahr mehr für uns darstellen.
Mein Blick wandert nach vorne und ich sehe, wie sich Thierry ein verbissenen Kampf mit Claire liefert. Es scheint, als würde Claire an uns vorbeiziehen, weshalb Thierry einen Schwall von Flüchen loslässt.
Um Himmels willen, woher kennt er solche Wörter?
Energisch treibt ihr das Jetski nach vorne und wir holen wieder auf.
"Wir sehen uns am Ziel Schätzchen", brüllt Thierry Claire entgegen und tatsächlich kommen wir eine halbe Sekunde vor ihr im Ziel an.
Jubeln reißt Thierry die Arme hoch und wir klatschen uns lachend ab. Selbstgefällig dreht er sich zu seinen Freunden um und grinst.
"Und mal wieder habe ich euch Schlappschwänze abgehängt. Wann lernst du endlich keine Wettrennen in meiner Anwesenheit vorzuschlagen Jérôme?"
Der Angesprochene ist klug genug um nichts darauf zu erwidern und grinst bloß.
"Los lasst uns Chiara mal zeigen, was an Nizza besonders ist", Claire lächelt mich an und Nicolas nickt aufgeregt.
"Was haltet ihr von unserem Strand?", Jérômes Augen sprühen vor Vorfreude und die anderen stimmen zu.
"Okay, dann nichts wie los!"
Thierry gibt langsam Gas und beschleunigt dann immer mehr.
Zwischen jedem unserer Jetskis liegen mindestens 10 m Abstand, so dass jeder genug Freiraum hat.
"Halt dich fest", schreit Thierry über seine Schulter und ich kralle mich in seine Hüften, denn er dreht das Gas voll auf und wir fliegen regelrecht über die Wasseroberfläche.
Geschickt weicht Thierry einem kleineren Boot aus und winkt dem Inhaber zu, den er zu kennen scheint. Der braungebrannte Mann lacht und winkt uns ebenfalls zurück.
"Mein Onkel", erklärt der Junge vor mir und ich höre an seiner Stimme, dass er lächelt.
"Schau mal nach rechts Chiara", weist Thierry mir an und ich drehe meinen Kopf zur Seite.
Wir rasen die sieben Kilometer lange Promenade des Anglaise entlang.
Das Wasser hier bei uns ist tiefblau, doch an dem weißen Sandstrand rollen türkise Wellen an den Strand heran.
Menschen reckeln sich in der prallen Sonne und einige paddeln auf einem Stand-up-Paddle über das Wasser.
"Kannst du kurz anhalten"?, bitte ich Thierry.
"Klar."
Wir bleiben einige Meter weiter vorne stehen und der dreht sich einmal um 90 Grad. Wir sind hunderte Meter vom Strand entfernt, über uns kreischen die Möwen die Wellen rauschen, Gicht spritzt und der Himmel ist wolkenlos.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich Nizza mal aus der Perspektive sehen werde", staune ich und lasse meinen Blick schweifen.
Restaurants Strandbars und Einkaufsläden erstrecken sich entlang der Promenade und weiter hinten recken sich die Dächer von Wohnhäusern in die Höhe.
"Es ist schon cool", bestätigt Thierry.
"Allerdings vergessen die meisten Leute hier das Privileg, ein Meer zu haben, des öfteren. Sie schätzen es gar nicht und halten es für selbstverständlich."
Thierry sieht mich mit ernstem Ausdruck an und ich erkenne Wut und Resignationen seiner Stimme.
Eigentlich dachte ich, dass er genauso ein Quatschkopf wie Nicolas ist, als wir uns vor einer Stunde kennengelernt haben. Jetzt verhält er sich deutlich erwachsener als andere in seinem Alter.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er in einer ähnlichen Situation ist, wie ich. Seine Eltern sind genau dieselben reichen und gefühlskalten Schnösel wie meine.
Während wir uns unterhalten und den Ausblick genießen, zischen die anderen an uns vorbei. Erst Leana, dann Nicolas dicht gefolgt von Claire.
Jérôme und Zoé bilden das Schlusslicht und animieren uns zum Weiterfahren: "Los ihr Lahmärsche. Bewegt eure fetten Hintern sonst kommen wir nie an!"
"Fett? Fett?!", empört sich Thierry und sieht mich erbost an.
"Das hat er gerade nicht wirklich gesagt oder?"
"Tut mir leid", meine ich und grinse diabolisch. Das schreit nach einem Gegenschlag mit Salzwasser Nasenspülung", findest du nicht auch.
"Deine Einstellung gefällt mir. Ich sehe wir verstehen uns."
Mit diesen Worten gibt ja die Gas und rast Jérôme hinterher.
