Kapitel 48

Fabian

Verschlafen laufe ich gemeinsam mit Jason den Flur entlang und stolpere müde die Treppe, welche ins Erdgeschoss führt, hinunter.
Heute Nacht habe ich erstaunlich gut geschlafen, trotz Leons und meinem kleinen Rutschunfall im Bus. Zwar tut mein Rücken immer noch weh, allerdings sind die Schmerzen zum Aushalten.

Als wir das Wohnzimmer betreten richtet sich mein Blick auf die Couch, auf welcher Nico gemütlich schläft. Höchstwahrscheinlich hat sein Vater ihn, Chiara und seine Freundin heute Nacht hier abgesetzt und die zwei haben hier übernachtet.
Ich finde die Freundin von Nico wirklich und auch wenn sie so gegensätzlich sind ergänzen sie sich gegenseitig perfekt, oder gerade deshalb.

 Auf den zweiten Blick fällt mir auf, dass irgendjemand bereit gefrühstückt hat, denn auf dem Esstisch liegt ein Brett mit angeschnittenem Baguette und in einer Glaskaraffe befindet sich, meiner Meinung nach, frisch gepresster Orangensaft.
Die Jungs waren es bestimmt nicht, da sie sicherlich noch schlafen, was auch nicht weiter verwunderlich ist, denn wir kamen erst um kurz nach halb zwei hier an. Somit müssen oder können es nur Leana und Chiara gewesen sein.
Gähnend betrete ich die Küchennische um auch Jason und mir ein Frühstück vorzubereiten, sowie den anderen, als mir auffällt, dass neben dem Herd ein kleiner, weißer Zettel liegt.

Sind unten am Strand. –C

„Schau mal", murmelnd schiebe ich den Zettel in Jasons Richtung, der ihm aber nur minimale Beachtung schenkt, kurz nicht und sich dann daran macht den Herd einzuschalten, um die Pfanne für die Spiegeleier zu erhitzen.
„Was hast du eigentlich für heute geplant? Leon wollte mir nichts verraten", versuche ich meinen Freund ganz beiläufig dazu zu bringen sich zu verplappern, während ich den Tisch decke. Jason lacht daraufhin nur rau und schlägt ein paar Eier in die heiße Pfanne.
„Wirst du schon noch sehen, aber auf jeden Fall ist das Meer heute optimal dafür. Ganz besonders du wirst es lieben!"
Das klingt nicht wirklich danach, als wollte er mir etwas preisgeben.
Dann muss ich wohl warten, bis Jason sich um unsereiner erbarmt...

Keine vierzig Minuten später sitzen alle Jungs, samt Nico am Tisch, welcher durch unser Werkeln in der Küche wach wurde und uns schlussendlich half. Alle sind stumm und schaufeln das üppige Frühstück in sich hinein.
Ab und zu durchbricht ein Räuspern oder das Klappern des Bestecks die Ruhe, aber ansonsten bemerkt man deutlich, dass die Nacht Spuren hinterlassen hat. Auch ich fühle mich übernächtigt und die Rückenschmerzen machen das nicht besser.

„Seid ihr fertig?", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken und ich sehe zu Jason auf. Der hat sein Spiegelei mit Baguette sowie Croissants schon längst verputzt, während ich noch nicht einmal mit der Hälfte fertig bin.
„Ähm", mach ich nur, aber Chris fällt mir ins Wort.
„Klar."
Jetzt erst fällt mir auf, dass ich wohl zu sehr in meine Gedankenwelt eingetaucht bin, denn alle, außer mir natürlich, sind schon lange fertig mit dem Essen und warten ungeduldig auf mich.
„Natürlich. Ich bin auch fertig. Ist ja nicht so, dass ich eigentlich noch etwas essen wollte... aber abgesehen davon!"

 Leise murmelnd lasse ich den Satz unvollendet in der Luft hängen, lehne mich zurück und verschränke die Arme vor meiner Brust.
„Cool", Jasons Augen strahlen nur so voller Euphorie und ich frage mich wie man nur so viel Energie nach so einer langen Nacht haben kann. Vielleicht liegt das aber auch nur an mir und den Tabletten.
„Wir treffen uns in zehn Minuten unten. Kann irgendwer noch einen Volleyball mit runter nehmen, dann können wir spielen?", Jase gibt mehr Anweisungen, als dass er uns fragt und angesichts dessen muss ich schmunzeln, denn diese Angewohnheit kommt mir allzu bekannt vor.

