Kapitel 38
Vorsichtig taste ich mich durch die Dunkelheit vorwärts und versuche mich so wenig orientierungslos wie möglich zu verhalten. Allerdings ist das in so einer großen Villa alles andere als einfach.
Als ich schließlich die Treppe finde, kann ich erleichtert aufatmen und ich springe die Stufen hinunter. Kurz überlege ich, ob ich das Licht einschalten soll, da man es oben in dem zweiten Stock bestimmt nicht mehr sieht, aber dann entscheide ich mich doch dagegen.
Meine Handytaschenlampe wird auch ausreichendes Licht spenden.
Apropos Handy.
Ich habe meines schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen...
Wo habe ich das nur hingelegt?
Auf einmal vernehme ich ein leises Geräusch aus dem Wohnzimmer und zucke erschrocken zusammen.
Wer das wohl sein mag?
Als ich jedoch den Raum betrete, erhellt sich meine Miene sofort und ich muss lächeln.
Denn die Person, die hier auf dem Wohnzimmerteppich sitzt, ist niemand anderes als Chiara.
Sie liegt im Halbdunklen in dem Zimmer und liest mit Hilfe der Taschenlampe ihres Handys ein Buch. Wahrscheinlich wollte sie auch vermeiden, das Licht anzuschalten. Schmunzelnd über diese Gemeinsamkeit, trete ich hinter sie und betrachte Chiara von hinten.
Sie ist wunderschön.
Schließlich gehe ich langsam in die Hocke, aber sie bemerkt mich immer noch nicht. Ganz langsam hebe ich meine Arme und lege sie dann blitzschnell um ihren Hals.
Ich kann entsetztes Luftschnappen ausmachen und spüre, wie Chiara sich unter mir aufbäumt und versucht sich zu befreien.
„Wer auch immer du bist... Lass mich sofort los oder ich trete dir in die Eier!", presst sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Sie klingt nicht wirklich begeistert und auch etwas ängstlich, weswegen ich ihrer Forderung nachgehe. Ich rolle mich von ihr herunter und lasse mich neben Chiara auf den Teppich fallen.
„Oh Gott Fabian! Weißt du eigentlich wie sehr du mich erschreckt hast...?!", vorwurfsvoll schaut sie zu mir und ich beiße mir auf die Lippen. Chiara atmet hektisch ein und aus und probiert ihre Atmung wieder unter Kontrolle zu bekommen. Mittlerweile tut es mir schon leid, dass ich sie so erschreckt habe und ich bereue es.
Schlechtes Gewissen steigt in mir auf. „Hey, alles gut", beruhigend streiche ich mit meiner rechten Hand über ihre Schulter.
„Schon in Ordnung", murmelt sie und schüttelt angefressen den Kopf.
„Das nächste Mal machst du dich aber gefälligst bemerkbar, weil wenn nicht mache ich sonst was mit dir. Ich kann da für nichts garantieren, lass dir das gesagt sein!"
„Das werde ich mir merken. Wobei ich nicht denke, dass du deine vorherige Drohung wirklich wahr machen würdest. Und das noch dazu bei mir", ich zwinkere ihr frech zu und sie kommentiert es nur mit einem schnaubenden Geräusch.
Meine Mundwinkel biegen sich weiter und weiter nach oben und schließlich kann ich nicht mehr an mir halten und breche in eine Lachsalve aus.
Mühevoll versucht Chiara ihren ernsten Gesichtsausdruck aufrecht zu erhalten, doch da mein Lachen so ansteckend durch den Raum hallt, ergibt sie sich letzten Endes und beginnt auch mit mir zu lachen. Nachdem wir uns wieder einigermaßen im Griff haben, wechselt Chiara sehr direkt das Thema: „Was machst du eigentlich hier?"
„Ich habe eine große Sehnsucht nach dir verspürt und die hat mich zu dir geführt", albern verziehe ich meinen Mund und wackele übertrieben mit den Augenbrauen, wobei sich ein hysterischer Lachanfall in mir aufstaut.
Diesen versuche ich allerdings mit größter Mühe nieder zu kämpfen.
„Sind wir heute poetisch veranlagt oder was!?", japst Chiara, während sie sich vor lauter Lachschüben am Boden kringelt und prustend nach Luft schnappt.
„Hey! Beleidige hier ja nicht meine dichterischen Künste, sonst bekommen wir zwei große Probleme miteinander", eingeschnappt verschränke ich meine Arme vor der Brust und starre hinauf zu der leeren, weißen Decke.
