Kapitel 44


Leise klopfe ich an Chiaras Tür. Kurz warte ich, aber als keine Reaktion kommt, trommele ich erneut mit den Fingerknöcheln gegen die Tür.
Diesmal lauter.
Als noch immer keine Antwort zu hören ist, drücke ich die Türklinke herunter, bevor die Tür leise quietschend von mir aufgedrückt wird. Ein kurzer Augenblick genügt mir, um Chiara in ihrem Zimmer ausfindig zu machen.

Allerdings liegt sie nicht in ihrem warmen Bett, wie angenommen, sondern befindet sich in einer äußerst unbequemen Position auf einer Art Sessel und Couch. Diesem Fakt nach zu urteilen, hat Chiara wohl die ganze Nacht schlafend darauf verbracht.
Ein nahezu unvorstellbares Unterfangen für mich, ganz zu schweigen von den unerträglichen Rückenschmerzen im Nachhinein!

Ohne viele Geräusche durch meine Schritte zu verursachen, trete ich näher an das schlafende Mädchen heran, schaue hinab und ... lächle.
Sofort beginnt mein ganzer Körper zu kribbeln, bis hin zu meinen Zehenspitzen, wie immer, wenn ich Chiara begegne. Ich fühle mich wie elektrisiert und Hitzeschübe fluten durch mich hindurch.

Chiaras Haare umrahmen ihr Gesicht, während ihre Wangen einen zarten roséfarbenen Ton besitzen und ihre schneeweißen Zähne, durch ihren leicht geöffneten Mund, gut zur Geltung kommen. Jetzt fehlen nur noch ihre schillernden, meergrünen Augen, welche bei jeder Gelegenheit nicht, nicht strahlen.

Ich liebe das Zusammenspiel von Chiaras Lächeln und ihren schillernden Augen.
Ich liebe es, wenn ihre Augen auf eine ganz unnatürliche Weise leuchten, egal ob vor Glück, Wut, Trauer, Freude oder Euphorie.
Einfach alles an Chiara ist liebenswert, aber dennoch weiß ich ganz genau, dass mir das Glück, jemals von ihr wiedergeliebt zu werden, bis in alle Ewigkeit verwehrt bleiben wird.

Ja.
Ich liebe Chiara Hayden.

Erst jetzt realisiere ich die Bedeutung meiner nicht ausgesprochenen Gedanken. Aber ich werde sie nicht ändern, leugnen oder gar zurück nehmen, denn es stimmt!
Und genau dies wird mir erst in dieser Sekunde in gesamter Tragweite bewusst.
Ich liebe Chiara!

Vor ihr wusste ich nicht, wie es sich anfühlt verliebt zu sein, denn mit diesem Lebensabschnitt habe ich mich noch nie richtig auseinandergesetzt. Nicht, weil es mich nicht interessiert hat, sondern aus Angst abgewiesen zu werden und auch bezüglich mangelnder Zeit.
Dieses Gefühl, welches ich Chiara gegenüber empfinde, kann man nicht beschreiben.

Um zu wissen was Liebe ist, muss man es fühlen können!
Und auch wenn man bis vor wenigen Wochen, Tagen, Stunden wenn nicht gar Sekunden noch nicht wusste wie sich Liebe anfühlt, kann sich das von einem Moment auf den anderen durch eine einzige Person ändern. Selbst wenn man dieses Gefühl nicht kennt, weil es einem komplett fremd erscheint, wird man trotzdem sofort merken, dass es hierbei um die Lieben geht, und um nichts Anderes.

„Wie lange stehst du schon hier?"
Erschrocken zucke ich zusammen und stoße meinen angehaltenden Atem aus. Dann schaue ich auf Chiara hinunter. Ihre Augen glitzern neckend und auf ihren Lippen liegt ein Grinsen. Mein Verstand schaltet aus, bis...
„Fabian!?"
„Äh...was?", ruckartig schüttele ich den Kopf und verbanne den dadurch entstanden Gedanken. Amüsiert über mein Stottern fängt Chiara an zu lachen.
„Hey! Eigentlich wollte ich dich nur wecken, weil..." „...heute der August ist", beendet sie meinen Satz und springt hektisch auf.