„Gut bis gleich", damit verabschiede ich mich von meinem leckeren Frühstück, begebe mich nach oben und greife nach einer dunkelblauen Badehose, welche ich gegen meine gemütliche Jogginghose eintausche.
Dann schnappe ich mir noch den blau-weiß-gelben Volleyball, klemme mir den unter den Arm und stoße die Tür auf.
„Na, immer noch schlecht gelaunt wegen gestern", kommt mir Felix' spöttische Stimme entgegen, doch ich grinse daraufhin nur entwarnend. Mit einem harten Druckpass werfe ich Felix den Ball zu, doch leider reagiert er blitzschnell und fängt den Volleyball ab, bevor dieser sein Gesicht treffen kann. Als ich ihm den Rücken zuwende prallt keine Sekunde später etwas Hartes gegen meinen Rücken, weshalb ich aufzischen muss.

 „Ich nehme es zurück", zische ich Felix zu, als ich herumfahre und ihn missbilligend anstarre.
„Falls es dir entgangen sein sollte: Mein Sturz heute im Bus war nicht gerade schmerzfrei." Mit diesen Worten schnappe ich mir den Volleyball, stürme die Treppe hinunter und raus aus der Villa.
„Du Diva", ruft Felix mir spöttisch hinterher, doch darüber kann ich nur lachen und blicke hinauf in den strahlenden, wolkenlosen Himmel.

 „Kommst du?", erkundigt sich Chris und ich bemerke erst jetzt, dass er gerade neben mich getreten ist. Gemeinsam gehen wir den Pfad zum Strand entlang und die anderen folgen uns in einiger Entfernung.
Noch bevor wir einen Blick auf das Meer und die beiden Mädchen bekommen haben höre ich auch schon ihr Kreischen, sowie das schallende, unbeschwerte Gelächter.
Kurz darauf schiebe ich die Zweige der Pinie vor mir zur Seite und vor mir erstreckt sich ein weißer Sandstrand. Das türkisfarbene Meer glitzert tausendfach in der Morgensonne, doch es ist nicht ruhig, sondern kräuselt sich stürmisch.

Gerade bricht eine zwei Meter hohe Welle und die Wassertropfen fliegen nur so. Danach fallen mir Chiara und Leana ins Auge, die am Strand stehen und sich bereit machen ins Wasser zu sprinten.
Dies wirft wiederrum die Frage auf, auf was genau sie warten, doch nur wenige Augenblicke später erhalte ich schon meine Antwort. Eine hohe Welle rollt heran und selbst auf die weite Distanz sehe ich das Grinsen auf den Gesichtern der beiden Mädchen.
Wie von der Tarantel gestochen stürmen sie dem aufgetürmten Wellenberg entgegen und werfen sich gegen die hohe Wassermauer.
Gleichdarauf werden sie auch schon von dem Salzwasser überspült und in diesem Moment ist es um meine Selbstbeherrschung geschehen.

Ruckartig ziehe ich mir mein Shirt über den Kopf, werfe den Volleyball in den Sand und renne los. Chris, der wohl die selbe Idee hat wie ich, zischt an mir vorbei, doch ich hole ihn mühelos ein und verbissen liefern wir uns ein Wettrennen bis in das Meer hinein.
Gerade als ich zum Sprung ansetzten will tauchen Chiara und Leana vor mir auf, doch leider kann ich mich nicht mehr bremsen, weshalb ich die Erstgenannte mit mir in die Tiefe reiße. Grinsend tauche ich wieder auf, schüttel mir das Wasser aus den Haaren und stelle fest, dass Chris Leana ebenfalls untergetunkt hat, weshalb es mir nicht unangenehm sein muss, dass ich halb auf Chiara gelandet bin.
Kaum habe ich den Gedanken auch nur zu Ende geführt, erscheint auch schon ihr Gesicht vor meinem und ihre Augen funkeln strahlend.
„Begrüßt du mich morgen jetzt neuerdings so?", schmunzelnd fährt sie sich durch die Haare und ich muss auflachen, während ich gleichzeitig den Kopf schüttele.

