Kapitel 37
„Da ist ja schon wieder unser kleiner Streber! Na... Bist du bereit für deine Tracht Prügel?", er grinst mich schmutzig an und mein Blick huscht ängstlich zwischen ihm und seinen Freunden hin und her.
Alle fünf sehe aus wie Kleiderschränke, obwohl sie erst in der fünften Klasse sind und somit zwei Jahrgänge über mir. Marc, der Größte von allen, lächelt schmierig und reibt sich unternehmungslustig die Hände: „Also pass mal auf du kleiner Schisser! Ich bin hier der Boss und das bleibt auch so. Und du...du wirst dich deinem Schicksal fügen müssen. Hast du das verstanden, oder sollen wir etwas nachhelfen?"
Er gibt seinen furchteinflößenden Freunden ein Zeichen und daraufhin kommen die Muskelpakete langsam und mit Bedacht auf mich zu geschlichen.
Am liebsten würde ich einfach nur davon laufen, aber ich würde zum einen nicht weit kommen und zum anderen weiß ich, dass ich im Nachhinein bitter dafür bezahlen müsste!
Die vier Jungen umkreisen mich, sodass ich keine Chance mehr habe zu entkommen und in mir steigt die Panik auf.
Wieso haben diese Kerle es so auf mich abgesehen?
Ich weiß es nicht...
Ich stehe in mitten der vier, die nur auf das Zeichen ihres Anführers warten um mich fertig zu machen. Schutzlos bin ich ihnen ausgeliefert und ich zittere an meinem gesamten Körper, denn was soll ich auch anderes tun?
Meine Statur ist alles andere als muskulös und ich bin weder groß noch schlagfertig.
Ein Niemand bin ich. Ein absoluter Niemand!
Doch ich weiß was passieren wird, wenn ich ihnen meine Ängste zeigen werde. Seinen Freunden und ihm wäre das mehr als passend und sie würden mich noch mehr rannehmen, als sie es ohnehin schon tun.
Schon seit drei Jahren halte ich diesem Albtraum stand!
Dann werde ich es ja wohl noch schaffen, auch dieses Mal alles einfach nur an mir vorbeiziehen zu lassen. In einem Jahr ziehen wir von Cardiff nach London und hoffentlich kann ich dann in Frieden leben.
Noch ein Jahr, dann ist alles vorbei und ich bin raus aus dieser grauenhaften Schule!
Das ist der einzige Lichtblick den ich momentan habe. Doch so schön wie es auch klingt, traue ich mich gar nicht zu glauben, dass es wirklich wahr werden soll.
Wortlos formt Marc mit seinen Lippen ein Wort: „Jetzt." Das ist das Zeichen, auf welches seine vier Freunde schon die ganze Zeit gewartet haben und einer von ihnen tritt vor. Er nimmt sich meine Schultasche und leert sie über mir aus.
Bücher, Stifte, Blätter und mein Pausenbrot hageln auf mich ein und treffen mich schmerzhaft an meinem Kopf.
Bleib stark, rede ich mir Mut zu, auch wenn ich weiß, dass es so gut wie aussichtslos ist!
Als mich jedoch eine der Bücherecken schmerzhaft an der Seite meines Kopfes trifft zucke ich zusammen und ein wimmernder Laut kommt über meine Lippen. „Hat das wehgetan?", hämisch glotzt der Übeltäter mich an und ich streite es sogleich ab, in dem ich meinen Kopf schüttele.
Das hätte ich lieber nicht getan, denn prompt landet die Faust eines anderen Jungens in meiner Magengrube und ich taumele rückwärts.
„Hat das wehgetan?", brüllt der dritte Junge mich an und ich nicke nur, was sich als eine ebenso dumme Entscheidung, wie davor, herausstellt.
Vor Schmerz geblendet bemerke ich gar nicht, wie Marc jetzt vortritt und mir noch einmal grob in den Bauch schlägt.
„Dann wollen wir unseren Freund hier mal lehren was wirklicher Schmerz bedeutet! Oder Männer?", grinsend schaut er seine Jungs an und sie klatschen sich alle johlend ab. Gleich darauf spüre ich feste Tritte und harte Schläge auf meinem gesamten Körper und zucke bei jeder noch so kleinsten Berührung, vor schrecklichen Schmerzen, zusammen.
Ich bin nicht mehr siebzehn sondern acht Jahre alt.
Allein und schutzlos.
Komplett auf mich allein gestellt.
Ich habe nicht die Kraft mich alleine zu wehren und den Mut dazu bringe ich erst recht nicht auf!
Ein typischer Bilderbuchschwächling eben.