„Mist, Mist, Mist! Wie viel Uhr ist es? Haben wir noch genug Zeit? Wie viel Zeit habe ich verschlafen?"
Hektisch hüpft Chiara durch ihr Zimmer und greift nach jeden möglichen Klamotten und anderem Zeug, welches sie benötigt. Mühsam verkneife ich mir ein Lachen: „Chiara wir haben noch genug Zeit! Beruhig dich bitte mal. Es ist erst kurz nach sieben!"
Belustigt sehe ich dabei zu, wie Chiara den Mund öffnet und schließt.

„Oh", macht sie dann leise und bindet sie die Haare zu einem unordentlichen Knoten zusammen. „Ich warte unten auf dich. Lass dir Zeit und mach dich in Ruhe fertig. Bloß kein Stress! Die Jungs schlafen mindestens bis neun."
Mit dieser Information lasse ich sie alleine und gehe die Treppe hinunter in die große Küche. Dort habe ich alles zurechtgelegt, bevor ich hoch bin um Chiara zu wecken.
Bereits nach fünf Minuten ertönen die leisen Schritte von Chiara im oberen Geschoss und ich stoße mich sogleich von der Anrichte ab, als sie den Raum betritt.

„Du hast ja schon alles vorbereitet", stellt Chiara mit einem Grinsen fest. „Weißt du ich bin früher aufgewacht und dann dachte ich mir, dass ich schon mal alles vorbereiten kann, damit wir nicht so unter einem großen Zeitdruck stehen."
Lügen, alles Lügen, schrillt es in meinem Kopf, aber ich kann ja schlecht sagen: „Ich wollte dich beeindrucken."
„Dann lass und anfangen", voller Tatendrang reibt sich Chiara die Hände und tritt neben mich an die Arbeitsfläche.

Ich hole eine Schüssel aus dem Schrank und zusammen kippen wir Mehl, Zucker, Eier und alle benötigenden Zutaten hinein. Während Chiara alles verrührt, schnappe ich mir die Vollmilchschokolade und einen kleinen Topf, in welchen ich Wasser kippe und auf den Herd stelle, damit das Wasser beginnt zu kochen.
In eine kleine Schale, die zum Schmelzen der Schokolade gedacht ist, lege ich mehrere kleine Stücke hinein und achte darauf, dass die Schokolade nicht verbrennt. Als sie fertig ist, nehme ich die kleine Schale und schütte die Soße über den Teig, welcher einen süßen Duft verstreut.
Schnell und routiniert vermischt Chiara die Schokolade und den Teig miteinander, damit die geschmolzene Schokolade nicht wieder hart wird.
Derweil durchforste ich eine Kuchenform in welche wir den Teig kippen können.

„Kannst du danach noch die Beeren waschen und schneiden, damit wir damit den Kuchen verzieren können?", fragt Chiara mich und als Antwort hole ich Erd-, Him- und Heidelbeeren aus dem Kühlschrank.
Die Erdbeeren Viertel ich alle und lege sie in eine große Schüssel. Heidel- und Himbeeren richte ich ebenfalls schön an und stelle sie auf den großen, hölzernen Esstisch.

„Wieso kannst du so gut backen und dich na ja, um alles kümmern?", interessiert mustert Chiara mich, als ich mich zu ihr umdrehe und gerade fragen möchte, ob sie noch Hilfe benötigt.
„Du solltest eines über mich wissen Chiara. Ich, kann alles!"
Als ich die Worte ausspreche, werfe ich meine Haare imaginär nach hinten und Chiara braucht erst mal einige Minuten, bis sie sich wieder unter Kontrolle hat.
„Spinner."