 Jemand springt auf meinen Rücken, klammert sich fest und probiert meinen Kopf unter Wasser zu drücken. So gut es geht drehe ich meinen Kopf nach hinten und sehe meergrüne Augen, die übermütig blitzen.
Jason greift in meinen Nacken, gleitet von meinem Rücken und lässt sich ins Wasser fallen. Dabei zieht er mich durch sein Gewicht mit sich und erneut klatsche ich mit dem Gesicht nach vorne ins Wasser.
Doch als ich auftauchen möchte greift Jason nach meinen Schultern und hält mich eisern fest. Er presst mich auf den sandigen Meeresboden und da die Luft langsam aus meinen Lungen entweicht bleibt mir nichts anderes übrig, als mein Knie anzuwinkeln und es ihm in den Bauch zu rammen.
Selbst unter Wasser höre ich seinen Fluch und feixe, während ich mich abstoße und die Wasseroberfläche durchbreche.
„Du bist so ein...", bringt Jase keuchend hervor, aber Chiara unterbricht ihn tadelnd: „Na, na, na. Keine Kraftausdrück!"

 Es sieht witzig aus wie Chiara mit ihrem älteren und um einiges größeren Bruder schimpft und mühevoll unterdrücke ich einen Lachanfall.
Wenn ich ein Handy dabei hätte, dann würde ich diese Szene ganz sicher filmen und wenn ich so zu den anderen schaue, denn lese ich in ihren Gesichtsausdrücken genau denselben Gedanken.
„Hör auf mich wie ein Kleinkind zu behandeln", gespielt bockig verschränkt er die Arme vor der Brust und wie es scheint hat Chiara Mitleid mit ihrem großen Bruder, denn sie watet auf ihn zu und strubelt ihm durch die nassen Haare, die fast schwarz aussehen.
Jase verzieht spöttisch das Gesicht, greift nach Chiaras Hüften und schmeißt sie so weit wie möglich von sich weg. Ein Platschen ertönt, Chiara gleitet unter Wasser und Jason nutzt den Augenblick, um sich schnell aus dem Staub zu machen.
„Du Feigling", brüllt seine Schwester ihm hinterher, schwimmt mit ein paar kräftigen Schwimmzügen an das Ufer und nimmt die Verfolgung auf.

Sie spurtet ihm hinterher, Jason läuft lachend weg und wir grölen ihnen unverständliche Anfeuerungsrufe hinterher. Jase rutscht fast aus, als er einen Haken schlagen will, weshalb Chiara aufholt und auf seinen Rücken springt.
Durch den Schwung stolpert er vorwärts und landet mit voller Wucht mit dem Gesicht im Sand. Wir klatschen alle und bejubeln Chiara, die sich lachend vor uns verbeugt. Zur selben Zeit rappelt Jason sich auf und als ich seinen Anblick sehe, muss ich losprusten.
Überall auf seiner nassen Haut kleben winzige Sandkörner und auf die Entfernung meine ich, dass er selbst Sand im Mund hat.

„Lauf Chiara!", kreischt Leana, die Angesprochene dreht sich verwirrt um und rennt dann los. Jason ist ihr dicht auf den Fersen, doch Chiara erreicht das rettende Wasser stürzt sich hinein, gefolgt von ihrem Bruder.
Allerdings hat Chiara nicht so viel Glück wie angenommen, denn Jason bekommt ihren Oberarm zufassen und sie quiekt erschrocken auf. Chiara zieht den Kopf ein und setzt eine unschuldige Miene auf.
„Bitte, bitte tu mir nichts", fleht sie Jason an, während sie sich unbemerkt aus seinem klammernden Griff zu befreien versucht.
„Das hättest du dir besser früher überlegen sollen!", grinst ihr Bruder diabolisch, zwickt ihr in die Seite, bevor er sie loslässt. Überrascht verliert Chiara das Gleichgewicht, da sie sich die ganze Zeit von Jason weggelehnt hat und kippt direkt nach hinten ins Wasser.

