Kapitel 46
Zusammen treten wir an den Security-Männern vorbei, die die Eintrittskarten kontrollieren. Langsam lasse ich meinen Blick über den Strand schweifen und muss lächeln.
Der Strand eignet sich, dank seiner Lage, perfekt für die alljährliche Beach Party, auch wenn es eigentlich eher eine Bucht ist. Rechts, links, sowie gegenüber der Meeresseite ragen steile Felswände empor, die etwas fünfundzwanzig Meter hoch sind.
Lediglich ein kleiner Eingang, eine Art Tunnel, führt hinauf auf die vollbefahrene Straße und nur wenige kommen auf die Idee, dass sich hier unten eine so schöne, große Bucht befindet.
Rechts von uns haben die Veranstalter eine monströse Bühne aufgebaut, auf der bereits die erste Boygroup ihren Auftritt performt. Zu beiden Seiten der Bühne hat jemand riesige Lautsprecher aufgestellt, aus welchen die Musik nur so strömt.
Scheinwerfer erhellen die singenden Jungs, während der andere Strandabschnitt nur von verschiedenen LEDs beleuchtet wird. Immer wieder tanzen sie über die feiernden Menschen, bis hin zu der massiven Felswand hoch, wo sie funkelnde Muster bilden.
Auf der anderen Seite des Strandes steht eine improvisierte Bar, an der Getränke und Snacks ausgegeben werden. Mehrere Kühlboxen stehen im Sand, in denen höchstwahrscheinlich Eiswürfel und andere kalte Sachen gelagert werden.
Einige Barhocker befinden sich vor der Theke, die auch schon von einer Gruppe kichernder Mädchen in Beschlag genommen werden.
Suchend lasse ich meinen Blick über die tanzenden Jungen und Mädchen schweifen, auf der Suche nach Nicos vertrautem Gesicht in der Menge.
Heute will er mir auch endlich seine Freundin, Leana, vorstellen und zugegebenermaßen bin ich auch ein wenig aufgeregt.
Vielleicht verstehen wir uns überhaupt nicht oder sie ist eine dieser Zicken oder sie hat eine unausstehliche Art oder...
Chiara, beruhige dich doch mal, ermahne ich mich streng.
Hör auf dir so viele Gedanken zu machen. Wahrscheinlich ist sie total nett und ich werde mich mit ihr super verstehen, denn mein bester Freund hat bestimmt keinen schlechten Geschmack, was Mädchen betrifft!
Hoffe ich zumindest!
„Los, lasst uns tanzen", fordert Chris uns euphorisch auf und grinst dabei über das ganze Gesicht. Er ist heute extrem guter Laune, denn wer bekommt zu seinem achtzehnten Geburtstag denn bitte eine Beachparty „geschenkt"?
Die Jungs machen sich sogleich aus dem Staub und steuern auf die überfüllte Sandfläche vor der Bühne zu, während ich mich in die entgegengesetzte Richtung bewege, um besser nach Nico Ausschau halten zu können.
Vorsichtig schlängele ich mich zwischen sitzenden, sowie stehenden Jugendlichen hindurch, die miteinander quatschen und die bombastische Stimmung und Atmosphäre genießen.
Die laute Musik klingelt in meinen Ohren wie ein Presslufthammer, doch es stört mich nicht im Geringsten, denn ich genieße es aus vollen Zügen.
Auf einmal legen sich zwei starke Arme stürmisch um mich und eine laute Stimme dröhnt an meinem rechten Ohr. Grinsend drehe ich mich um und sehe, wie zu erwarten, meinen besten Freund vor mir stehen.
Doch er ist nicht allein!
Neben ihm steht ein hübsches, zierliches Mädchen.
Sie hat wildgelockte, kastanienbraune Haare, die knapp über ihren Schultern enden. Ihre schokoladenbraunen Augen haben einen faszinierenden goldenen Stich und auf ihren vollen roten Lippen liegt ein schüchternes Lächeln.
Nico legt einen Arm um das Mädchen und schlagartig wird mir bewusst wen ich da gerade vor mir habe.
„Chiara, das ist Leana", stellt Nico mir auch gleichdarauf seine Freundin vor.
Zaghaft lächele ich sie an, weiß aber nicht wie ich mich ihr gegenüber verhalten oder was ich sagen soll. Doch Leana nimmt mir diese Entscheidung ab, kommt auf mich zu und umarmt mich überschwänglich.
Ich kann nicht anders, als sie auch zu umarmen und muss lachen, als mich die Spitzen ihrer Naturlocken kitzeln.
Sie ist ungefähr einen halben Kopf kleiner als, aber als wir uns von einander lösen und sie mir in die Augen schaut, strahlt sie so eine Entschlossenheit aus, dass wir uns da mindestens auf gleicher Ebene befinden.
„Nico hat mir schon so viel von dir erzählt", schwärmt mir das Mädchen vor und ihr Lächeln erhellt das gesamte Gesicht.
„Ich hoffe nur Gutes", zwinkere ich und wir lachen beide.
„Natürlich."
Sie ist mir auf den ersten Blick sympathisch, auch wenn sie eine etwas verrückte Art hat. „Komm, lass uns tanzen", fordert sie mich auf und ohne eine Antwort von mir abzuwarten, nimmt sie mich bei der Hand und schleift mich auf die Tanzfläche.
