Kapitel 36
Ein Klingeln reißt mich aus meinen Träumereien und Chiara und ich springen gleichzeitig auf. Sie eilt vor raus und öffnet ihrem Bruder und Felix die Tür, die beladen mit fünf Pizzakartons davor stehen.
„Sind euch da auf dem Weg hier her etwa zwei verloren gegangen oder was? Immerhin sind wir zu siebt", entrüstet stemme ich die Hände in die Seiten.
„Nein du kleine Heulsuse. Das hat schon alles seine Richtigkeit", gibt Felix grinsend zurück und ich strecke ihm die Zunge bezüglich der „Heulsuse" entgegen.
„Kleinkinder", murmelt Chiara derweil kopfschüttelnd und wir Jungs brechen in ein lautes Gelächter aus.
„Was soll das denn heißen?", beschwert sich ihr Bruder.
„Wie sind alle viel älter als du!"
„Na ja...viel!? So kannst du unseren Altersunterschied aber nicht definieren", kontert Chiara feixend.
„Außerdem benehmt ihr euch nicht wirklich reifer und erwachsener als ein Kleinkind...", entgegnet sie dann noch schlagfertig und nimmt Jason zwei Kartons ab. „Frechheit", mault Jason und ich lache einfach nur.
Chiara verschwindet Richtung Küche und Jason, Felix und ich folgen ihr. „Rieche ich da Pizza?", ruft Chris prompt, als wir das Wohnzimmer betreten und die Pizzen auf dem großen Esstisch abstellen.
„Ja, das tust du tatsächlich", grinst Chiara, während ich eine nicht so nette Bemerkung fallen lasse. „Fresssack."
„Wie bitte?", empört sich Chris auch so gleich, aber ich lächele nur scheinheilig und tue so, als hätte ich nichts bemerkt.
„Leon!", ruft mein Freund wütend und kommt langsam auf mich zu. „Wiederhole dich nochmal..." „Ich sagte Fresssack", wiederhole ich wie gewünscht meine Wortwahl und Chris schnalzt missbilligend mit der Zunge.
„Darf ich dich daran erinnern, dass du letztens derjenige warst der nach dem Training ganze drei Burger inhaliert hat", meint er dann sauer und ich beiße mir auf die Lippen um versuchen so ernst wie möglich zu bleiben.
„Daran erinnern darfst du mich natürlich, aber zu meiner Verteidigung: Wir hatten ein echt anstrengendes Lacrosse - Training! Also zählt dein Argument nicht. Außerdem hast du damals auch nicht gerade wenig verdrückt, mein Freund", gebe ich lachend zurück und hole Teller aus dem Küchenschrank, um Chiara dabei behilflich zu sein den Tisch zu decken.
„Das ist sehr wohl ein Argument", behauptet Chris engstirnig, aber ich lasse diese unsinnige Diskussion fallen und erkundige mich lieber bei Jason über die nächsten Tagesverläufe.
„Also ich habe Chiara versprochen, dass wir auf die Beach-Party in Saint Tropez gehen. Die Stimmung dort ist immer super bombastisch und das Ambiente ist auch echt cool", beginnt Jason zu berichten, wird aber von Chris unterbrochen.
„Party? Episch!", ruft er und seine Augen beginnen zu glänzen.
„Du bist doch nicht mehr ganz bei Trost", stellt Nico mit verzogenem Gesicht fest und tauscht einen Blick mit mir. Heftig nickend stimme ich ihm zu.
„Hast du heute irgendetwas genommen oder so?", erkundigt sich jetzt auch Felix und lacht leise vor sich hin.
„Nur eine extra Portion Gute Laune, warum?", grinst Chris zurück und bekommt daraufhin von Nico den kreisenden Finger an der Schläfe geschenkt.
„Abgesehen davon wollten wir noch mit einem Katamaran an der Küste entlang fahren. Das stelle ich mir ganz witzig vor, weil man die Côte d' Azur dann aus einem anderen Blickwinkel sehen kann. Das ist bestimmt ganz schön", knüpft Jason wieder an und jetzt nicke ich mit dem Kopf.
„Ja ich wollte schon immer mal mit einem Katamaran fahren!"
„Dann ist mein Vorschlag also nicht ganz so schlecht", räumt Chiara in diesem Moment ein und ich grinse schief.