 Daraufhin müssen wir alle lachen, selbst Chiara, die nach einigen Sekunden wieder an der Oberfläche erscheint.
„Verdient", meint sie daraufhin nur achselzuckend und stößt Jason grinsend gegen die Schulter, was dieser lächelnd hinnimmt.
Dann dreht er sich zu uns um und reibt sich unternehmungslustig die Hände.

„In Anbetracht der Tatsache, dass das Wetter heute optimal ist habe ich und Surfbretter gemietet." Jase strahlt uns an und Chiara klatscht sich übermütig mit Leana ab. „Jetzt kannst du endlich mal deine Surfkünste unter Beweis stellen", Chris stößt freundschaftlich mit seiner Schulter gegen meine. Fragend sehe ich an, merke dann aber, dass er auf meine Sommerurlaube mit meiner Familie anspielt.
Seit Jahren fliegen wir ans Meer, meistens nach Florida, wo ich drei Wochen damit verbringe mich in den Wellen auszutoben und meine Surftechniken auszubauen. Jetzt erst fallen mir auch die Surfbretter auf, die etwas versteckt in einer Felsnische liegen.
Ohne lange zu überlegen schnappe ich mir ein weißes Brett, welches mit schwarzen und hellgrauen Schlangenlinien verziert ist. Chris angelt sich ein Beigefarbenes und mein Bruder hat auf ein Ähnliches wie ich ein Auge geworfen.

 „Mal sehen wie viel bei dir von letztem Jahr hängen geblieben ist", mit diesen Worten stellt sich mein Bruder neben mich und blinzelt gegen die Sonne. Spöttisch wackel ich mit den Augenbrauen.
„Wer hat letztes Jahr den Surfcontest gewonnen? An welchem wir beide teilgenommen haben?" „Das du mir das auch immer wieder unter die Nase reiben musst", schmunzelt Leon und ich kann nicht anders als zu grinsen.
„Natürlich, schließlich musst du ja wissen wer von uns beiden der bessere Surfer ist!"
Daraufhin grummelt mein Bruder etwas und die nächsten Worte kann ich mir einfach nicht verkneifen: „Was hast du gesagt? Wer ist der Bessere?"

 Ein Schnauben meines Bruders ist die Antwort.
„Wie bitte?"
„Du", nuschelt Leon, aber ich kann es nicht lassen und lege eine Hand hinter meine Ohrmuschel.
„Entschuldige, du warst zu leise."
„Du... bist ein eingebildeter Idiot", schleudert mir mein Brudre entgegen und entlockt mir ein Lachen.
„Das erste Wort stimmt. Das was danach kommt... na ja, damit bin ich nicht wirklich einverstanden."
„Das ist mir allerdings relativ egal, denn so sieht nun mal die Realität aus."
„Das sagst du nur, weil du am liebsten so gut wie ich wärst, was das Surfen betrifft", halte ich standhaft dagegen und mein Bruder lächelt ertappt, bevor er nickt.
„Möglich."
„Na, dann lass uns mal dein Können testen", rufe ich Leon über die Schulter, denn ich begebe mich bereits in die Richtung des tosenden Meeres.
„Ich werde dich sowas von übertrumpfen, darauf kannst du dich verlassen", schreit mir mein Bruder hinterher und am Klang seiner Stimme höre ich, dass er mir rennend folgt.

 Ich hebe meinen linken Arm und spreize den Daumen und kleinen Finger, nachdem ich meine Hand zur Faust geballt habe. Das Lachen meines Bruders dringt an meine Ohren, als ich mich nun samt meines Boards in die Fluten werfe und hinaus paddele. Ein Klatschen ertönt und signalisiert mir dadurch, dass mein Bruder dicht hinter mir ist.
Mit Kräftigen Bewegungen tauche ich meine Arme ins Meer und drücke die Wassermassen nach hinten. Zischend pflüge ich durch das Wasser und genieße das Gefühl von der geballten Energie, die mich hier empfängt.