Sie gießt den braunen Teig in die Kuchenform, schiebt diese in den vorgeheizten Ofen und stellt die richtige Temperatur ein. Dann klappt sie den Ofen zu und dreht sich zu mir um.
„So", sie stützt die Hände in die Hüften: „während der Kuchen im Ofen ist, können wir ja schon mal den Tisch decken, oder?" Da ich sonst keinen anderen Vorschlag habe nicke ich, und schnappe mir Teller und Besteck.
Chiara greift nach Gläsern und Servietten und gemeinsam bemühen wir uns einen hübschen Geburtstagstisch zu zaubern. Davor stelle ich allerdings noch einen Timer, damit wir den Kuchen nicht vergessen und wir wissen, wann er rechtzeitig fertig ist.

„Wir haben die Croissants und das Baguette total vergessen!", gequält lässt Chiara die Luft aus ihrem Körper strömen und schließt für einen kurzen Moment die Augen. Mit einem selbstgefälligen Lächeln hebe ich eine Augenbraue, pflücke ein Tischtuch von einem Haufen und wende mich wieder zu ihr um.
„Nicht dein Ernst Fabian!", sie tritt neben mich und schlägt mir leicht gegen den Oberarm.
„Was soll ich dazu noch sagen...!?"
„Am besten gar nichts?", schlage ich vor und warte lächelnd auf eine Antwort. „Manchmal bist du echt unheimlich, weißt du das?"
„Unheimlich, also? Unheimlich cool, ja, ja, ich weiß!"

Mit einer Handbewegung greife ich nach der Tüte mit Croissants und ordne sie, auf einem weißen Teller, mit golden verschnörkelten Mustern, schön an. „Das Baguette schneiden wir später, sonst schmeckt es nicht", schlage ich vor und ernte ein Nicken von Chiara.
Der Timer meines Handys schrillt in diesem Moment und erstaunt stellen wir beide fest, dass es mittlerweile schon halb neun ist und wir schon ganz viel Zeit vertrödelt haben.
Chiara greift nach den Backhandschuhen, öffnet den Backofen und holt den frisch gebackenen Kuchen heraus.

„Schnell. Du musst die Zartbitterschokolade schmelzen Fabian! Dann wird das die Glasur." Sofort mache ich mich daran ihren Befehl auszuführen und wenige Minuten später halte ich ihr die Zartbitterschokolade entgegen.
In feinen Kreisen schüttet sie die Flüssigkeit über das Gebäck und sogleich wird es auch schon fest.
Die Beeren, die ich davor klein geschnippelt und in eine Schale gelegt habe, hole ich und stelle sie auf den großen Holztisch neben unsere Schokoladentorte.

Währenddessen öffnet Chiara den Kühlschrank und holt die Sprühsahne heraus. Diese schüttelt sie einmal kräftig, bevor sie anfängt kleine Sahnehäubchen auf der festen Schokolade zu verteilen.
Drumherum lege ich Erdbeeren, Heidelbeeren und Himbeeren in einem schönen Muster und streue dann noch Kakao-Nibs über das Kunstwerk.
Als wir mit dem Verzieren der Torte fertig sind fällt uns allerdings auf, dass wir noch viel zu viele Beeren übrig haben.

„Lass uns doch Joghurt machen", schlägt Chiara deshalb vor, aber ich sehe sie entgeistert an.
„Du willst Joghurt machen? Wie willst du den denn jetzt machen? Du hast doch jetzt nicht vor die ganze Milch aufzuschlagen oder etwa doch!?"
„Nein, nein", Chiara lacht auf. „Gott bewahre! Nein, Felix hat so einen Limettenjoghurt gekauft als wir einkaufen waren. Den können wir in Schalen füllen und jeweils etwas Beeren dazu geben."
Ich zucke nur mit den Schultern und mache mich daran Schalen aus den Schränken zu holen und auf der Anrichte bereit zu stellen und während Chiara Joghurt in die Schalen löffelt, decke ich den Tisch.
„So das wäre dann auch erledigt", lässt sie mich wissen und ich drehe mich zu ihr um.
„Wie schnell bist du bitte?"
Auf meine Frage zuckt sie nur mit den Schultern, kichert und trägt die Schalen nacheinander zum Esstisch. „Puh, endlich fertig", stöhnt Chiara also sie auch noch die Schokoladentorte auf dem schön gedeckten Tisch zu recht rückt.