Die Band hat gerade zu einem neuen Rock-Song angelegt, und auch wenn ich Rock nicht so mag, erfüllt mich die Musik von Kopf bis Fuß und zwingt mich praktisch mich bewegen zu wollen. Um uns herum jubeln die Leute übermütig und wir hüpfen aufgekratzt auf und ab.
Wir schreien und kreischen, toben herum und ich genieße das Gefühl, endlich alles loslassen zu können und an nichts denken zu müssen.
Die Band geht in ein etwas langsameres Lied über, doch Leana und mich stört das nicht und wir bewegen uns weiterhin im Takt.
Vorhin haben wir kurz probiert uns miteinander zu unterhalten, aber die Musik und die Leute um uns herum waren so laut, dass man nicht einmal sein eigenes Wort verstanden hat. Also haben wir uns darauf beschränkt zu tanzen und uns dann später zu unterhalten.
Mittlerweile bin ich schon etwas kaputt, Leana zu meiner Überraschung aber überhaupt nicht. Sie hat höchstens leicht gerötete Wangen, die darauf deuten, dass sie sich die letzten fünfzig Minuten körperlich angestrengt hat, aber sie hat nicht ein einziges verschwitztes Härchen.
„Du bist ja eine totale Party-Queen", sage ich lachend zu ihr, als wir und durch die Leute quetschen um uns etwas zu trinken zu besorgen.
„Na ja", lacht sie auf.
„Ich war mit Nico schon auf einigen Tanzveranstaltung, außerdem haben wir zusammen einen Tanzkurs gemacht und ab und zu gehen ich mit den Mädels in dem ein oder anderen Club feiern, aber so viel Erfahrung habe ich jetzt auch nicht."
Skeptisch zieh ich eine Augenbraue hoch und grinse sie an.
„Wenn du nicht so viel Erfahrung hast, wie soll ich mich denn dann bitte charakterisieren?" Leana und ich kommen an der Bar an und sie bestellt sich ein Glas Orangensaft mit Sekt, während ich nach einem alkoholfreien Cocktail frage.
„Kein Alkohol für dich?" Schweigend sehe ich das Mädchen an und überlege was ich sagen soll. „Du musst nicht antworten wenn du nicht willst", beeilt sich Leana hinterher zu schieben und sieht mich aus ihren Kulleraugen an.
„Gott, ich bin so ein Trampeltier. Tut mir wirklich leid. Es geht mich ja auch überhaupt nichts an." Nachdenklich wiege ich meinen Kopf von links nach rechts und wieder zurück während ich überlege was ich Leana erzählen soll und was lieber nicht.
"Wenn man seinen Alkoholkonsum nicht unter Kontrolle hat dann können schnell mal einige Sachen passieren die man eigentlich gar nicht so wollte. Alkohol ist so schädlich für den Körper doch trotzdem will das irgendwie niemand begreifen. Ich musste diese Erfahrung leider schon einmal durchstehen und es ist wirklich nicht schön!"
"Warst du betrunken oder die andere Person", erkundigt sich Leana vorsichtig. Fest presse ich die Lippen aufeinander und wende den Blick ab, weil ich zum einen nicht darüber reden möchte und andererseits will ich mir von Aaron und seinen widerwertigen Taten nicht den Abend verderben.
Augenscheinlich merkt Leana mir mein Unbehagen an, weshalb sie ihre Hand an meinen Oberarm legt und mich sanft anlächelt.
„Es ist okay. Du musst dich nicht drängen oder mir überhaupt etwas erzählen. Genau genommen sind wir ja Fremde und abgesehen davon bist du mir keine Rechenschaft schuldig."
Ich will gerade zu einer dankbaren Antwort ansetzen, als wir jäh von einer Horde brüllender, nun, nicht gerade sich menschlich verhaltender Jungen überrannt werden. Alle haben ein fröhliches Grinsen auf dem Gesicht, sowie ein eisgekühltes Getränk in der Hand.
„Das ist doch hoffentlich kein Alkohol, oder?", misstrauisch beugt sich mein Bruder zu mir herüber und riecht an meinem Getränk. Ehe ich etwas sagen oder auch nur ansatzweise protestieren kann, hat Jason mir auch schon den Becher aus der Hand genommen und legt ihn gerade an seine Lippen.
„Hey! Du hast selbst was zu trinken", kopfschüttelnd sehe ich Jason an, doch er lacht daraufhin nur. Unglaublich, wie wenig Vertrauen er in mich hat.
„Ich wollte nur sichergehen, dass du dich auch wirklich an die Regeln hältst."
Stirnrunzelnd sieht Leana von mir zu Jason und wieder zurück: „Seid ihr...?"
„Verwandt? Ja, leider...", beantworte ich ihre falsch interpretierte Fragen augenverdrehend.
„Leider also, hm? Ich kann mich da an einige Situationen erinnern in denen du äußerst glücklich darüber warst, dass ich dein Bruder bin", Jason hebt eine Braue und sieht mich mit schiefgelegtem Kopf an. „Ja, ja Mister Eingebildet. Vielleicht solltest du dich erst einmal vorstellen und nicht irgendwelche kleinlichen Dinge überprüfen", weise ich ihn zurecht und schlagartig wandert Jasons Blick von mir zu Leana.
„Oh hey, tut mir leid. Jason. Und du bist...?", hilfesuchend sieht er zu mir, aber Leana antwortet für sich selbst.
„Freut mich dich kennenzulernen. Ich bin Leana, Nicos Freundin."