„Ist da jemand beleidigt?", neckt Chiara mich und sticht mir mit ihrem Zeigefinger in die Wange. Geräuschvoll schnaube ich auf und sehe sie kopfschüttelnd an. „Jetzt aber mal Spaß bei Seite", unterbricht sie mich dann mit ruhiger Stimme.
„Was ist wirklich los? Warum bist du um halb eins hier unten im Wohnzimmer und nicht in deinem Bett?"
„Das selbe könnte ich dich auch fragen...", kontere ich gekonnt und klopfe mir angesichts meiner Intelligenz innerlich auf die Schulter.
„Ich konnte nicht schlafen und dann bin ich halt hier runter um etwas zu lesen. Davor war ich allerdings noch etwas alleine an unserem Strand spazieren", berichtet mir Chiara ohne zu zögern und ich setze mich ruckartig auf.
Dabei ignoriere ich die pochenden Schmerzen und die kleinen Pünktchen, welche bei solch hastigen Bewegungen, anfangen vor meinen Liedern zu flimmern.
„Du warst am Strand?
Um diese gottverdammte Uhrzeit?
Im Dunkeln und das nachts?
Alleine!?", meine Stimme überschlägt sich fast vor Anspannung und Wut.
Wie kann Chiara nur so leichtsinnig sein und nachts so spät alleine draußen herum spazieren? Dort könnte ihr wer weiß was passieren!
Zwar ist der Strand Privatgrundstück und es darf niemand hin außer uns.
Eigentlich.
Schnaufend sinke ich zurück auf den Teppich und massiere meine Schläfen. Die abrupten Bewegungen tun meinem Kopf nicht besonders gut, aber es wäre wahrscheinlich wesentlich schlimmer, wenn mein Bruder vorhin nicht darauf bestanden hätte, dass ich mich in mein Bett lege.
Dafür bin ich ihm sehr dankbar, auch wenn ich das gegenüber Leon niemals zugeben würde.
„Ist dir eigentlich bewusst, was für ein Risiko du eingegangen bist? Weißt du auch nur annähernd, was dir hätte passieren können?", erkundige ich mich nach einer Weile bei Chiara und wende den Kopf zu ihr. Diese schaut mir aufmerksam entgegen.
Ich seufze.
„Denk mal darüber nach was geschehen wäre, wenn irgendjemand dort unten gewesen wäre! Vielleicht hätten wir dich morgens halb verblutet unten am Strand gefunden", fahre ich fort und schüttel bei dieser Vorstellung meinen Kopf, um diesen schrecklichen Gedanken zu vertreiben.
Während ich mir diese Überlegung vergegenwärtig, schüttelt Chiara nur den Kopf. „Du siehst schon Gespenster Fabian!", murmelt sie und gähnt hinter hervor gehaltener Hand.
„Ich meine ja nur", brumme ich zurück und zucke angesichts ihrer Unachtsamkeit etwas eingeschnappt mit den Schultern.
„Du solltest wirklich schlafen gehen. Glaub mir, das würde dir sehr gut tun", merke ich dann gleich darauf an und in meiner Stimme schwingt eine ungewohnte Fürsorge mit, während ich diesen Satz ausspreche, als ich sehe wie Chiara schon beinahe die Augen zu fallen.
Und das während sie halb liegt!
„Nein", wiederspricht sie mir heftig und ich hebe eine Augenbraue.
„Willst du es wirklich darauf ankommen lassen?", erkundige ich mich dann schmunzelnd und erneut schüttelt sie ihre Haarmähne.
„Nein", wiederholt Chiara. „Aber erst möchte ich wissen, warum du hier unten bist. Es ist nur fair, wenn du mir erzählst was los ist, denn schließlich musste ich dir auch sagen, was ich gemacht habe", ergänzt sie ihren Satz und blinzelt mich abwarten an.
Ich drehe Chiara den Rücken zu und kaue auf meiner Unterlippe.
Wieso war mir nicht klar, dass diese Wendung noch kommen wird?
Eigentlich möchte ich nicht über das was mir gerade wiederfahren ist sprechen, auch wenn Jason mir deutlich nahegelegt hat, dass es manchmal besser ist über seine Probleme zu reden.
Es ist schon schlimm genug, dass Jason irgendetwas mitbekommen hat was vor sich geht. Ich hoffe einfach nur, dass er auch Stillschweigen über mein Geheimnis behält.
Gleichdarauf verwerfe ich diese Hoffnung wieder, denn ich kann nicht glauben, dass ich so an meinem Freund zweifele.
Denn ich bin mir ganz sicher, dass er mich niemals so hintergehen würde!