Nach einer etwa 5-minütigen Fahrt drosseln alle das Tempo und es kommt eine kleine Bucht in Sicht. Der kleine Sandstrand ist vielleicht 12 m lang und 7 m breit. Eine Holzhütte nimmt die Hälfte des Sandes in Beschlag die gesamte Bucht wird von steilen, massiven Steinwänden umrahmt.
"Vor ein paar Monaten haben wir das hier entdeckt", sagt Zoé und lächelt leicht.
"Die Hütte stand nicht, aber siehst du den Pfad dort? Wir haben das ganze Zeug runtergeschleppt, was eine schweißtreibende Arbeit war. Das kannst du mir glauben! Und das ist unser Endprodukt. Sieht cool aus oder?", Leana sieht das Häuschen stolz an.
"Wie lange haben wir noch T.? Dann könnten wir Chiara noch kurz unser privates Eigen zeigen." Thierry fischt sein Handy aus der Badehose.
"In 40 Minuten müssen die Jets wieder im Verleih sein, dann beginnt eine Schulung."
"Yeah genug Zeit", Claire regt die Daumen in die Höhe und wir fahren langsam in Richtung der Bucht.
"Hier kannst du absteigen, meint Thierry und ich lasse mich vom Sitz gleiten. Ich wate durch das seichte Wasser und kurz darauf lasse ich meine Schwimmweste in den goldgelben Sand fallen.
"Wow", staune ich. "Es ist wundervoll hier. "
"Ja, hast recht, stimmt Nicolas mir überheblich zu und ich stoße ihm meinen Ellenbogen in die Rippen. Derweil öffnet Jerome die Tür des kleinen Häuschens und deutet mit einer Handbewegung einzutreten.
"Nach Ihnen die Dame", Jérôme grinst blöd, aber dennoch folge ich seiner Aufforderung.
Von außen wirkt das Häuschen relativ klein, doch jetzt sehe ich wie viel Platz tatsächlich dort vorhanden ist.
Und es ist nicht wenig!
Unten befindet sich ein großer Raum, indem ein Holztisch mit sechs Stühlen steht. An der rauen Holzwand steht ein Schrank und Bretter sind in die Wand eingebaut, sodass man dort problemlos etwas abstellen kann.
Über die Decke spannt sich ein riesiges Fischernetz in dem Muscheln hängen. Entgegen meiner Erwartung riecht es hier überhaupt nicht muffig, sondern nach frischer Seeluft und Meersalz.
"Wow", wiederhole ich mich und streiche ganz verzaubert über die Holzwand.
Schon beim Reingehen habe ich gemerkt, dass oben auf dem Dach Solarplatten angebracht sind und damit erklären Sie die helle Lampe.
Leana hat gemeinsam mit ihren Freunden Bilderrahmen in verschiedenen Größen aufgehängt. Im Inneren des Hauses spiegeln sich wundervolle Momente ihrer Freundschaft wieder und ich kann nicht anders als zu lächeln.
Ich lasse meinen Blick weiter schweifen und entdecke erst jetzt, dass der Raum etwas abgetrennt ist und neugierig schaue ich, was sich hinter der Wand verbirgt. Ein Sofa mit Sesseln und einem Teppich.
Dahinter entdecke ich eine Treppe und muss stutzen: "Gibt es etwa noch einen zweiten Stock?"
"Klar, komm mit", Leana und Zoé ziehen mich zu der schmalen Holztreppe und gemeinsam erklimmen wir die nächste Etage.
Mir stockt der Atem.
Der Boden ist mit weichen Matratzen ausgestattet und auf ihnen liegen unzählige Kissen und Decken. Es sieht irrsinnig gemütlich aus und am liebsten würde ich mich sofort dort reinlegen. "Und jetzt das Highlight", kündigt Nicolas an.
Ich habe gar nicht gemerkt, dass die Jungs uns gefolgt sind.
Der Junge tritt an die Holzwand gegenüber vor mir und erst da realisiere ich die Griffe. Er öffnet sie geschickt und schon flutet Sonnenlicht den Raum. Kann ich dir einziehen?, frage ich scherzhaft und Thierry schmunzelt.
"Klar es ist schon ein echt cooler Ort zum Entspannen, aber wir leben könntest du nicht."
"Egal, es ist total gemütlich hier!"
Ich lasse mich nach hinten in einen monströsen Kissenberg fallen und seufze auf.
"Das war doch wahrscheinlich ein Heidenaufwand die ganzen Möbel und Bretter herunter zu tragen oder? Vom Bauen des Hauses will ich gar nicht anfangen..."
"Ja, es war schon echt harte Arbeit", stimmt Claire mir zu und nimmt ebenfalls Platz.