Bei ihrem letzten Satz deutet sie auf Nico der sich gerade an ihre Seite gesellt hat und nun einen Arm um ihre Schulter legt. Mein Bruder nickt einmal verstehend, dann schieben sich bereits die anderen vor um sich ebenfalls vorzustellen.
„Ihr seid hier wirklich für vier Wochen alleine? Ohne Eltern?", fragt Nicos Freundin uns in diesem Moment neugierig und ihre Augen blitzen. „Jep", bestätige ich und nicke dabei aber in die Richtung der Jungs und wie es scheint versteht Leana mich ohne viele Worte, denn sie bricht in schallendes Gelächter aus.
„Was gibt's denn hier zu lachen?", irritierte Blicke überhäufen mich und die Braunhaarige neben mir, aber das bringt uns nur noch mehr dazu, uns vor lauter lachen auszuschütten.
„Mädchen", murmelt Chris daraufhin und bekommt sowohl von mir, also auch von Leana einen bitterbösen Blick zugeworfen. Entschuldigend hebt Chris daraufhin beide Hände und wir belassen es dabei.
„Los, wir setzten uns da drüben in den Sand", Fabian deutet auf einen Platz etwas abseits dem ganzen Trubel, was mir gerade recht ist, denn ein bisschen Ruhe hat noch niemandem geschadet und abgesehen davon kann ich mich ungestört mit Leana unterhalten.
„Erzähl doch mal etwas über dich", fordere ich das dunkelhaarige Mädchen neben mir auf,als wir uns gemeinsam mit den Jungs in den Satz setzen.
„Wird das jetzt ein erste Klasse Vorstellungsgespräch?", kichert Leana vergnügt und ich muss grinsend den Kopf schütteln.
„So viel gibt es da eigentlich nicht zu erzählen. Ich würde zwar nicht behaupten, dass ich ein langweiliges Leben führe, aber ein bisschen mehr Abenteuer und neue Erfahrungen haben doch noch niemandem geschadet oder?" Ihre Kulleraugen blitzen und ich muss ihr stumm beipflichten, denn wessen Leben ist bitte perfekt?
„Also generell bin ich sehr an Musik interessiert", beginnt Leana zu erzählen. „Seit zwölf Jahren spiele ich jetzt Klavier und vor vier Jahren habe ich mich auch an der Bratsche probiert. Ich muss dir glaube ich nicht sagen, dass das weniger gut klappt als mit dem Klavier spielen. Vielleicht hältst du mich jetzt für verrückt, aber ich übe fünf bis sechs Stunden pro Tag. Für viele Leute klingt das total schräg, aber Musik ist nun mal meine größte Leidenschaft seit ich denken kann und das viele Üben gibt mir eine innere Ruhe, dass ich abschalten und mich von dem Stress in der Welt wenigstens für kurze Zeit ablenken kann."
Während Nicos Freundin von ihrem Hobby redet, leuchten ihre Augen derart, dass ich deutlich erkennen kann wie sehr ihr das Musizieren am Herzen liegt.
„Ach ja, und du solltest eines über mich wissen: Ich bin ein riesen K-Pop Fan. Wenn irgendwer mit den Liedern ankommt, dann ist es bei mir vorbei. Ihre Texte sind einfach der Hammer und die Stimmen... einfach wow!"
Leana stößt ein Seufzen aus und sieht mich erwartungsvoll an. „Wenn ich ehrlich bin dann habe ich noch nie etwas in die Richtung gehört."
„Was!? Noch nie?", geschockt reißt sie die Augen auf, setzt sich kerzengerade hin und fischt ein Handy aus ihrem Jumpsuit. „Chiara, ich weihe dich jetzt offiziell in die Welt des K-Pop ein. Du musst mir einfach glauben: Das wird das Beste sein, was du je in deinem Leben gehört hast!"
Voller Euphorie tippt sie auf dem Display herum und klickt dann auf ein Lied. Leise kommt es aus dem Handylautsprecher und da wir etwas abseits der anderen sitzen hört man alles relativ deutlich.
Als die ersten Klänge einsetzten wippt Leana mit ihrem Fuß im Takt mit und ich lausche, lasse das Lied auf michwirken. Zunächst bin ich skeptisch, da ich rein garnichts verstehe, denn es ist auf Koreanisch.
Allerdings äußert sich meine Meinung äußerst schnell als es zum Refrain übergeht. Eine Zeile fasziniert mich besonders und eine Gänsehaut überzieht meine Oberarme, auch wenn es alles andere als frisch ist.
„Oh Gott, bitte nicht!", vernehme ich Nicos Stimme und drehe mich zu ihm um.
„Bitte mach Chiara nicht auch noch zu so einer K-Pop Verrückten! Es reicht, dass du jedes Mal abdrehst, aber bitte, bitte lass Chiara nicht auch noch überlaufen!" Bei seinem Flehen schmunzelt er aber, während Leana zurückgrinst und feixt: „Woraufdu dich verlassen kannst!"
Somit ist Levanter von Stray Kids das allererste Liedaus der K-Pop Richtung. Danach spielt Leana mir noch Sorry, I love you, God's menu, Voices und viele andere Songs vor, bis ich so begeistert bei der Sache bin, dass Nico letzten Endes Leanas Handy aus ihren Fingern reißen muss und es beschlagnahmt.
„Wenigstens einen Abend möchte ich mich in einer K-Pop freien Zone befinden!"