Dann lege ich noch die Handschuhe für Lacrosse und die Sneakers, natürlich verpackt, auf den Tisch und halte Chiara die Hand zum High-Five hin. Grinsend schlägt sie ein und lacht überschwänglich.
Plötzlich überkommt mich eine witzige, gegenüber Chiara aber eine gemeine Idee und mit einem flüchtigen Blick über die Schulter vergewissere ich mich, dass die Terrassentür weit offen steht.
Dahinter erstreckt sich der Garten und die aufgegangene Sonne funkelt auf dem Wasser des Pools.

Schnell nutze ich die Situation aus, greife nach Chiara und hebe sie mühelos über meine Schulter. Chiara schnappt dabei nach Luft und kurz darauf folgt ein Quietschen. Lachend durchquere ich das Wohnzimmer und spüre wie Chiara sich auf meinem Rücken hin und her wendet. „Was hast du überhaupt vor!? Lass mich runter!"
„Denk nicht einmal daran", feixend trete ich an den Rand des Pools.
„Außerdem: Wenn du weiter so rum brüllst, fällt das Haus irgendwann in sich zusammen und die Jungs wachen dadurch auf. Dann ist unsere Überraschung hin und komplett umsonst!", ermahne ich Chiara noch, aber sie interessiert sich nicht für mich, sondern bemüht sich viel mehr aus meinem Griff frei zu kommen.

Angesichts dieser schwächlichen Versuche muss ich nur noch mehr lachen, denn sie weiß genau so gut wie ich, dass sie erst dann von meiner Schulter kommt, wenn ich das auch möchte und momentan sieht es für mich nicht danach aus!
„Wenn du mich jetzt da rein wirfst, dann wirst du die Rache einer Frau spüren, verlass dich drauf", faucht sie mich drohend an und meint es eindeutig nicht als Scherz.
„Ich glaube das kann ich verkraften", pruste ich und lasse Chiara dabei fast ausversehen los.
Aber eben nur fast.
Frustriert schnaubt sie auf.

„Bereit für eine morgendliche Schwimmrunde?" „Fabian", brüllt Chiara mich wütend an, aber da ist es bereits zu spät. Mit Schwung hebe ich sie von meiner Schulter und werfe sie in das sonnenreflektierende Wasser hinein.
Gespannt warte ich, bis Chiara wieder auftaucht und ich ihre sogenannte Rache zu spüren bekomme.
Prustend erscheint sie auf der Wasseroberfläche und ihre meergrünen Augen funkeln mich erbost an, bevor sie mir erklärt: „Das bedeutet Krieg, Fabian Grace!"

Zügig schwimmt sie an den Beckenrand und hält mir die Hand hin. Kritisch mustere ich diese, denn bestimmt hegt Chiara bei dieser Geste einen Hintergedanken!
„Also wenn du mich schon grundlos hier rein schmeißt, dann solltest du mir auch gefälligst wieder raus helfen!"
„Schuldig", stimme ich ihr zu und greife nach ihrer Hand. Plötzlich fährt ein Ruck durch meinen Körper. Bis ich realisieren kann was überhaupt passiert, befinde ich mich bereits in der Horizontalen, bevor ich einen phänomenalen Bauchklatscher vollführe.
Verdammt, ich hätte ich nicht gedacht, dass Chiara es schafft mich in den Pool zu ziehen, weswegen ich nicht mal über diese Option nachgedacht habe.
Man sollte seinen Gegenüber eben nie unterschätze...