Ja, genau so einer bin ich!
„Hast du schon genug?", vernehme ich da wieder die schmierige Stimme des Größten und ich nicke schwach mit dem Kopf. Sie werden so oder so weitermachen, egal was für einen Antwort ich ihnen erteile. Wenn ich keine Schmerzen zeige, dass werden sie wütend, weil sie scheinbar nicht fest und hart genug schlagen und wenn ich ihnen meine unerträglichen Schmerzen zeige, dann spornt es sie nur noch mehr an!
Keineswegs lohnt es sich zu kämpfen, weil es nahezu hoffnungslos ist. Ich stehe alleine da, ohne Freunde und ohne meinen Bruder, der mich früher immer vor so Arschlöchern beschützt hat.
Aber jetzt ... jetzt hat er sich gegen mich verschworen und steht auf einer anderen Seite.
„Dein Bruder wird nicht immer deine Probleme für dich regeln können. Du solltest besser mal anfangen zu lernen auf eigenen Füßen zu stehen!", flüstert der kleinste Junge der Gang und die anderen zischeln zustimmend.
Es ist als könnten sie alle meine Gedanken und Gefühle lesen, so als wäre ich ein Buch, und das macht mir noch viel mehr Angst als schon ihre alleinige Präsenz.
Ich vernehme schnelle Schritte und Sekunden später lehnt sich mein Bruder an die kühle Backsteinwand in dieser dunklen Gasse. Wenn man von dem Teufel spricht!
„Hey", begrüßt der Anführer Leon und dieser nickt Marc nur distanziert zu.
„Hey!"
Als sein Blick kurz den meinen streift und er sieht, wie ich mit meinen ganzen verstreuten Sachen auf dem Boden liege, huscht ein trauriger Ausdruck um seine Züge. Leon macht einen Schritt nach vorne, als ich mich am Boden vor Schmerzen winde, und er sieht aus, als möchte er etwas sagen oder tun, aber der warnende Blick von Marc hält ihn in Schach.
Verzweifelt versucht er zu mir zu gelangen, aber Marc hält ihn an der Schulter fest und wispert ihm etwas in sein Ohr.
Daraufhin hört mein Bruder auf sich zu sträuben und schüttelt nur stumm und kreidebleich den Kopf. Ein letzter, gezielter Tritt in meine Seite lässt mich aufstöhnen und dann ziehen sich die Jungs zurück. Ich mache mir nicht die Mühe aufzustehen und meine Sachen einzusammeln, denn wenn ich dies vor den Jungs tue werden sie erneut zu schlagen.
Zitternd vor Angst und quälenden Schmerzen bleibe ich einfach nur auf dem Asphalt gepresst liegen und blende meine Gedanken aus. Während dieser ganzen Prozedur hält Marc Leon eisern fest und lässt ihn nicht zu mir.
Er setzt meinen Bruder unter Druck, genau wie er es bei mir tut! Doch wenn Leon gewollt hätte, dann hätte er mir auch geholfen.
Bin ich ihm gleichgültig?
Ist es ihm so egal wie es mir geht, dass er sogar zu sieht, wie sein eigener kleiner Bruder von seinen "Freunden" verprügelt wird?
Ja, ich denke schon!
Es ist bitter, aber leider Gottes die Wahrheit. Zumindest denke ich das so.
Dagegen kann ich mich nicht wehren, denn es ist ein nicht zu ändernder Fakt!
Aber wenn ich geglaubt habe, dass die tägliche Prügelrutine schon zu Ende ist, dann habe ich mich gründlich geschnitten.
Erneut tritt der Anführer vor und beugt sich über mich, sodass sich unsere Nasenspitzen fast berühren.
„Wir zwei...wir sind noch nicht am Ende. Glaub nicht, dass wir hier schon fertig sind!", flüstert er dann bedrohlich und holt mit seiner Hand aus. Sie ist zu einer Faust geballt und bereit mir meine Nase in wenigen Sekunden zu zerschmettern.
„Fabian", vernehme ich in dem Hintergrund die panische Stimme meines Bruders. „Marc hör auf! Lass ihn in Ruhe! Nimm mich, bitte nimm mich. Aber hör auf Fabian das anzutun! Er hat dir nie etwas getan. Marc! Bitte!", schreit Leon hinter Marcs Rücken, aber diesen lässt das kalt.
„Nein", fleht Leon schreiend und befreit sich aus den Griffen der anderen Jungen. Doch da saust die Hand meines Peinigers auch schon herab und in dem Bruchteil einer Sekunde entscheide ich mich dazu mich von meinem Leben zu verabschieden, denn ich kann nicht mehr und ich will auch nicht mehr!