"Allerdings haben unsere Eltern auch geholfen das ganze Zeug hier runter zu schleppen. Davor hat Zoés Vater sich das Fundament und die Lage aber angeschaut. Er ist Architekt und hat uns das Okay gegeben unseren Rückzugsort hier aufbauen zu können."
"Seid ihr oft hier? Und ist das Haus überhaupt Regen und windgeschützt?", über häufig die Besitzer dieses kleinen Traumpalasts.
"Ja, das ist alles abgeklärt. Hier kann nichts passieren, selbst wenn es stürmt. Und ob wir auf die sind? Das ist der perfekte Ordnung um ungestört zu sein und wenn man lernen möchte , ist man ganz alleine in der Natur. Es ist herrlich", ergänzt Leana.
"Ihr habt das wirklich gut hinbekommen", lobe ich ihre Arbeit, doch sie winken ab.
"Nein, ehrlich. Hätte ich sowas in England, dann würde ich mich nach der Schule den ganzen Tag dort verkriechen!"
In diesem Moment beginnt ein schneller Rapsong und Thierry runzelt genervt die Stirn. Ja?!, nimmt er das Gespräch an. Thierry hört seinem Gesprächspartner zu und mit jeder Sekunde verfinstert sich seine Mine.
"Aber, wir sind erst seit einer Stunde draußen! Du kannst doch jetzt nicht einfach-", protestiert der Dunkelhaarige wütend, allerdings wird er je im Satz unterbrochen.
"Ja, ja. Schon verstanden. 10 Minuten", knurrt Thierry und legt dann ohne weiteres auf.
"Wir müssen die Jetskis zurückbringen", erklärt er und sieht mich bedauernd an.
"Was jetzt schon?"
Die Enttäuschung überspült mich und ich sehe Thierry fast schon flehend an.
"Ja, mein-. Mein Vater braucht die Jets", presst er mit einer steilen Falte auf der Stirn hervor.
"Wir können die Tage noch mal herkommen", schlägt Claire vor.
Es ist ein Kompromiss, den ich dankend annehme.
Besser als gar nichts.
"Gut dann gehen wir wieder", seufzt Jerome und überreicht Thierry die Schlüssel, damit dieser abschließen kann. Wir anderen begeben uns derweil wieder zu den Jetskis und ziehen die Schwimmwesten an.
Alle setzen sich schon mal rauf und gleiten aus der Bucht, während ich darauf warte, dass Thierry startklar ist.
"Tut mir echt leid, dass wir nicht länger bleiben können", entschuldigt er sich da zerknirscht bei mir, aber ich winke nur ab.
"Ach was, ich nehme was ich kriegen kann und solange wir noch mal hierher kommen, ist das mehr als okay. Außerdem ist es ja nicht einmal deine Schuld, also mach dir meinetwegen keinen Kopf!"
"Na dann kann es ja losgehen."
Wir schwingen uns auf den Sattel und Thierry fährt los.
Es macht Spaß über die Wellen zu hüpfen und ich genieße die letzten Momente über das Wasser zu schießen aus vollen Zügen. Viel zu schnell ist es allerdings vorbei und schon steuert Thierry auf den Verleih zu.
Sein Vater steht bereits auf dem Steg und erwartet uns.
Wortlos bringt Thierry das Jet zum Stehen, reicht mir dann die Hand und hilft mir an Land. Die Schwimmwesten hängen wie an ihren Platz zurück und spazieren zu unseren Handtüchern.
"Du, Chiara?", spricht Leana mich da an und sieht mir mir unschuldig in die Augen.
"Du siehst aus, als hättest du was ausgefressen", grinse ich belustigt.
"Wir müssen unseren Shoppingtrip leider verschieben, weil ich mit Nico noch heute zu einem Konzert eines berühmten Pianisten gehen wollte. Das hatte ich vorhin komplett vergessen zu erwähnen. Entschuldige-" Zerknirscht sieht sie mich an, aber ich winke lachend ab.
"Alles gut wir sind ja noch 11 Tage hier. Also haben wir massenhaft Zeit. Morgen oder so."
"Du bist ein Schatz, danke! Ach ja und T.?", sie dreht sich fragend zu Thierry um, der gerade seine Sachen zusammenpackt, genau wie die anderen.
"Könntest du uns zwei zu Chiara fahren?"
"Wieso holt euch dein Loverboy nicht ab?"
"Weil er im Gegensatz zu dir noch nicht befugt ist alleine zu fahren. Nur begleitetes Fahren."
Thierry rollt mit den Augen, seufzt dann aber gutmütig. "Na los ihr nervigen Häschen. Ab zu meinem Auto."