Die Luft weicht aus meiner Lunge, deshalb stoße ich mich kräftig von dem gefliesten Boden ab und tauche auf.
„Alles kommt im Leben immer zu einem zurück", empfängt Chiara mich feixend an der Oberfläche. Kurz lege ich den Kopf schief, doch dann schwimme ich mit zwei kräftigen Zügen zu ihr.
„Oh, wie recht du doch hast!"

Kurzerhand tunke ich die unter und schaue lächelnd zu, wie Chiara zwischen meinen Beinen hindurch taucht. Gerade will ich mich umdrehen, doch schon spüre ich ein Gewicht auf meinem Rücken.
Chiara klettert weiter hoch, bis sie schlussendlich auf meinen Schultern sitzt. Durch das Wasser watend will ich mich an den Beckenrand begeben, aber noch bevor ich meinen ersten Schritt beenden kann, rudert Chiara oben mit den Armen, lacht kurz hysterisch auf und kippt mit einem Kicher auf die Seite.
Wasser spritzt in einer kleinen Fontäne hoch und ich muss lachen, als Chiara unter Wasser einen halben Purzelbaum macht. Keuchend kommt sie wieder hoch und hustet.

Glücklich lächelt sie mir entgegen und ich will schon etwas sagen, als mir unerwarteter Weise ein Schwall Wasser ins Gesicht spritzt. Verdutzt kneife ich die Augenlieder fest aufeinander, weil das Chlor höllisch in meinen Augen zu brennen beginnt.
Ruckartig schiebe ich jetzt meinerseits Wasser in die Richtung in der ich Chiara vermute und höre sie übermütig aufkreischen.
Erst da öffne ich die Augen und schließe sie gleich darauf wieder, denn erneut klatscht mir Wasser ins Gesicht.

Im Nu entpuppt sich aus dem kleinen Gerangel eine wilde Wasserschlacht. Wir kreischen, lachen und tollen übermütig herum. Es wundert mich sehr, dass die Jungs bei diesem Lärm, den wir hier veranstalten, noch schlafen können, denn ich würde spätestens nach fünf Minuten aus meinem Bett springen!
„Waffenstillstand", keucht Chiara in diesem Augenblick und hebt die Arme als Zeichen, dass sie sich ergibt.
„Schade", schmollend schiebe ich meine Unterlippe vor, folge Chiara aber, als sie an den Poolrand schwimmt. Sie stemmt sich hoch, während ich ihrem Beispiel folge.
Unsere Klamotten kleben an unseren Körpern, aber das stört weder mich, noch Chiara. Diese fährt sich gerade durch die triefenden Haare und verfrachtet sie nach hinten.

„Mann, das hat wirklich Spaß gemacht", sie lächelt, woraufhin ich gluckse. „Du kannst jederzeit eine Wiederholung haben. Wir können unsere Schlacht aber auch jetzt sofort fortsetzen, wenn du willst..."
Mit diesen Worten lasse ich meine linke Hand ins Wasser gleiten und spritze ein paar Tropen in Chiaras Richtung.
„Ne, lass mal. Ich bin total kaputt", wehrt sie lachend ab, aber ich sehe ihr an, dass ihr das Gerangel im Pool gerade riesigen Spaß gemacht hat.
Vielleicht sind wir auch schon zu als für sowas, aber, an kann doch nie zu alt für „Kind sein" sein, oder?

„Das sind die besten Ferien die ich seit langem hatte", höre ich mich in diesem Moment sagen und kassiere daraufhin neugierige Blicke von Chiara.
„Alles ist so entspannt und wir können einfach machen was wir wollen. Die Stimmung ist super und es gibt keine Probleme! Uns sind keine Grenzen gesetzt. Es fühlt sich fast so an als hätte man die Vergangenheit abgestellt und wir würden nur im Hier und Jetzt leben. Nur in diesem Moment. Einzig und allein für diesen Augenblick."
„Och Menno! Und ich dachte schon du sagst jetzt etwas in die Richtung: Weil ich sie mit dir verbringen darf...", dramatisch greift Chiara sich an die Brust und tut eine auf Beleidigt.
Schnaubend lache ich und amüsiere mich köstlich darüber, auch wenn ein Teil meines Herzens genau das zu ihr sagen würde, falls dieser Teil sprechen könnte.