 In diesem Moment sticht mir eine Welle ins Auge und ein Grinsen huscht über mein Gesicht. Kraftvoll stemme ich mich hoch und komme von der knieenden Position in die Stehende. Dennoch winkele ich meine Beine leicht an, um einen besseren und sichereren Stand zu haben.
Das Wichtigste beim Surfen ist der Fokus.
Der Blick muss immer auf einen bestimmten Punkt gerichtet sein. Nämlich auf den, den du ansteuern möchtest.
Denn bereits ein Seiten blick von wenigen fünf Sekunden führt schon zu einem Richtungswechsel.
Das Brett folgt immer dem Blick des Surfers.

 Rasch nähert sich die Welle und wächst auf den wenigen Metern noch ein gewaltiges Stückchen. Da ich erst mal klein anfangen und meine Kräfte nicht gleich verlieren möchte, lege ich mich wieder auf das Brett und fange ich mit einem einfachen Duck Dive an.

Mit schnellen Bewegungen paddele ich der Welle entgegen. Ungefähr zwei Meter vor der Welle greife ich mein Board rechts und links und drücke es unter Wasser von meinem Oberkörper weg.
Mit meinem rechten Fuß kicke ich den hinteren Teil des Bretts ebenfalls nach unten, sodass ich komplett von Wasser umgeben bin.
Ich nehme den starken Sog der Welle selbst unter Wasser wahr, dann besinne ich mich aber schnell und ziehe meinen Oberkörper an mein Board.
Wenn man dies andersherum macht, taucht man zu früh auf und wird von der Welle wieder mit nach hinten gezogen.

Der Moment endet abrupt, als ich die Wasseroberfläche durchstoße und sehe, dass eine neue Welle auf mich zurollt. Ein Grinsen fliegt auf mein Gesicht, denn dieses Mal bricht die Welle kurz bevor ich unter ihr untertauchen kann.
Die gebrochenen Wellen benötigen zwar mehr von der körperlichen Stärke, allerdings macht es das viel reizvoller.
Erneut tauche ich wieder auf und sehe, dass sich mein Bruder bereits vor mir befindet, denn er versucht sich gerade an einem Bottom Turn, der ihm auch gelingt.
Dieses Manöver ist eines der Wichtigsten, denn es ist der erste Turn auf einer Welle nach dem Eintauchen.
Prinzipiell geht es darum, den Schwung und die Geschwindigkeit auf die offene Fläche vor dir zu lenken und dies zu deinem Vorteil zu machen.

„Nicht übel, aber da ist noch Luft nach oben", rufe ich Leon zu, von welchem ich nur ein Lachen höre. Dann taucht er auch schon unter der nächsten Welle durch. Eine zwei Meter hohe Wasserwand rollt auf mich zu und sofort schießt der passende Trick, der jetzt passen würde, durch meinen Kopf. In meinem Kopf bin ich schon gedanklich in der Durchführung des Tail Slides.
Der Trick des ganzen besteht darin, dass man die Finne von der Welle befreit.
Dies gelingt mir, indem ich mein Körpergewicht von dem hinteren auf den vorderen Fuß verlagere, weshalb das Heck meines Brettes die steile Wellenwand herunter gleitet.

Vom Strand aus höre ich Pfiffe, aber ich habe nicht die Zeit mich umzudrehen, denn ich bin zu sehr damit beschäftigt eine glorreiche Performance an den Tag zu legen. Vor einem Jahr habe ich an einem Surfcontest teilgenommen, der zwar einen höheren Schwierigkeitsgrad hatte, allerdings komme ich mit meinem schwächlichen Gehampel hier draußen nicht annähernd an die richtigen Profis heran.
Doch mir reicht meine Grundbasis und solange diese ausreicht, um meinen Bruder in den Contests zu schlagen, genügt mir das...

„Runter mit dir Fabian!" Unvorbereitet reißt mich jemand aus meinem Gedankengang und ich registriere leider zu spät, dass die Wassermassen mich gleich unter sich begraben werden.
Für einen Duck Dive ist es zu spät, weshalb ich die Zähne zusammenbeiße und die Welle unsicher anstarre.
An der Carving 360 Technik habe ich mich noch nie versucht, aber jetzt werde ich es wohl ausprobieren müssen, wenn ich nicht von der Welle erschlagen werden will.
Gedanklich gehe ich die einzelnen Schritte in Sekundenschnelle durch und dann ist die Welle auch schon da.
Ich führe einen gut abgerundeten On-Rail Bottom Turn aus und beachte dabei den oberen Teil der bereits bröckelnden Welle, bevor ich mit meinem Brett senkrecht auf den Rand der Welle zusteuere.