Wir verabschieden uns noch von den anderen und versprechen, dass wir uns bald wiedersehen. Gemeinsam mit Thierry begeben wir uns zu seinem BMW Golden Thunder und werfen unsere Taschen in den Kofferraum. Thierry nimmt hinter dem Steuer platz, Leana überlässt mir großzügig den Beifahrersitz und setzt sich nach hinten.
"Also dann Ladies", sagt der Junge neben mir, grinst und setzt sich eine Sonnenbrille auf. Dann startet er den Motor und befreit sich aus der Parklücke.
"Das Einzige, was meine Eltern richtig in ihrem Leben gemacht haben, war die Entscheidung mir dieses Auto zu schenken", sagt Thierry in diesem Moment, als er meine bewundernden Blicke bemerkt, die in seinem Wagen umherwandern.
"Es war eine wirklich sinnvolle Investition", pflichtet Leana von hinten bei.
"Auch wenn deine Eltern geldgeile, gefühlskalte Widerlinge sind."
Vorsichtig sehe ich Thierry an, doch er steuert nur lässig das Auto durch den Innenstadt Trubel.
Wir lassen das Thema Eltern fallen und unterhalten uns stattdessen über das Konzert dieses Pianisten zu dem Leana heute möchte. Thierry merkt daraufhin nur an, dass er sich deutlich besseres vorstellen kann.
"Beispielsweise spät am Abend am Strand zu sitzen und die Stille zu genießen. Um meine innere Ruhe zu finden, brauche ich keine verrückten Möchtegern - Mozart."
Daraufhin entsteht eine hitzige Diskussion zwischen den beiden und ich höre grinsend zu.
"Du kannst nicht damit argumentieren dass-"
"Wir sind da", unterbricht Thierry Leana und parkt zur selben Zeit in unserer Einfahrt.
"Ich toleriere schon deinen komischen Musikgeschmack. Drehe mir jetzt nicht noch dein Klassik Zeug auf."
"Nichts gegen K-Pop", werfe ich dazwischen und Thierry sieht mich entsetzt an.
"Ich glaube, ich muss mein Auto schnellstmöglich desinfizieren..."
Er öffnet den Kofferraum und gibt uns unsere Strandtaschen.
"Ach Thierry", Leana tätschelt ihm die Schulter.
Lachend führe ich die beiden zu der Haustür und schließe sie auf.
"Bin wieder da", schreie ich in die Villa herein, erhalte aber keine Antwort.
"Stellt eure Schuhe einfach irgendwo hin", achselzuckend deute ich neben unseren unordentlichen Schuhhaufen und gehe dann ins Wohnzimmer.
Durch das Panoramafenster sehe ich, wie die Jungs im Pool herumalbern und gerade eine heftige Volleyball Party austragen.
"Die Villa ist ja beinahe so groß wie unsere", staunt Thierry. "Nur deutlich schöner und lebhafter eingerichtet!"
"Hey, ihr seid ja schon wieder zurück", Jason streckt nur den Kopf ins Wohnzimmer, damit der Parkettboden nicht feucht wird.
"Ja, Thierry hat uns gefahren", erkläre ich und deute auf den dunkelhaarigen Jungen. "Er ist mit Leana befreundet."
"Cool ich bin Jason."
"Thierry", wiederholt Thierry überflüssigerweise erneut und die beiden jungen klatschen sich ab.
Na das ging ja schnell.
"Wieso kommt ihr nicht auch mit in den Pool? Das Wasser ist herrlich!"
"Eigentlich müssen Nico und ich los," fängt Leana an, aber Thierry lotst uns beide nach draußen. Die Oberfläche des Poolwassers funkelt im Sonnenlicht und wir treten zu dritt an den Beckenrand.
"Wie war denn euer Date", erkundigt sich Nico feixend, der uns just in der Sekunde bemerkt.
"Oh hey Thierry, was machst du denn hier?"
"Da deine Freundin keinen persönlichen Chauffeur hat, musste ich hinhalten."
Nico lacht und Leana wirft mir hinter Thierrys Rücken einen verschwörerischen Blick zu. Mit einem Nicken deutet sie auf ihn dann auf den Pool.
Ohne zu zögern stoßen wir Thierry hinein und er kippt mit einem animalischen Schrei nach vorne. Die Jungs im Wasser werden nun auch auf uns aufmerksam und beobachten Thierry, der wieder auftaucht.
"Du bist so tot", knurrt er, schwimmt mit zwei Zügen an den Beckenrand und stemmt sich hoch.
"Hey, mein Handy ist in meiner Tasche", protestiert Leana, als Thierry sie über das Wasser hält.
"Tja, dich hat es auch nicht davon abgehalten-!"
"Oh, oh", meint Chris da und beginnt zu lachen.
"T. ich schwöre dir, wenn du das tust, dann -!"
Und sie fällt ins Wasser.
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