Eher würde sich Jason die Finger abhacken und einzeln an eine Horde von Haifischen oder Löwen verfüttern, als so etwas Persönliches auszuplaudern. Er ist ein anständiger Mensch und das ist auch einer der Gründe, wieso in die meisten Menschen so sehr schätzen und sofort in ihr Herz schließen.
Andererseits bin ich es Chiara auch in gewisser Weise schuldig, denn sie hat mir ihr Herz schon mehr als einmal ausgeschüttet.
Dieses Mädchen hat mir ihr stummes Leid schon so oft anvertraut und ich? Ich kann doch nicht einfach so abblocken, oder?
„Ich habe es schon verstanden", höre ich Chiaras resignierte Stimme hinter mir und muss mit Schrecken feststellen, dass sie aufsteht und sich von mir entfernt.
Durch das leise Rascheln des Teppichs identifiziere ich sofort, dass Chiara im Begriff ist den Raum zu verlassen.
„Nein, bleib", bitte ich sie flüsternd. „Es ist nicht so wie du denkst."
Mein Raunen erfüllt den Raum und ich drehe mich vorsichtig und langsam zu Chiara um. Wie erstarrt steht diese an dem Eingang zu dem geräumigen Wohnzimmer und wartet darauf, dass ich weiterspreche.
„Es ist nur nicht so leicht für mich", schiebe ich etwas hilflos hinterher und Chiara wendet sich wieder mir zu.
Zielstrebig läuft sie auf mich zu und kniet sich vor mir hin. Auch ich setzte mich auf.
„Das Ganze ist ungewohnt und neu für mich. Weißt du, ich fasse nicht so schnell Vertrauen zu anderen Menschen und deswegen fällt es mir auch häufig schwer so unbeschwert über die Dinge zu reden, die mich belasten. Lieber verschweige ich meine Probleme und fresse alles in mich hinein."
Das was ich gerade sage klingt so einsam und armselig, aber dennoch ist es die Wahrheit und die möchte ich Chiara nicht vorenthalten. „Das ist okay", vernehme ich da und schaue auf meine zitternden Hände hinab.
Chiara legt ihre Hand auf meine und sofort ebbt das leichte Zittern ab und ich beruhige mich innerlich.
Eine Wärme erfasst meinen Körper und ich hole, durch die stärkende Geste von ihr, tief Luft.
„Ich hatte einen Traum", beginne ich dann zögerlich, ja fast schon beschämt. Eine Gänsehaut zieht sich über meinen Körper und alles in mir schreit vergeblich nach einem tröstenden Halt. Ich will nicht mehr weiter erzählen, aber das kann ich Chiara schlecht sagen.
Würde sie es verstehen?
Vielleicht.
Würde es ihr etwas ausmachen, wenn ich jetzt abbreche?
Ja.
Würde sie enttäuscht von mir sein und mich verurteilen?
Ich weiß es nicht.
Doch auch wenn ich nicht weiter reden möchte, tue ich es: „Den hatte ich früher öfter, aber schon seit ein paar Jahren wurde er seltener und letzten Endes ist er ganz aus geblieben." Jetzt fällt es mir nur noch schwerer alles zu beichten, aber ich rede trotzdem weiter.
„Aber heute, besser gesagt gestern habe ich mit meinem Bruder gesprochen und alles ist wieder hochgekommen. In meinem Unterbewusstsein, und auch Bewusstsein hat sich alles vor mir abgespielt. Deswegen hatte ich diesen Traum."
Meine Wangen werden heiß und mir wird erst jetzt bewusst, wie wenig Sinn mein Gestammel ergibt. All die inneren Wunden sind erneut aufgerissen und bluten stumm und leise vor sich hin. Und ich kann nichts dagegen tun.
Schweigend starre ich auf die Hand von Chiara, die meine Hand immer noch leicht berührt und zucke zusammen als sie beginnt mit ihren Fingerspitzen über meine Haut zu streichen. „Du musst dich nicht dafür schämen, dass du etwas träumst Fabian. Das ist menschlich... Und auch für einen Albtraum muss man sich nicht geniert fühlen. Denn es ist völlig normal. Du kannst mir deine Ängste ruhig zeigen", redet Chiara sanft auf mich ein.
Durch ihr beruhigenden Worte strömt das Blut nur noch schneller und ich weiß nicht wie es zu stoppen ist.
Was ich auch nicht weiß ist, warum es bei diesen Worten einfach weiterfließt.
„Ich habe keine...", beginne ich abzustreiten, aber beende meinen Satz nicht.
Wenn ich Angst noch hinzugefügt hätte, dann wäre es nichts weiter als eine Lüge.
Und ich möchte Chiara nicht anlügen.