Danke Mama, Papa, Leticia und auch Leon.
Für alles!
„Nein Fabian, nein!", brüllt mein Bruder und stürmt auf mich und Marc zu, um sich zwischen uns zu schmeißen. Ich schließe die Augen und dann passiert es.
Ein Klatschen ertönt und ich spüre eine flache Hand auf meiner linken Wange. Dann nochmal und noch ein drittes Mal. Dazu ertönt eine besorgte Stimme die meinen Namen ruft: „Fabian! Verdammt, Fabian wach auf!"
Schweratmend öffne ich meine viel zu schweren Lider und sehe eine dunkle und große Gestalt vor mir. „Nein, bitte nicht!", stammele ich und weiche panisch zurück.
Die Gestalt kommt trotzdem weiter auf mich zu und streckt die Hand nach vorne. „Schlecht geträumt?", will jemand mitfühlend wissen und ich erkenne sofort wer mit mir redet.
„J...Jason?", will ich aber noch zu meiner Sicherheit wissen und mein Freund nickt. Dann wiederholt er seine Frage und mustert mich besorgt. „Ja. So ziemlich", gebe ich zittrig zurück und probiere mich zu entspannen.
Jason greift nach meiner Schulter und drückt sie tröstlich. „Es ist alles gut. Das Ganze war nur ein Traum", versucht er mich zu beruhigen und ich schwinge meine Beine über die Bettkante.
„Ja es war nur ein Traum", stimme ich ihm zögernd zu.
Oh Jason, wenn du, nein ihr alle, nur wüsstet was es wirklich ist...
„Möchtest du darüber reden", erkundigt er sich dann auf einmal und ich schüttele abwehrend den Kopf. „Ist schon okay. Geht es dir auch wirklich gut? Ich meine jetzt nicht wegen dem Traum, sondern bezüglich vorhin", fragt Jason mich weiter aus und mir bleibt nichts anderes mehr übrig, als ihm zu antworten.
„Ja. Alles ist gut. Mir ging es nur nicht so gut und...na ja, mein Bruder hat halt darauf bestanden, dass ich mich früher hinlege. Nichts Dramatisches! Wirklich nicht!", beteuere ich heftig und nicke wie um meine Aussage zu bestätigen mit dem Kopf.
„Wenn du meinst", mein Freund betrachtet mich eingehend.
„Hatte der Traum etwas mit Leon zu tun? War es überhaupt ein Traum?" Diese zwei Fragen lassen mich keuchend nach Luft schnappen und ich starre Jason entgeistert an.
Mir bleibt die Luft weg und ich atme schnell und ruckartig. Jasons Gesichtsausdruck schwankt zwischen Verwirrung und Bestürzung: „Fabi?"
Es ist fast schon erschreckend, dass er es gefragt hat.
Weiß Jason etwas?
Und wenn ja, was weiß es?
Oder vermutet Jason was?
Hat Leon ihm womöglich einige Details anvertraut?
„Woher?...Wie?...", stammele ich unzusammenhängend und vergrabe meine Hände in meinen Haaren. „Beruhig dich Fabian", sagt mein Freund eindringlich und ich trommel nervös mir meinen Fingerspitzen auf meinem Oberschenkel herum.
Verdammte Kacke!
Auf keinen Fall dürfen unsere Freunde erfahren was damals passiert ist. Sie dürfen nicht wissen was vor meiner Zeit am Bryer passiert.
Die anderen dürfen noch nicht einmal ahnen was in Cardiff passiert ist!
Keineswegs bin ich durch den Vorfall irgendwie depressiv geworden oder bin traumatisiert, aber die vier schlimmen Jahre in meiner Kindheit haben schon ihre Spuren hinterlassen. Seelische Spuren, aber auch ein paar wenige Körperliche. Eine Narbe die sich an meinem Oberarm entlang zieht, erinnert mich an meinen letzten Tag in der vierten Klasse.
„Du hast geredet. Im Schlaf...", Jason holt mich wieder in die Realität zurück und ich starre ihn einfach nur ausdruckslos an. Zu mehr bin ich nicht fähig.
„Behalte es einfach nur für dich", sage ich dann kratzig und flehe stumm, mit meinem bittenden Blick, um Verständnis.
„Ja das werde ich", verspricht mir Jason und setzt sich neben mir auf das Bett.
„Aber manchmal ist es besser über bestimmte Dinge zu reden! Du bist nicht alleine und ich werde unser Gespräch hier und jetzt für mich behalten, aber du kannst immer zu mir kommen und mit mir sprechen", fügt mein Freund hinzu und sorgt dafür, dass ich dadurch in mir zusammenfalle.