Jetzt drehe ich mein Boards gegen das Wildwasser, verlagere den Großteil deines Gewichts auf den vorderen Fuß, bis ich die Finne und das Heck in der Tasche der Welle loslassen kann, um die volle Drehung zu beschleunigen.
Meine Augen richte ich nach unten und lasse das Brett den Kreis vollenden. Jubelnd möchte ich schon meine Arme in die Luft reißen, doch eine Sache lasse ich dabei außer Acht. Ich vergesse den Aufprall mit meinen Knien abzudämpfen und meine Beine rutschen unter mir weg.
„Verdammt", fluche ich, dann falle ich kopfüber in die Wassermassen.
Hustend komme ich wieder hoch, ziehe mich auf das Brett und paddle ans Ufer.

 „Ich wusste zwar, dass du surfen kannst, aber, dass du so gut bist habe ich nicht erwartet", lobt Chris mich erstaunt, woraufhin ich verlegen mit den Schultern zucke. „Komm", fordert Leana Chiara da auf und ich sehe wie sich beide Mädchen ein Brett schnappen und auf das Meer zugehen.
Allerdings stoppt Leana kurz davor und bedeutet Chiara ihr Brett in den Sand zu legen um erst mit ein paar Trockenübungen anzufangen.
„Es ist gar nicht so schwer wie es aussieht", ermutigt Nicos Freundin Chiara, aber das dient nur dazu ihr Selbstvertrauen zu stärken, denn Surfen sieht von Weitem immer viel einfacher aus, als es eigentlich ist.

In dem Moment erkenne ich eine turmhohe Welle und meine Freunde denken dasselbe wie ich, denn ein Schubs in die richtige Richtung genügt, um mich dem Meer entgegenrennen zu lassen. Ich stürme in die Fluten, gleichzeitig kommt mir Leon lächelnd entgegen: „Komm die kriegst du."
Hektisch steuere ich raus und achte darauf, dass ich so schnell wie möglich vorankomme. Ich schieße praktisch durch das Wasser, aber wenn ich die Welle erwischen will, dann muss ich mich jetzt wirklich ins Zeug legen.
Und da ist sie auch schon vor mir.
Mit einem eleganten Aufsprung, genannt Pop-Up, komme ich in die Höhe, bevor ich die ganz und gar perfekte Welle anvisiere.
Selbst in Florida hatte ich noch nie die Chance auf einen richtig schönen Barrel Ride! Dieser ultimative Surftrick ist so ziemlich die Mutter aller Surfmanöver und ganz sicher das Größte der Gefühle, zumindest eines davon! V
oll und ganz fokussiere ich die Welle, spanne meinen Körper an und dann... bricht die Welle genau auf meiner Höhe.

Gekonnte schieße ich in die röhrenförmige Welle hinein.
Ein unbeschreibliches Gefühl erfasst mich und ich fühle mich wie elektrisiert, als ich nun auf dem hohlen Teil der Welle reite, der vollständig von der Lippe des Curls bedeckt ist. Jeder Surfer weiß, dass solche perfekten rohrförmigen Wellen, eine Seltenheit sind.

 In meinem Gesicht befindet sich ein dickes Grinsen, als ich, kurz bevor die Welle vollends zusammenbricht, geschickt über das Wasser gleite und einen Cutback ausführe.

Und bereits jetzt weiß ich eines ganz sicher:
Diesen Moment wird mir niemand jemals wieder nehmen können!


„Komm raus Fabian. Du bist schon seit Stunden im Wasser!" Ein lauter Ruf dringt in meine Gedankenwelt ein und lässt mich erschrocken zusammenfahren.
Kurz lasse ich meinen Blick zum Strand schnellen, wo Felix steht und mir zuwinkt. Seufzend unterbreche ich den gerade begonnenen Take-Off und paddele schweren Herzens zurück ans Ufer.
Wer weiß wann ich wieder die Gelegenheit dazu bekomme mich auf das Brett zu schwingen und ein paar Wellen zu bereiten.