„Ist ja schon gut. MeinZiel ist erreicht", beschwichtigt Leana ihn, beugt sich vor und küsst ihn leicht auf die Wange.
Da uns nun die Beschäftigung genommen wurde, sehen Leana und ich die Jungs aufmerksam an, in der Hoffnung auf eine zündende Idee. Mein Bruder unterhält sich leise mit Nico, während Leon, Felix und Chris über etwaslachen und Fabian kurz etwas auf seinem Handy checkt.
„Geh mal zu den Mädchen rüber und probier eine von denen zum tanzen zu bringen. Hm, die Schwarzhaarige",vernehme ich da und schaue zu den Jungs, die Chris erwartungsvoll angrinsen.
Sind wir denn etwa im Kindergarten?
„Wenn du es schon spannend machen willst, dann frag noch nach ihrer Nummer und versuch sie zu küssen, wenigstens auf die Wange", wirft Nicos Freundin in diesem Moment ein und Chris sieht sie geschockt an. „Weichei." „Bitte, mach du's doch", fordert er sie auf aber Leana deutetauf Nico. „Sorry, aber ich bin vergeben!"
Darauf kann ich mein Lachen nicht zurückhalten, weshalb Chris jetzt mich fokussiert. „Siehst du den Jungen dahinten? Den Blonden da? Wenn du doch so eine Mutige bist, dann zeig uns mal wasdu drauf hast", sagt Chris in meine Richtung hin. Als ich mich umdrehe und seheauf wen Chris zeigt, huscht ein Grinsen über mein Gesicht.
„Nein, Chiara dastust du nicht. Hör auf ihr Scheiße ins Hirn zu pflanzen!", raunzt Jason, aber da bin ich schon aufgestanden und steuere auf mein Opfer zu. „Chiara!", ruft mir mein Bruder wütend hinterher, aber ich tue so als ob ich es nicht höre.
„Sogleich stehe ich hinter dem Jungen, welcher mir den Rücken zudreht undsich mit seinen Freunden unterhält. Gerade will er an seinem Bier nippen, da tippe ich ihm auf die Schulter und er dreht sich überrascht zu mir um.
„Hey", begrüße ich ihn, er mustert mich kurz dann erhellt sich seine Miene.
„Chiara! Hey, wie geht's dir? Mann, du kannst dir nicht glauben wir froh ich bin, dass es dir gut geht. Du hast mir damals einen riesigen Schrecken eingejagt. Das kannst du mir glauben!"
Louis, der Junge der mich vor meinem unfreiwilligen Unfall bewahrt hat, grinst mich an und ich sehe dankbar zu ihm hoch.
„Ich habe dir zwar geschrieben, aber ich wollte mich auch noch einmal persönlich bedanken,weil du mir einen großen Gefallen getan hast. Wahrscheinlich wäre deutlich Schlimmeres passiert, wenn du mich nicht gefunden und mir geholfen hättest!"
„Ey,Louis! Wer ist denn das? Deine Freundin?"
Ein breitschultriger Junge in meinem Alter legt seine große Pranke auf meinen Rücken und zieht mich enger an sich heran.
„Lass deine Finger von mir", zische ich und steche ihm meinen Zeigefinger in die Brust. Erschrocken weicht er zurück, grinst dann aber: „Süße, kein Grund gleich die Krallen ausfahren zu müssen."
„Halt die Klappe, Antoine!",belehrt Louis ihn und schubst ihn weg von mir, rollt dann mit den Augen und sieht mich entschuldigend an.
„Duhu, wenn ich schon mal hier bin", fange ich zögerlich an und beiße mir auf die Lippen. Abwartend schaut Louis mich an, ich straffe die Schultern und öffne meinen Mund.
„Schau nicht zu auffällig hin, aber die Gruppe hinter mir, die die im Sand sitzt, siehst du sie?" Louis nickt, als er aus dem Augenwinkel zu ihnen herüber linst.
„Ich habe die Aufgabe dich nach deiner Nummer fragen, mit dir tanzen und dich auf die Wange küssen. Du hast nicht zufällig Interesse daran mitzuspielen? Ich möchte dem einen Blonden nur eins auswischen, das ist alles."
Flehentlich blicke ich zu ihm hinauf und er lacht laut auf.
„Okay, ich spiele dein Spielchen mit. Ich habe je eh keine Freundin oder so, also wird's daran nicht scheitern, aber wenn ich ehrlich bin, dann bin ich total kaputt vomtanzen!"
„Die Nummer und ein kleines Küsschen tun es auch", grinse ich, erleichtert, dass er sich darauf einlässt. Also entsperre ich mein Handy, reiche es ihm und Louis tippt ein paar Zahlen hinein. Als er mir mein Handy wieder reicht muss ich schmunzeln, denn er hat hinter seinen eingespeicherten Namen noch ein Herz gesetzt.
„Wenn schon, denn schon. Spaß muss sein", grinst er, während ich mich vorbeuge und meine Lippen kurze auf seine stoppelige Wangedrücke.
„Es hat rein gar nichts zu bedeuten", informiere ich ihn danach noch und er salutiert.
„Tschüss und danke für's Mitspielen. Und für die Rettungsaktion."
„Gerne, vielleicht sehen wir uns ja noch einmal. Wie lange bist du noch hier?", erkundigt er sich. „Noch etwa zwei Wochen."