„Allerdings."
„Aber nichtsdestotrotz müssen wir morgen noch einkaufen gehen, weil wir haben nichts mehr da. Warum, möchte ich lieber gar nicht erwähnen", wirft Chiara in den Raum und sieht uns alle finster an. Wir Jungs weichen ihren Blicken schuldbewusst aus und zeigen sichtliches Interesse an dem Fußboden.
„Na ja. Jetzt ist es eh egal, also lasst uns endlich etwas essen, weil ich verhunger gleich und das wollt ihr doch nicht, oder?" „Nein, natürlich nicht!", erwidert Nico gespielt entsetzt und ich begebe mich zu dem Tisch, der in der Mitte des Raumes steht, auf welchem schon alle fünf Pizzakartons offen liegen.
Die beiden Jungs haben Salami-, Margaritha- und Thunfischpizza gekauft. Dazu noch eine Pizza Diabolo und Hawaii, aber die mag ich eh nicht so.
Mal ehrlich! Wer mag schon Ananas auf einer Pizza?
Und dann noch mit der Kombination aus Käse, Teig und Tomatensoße.
Einfach nur widerlich!
Allein von dem Geruch wird mir schon schlecht, aber der Geschmack ist einfach nur abartig.
Während sich alle auf Pizzahawaii- und Diabolo werfen, bedienen sich Chiara und ich an den anderen drei. „Du bist also auch nicht so der Fan von Ananaspizza oder?", fragt ich schmunzelnd als wir und über den Karton mit der Margaritha beugen.
Daraufhin sträubt sie sich und erklärt mir: „Damit könntest du mich jagen."
„Ananas, Schicken und Käse? Bei aller Liebe zu Pizza, aber das geht echt gar nicht... Wenn ich das auch nur ansetzweise essen müsste, dann würde mein Magen beginnen zu rebellieren", ich lache auf, weil ich genau ihrer Meinung bin.
Allein bei dem Gedanken daran das essen zu müssen wird mir schlecht!
Wie beide strecken gleichzeitig unsere Arme aus um nach einem Stück Pizza zu greifen. Dabei treffen sich unsere Fingerspitzen über dem besagten Stück und zig tausend Volt schießen durch meinen Arm hindurch.
Alles an mir fängt an zu kribbeln und ich muss schwer schlucken. Chiara hebt den Kopf und lässt dabei ihre Hand genau in der Position wie ich meine. Ein Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht und das erwider Chiara nur zu gerne.
Die Verbindung zwischen uns knistert wie eine elektrische Ladung in der Luft und breitet sich spürbar im gesamten Raum aus.
Diese Mädchen bringt mich derart um den Verstand!
Mein Verstand ist so stark benebelt, dass ich überhaupt nicht denken kann.
Was passiert nur mit mir?
Der Moment wird jäh durch ein lautes Gelächter einer meiner Freunde unterbrochen und Chiara greift zu erst nach ihrem Pizzastück. Zusammen mit Chiara setze ich mich auf den Küchentresen und wir reden über alle möglichen Dinge. Während wir unser Gespräch vertiefen, begeben sich die anderen auf die Couch und reden dort alleine weiter.
Ich stelle fest, dass ich es einfach genieße nur hier mit Chiara zu sitzen, mit ihr Pizza zu essen und uns über belanglose Dinge zu unterhalten.
„Ich habe noch eine Überraschung für dich", tönt es dann aus der Richtung von der Couch und Chiara und ich drehen sich zu den andern um. Jason schaut Chiara lächelnd an und sie hebt interessiert eine Augenbraue.
„Was denn?", will sie es begierig wissen und beugt sich wartend vor. Die ganzen Blicke wandern zwischen ihr und Jason hin und her und Chiara macht eine weitausholende Geste, um ihrem Bruder zu signalisieren, dass er weiter reden soll.
„Ich sage nur: Ein ganz schicker Ort mit vielen... ähm ja Menschen", stottert er und Chiaras Augen weiten sich sehr.
„Nein", haucht sie leise neben mir. „Doch", entgegnet Jason lächelnd und legt den Kopf schief.
„Kann uns hier jemand mal aufklären um was es geht?", frage ich etwas irritiert und wechsel erstaunte Blick mit den anderen.