Erst jetzt fällt mir auf, dass die Sonne hoch am Himmel steht und gnadenlos auf mich herunter scheint. Dies erklärt auch, weshalb ich der Einzige bin, der bis jetzt noch im Wasser war. Als ich nah genug am Ufer bin, gleite ich von meinem Brett, klemme es mir unter meinen Arm und wate auf Felix zu.
Bei jedem Schritt schmerzen meine Muskeln und meine Arme zittern vor Anstrengung, denn das Surfbrett kommt mir mit einem Mal mehrere Tonnen schwer vor. Im Wasser fühlt man sich so gut wie schwerelos, während an Land wieder die Realität einsetzt und somit in den Vordergrund rückt.

„Du siehst ganz schön fertig aus", mitfühlend mustert Felix mich und hält mir eine halbvolle Wasserflasche entgegen. Das Board schmeiße ich in den Sand und nehme dann dankend die Wasserflasche an. In wenigen Zügen leere ich ihren Inhalt und spüre erst jetzt wie ausgedörrt meine Lunge eigentlich die ganze Zeit war.
Vorsichtig kreise ich meine Schultern, um meine Muskulatur aufzulockern, damit die Anspannung von mir abfällt. Als ich meine Arme über meinen Kopf hebe und dehne, knackt es und angewidert verziehe ich schmerzvoll mein Gesicht.
Ich kann nicht sagen warum, aber immer wenn irgendwer in meiner Nähe seine Knochen knacken lässt, dann bereitet mir das innerlich quälende Schmerzen.

„Du kannst nur hoffen, dass du keinen Sonnenbrand bekommst", meint Felix, während ich es mir auf einem der vielen Handtücher gemütlich mache.
„Du warst fast drei Stunden da drinnen."
Grinsend zucke ich mit den Schultern, setzte mir meine verspiegelte Sonnenbrille auf die Nase und lasse meinen Blick über den Strand schweifen.
Dabei fällt mir ein großes Volleyballfeld auf, welches gerade vorbereitet wird und Jason spannt mit Chris' Hilfe das Netz auf. Anerkennend pfeife ich: „Wo habt ihr das denn her?"
„Jase hat das Netzt im Keller der Villa gefunden und wie es scheint ist es nagelneu. Deshalb dachten wir uns, dass wir es doch ruhig mal einweihen könnten. Wobei wenn ich dich so anschaue, dass bin ich mir nicht so sicher, ob du dazu überhaupt noch in der Lage bist..."
„Ach was", winke ich ab und lasse mich von Felix hochziehen. Gemeinsam schlendern wir zu den anderen, die mit dem Feld beschäftigt sind.

 „Fabian, du bist mit Chris, Leon und Chiara in einem Team", informiert Nico mich, als er bemerkt, wie wir auf sie zukommen. Meine Antwort beschränkt sich auf ein einfaches Nicken, bevor ich den Volleyball aus dem Sand nehme und anfange mit ihm etwas herum zu dribbeln.
„Das ist ein Volleyball, kein Fußball", merkt Chiara an, während sie damit beschäftig ist, schwere Steine auf einem schwarzen Band zu platzieren, welches die Markierung des Feldes darstellen soll. Auf ihre Bemerkung hin lache ich nur kurz, ehe ich mich Nico zuwende und ihm den Ball passe.
Während die anderen also alles Nötige vorbereiten, vertreiben Nico und ich uns die Zeit mit Kicken. „Ihr könntet uns ruhig mal helfen."
Mit einem kurzen Blick nach links stelle ich fest, dass mein Bruder das Netz gerade oben rechts einhackt und gebe dann meine Antwort: „Wie denn? Ihr seid doch schon fertig...!" Ich klatsche mich mit Nico ab, welcher lacht und begebe mich dann auf meine Feldhälfte.