Nicht dieses Mädchen, das gerade für mich da ist.
Nicht dieses Mädchen, welches mich zu verstehen scheint und mir zuhört.
Nicht dieses Mädchen, mit dem ich Zeit verbringen will und bei dem ich mich nicht verstellen muss.
Nicht dieses Mädchen, bei welchem ich, ich selbst sein kann!
„Schon gut. Du musst nicht immer der Starke sein", Chiara lächelt scheu und drückt tröstend meine Hand.
Krampfhaft schlucke ich den Klos in meinem Hals hinunter und realisiere erst jetzt die Bedeutung ihrer Worte. „Ich bin nicht stark", wispere ich in die Stille und weiche ihren Blicken aus.
Chiara packt mein Kinn mit zwei Fingern und drückt es hoch, damit ich sie ansehen muss. „Oh doch Fabian", haucht sie mir entgegen. „Du bist stark! Du weißt es nur nicht."
Ich bin unfähig etwas zu sagen und schaue das wundervolle Mädchen, das mich aufbaut, einfach nur stumm an.
Wahrscheinlich werde ich nie beschreiben können welche Dankbarkeit ich gegenüber Chiara empfinde, weil es schlichtweg einfach nur unmöglich ist geeignete Worte dafür zu finden.
Denn es gibt keine!
„Was wolltest du eigentlich hier unten, Fabian?", erkundigt sich Chiara plötzlich in einem ganz normalen Plauderton, so als sei nichts gewesen. Ich bin ihr unendlich dankbar für diesen Themenwechsel und hebe meinen Blick um ihre Fragezu beatworten.
„Ich wollte etwas trinken", gebe ich leise zu und grinse schräg.
„Aber eigentlich wolltest du einer, für dich, unangenehmen Situation entkommen",grübelt Chiara und ich kann nur entgeistert den Kopf schütteln.
„Du bist mir manchmal echt unheimlich. Weißt du das eigentlich?", gebe ich dann bekannt und erhebe mich schwerfällig von dem Boden, nur um mich gleich darauf auf der Couch auszubreiten.
Unsicher lächelt mir Chiara entgegen und ich erwidere das Lächeln leicht. Von der Müdigkeit übermattet schließe ich die Augen und verspüre einige Augenblicke später wie sich ein zierlicher Körper an mich kuschelt.
Unwillkürlich muss ich grinsen und öffne meine Augen wieder.
„Hoffentlich beginnt der morgige Tag nicht so wie das Fiasko heute Morgen. Da sind wir nämlich auch zusammen eingeschlafen",bemerkt Chiara in dem selben Moment, aber ich bin zu müde um ihr zu antworten.
Der Tag heute hat mich sehr viel Energie gekostet.
Erst die Sorgen um Chiara, dann der Streit mit allen und das Gespräch mit meinem Bruder.
Zu guter Letzt auch noch mein Albtraum und jetzt das mit Chiara!
„Schlaf", vernehme ich die beruhigende Stimme von Chiara und spüre wie sie mir zärtlich über die Wange fährt. Müde blinzele ich mit den Lidern.
„Hey, dieser Part gehört mir", protestiere ich schwach, aber sie ignoriert mich und streicht beruhigend weiter über meine Haut.
Wohlig seufze ich auf und versinke regelrecht in ihren grünen schimmernden Augen. Sie ziehen mich in einen unaufhaltsamen Bann und lassen mich nicht gehen.
Ihre Mundwinkel sind nach oben gehoben und das lässt ihre Erscheinung noch mehr den Raumer hellen.
Gott, was macht diese Mädchen nur mit mir?
Doch als ich blinzeln muss ist der Moment schlagartig vorüber und ich wende den Blick ab, während Chiara es sich auf meiner Brust bequem macht.
Vorsichtig und zugleich unsicher lege ich meinen Arm um sie herum und ziehe sie an den Hüften näher an mich heran.
Leise schnappt sie nach Luft und ich lächele glücklich vor mich hin.
Wie das wohl aussieht mit geschlossenen Augen?
Chiara platziert ihre rechte Hand auf meinem Bauch und zeichnet dort leicht die Umrisse meiner Muskeln nach.
„Wer zu Letzt lacht, lacht am besten", flüstert Chiara in die Stille, als sie spürt wie ein Zittern durch meinen Körper fährt. Atemlos puste ich die Luft aus.
„Gute Nacht Fabian", murmelt Chiara mir zu und ich versuche derweil meinen Atem wieder zu normalisieren.
„Gute Nacht Chiara", gebe ich komplett kraftlos von mir, bevorich in einen traumlosen Schlaf entschwinde.
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