„Cool, dann viel Spaß noch", wünscht er mir, ich winke, drehe mich um, doch da schlingen sich zwei strake Arme um mich.
„Sorry, aber das konnte ich mir nicht verkneifen", grinst Louis in mein Ohr.
„Ein paar von den Typen sehen aus, als wollen sie mich jeden Moment umbringen!"
Tatsächlich starren Jason und Leon mich sauer an, nun ja eher Louis. Fabian dagegen wirkt eher verletzt und schüttelt nachdenklich den Kopf.
Unauffällig hebt Louis die Hand, denn anders als Fabian hat er ihn erkannt, und winkt kurz. Verwirrt runzelt Fabian die Stirn, doch dann heben sich seine Mundwinkel und er erwidert den Gruß, ebenso unauffällig.
Erneut verabschiede ich mich und gehe dann zurück zu meinen Freunden.
„Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast", schnauzt Jason, immer noch mit zusammengebissenen Zähnen und funkelt Louis' Rücken an.
Ich hätte es auch ganz sicher nicht getan, wenn ich nicht gewusst hätte, dass das Louis ist!
„Respekt Chiara! Das hätte ich dir gar nicht zugetraut", Chris mustert mich anerkennend, woraufhin Fabian schnaubend lacht.
„Was denn?"
„Nichts, nichts", wehrt dieseramüsiert ab, zwinkert mir zu und ich kann mich nur mühsam davon abhalten zu grinsen. „Nun, wie dem auch sein. Wer hat Lust auf eine zweite Runde?"Gut gelaunt springt Nico auf die Beine, reibt sich die Hände und sieht erwartungsvoll in die Runde.
„Klar, ich bin auf jeden Fall dabei. Mein Limit ist noch lange nicht erreicht", stimmt Leana sofort zu. Auch die Jungs erheben sich, dennoch bleibe ich sitzen und bedeute ihnen, dass sie ohne mich gehen sollen.
„Über das von gerade eben reden wir aber noch!" Leon droht mir scherzhaft mit dem Zeigefinger, aber hinter seiner spielerischen Aussage verstecktsich Missbilligung und ein Stück weit Trauer. Als Antwort nicke ich nur und ergibt sich damit zufrieden.
Alle anderen entfernen sich und ich bleibe alleine im Sand sitzen. Mein Blick ist auf Leons Rücken gerichtet und ein genervtes, geradezu frustriertes Seufzen entweicht mir. „Du musst aufhören die beiden hinzuhalten."
Eine Stimme neben mir lässt mich erschrocken zusammenzucken und ich wende meinen Kopf nach links. Felix sieht mich aus seinen dunklen Augen ruhig an und mustert mich gründlich. „Hinhalten? Was willst du mir jetzt damit sagen?", hacke ich vorsichtig nach, auch wenn ich eigentlich ganz genau weiß von was Felix redet. Oder besser gesagt von wem.
„Es ist ganz deine Sache, aber siehst du denn nicht, was das sowohl mit Leon, als auch mit Fabian macht? Die beiden haben ja eh kein besonderes stabiles Verhältnis, man könnte sogar sagen labil und allein ein kleiner Tropfen genügt, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.
Von einer Sekunde auf die andere ist es dann vorbei mit dem friedlichen Umgang und sie bekriegen sich regelrecht. Wie gesagt, ich will mich da auch nicht einmischen, aber beide leider unter deiner unausgesprochenen Entscheidung", belehrt Felix mich mit gerunzelter Stirn.
Das Schnauben auf seinen letzten Satz hin kann ich mir nun wirklich nicht verkneifen: „Leider? Findest du nicht, dass das etwas zu überdramatisiert formuliert ist?"
Felix grinst etwas und antwortet mir dann: „Ja, vielleicht. Sie leiden nicht wirklich, aber erkennst du denn nicht, dass beide sich Hoffnungen machen? Wenn du etwas mit Fabian unternimmst, dann starrt Leon ihm regelrecht Löcher in den Kopf. Und umgekehrt schaut Fabian seinen Bruder so an, als würde er ihn jeden Moment am liebsten erwürgen würde."
„Wirklich! Es ist so offensichtlich, jeder sieht es... nur du nicht", fügt er auf meinen skeptischen Blick hinzu.
„Das ist nicht fair", murmel ich deprimiert und streiche energisch durch den feinen Sand.
„Chiara, wann war das Leben denn schon mal fair?", seufzt Felix und lehnt sich langsam nach hinten, bis er sich auf seine Ellenbogen stützt. Dann wendet er den Blick ab und schaut in die feiernde Menge.
Zum ersten Mal kommt mir auch nur ansatzweise die Idee, dass Felix auch mit solchen Dämonen zu kämpfen hat wie ich. Ehrlich gesagt kam es mir noch nie in den Sinn, dass Felix womöglich auch solch große Probleme zu bewältigen hat, wie jeder andere auch.
Auf dieser Welt schleppt jeder sein eigenes, personalisiertes Päckchen mit sich herum.
„Ist alles in Ordnung?", vorsichtig rücke ich dichter an Felix heran und lege ihm die Hand auf die Schulter. Auf meine Frage folgt ein langes Schweigen, währenddessen ich Felix beobachte und er wiederrum meinen Blicken ausweicht.
„Es wird wieder", flüstert er plötzlich, kaum hörbar wegen der lauten Musik. Seine Stimme klingt dabei so gequält, fast schon besiegt und ich frage mich was für Gedanken gerade in seinem Kopf herum kursieren.