Der Einzige der noch etwas zu verstehen scheint ist Nico denn er grinst: „Das werdet ihr morgen erfahren." Damit muss ich mich wohl zufrieden geben und ich wende mich wieder meinem Gespräch mir Chiara zu.
„Willst du noch ein Stück?", erkundige ich mich bei ihr, nachdem wir beide unsere Margarithapizza aufgefuttert haben. „Ja bitte. Wenn es geht Salami?", bittet Chiara mich und ich nehme ihren Teller entgegen. „Natürlich geht das."
Ich steuere auf den Tisch zu und nehme ein Stück der Salamipizza und für mich noch eine Margaritha.
Ich weiß, dass ich langweilig bin, aber ich mag schlichte Pizzen einfach viel mehr, als mit haufenweisem Belag.
Gerade als ich mich wieder zurück zu Chiara begeben will kommt mein Bruder an den Tisch und genehmigt sich ein kleines Stück Pizza.
„Geht es dir nicht gut?", frage ich leise und sehe Fabian besorgt an. Er sieht fast so schlimm aus wie ich an den Tagen kurz bevor wir nach Frankreich gefahren sind.
„Seit wann interessiert es dich denn wie es mir geht?", murmelt er rau.
Wahrscheinlich wollte er möglichst gleichgültig und leichthin klingen, doch seine Stimme trieft nur so von Traurigkeit, Erschöpfung und Müdigkeit.
„Fabian du bist mein Bruder", versuche ich verzweifelt ein Gespräch aufzubauen und wie es aussieht gibt Fabian jede auch nur kleinst mögliche Gegenwehr auf, denn er seufzt frustriert. Wahrscheinlich auch, weil er einfach keine Kraft mehr übrig hat um sich mit mir anzulegen.
Diese benötigt er momentan meiner Ansicht nach mehr dafür sich aufrecht zu halten. „Mir geht es einfach nur schlecht. Mein Kopf dröhnt und fühlt sich an, als würde er gleich jeden Moment bersten. Zufrieden?", beantwortet mein Bruder meine Frage patzig und stützt sich, wie um seine Aussage zu bekräftigen, auf die Lehne eines Stuhles.
„Geh in dein Bett und schlaf", sage ich sanft und lasse meinen Bruder nicht aus den Augen, doch der schüttelt nur widerstrebende den Kopf. „Bitte", setze ich noch hinzu und Fabian hebt erstaunt den Kopf.
„Ich mache mir nur Sorgen um dich, weil ich nicht möchte, dass es dir schlecht geht. Ist das etwa so schwer zu verstehen?", versuche ich meinem kleinen Bruder begreiflich zu machen, dennoch schüttelt dieser bitter den hängenden Kopf.
„Das ist schwer zu glauben. Nicht nur schwer, sondern beinahe unmöglich! Leon lass es einfach. Damals hat es dich auch einen Dreck interessiert wie es mir ging.
Nein, es hat dich nicht nur nicht interessiert, sondern du warst auch noch daran beteiligt, dass ich jeden beschissenen Morgen mit einer so grauenhaften Angst aufwachen musste.
Du hast keine Ahnung wie das ist, wenn du von einem Tag auf den anderen alleine da stehst und sich dann auch noch der eigene Bruder, den du immer so bewundert und zu ihm aufgeschaut hast, weil der dein Vorbild war, gegen dich verschwört.
Weißt du eigentlich nur annähernd wie sich das anfühlt? Kannst du das auch nur ansatzweise nachempfinden?
Nein, das kannst du nicht! Und das wirst du auch nie können! Also sag mir jetzt nicht, dass es dich auch nur irgendwie kümmert wie es mir gerade geht. Denn ich bin dir schlichtweg scheiß egal."
Die Worte schlagen auf mich ein und ich verziehe gequält das Gesicht, denn es tut weh, wie Fabian mir das alles frontal in mein Gesicht schleudert. Allerdings habe ich es auch nicht anders verdient. Das weiß ich genau.
„Du hast recht. Ich weiß wirklich nicht, wie sich das anfühlt. Aber was ich ganz genau weiß ist, dass ich dich nicht nochmal so verstört sehen will. Ich möchte in dir wieder den kleinen, witzigen und fröhlichen Jungen sehen der du davor warst, bevor die ganze Scheiße damals passiert ist!