„Aber das hast du gerade eben echt schön gesagt", kommt Chiara auf das Thema von gerade eben zurück.
„Du hast vollkommen recht. Hier ist alles so unbeschwert, dass ich wünschte man könnte die ganze Zeit so durch das Leben gehen. Sorglos und nicht über Konsequenzen nachdenken zu müssen. Nach dem Motto: Leben und leben lassen! Aber irgendwann holt dich die Vergangenheit ein. Selbst in den schönsten Momenten, oder nein, gerade dann!", beendet sie resigniert ihren Satz.
Aufmerksam sehe ich sie von der Seite an, wie sie mit ihren Händen herumspielt und warte darauf, dass sie noch etwas erklärt, doch Chiara schweigt sich aus.

„Hast du etwa so eine düstere Vergangenheit?", frage ich sie, halb als Scherz, halb ernst.
„Also abgesehen von deinen Eltern...?"
Daraufhin zuckt sie nur mit den Schultern und atmet geräuschvoll aus, ehe sie sich mir zuwendet. „Und was ist mit dir? Wie sieht deine Vergangenheit aus? Auch so eine Düstere?"
„Hat die nicht irgendwie jeder", entgegne ich daraufhin und wende meinen Blick gleich von Chiara ab.
„Schon", stimmt sie mir zögernd zu.
„Kann manchmal ganz schön beschissen sein, nicht?"
„Schon", antworte ich und grinse leicht.

Mit Chiara über dieses Thema zu sprechen ist irgendwie nicht so...schwer. Es ist ein unbefangenes Gespräch ohne Grenzen oder Scham.
Das ist eines Dinge die ich so an Chiara liebe!
Sie ist eine gute Zuhörerin, kann die Leute gleichzeitig aber aufbauen und zeigt jedem das Gute in seinem Inneren.

„Wenn du die Chance hättest", beginne ich: „die Zeit zurück zu drehen und alles Schlechte zu verändern, würdest du das tun?"
„Ich weiß es nicht", überlegt Chiara nachdenklich.
„Es gibt sicherlich einige unangenehme, peinlich und einfach nur schreckliche Sachen die ich ungerne erlebt hätte, aber wäre ich durch eine Vergangenheit nicht auch in gewisser Weise anders? Meine Vergangenheit hat mich geprägt und zu dem Menschen gemacht der ich jetzt bin. Wenn ich meine Vergangenheit verändern würde, dann wäre ich nicht mehr ich, verstehst du?"
Ich weiß genau auf was Chiara hinaus will, weshalb ich nicke...
„Wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich das noch nie auf diese Art gesehen. Ich kann wahrscheinlich an zwei Händen abzählen wie oft ich diese Überlegung, über eine veränderte Vergangenheit, schon durchgespielt habe, aber so eine Antwort habe ich niemals in Betracht gezogen", gebe ich zu.

„Wieso bist du gerade eigentlich so melodramatisch veranlagt?" Chiara mustert mich grinsend und pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, was nicht sonderlich gut funktioniert, da ihre Haare noch immer nass sind.
Ohne zu zögern strecke ich meinen Arm aus und streiche die Haarsträhne sanft hinter ihr Ohr.
„Keine Ahnung", antworte ich auf Chiaras Frage.

„Hey! Was ist denn hier los?", ertönt eine hell auf begeisterte Stimme hinter uns und erschrocken drehen Chiara und ich uns gleichzeitig um. Vor uns stehen ein verschlafener Chris, sowie Felix, Jason und mein Bruder.
Alle sehen aus als seine sie gerade aufgewacht, denn ihre Haare stehen wild durcheinander von ihren Köpfen ab.
Der Anblick ist so lustig, dass ich mir ein Grinsen einfach nicht verkneifen kann.