Nach außen hin zeigt Felix keine Schwäche, weil er immer so viel Freude, Lebensenergie und Selbstbewusstsein ausstrahlt, dass es beinahe unmöglich ist auch nur ansatzweise irgendwelche negativen Gedanken in seiner Anwesenheit heraufzubeschwören. Er ist die Art von Mensch, die einen aufmuntern ohne viele Worte zu sagen und schon alleine durch seine Präsenz alles Schlechte aus deinem Umkreis vertreibt.
Das ist eine der wichtigsten Eigenschaften, die ich so sehr an Felix schätze. Eine andere ist, dass er ein super Freund ist auf den man sich verlassen kann. Aber dennoch stellt er seine eigenen Bedürfnisse nicht unter die der anderen.
Felix ist deshalb aber kein egoistischer Mensch, sondern ein beeindruckendes und potenziell wichtiges Vorbild für andere, denn es ist nicht egozentrisch, abgehoben oder hochnäsig wenn man sich selbst respektiert und achtet.
Das ist eine Eigenschaft die einige Menschen durchaus von ihm lernen können, denn es ist niemandem geholfen, wenn du alles stehen und liegen lässt, um jemandem zu helfen, es dann nicht schaffst und noch deine eigenen Aufgaben nicht bewältigen kannst.
Man soll sich selbst treu bleiben, egal was passiert und falls man das schafft, dann kann man stolz auf sich sein, denn es ist nicht einfach unter vielen falschen Gesichtern sein wahres Ich zu bewahren und zu zeigen.
„Kennst du das Gefühl, wenn du einfach nicht atmen kannst? Du hast keinen Platz, keinen Freiraum, um dich herum ist einfach ein leeres, bodenloses Nichts was dich verhöhnt und aufzusagen versucht. Dein ganzes Leben zieht an dir vorbei, wie in einem Schwarz-Weiß-Film und du kannst nicht eingreifen, weil du alles nur als Unbeteiligter von oben herab wahrnimmst.
Alles erdrückt dich obwohl du im Moment alles hast und einfach glücklich sein sollst. Heute ist so ein Tag und ich kann nicht einmal erklären weshalb in mir gerade so ein Chaos tobt."
Zum Ende hin schließt er für einen Moment die Augen und nimmt einen tiefen Atemzug, bis er die Luft wieder hörbar aus seinen Lungen entweichen lässt.
Dann grinst er mich müde an, ein schwächlicher Versuch mir zu bedeuten, dass alles in Ordnung ist.
„Danke für's Zuhören", sagt er zu mir und ich nicke nur.
„Dafür musst du dich doch nicht bedanken! Es sollte selbstverständlich sein, vor allem weil du einer derjenigen bist, die ständig meine unnötigen Problemen vollgelabert werden. So etwas tut man unter Freunden oder zumindest tue ich das auch für Freunde meines Bruder", widerspreche und erkläre ich Felix leise.
„Wir sind Freunde. Glaubst du, ich und die ganzen anderen Jungs hängen nur mit dir ab, weil du die Schwester von Jason bist? Das ist doch absurd. In welchem Jahrhundert leben wir denn bitte, dass ich mich so oberflächlich verhalten muss? Vertrau mir, so ein Handeln ist nichts anderes als kindisch und..."
Felix stoppt mitten in seinem Satz, ein Grinsen erhellt sein Gesicht und er drückt sich von seinem Platz hoch. „Wohin...?"
Die Worte bleiben mir im Hals stecken und mein Mund wird staubtrocken, als ich realisiere wer da gerade auf Felix und mich zusteuert.
Felix dreht sich im Weggehen noch einmal kurz zu mir um und sein Gesichtsausdruck schwankt zwischen Belustigung, Schadensfreude und Nachsichtigkeit.
„Wieso tanzt du nicht wie alle anderen und genießt den Abend?", fragt mich eine dunkle Stimme und Fabian geht neben mir in die Hocke. Sein gebeugtes Knie streift meine angewinkelten Beine und mir läuft ein wohliger Schauer über den Rücken.
„Leana hat echt eine bombastische Energie, dass ich da nicht mehr mithalten kann. Wenn du fast eine Stunde nichts anderes tust als zu tanzen, dann bist du danach so fertig wie nach einem Spiel gegen die „Red Bulls" aus Eastbourne.
„Du kannst es ja gerne mal ausprobieren, denn ich lasse dir gerne den Vortritt und schaue dabei zu wie dich deine Kraft mehr und mehr verlässt."
„Danke für das Angebot, aber ich glaube ich verzichte lieber", schmunzelt Fabian mir entgegen und ich lege schweigend den Kopf schief.
„Komm. Ich möchte dir etwas zeigen." Fabian streckt mir die Hand entgegen und beißt sich verunsichert auf deine Unterlippe. Mühsam versuche ich meine Gefühle zu verbergen, doch ich schaffe es nicht und letzten Endes schleicht sich ein verstohlenes Lächeln auf meine Lippen. Automatisch, wie als sei es vorbestimmt, findet meine Hand die seine und er streicht vorsichtig mit seinem Daumen über meinen Handrücken.
Fabians Hand ist weich und warm, gleichzeitig rau und fest. Schwungvoll zieht er mich hoch und läuft voraus, direkt auf die Klippen zu. Verwirrt runzele ich dir Stirn, hinterfrage seine Motive aber nicht und folge ihm.