Und ich möchte auch dass du weißt, dass ich mir für dich da bin, da sein werde und du immer zu mir kommen kannst, wenn du etwas brauchst, weil ich dich unterstützen möchte. Fabian, bitte tu mir diesen einen Gefallen und leg dich in dein Bett!
Du siehst nicht besonders gut aus", flehe ich schon beinahe, denn ich fühle mich so unbeschreiblich hilflos.
So gerne möchte ich ihm helfen, auch wenn es dann nur dieses eine einzige Mal ist, aber er muss es dann auch zu lassen. Er hebt seinen Kopf und sieht mich nach all den ganzen Jahren nicht mehr mit diesem verachtenden, abschätzigen und kalten Blick an.
Nein, seine Augen strahlen etwas ganz anderes aus. In ihnen liegt eine stumme Bitte, dass alles wieder so wird bevor ich zu einem Arsch wurde. „Bitte geh schlafen", flüstere ich ihm leise zu und er nickt kaum merklich. „Ja", krächzt er dann schließlich und innerlich stöhne ich erleichtert auf, dass ich endlich gegen seinen Dickkopf angekommen bin.
„Warte kurz, ja?", befehle ich meinem Bruder und der nickt nur nochmal leicht mit dem Kopf. Ich hebe den Teller mit Chiaras Pizza von dem Esstisch und gehe damit schnell zu ihr herüber.
„Hier. Sorry, hat ein bisschen länger gedauert als geplant. Ist es für dich in Ordnung wenn ich...?", fragen deute ich auf Fabian und sie schenkt mir ein aufmunterndes und verständliches Lächeln.
„Na los geh schon. Dann genieße ich die Zweisamkeit mit meiner Pizza eben alleine." Sie kichert und auch ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Danke dir! Du hast was gut bei mir. Was Großes!"
„Lass stecken", entgegnet Chiara gutmütig und wünscht mir noch Glück.
Dann gehe ich zu meinem Bruder, der auf meine Pizza deutet und mir mitteilt: „Die wird noch kalt." Ungläubig starre ich ihn an und kann nicht glauben was er da gerade gesagt hat: „Scheiß auf die Pizza. Du bist mir im Moment sehr viel wichtiger!"
Fabians Mine erhellt sich für eine Millisekunde, macht dann aber Platz für ein trauriges Lächeln, untermalt von einem Kopfschütteln.
„Komm", fordere ich ihn auf und mit gesenktem Kopf geht er an unseren Freunden vorbei. Denen werfe ich entschuldigende Blicke zu, aber sie winken nur ab und lächeln mich an.
Zwar wissen die Jungs nicht was zwischen mir und meinem Bruder vorgefallen ist, aber sie wissen ganz genau, dass etwas passiert sein, weil wir beide in zwei so unterschiedlichen Welten leben.
Selbst Chiara weiß jetzt mehr als die Jungs und sie weiß schon gar nichts...!
Beruhigend lege ich meine Hand auf Fabians Rücken, als wir aus der Sichtweite der anderen sind. Sofort merke ich wie er sich verspannt und wenn man bedenkt was zwischen uns steht ist das auch nicht weiter verwunderlich.
Mein Bruder geht die Treppe hoch in den zweiten Stock und läuft bis zu dem Ende des Flures. Jasons und sein Zimmer ist das hinterste auf diese Etage.
Er öffnet die Tür und lässt mir den Vortritt. Eingehend betrachte ich das Zimmer. Es ist um einiges größer als meines, und mein Zimmer ist schon nicht klein, aber wenn man bedenkt, dass hier alles für mehr als eine Person eingerichtet ist, dann ist das auch nicht weiter verwunderlich.
Während ich Fabians Zimmer genau betrachte, setzt er sich auf sein Bett und lehnt sich mit geschlossenen Augen gegen die kalte Wand.
Ich sehe ganz genau wie er angestrengt versucht keine Schwäche vor mir zu zeigen und es ist beinahe erschrecken, dass sich mein eigener Bruder so sehr meinetwegen schämt.
Doch, nein.
Das ist keineswegs Scham!
Es ist pure Angst.
Mein Bruder hat Angst davor, dass ich diesen Moment irgendwie ausnutzen will und ihm wieder das Leben in eine reine Hölle umwandele. Aber das möchte ich nicht!