Ich möchte kein Mitleid und schon gar nicht von meinen Freunden, meinem Bruder oder Chiara, aber am aller wenigsten von Jason!
Jason ist so etwas wie mein großer Bruder und er war auch immer für mich da.
Er hat mich gut in seinen Freundeskreis integriert und mir geholfen meine Schüchternheit zu überwinden.
Ja, ich war auch mal schüchtern, klein, ängstlich, dumm und total naiv.
Aber durch ihn hat sich das alles geändert und Jason ist zu einem meiner engsten Freunde geworden. Vielleicht scheint es komisch, dass Leon und ich denselben Freundeskreis haben auch wenn er eine Stufe über mir ist, aber ich hänge auch oft mit den Jungs aus Year 11 rum, also ist es ziemlich ausgeglichen.
Komisch ist nur, dass ich vor diesem Urlaub noch nicht so viel mit Chiara zu tun hatte, obwohl sie die Schwester meines besten Freundes ist!
Auf einmal schlingen sich zwei starke Arme um mich und verblüfft muss ich feststellen, dass Jason mich gerade wirklich umarmt.
Wie lange ist es wohl her, dass mich einer meiner Freunde umarmt hat?
Also eine richtige Umarmung?
Keine Ahnung... Auf jeden Fall muss es sehr lange her sein, wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann!
Es fühlt sich schön an von jemandem im Arm gehalten zu werden und ich genieße es aus vollen Zügen. „Für was war das?", frage ich leise und lächel. „Spontaner Einfall", Jason zuckt mit den Schultern und grinst schräg. „Außerdem hatte ich das Gefühl, dass du das mal gebrauchen könntest", hängt er noch hintendran und ich nicke nachdenklich.
Ja, da hat Jason recht!
„Aber nicht, dass du dich jetzt gleich in mich verliebst, verstanden!? Ich habe eine Freundin Fabian", scherzhaft droht er mir mit dem Zeigefinger. „Was?", schockiert starre ich ihn an. „Und ich dachte schon du bist schwul oder wenigstens bisexuell. Ich habe mir schon Hoffnungen gemacht. Jason, wie kannst du nur?"
Glucksend murmelt Jason etwas vor sich hin und ich breche in schallendes Gelächter. Allein die Vorstellung erscheint mir surreal!
„Du bist mir also nicht mehr böse?", frag ich dann nach einer Weile, in der wir uns wieder einigermaßen beruhigt haben. „Ich und dir böse? Weswegen? Wie kommst du denn darauf?", stirnrunzelnd schaut mein Freund mich an und ich muss lächeln.
Das ist eine eines der weiteren Dinge die ich so an Jason schätze. Er ist nie nachtragend!
„Na ja...die Sache mit Chiara", nervös spiele ich mit einer Haarsträhne herum. „Ach Quatsch", wiederspricht Jason mir heftig und schüttelt den Kopf.
„Dir könnte ich niemals lange böse sein und außerdem war es ein Unfall! Meine Schwester hat da schon recht. Weder du noch sie kann was dafür, also mach dir dies bezüglich am besten keine Gedanken mehr."
„Okay", murmele ich leise und stehe von meinem Bett auf, was meinem Freund einen fragenden Laut entlockt. „Ich hole mir schnell etwas zu trinken", erkläre ich kurzangebunden, denn aus irgendeinem unbeschreiblichem Grund ist mir die Situation gerade mehr als unangenehm. Warum, weiß ich allerdings selbst nicht...!
„Tu das, aber sei bitte so leise wie möglich. Die anderen schlafen schon Immerhin ist es schon halb eins und kein normaler Mensch ist da eigentlich noch wach", rät Jason mir noch. Kurz zeige ich zwischen ihm und mir hin und her und hebe dann eine Augenbraue: „Eigentlich..."
„Hast recht", lacht Jason und fügt noch hinzu: „aber seit wann sind wir beide auch normal?" „Auch wieder wahr."
Leise lachend gehe ich auf den Flur und ziehe die Tür geräuschlos hinter mir zu.
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Leute, ich liebe dieses Kapitel!
Also wenn ich so jetzt neutral draufschaue... (Wisst ihr wie ich meine?)
Keine Ahnung, ich mag Fabians verletzliche Seite total und ganz im Ernst, ich finde es viel besser, wenn die Jungs in Büchern auch nicht immer so stark sind! Okaaaay, genug von meiner Meinung!
Was haltet ihr von diesem Kapitel?
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