Fabian verschwindet hinter einer Felswand und ich bleibe abrupt stehen.
Was zum Teufel macht er und wo will er hin?
Keine Sekunde später erscheint er wieder, allerdings auf einem Felsvorsprung zwei Meter oberhalb von mir. „Komm hinter die Felswand. Da kommst du locker hoch", befiehlt Fabian, woraufhin ich seiner Aufforderung folge und wenig später neben ihm auf der Anhöhe stehe.
Allerdings bleiben wir nicht stehen und genießen unsere Zweisamkeit, da Fabian in die Steinwand hineingreift und nach Halt sucht, bevor er losklettert.
„Was tust du da?", will ich perplex von ihm wissen und Fabian kommt wieder runter. „Von was träumst du eigentlich nachts, dass du wirklich glaubst, dass ich da jetzt hochklettere?"
Kopfschüttelnd wende ich mich ab, aber seine Antwort lässt mich zu Eis erstarren.
„Von dir."
Sanft greift er nach meinem Oberarm und dreht mich zu sich um. Selbst im Dunklen leuchten seine azurblauen so intensiv, dass ich mich mal wieder in einem Strudel verliere.
„Kommst du jetzt?"
Fragend sieht er mich an: „Als du nicht von der Klippe springen wolltest, hast du mir auch vertraut und fandest es im Endeffekt gar nicht so schlimm, wie vorher angenommen."
Auf seine Worte hin greife ich also beherzt in eine Vertiefung der Wand und ziehe mich hoch. Langsam kommen wir voran und ein ums andere Mal zweifele ich tatsächlich an meinem Verstand und kann nicht glauben, dass ich gerade eine fünfundzwanzig Meter hohe Felswand erklimme.
Da rutscht mein Fuß an dem spitzen Gestein ab und mir entfährt ein leiser Angstschrei, weil ich nicht geplant habe heute Abend eine steile Gesteinswand hinab zufallen.
Ein Arm schlingt sich schützend um meinen Oberkörper und drückt mich ganz dicht an den kühlen Felsen. „Wir sind fast da", ermutigt Fabian mich, lächelt leicht und lässt mich wieder los, allerdings erst nachdem er sich vergewissert hat, dass ich nicht fallen und sicher bin.
Also beiße ich meine Zähne zusammen und ziehe mich mit aller Kraft hoch. Fabian, der jetzt ein Stück über mir klettert, schwingt sich gerade auf eine Art Plateau, geht in die Knie und streckt mir seinen Arm entgegen.
Ich reiche ihm meine zittrige und verschwitze Hand und hoffe einfach nur, dass er mich nicht an dem harten Gestein zerschellen lässt.
„Vertraumir Chiara", wispert Fabian mir entgegen.
Sein Gesicht ist meinem so nahe, dassich die Möglichkeit habe seine Iris genauer zu betrachten, seine harten Züge,die zugleich weich wirken, in Augenschein zu nehmen und... dann wandert meinBlick zu seinen Lippen. Sie schimmern im Mondlicht, sind voll, rot und wenn ichmich nur einige Zentimeter weiter vorbeugen würde, dann könnte ich sie aufmeinen fühlen.
„Siehst du. Der Aufstieg war doch gar nicht so schwer wiegedacht", Fabian zwinkert mir zu und ich nicke, als ich mich schweratmend nebenihm auf den Stein fallen lasse.
„Schau runter", fordert Fabian mich leise aufund deutet nach unten, weshalb ich seinem Blick folge und mir stockt der Atem.
Der Ausblick hier ist überwältigend, nicht, dass wir weit oben sind, aber unteruns blinken die Lichter und die Menschen feiern, während bis hier nach oben nurvereinzelte Klänge der Musik hochdringen und sonst alles still ist.
Überunseren Köpfen thront der klare Nachthimmel und präsentiert sich in vollerPracht. Die Sterne funkeln, einer schöner als der andere.
Mir wird schwindelig,denn ich weiß nicht wem ich meine ungeteilte Aufmerksamkeit zuerst widmen soll.
Schließlich lege ich meinen Kopf in den Nacken und ein Prickeln durchfährtmich. Das Meeresrauschen dringt an meine Ohren und dieser Augenblick fühlt sichso magisch, so friedlich an, dass ich meine Lider senke und mir kurz dieErlaubnis gebe, diesen Moment ungestört zu genießen. Ein Arm schiebt sichvorsichtig über meine Schulter, bis Fabian mich enger an sich heranzieht undwir gemeinsam den Nachthimmel bestaunen.
Er streckt seinen rechten Arm ausund streckt ihn dem Himmel entgegen.
„Willst du mir einen von ihnenherunterholen?", frage ich leise in die Stille hinein und deute auf die Sterne, frage mich zeitgleichaber, was mich gerade reitet so etwas zu sagen, denn wir sind ja nicht mal einPaar.
„Für dich würde ich jeden Stern vom Himmel nehmen, egal wie lange esdauern sollte", erwidert Fabian unbefangen, aber mit keinem amüsiertenUnterton.
In Fabians Stimme liegt ein Versprechen was mich erschauern lässt undich frage mich unwillkürlich, was ihm gerade durch seinen Kopf geht.