 Gemeinsam mit Chiara positioniere ich mich hinten und zur gleichen Zeit nehmen Leon und Chris ihre Plätze vor dem Netz ein.
Felix und Nico befinden sich ihnen gegenüber und Jason steht mit dem Ball in den Händen, zusammen mit Leana, hinten. „Wir spielen bis einundzwanzig", erinnert Jason uns, bevor er den Ball in die Luft schnellen lässt und mit einem festen Aufschlag in unsere Richtung schmettert.
Gekonnt springt Chiara in die Höhe, pritscht den Ball in meine Richtung und ich passe ihn meinem Bruder, der ihn wieder auf die gegnerische Hälfte befördert. Doch leider reagiert Nico blitzschnell, stößt sich vom Boden ab, angelt den Ball aus der Luft und gibt ihn an Felix ab. Dieser spielt den Volleyball wieder zurück und Nico schlägt ihn zu uns. Aber bevor der Ball auch nur lange genug auf unserer Hälfte sein kann, hebt Chris die Hand und schmettert ihn in den Sand unserer Gegner.
Chiara jubelt, Leon klatscht sich mit Chris ab und ich grinse meinerseits. Mein Bruder wirft mir den Ball zu und mit einem kräftigen Aufschlag gebe ich ihn an die Gegner ab.

 Diesmal dauert es deutlich länger, bis jemand einen Punkt erzielt, doch Leana begeht einen dummen Fehler, passt nicht genau auf und kassiert einen Punkt.
Jason und Nico grinsen synchron, als Chiara einen Freudentanz vollführt und auch ich habe Mühe mir ein Grinsen zu verkneifen.

Doch die anderen lassen nicht lange auf sich warten und ehe wie wir uns versehen steht es sechs zu vier für unsere Gegner. Jasons Aufschlag kommt unvorbereitet und ich reiße erschrocken die Augen auf, als der Ball auf mich zu rast. In letzter Sekunde hebe ich die Arme und pritsche den Ball in Chiaras Richtung, die ihn über das Netzt baggert.
Felix passt zu uns zurück und ich muss vorspringen, um den Ball zu fassen zu bekommen. Keuchend werfe ich mich in den Sand und kann gerade noch verhindert, dass der Ball im Sand landet, indem der Ball von meinem Unterarm wegprallt.
Glücklicherweise ist Chris' Reaktionsvermögen nicht von schlechten Eltern, denn er nimmt den Ball an und baggert ihn so flach über das Netz hinweg, dass unsere Gegner gar keine Möglichkeit haben, um ihr Feld zu verteidigen.

Unser Punkteabstand verringert sich und ich bin mir sicher, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis wir Jason, Felix, Leana und Nico übertrumpft haben.
Mein Glaube soll recht behalten, denn innerhalb von wenigen Minuten ändert sich die Lage und wir führen mit drei Punkten. „Fabian hör auf zu träumen", brüllt eine Stimme an meinem Ohr und zum wiederholten Mal an diesem Tag löse ich mich von meinen Gedanken und gleite zurück in unsere Dimension.
Knapp schaffe ich es den Ball zu bekommen und spiele ihn meinem Bruder zu, welcher den Ball Chiara überlässt, die ihn mit voller Wucht ins gegnerische Feld schlägt.

Lachend klatschen wir uns ab und Chiara strahlt mir so überglücklich entgegen, dass ich kurz spüre, wie meine Kieferknochen hervortreten, weil ich meine Zähne so stark aufeinanderpresse, um mich daran zu hindern sie zu umarmen.
Roboterhaft wende ich mich von ihr ab und bringe mich in Position, damit ich Leanas Aufschlag gleich entgegennehmen kann.

Die Arme auf meinen Oberschenkeln abgestützt, starre ich unsere Gegner grimmig an uns signalisiere ihnen allein durch meinen Blick, dass dieses Spiel bereits für sie verloren ist.
Dann hebe ich meinen Kopf, blicke in den strahlend blauen Himmel und atme die warme, salzige Meeresluft ein.

Für einen kurzen Moment fühle ich mich wieder wie während meines Barrel Rides.
Voller Kraft klammere ich mich an diesem Gefühl fest und springe hoch, als der Ball Leanas Hände verlässt.


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Wow, langes Kapitel, aber ich habe euch auch viel zu lange warten lassen. Es tut mir leid, aber Schule ist stressig und ich hatte irgendwie eine kleiner Schreibblockade, weshalb ich zwei/drei Monate pausiert habe.

Buuuuuuuut I am back now!

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