„Alles Gute zum Achtzehnten", wünsche ich meinem Freund und schwinge meine Beine aus dem Pool, bevor ich aufstehe und auf Chris zugehe, aber Chiara ist schneller.
Sie kommt auf ihn zu, fällt ihm um den Hals und beglückwünscht ihn. Danach sind auch die anderen dran, aber ich kann nicht verhindern, dass ein kleiner Funken Eifersucht in meinem Inneren aufsteigt.
Wieso umarmt Chiara Chris so problemlos, so unbeschwert?
Weshalb tut sie das nicht auch bei mir?
Bin ich ihr nicht gut genug oder... oder mag sie mich etwa auf eine andere Weise als Chris?
Auf welche Weise mag sie Chris?

Wirre Gedanken schießen durch meinen Kopf und ich könnte mich gerade wirklich dafür ohrfeigen, dass ich diesen Schwachsinn gerade gedacht habe.
Nie im Leben wäre Chiara so am Boden zerstört gewesen als sie Leon zusammen mit Amy gesehen hat, wenn sie doch eigentlich auf Chris steht...

„Fabian hör auf so laut zu denken. Davon bekomme ich Kopfschmerzen", lacht Felix neben mir und erschrocken sehe ich ihn an.
„Habe ich etwas laut...also, habe ich laut gedacht!?"
„Nein, ich meinte das eher im übertragenen Sinne", schmunzelt Felix und sieht mich wissend an. „Deine Blicke sagen Alles Fabian, einfach Alles!"
„Ich habe nicht die geringste Ahnung worauf du hinaus willst", streite ich ab und spüre wie bei diesen Worten Hitze an meinem Hals entlang kriecht. Schnell entferne ich mich von Felix, da mir die Situation mehr als unangenehm ist und gehe lieber zu den anderen.

„Ihr seid der reinste Wahnsinn! Wie lange habt ihr denn dafür gebraucht? Das sieht einfach fantastisch aus", mit offenem Mund starrt Chris Chiara und mich. „Ich glaube es reicht wenn du dich einfach bei uns bedankst", lächelt Chiara, ist aber von Chris' Worten sichtlich geschmeichelt.
„Danke", sein Grinsen ist so breit, wie ich es noch nie gesehen habe.

„Los pack deine Geschenke aus", weist Jason Chris ungeduldig an. „Du bist ja aufgeregter als ich!"
Jason zuckt daraufhin nur lachend mit den Schulter: „Lass mich. Ich liebe Geburtstage halt eben!"
Während Jason und Chris miteinander reden lasse ich mich auf einen Stuhl fallen und Chiara folgt meinem Beispiel. „Weißt du was? Ich habe totalen Muskelkater", flüstert sie mir zu und kassiert daraufhin von mir einige verwunderte Blicke.
„Was? So schnell schon? Oder meinst du vielleicht eher Muskelschmerzen?"
„Wahrscheinlich eher das", gibt Chiara zu und reibt sich ihre Oberarme. „Wahrscheinlich hast du dir etwas gezerrt", vermute ich und biete ihr daraufhin an, ihr später ein paar Schmerztabletten zu geben.
„Das wäre super", strahlt Chiara mich an und mir wird ganz warm.

„Was flirtet ihr denn hier so fleißig herum", vernehme ich Chris neckenden Tonfall auf einmal und setzte mich blitzartig auf. „Ähm...wolltest du nicht deine Geschenke auspacken", lenke ich schnell von Chiara, mir und dem angeblichen Flirt ab.
„Ja, ja ist schon gut", belustigt schüttelt mein Freund den Kopf.
Halt den Mund
, forme ich tonlos mit den Lippen.