„Es ist wunderschön hier", raunt Fabian und wendet mir sein Gesicht zu und ich tue es ihm gleich. Schweigend sehen wir uns an, ganz gebannt von dem jeweiligen anderen. Seine Haare sind leicht zerzaust, mehrere Strähnen hängen ihm in die Augen und ohne zu zögern strecke ich meine Hand aus um ihm diese aus dem Gesicht zu streichen. Ich sehe wie Fabian krampfhaft schluckt, sein Kehlkopf bewegt sich und er räuspert sich, bevor er anfängt zu sprechen.
„Wünsch dir was."
„Was?", hacke ich verwirrt nach und Fabian nickt hoch zum hellerleuchteten Nachthimmel.
Eine Sternschnuppe zuckt über den Himmel, ihren Schweif grell und leuchtend hinter sich ziehend.
Ich schließe die Augen und spreche meinen Wunsch gedanklich aus.
Eine Antwort auf meinen inneren Kampf.
Irgendeinen Hinweis darauf, für welchen von den beiden ich mich entscheiden soll.
Als ich meine Lider wieder hebe, hat Fabian seine Augen noch geschlossen und atmet regelmäßig. „Da ist aber jemand ganz schön davon überzeugt, dass das klappt", flüstere ich leise und Fabian widmet mir seine Aufmerksamkeit.
„Es wäre echt nicht übel, wenn sich mein Wunsch erfüllen sollte. Seit Wochen brauche ich die Antwort auf einen einzige Frage und gerade jetzt fände ich es äußerst einleuchtend, wenn ich meine Antwort auch bekommen würde!"
„Geht mir genauso", stimme ich Fabian zu und er wirkt überrascht.
„Ach ja? Was hast du dir denn gewünscht?"
„Darf ich doch nicht sagen. Aber falls es sich erfüllen und ich ebenfalls meine Antwort erhalten sollte, dann wirst du der erste sein, dem ich es erzähle."
„Versprochen?", fragt Fabian schelmisch.
„Versprochen", erwidere ich, ebenfalls in demselben Ton.
Dann erhebe ich mich und trete näher an den Rand heran, soweit wie mir der Abgrund erlaubt. Ein leises Klicken ertönt hinter mir, ich drehe mich um und sehe Fabian mit einem Handy in der Hand.
„Lächel mal", fordert er mich auf und schießt gleich noch einen Haufen mehr Bilder. Auch ich zücke mein Handy und fotografiere den Nachthimmel mit den glänzende Sternen, die feiernden Menschen, das Meer mit dem Mond darüber und ein Bild von Fabian, wie er hinauf in den Himmel starrt, weswegen er es auch nicht bemerkt.
Schnell stecke ich es aber wieder weg, denn ich will nicht, dass dieser wundervolle Moment durch unsere Handy gestört wird.
„Wir sollten langsam wieder runter", meldet er sich da zu Wort und ich seufze bedauernd, weiß gleichzeitig aber auch, dass er recht hat, denn sonst werde ich mir danach was von meinem Bruder anhören müssen!
Also machen wir uns wieder an den Abstieg, was sich als schwieriger erweist als gedacht, denn in der Dunkelheit kann man überhaupt nichts erkennen.
Im Schneckentempo kommen wir voran und des Öfteren ist Fabian an meiner Seite um mich zu stützen.
Auch wenn er so gut es geht versucht seine Anstrengung vor mir zu verbergen, erkenne ich wie ihm die Kraft langsam entschwindet.
Bei Tag wäre dieser Abstieg nicht einmal annähernd so kräftezerrend, aber jetzt genügt ein falscher Tritt und man stürzt in die Tiefe, in ein Nichts.
Komisch, genau die Worte von Felix!
Unversehrt gelangen wir bis nach unten und grinsen uns erleichtert an.
„Danke, dass du mich dort hochgenommen hast." Lächelnd nickt Fabian und zieht mich dann urplötzlich in seine Arme.
Verwirrt schlinge ich ebenfalls meine Arme um seinen Oberkörper und ich ziehe den Geruch ein, der von seinem Parfüm kommt, welches er allerdings viel zu selten benutzt. Wir lösen uns von einander und Fabian steuert auf die Menschenmenge zu.
„Ist es okay, wenn ich kurz mit Louis rede? Ich bin auch gleich wieder da", fragt er mich und natürlich nicke ich. Während er sich also auf die Suche nach Louis begibt, drehe ich mich um und gehe auf die Bar zu.
Dort lasse ich mich auf einen Barhocker fallen und bestelle ein eisgekühltes Wasser. Gierig trinke ich es in wenigen Zügen aus und stelle das Glas behutsam auf die Theke ab.
Gedankenverloren greife ich nach einer der Dekoblumen, die an der Bar verteilt liegen und zwirble sie zwischen meinen Fingern hin und her. Ich zupfe ein Blütenblatt ab und plötzlich kommt mir eine Idee.
Eigentlich schwachsinnig, aber trotzdem ist es ein Versuch wert.
Während ich die Blättchen eines nach dem anderen abreiße sage ich im Stillen im Wechsel die beiden Namen auf, die mich verwirren. Schon seit langem.
Fabian, Leon, Fabian, Leon, Fabian, Leon.
Immer weiter und öfter wiederhole ich dieses Spielchen.
„Leon", murmel ich leise und taste nach dem nächsten Blütenblatt um fortzufahren.
Doch als ich herunterblicke bleibt mir fast das Herz stehen, denn vor mir im Sand liegen alle Blütenblätter fein säuberlich verstreut.
Ein einsamer, kahler Stängel liegt schwer in meiner linken Hand.
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