Ohne Fabian ein einziges Mal aus meinen Augen zu lassen setze ich mich auf die Bettkante von Jasons Bett und warte. „Ich dachte du wolltest, dass ich schlafe?", sagt Fabian unverblümt in die Stille hinein, aber es klingt mehr nach einer Frage, als nach einer Feststellung. „Will ich auch", entgegne ich schlicht.
„Willst du dann so lange hier sitzen bleiben bis ich eingeschlafen bin?", erkundigt er sich weiter misstrauisch. „Nein, weil ich genau weiß wie sehr du es hasst wenn dich jemand permanent anstarrt, obwohl du eigentlich schlafen willst", beantworte ich dann seine Frage und Fabian lässt derweil seinen Kopf auf seine rechte Schulter sinken.
Er sieht, nett ausgedrückt, total geschafft aus!
Allerdings ist es mir ein Rätsel warum...
„Was ist los?", fordere ich ihn dann auf zu erzählen.
„Leon, hör bitte einfach auf!", fleht Fabian du und ich bemerke wie er verzweifelt meinen Blicken ausweicht. „Hey, es ist alles gut. Du musst mir nichts erzählen wenn du nicht willst. Ich möchte lediglich wissen, ob das mit mir zu tun hat", sage ich leise zu ihm und mein Bruder schüttelt den Kopf.
„Nein hat es nicht. Zumindest nicht wirklich."
„Ich wollte mich übrigens noch für heute Nachmittag entschuldigen", beginne ich vorsichtig. „Dafür, dass ich dich angeschrien habe. Das war nicht korrekt und es tut mir leid. Es war einfach nur eine Kurzschlussreaktion und ich wusste nicht wirklich was ich tun sollte."
Auf das Einzige worauf ich gerade hoffe ist, dass Fabian mir diesen Fehler verzeiht. Ich werde es ihm aber auch nicht übel nehmen, wenn nicht.
„Schon okay. Ich hätte auch so gehandelt", winkt Fabian aber ab und verwundert darüber, dass er so einen kühlen Kopf behält, hebe ich eine Augenbraue.
„Ehrlich mach dir keine Gedanken. Irgendwie war ich auch selbst daran schuld", versichert mir mein Bruder leichthin und zuckt mit den Schultern.
„Danke", krächze ich und lächele ihn erleichtert an, doch Fabian schüttelt nur noch einmal den Kopf.
„Willst du mir sagen was dann los ist?", greife ich unser, na ja eigentlich eher mein ursprüngliches Thema auf, aber mein Bruder tut mir diesen Gefallen nicht, denn er quittiert meine Frage mit einem Kopfschütteln. „In Ordnung. Deine Entscheidung", keineswegs möchte ich ihn zu etwas drängen und deswegen belasse ich es dabei.
Erst jetzt fällt mir auf, dass mein Bruder unnatürlich bleich ist, doch trotzdem gerötete Wangen hat. „Ist dir heiß?"
„Relativ", bestätigt mein Bruder auch sofort und zieht sich, wie zu einer Bekräftigung, sein Shirt über den Kopf. Dieses wirft er auf den Sessel, der mitten in dem Raum steht. Dann streckt er sich auf deinem Bett aus, legt den Kopf auf das weiche Kissen und wendet ihn so um, dass er mich immer noch anschauen kann.
„Hoffentlich wirst du nicht krank", kommentiere ich nach einer Weile, in welcher ich Fabian gründlich gemustert habe. Er zuckt mit den Schultern, so als seine ihm diese Möglichkeit total egal.
Schwerfällig erhebe ich mich von Jasons Bett und gehe neben dem von Fabian in die Hocke. Vorsichtig strecke ich meinen Arm aus und lege meine Hand auf seine Stirn. Doch seine Temperatur erscheint mir normal, weswegen ich die Hand wieder zurückziehe.
„Du kannst dich auch ruhig hinsetzten", teilt Fabian mir mit und ich folge seiner Aufforderung sofort. Ich grinse ihn dankbar an und er lächelt schwach zurück.
„Fabi, es tut mir so unendlich leid", flüstere ich heiser und greife nach seiner rechten Hand. „Es tut mir so leid und ich wünschte ich könnte das Alles irgendwie ungeschehen machen. Egal wie, Hauptsache so, dass es nie passiert wäre!"