Chris macht sich nach meiner Aufforderung daran, das Papier seiner Geschenke aufzureißen. Er beginnt mit den Lacrossehandschuhen von uns und als er die Handschuhe endlich aus dem Papier befreit hat, leuchten seine Augen auf. „Wow", andächtig fährt er über das Material und sieht dann grinsend auf.
„Von wem...?
„Das ist von Fabi und mir", unterbricht Chiara ihn und sieht abwartend zu mir. Für einen Moment verschlägt es mir die Sprache, denn mir wird bewusst, dass Chiara mich noch nie bei meinem Spitznamen genannt hat.
„Ähm", bringe ich nur heraus.

„Wann habt ihr die gekauft?", Jase durchbohrt erst mich, dann seine Schwester förmlich mit seinem Blick. Wir sehen uns beide ertappt an und schweigen eine geschlagene Minute.
„Ist ein Geheimnis", stoßen wir dann gleichzeitig aus und müssen lachen.
Allerdings sieht Jason nicht so aus, als würde er sich mit dieser Antwort zufrieden geben. „Vor ein paar Tagen", gebe ich also zu und spüre die grinsenden Blick von Felix und Chris auf meiner Haut, genau wie den nachdenklichen Blick von Leon. Ich wage es erst gar nicht zu meinem Bruder zu schauen.
„Ist doch egal! Danke auf jeden Fall für die Handschuhe, die sind wirklich cool", sagt Chris aufrichtig zu uns und umarmt zuerst mich, dann Chiara.

„Hier", Felix streckt ihm ein Päckchen entgegen und Chris betrachtet es stirnrunzelnd, bevor er es endlich öffnet. „Die hast du mir nicht gekauft", ungläubig sieht er zu Felix als er den Deckel der kleinen Box anhebt, nur um ihn gleich darauf schnell zu schließen.
„Das ist doch viel zu teuer Felix! Die kann ich wirklich nicht annehmen." Neugierig beuge ich mich vor und bitte Chris darum, dass er mir den Inhalt der Box zeigt. Innen liegt eine mattschwarze Apple Watch .
„Sie war reduziert und abgesehen davon wird man nur einmal im Leben volljährig, also nimm das Geschenk an", winkt Felix ab und zeigt durch seinen Unterton, dass er nicht diskutieren wird.

Auch er wird von Chris umarmt und dann packt er noch das Geschenk von Jason, sowie meinem Bruder aus.
Von dem Erstgenannten bekommt er eine personalisierte Bluetooth Box, auf der ein Foto aufgedruckt ist, welches ich vor einigen Monaten aufgenommen habe. Es war kurz nach einem wichtigen Spiel, bei dem die Jungs die Meisterschaft für sich entscheiden konnten und den Pokal bekamen. Schlammbespritzt stehen sie da, die Arme umeinander gelegt und strahlen mich oder besser gesagt die Kamera an.
Die Stimmung damals war bombastisch!
Dazu bekommt Chris noch einen Hoddie und eine Sporttasche von irgendeinem ganz berühmten Lacrossespieler, den ich nicht kenne. 

Mein Bruder schenkt Chris Konzertkarten und zu guter Letzt packt er auch noch die Schuhe von Chiara und mir aus. Über alles freut er sich riesig und ich muss sagen, dass ich mich auch auf meinen Achtzehnten freue, denn wenn man so coole Geschenke lohnt sich das alle Mal!


Gestern Abend haben die Jungs, Chiara und ich uns noch darauf geeinigt, dass wir Chris noch ein wenig Geld schenken, damit er sich auch selbst etwas aussuchen kann.
Somit überreicht mein Bruder Chris gerade einen Umschlang, in dem sich ein Wert von sechshundert Euro befindet, von jedem hundertfünfzig.
Als Chris den Umschlag öffnet zieht er scharf die Luft ein, dann erst erlaubt er sich ein unsicheres Lächeln.
„Leute, ihr seid echt die Besten!"

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