„Ich weiß Leon", antwortet mein Bruder genauso leise wie ich.
„Aber ich kann nicht..."
Er entzieht seine Hand aus meiner und wendet den Blick ab. „Das ist okay, aber ich möchte, dass du weißt, dass ich dich lieb habe und immer hinter dir stehe!", traurig schüttel ich den Kopf und Fabian seufzt einmal tief. „Ich weiß."
Mein Bruder schließt gequält die Augen und fährt sich mit der Hand über seine Schläfen. Als er seine Augen wieder öffnet unterdrückt er ein Stöhnen und alles in mir drinnen zieht sich schmerzlich zusammen.
Am liebsten würde ich ihn jetzt einfach nur in den Arm nehmen, so wie ich das früher immer gemacht habe. Aber es steht mir nicht zu und das weiß ich ganz genau.
Mein Bruder wendet sich mir wieder zu und ich erkenne wie Schmerz und Trauer um seine Züge schleichen. Erneut schließt er seine Lieder und raunt dann leise in die Stille hinein: „Warum? Warum hast du das damals getan?"
„Ich wollte unbedingt dazugehören. Zu dem Zeitpunkt habe ich die Tragweite meines Tuns nicht einmal verstanden und ich hatte keine Ahnung, dass es dir so schlecht geht.
Du hast nie etwas gesagt und ich war noch viel zu klein und dumm um zu realisieren, was in die vorgeht. Mir war überhaupt nicht bewusst, dass du so sehr leidest.
Zwar wusste ich, dass du dich nicht wohl fühlst und das hat man dir auch angesehen, aber ich habe nie habe ich auch nur ansatzweise gedacht, dass es so schlimm ist. Wenn ich es gewusst hätte, dass hätte ich es sofort beendet.
Nein... eigentlich nicht. Zwar hätte ich es gewollt, aber ich hätte nicht gewusst wie. Aber wenn ich einen Ausweg gesehen und auch gefunden hätte, dann wäre ich da rausgegangen. Egal wie viel es gekostet hätte", versichere ich meine Bruder eindringlich.
Erneut nickt Fabian, doch ich kann nicht deuten was er empfindet oder fühlt, da seine Augen geschlossen sind.
„Schlaf", flüstere ich ihm leise ins Ohr und streiche kurz mit meiner Hand über seinen Arm.
Derweil betrachte ich ihn.
Er ist so verletzlich, so klein und auch wenn er immer auf einen Starken tut ist er nichts anderes, als ein Junge der Liebe benötigt so wie jeder andere Mensch!
Und es tut mir unfassbar weh, dass ich ihn so verändert habe.
„Danke", krächzt Fabian da auf einmal erschöpft und ich hebe verwundert den Kopf. „Für was?" „Für das, was du mir gerade gesagt hast. Wenigstens weiß ich es jetzt", murmelt er schläfrig und ich muss lächeln.
Wie es scheint habe ich gerade das Eis zwischen uns gebrochen...zumindest bin ich auf dem Weg dorthin.
„Schlaf", wiederhole ich das Wort erneut und lächele Fabian an. Dieser beginnt nach wenigen Minuten regelmäßig zu atmen und lässt mir somit die Zeit ihn genauer anzusehen.
So sensibel und verwundbar wie er momentan im Schlaf aussieht war er früher auch tagsüber. Wie im positiven als auch im negativen Sinne...
Eine Haarsträhne fällt ihm in sein Gesicht und hängt ihm in die Stirn. Ich streiche sie sofort zurück und als ich auf seine Haut treffe ist es so als würde sich eine dünne Eisschicht über meinem Körper ausbreiten.
„Fabian. Ich kann es dir nicht oft genug sagen, aber es tut mir leid! Du verzeihst mir nicht und das ist auch völlig in Ordnung, aber bitte glaub mir, dass ich niemals mehr so etwas abziehen würde. Das verspreche ich dir! Du bist mir wichtig, wichtiger als du womöglich denkst."
Ich mache eine kurze Pause und fahre dann in die Stille fort: „Du bedeutest mir so unglaublich viel, weil du der beste kleiner Bruder bist, den man sich wünschen kann, auch wenn wir hin und wieder unsere Differenzen haben. Du ahnst gar nicht wie viel du mir bedeutest...
Auf jeden Fall mehr, als du dir jemals träumen würdest..."
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