Kapitel 31
Als ich wieder aufwache dämmert es draußen bereits.
Ein Blick auf meine Uhr verrät mir, dass es sechs Uhr abends ist und ich fast sieben Stunden geschlafen habe. Ich fasse mir an den Kopf und kann erstaunt feststellen, dass das Hämmern und Pochen beinahe verschwunden ist.
Im Vergleich zu heute Vormittag liegen Welten dazwischen.
Einen Moment bleibe ich noch liegen und genieße die Stille, doch plötzlich werde ich auf ein leises, herzzerreißendes Geräusch aufmerksam.
Ich setze mich auf und sogleich erkenne ich eine Gestalt an meinem Bettende sitzen. Bei genauerem Betrachten kann ich diese Gestalt auch sofort als Fabian identifizieren.
Aber etwas ist anders als sonst das merke ich sofort.
Seine Schultern hängen erschlafft nach unten und beben, was Fabian dem Anschein nach um jeden Preis vermeiden will.
Als ich dann noch einen Schluchzer höre wird mir schlagartig bewusst, was mit Fabian los ist.
Er weint.
Leise richte ich mich auf und rücke dann bis auf die andere Seite meines Bettes. Kurz bin ich unentschlossen aber da nehme ich all meinen Mut zusammen und lege meine Hand zaghaft um ihn herum.
Ganz langsam lässt er sich von mir nach hinten ziehen und probiert dabei seine Tränen zu unterdrücken. Allerdings gelingt es ihm nicht so gut.
„Es ist alles gut. Ich bin da", flüstere ich ihm zu. Er lehnt sich an mich und durch sein Gewicht fallen wir zurück in die Kissen.
Sofort nimmt Fabian Abstand von mir, aber ich halte ihn mitten in der Bewegung fest und bedeute ihm sich hinzulegen. Wir liegen uns gegenüber und ich schaue ihn aufmerksam an.
Fabian weicht meinen Blicken aus und vergräbt seinen Kopf stattdessen in meinem Kissen. Kläglich versucht er seine Schluchzer dort zu ersticken, dennoch ist es sinnlos, weil er durch seine bebenden Schultern verraten wird.
Ohne darüber nachzudenken, rutsche ich dichter an ihn heran und lege meinen Arm um Fabians Schulter.
Für eine winzige Sekunde versteift er sich kurz, aber letzten Endes lässt er mich machen und hebt sogar seinen Kopf.
Sein Gesicht ist bleich und seine Augen sind gerötet und leicht verquollen.
„Hey", mache ich leise und warte auf eine Reaktion.
Fabian lächelt mich erschöpft und traurig an, dann lässt er den Kopf hängen.
Dieses Lächeln könnte nicht gefälschter sein.
„Was ist denn los?", versuche ich mein Glück, aber Fabian schüttelt nur den Kopf. Im nächsten Moment ist mein Handeln schneller als mein Verstand.
Ich strecke die Arme aus und ziehe ihn wortlos in eine tröstende Umarmung. Er schlingt seine Arme um mich und legt seinen Kopf auf meiner Brust ab.
So liegen wir da und ich halte ihn schweigend in meinen Armen. Vielleicht hilft es ihm ja wenn ich das tue. Und genau da schlägt die Erkenntnis in mir ein, wie ein Blitz:
Alle vermeintlich harten Jungs wünschen sich nichts sehnlicher als Zuneigung, welche sie nicht bekommen.
Sie suchen vergeblich nach Aufmerksamkeit von geliebten Menschen in ihrem Leben.
Gedankenverloren streiche ich durch Fabians seidige Haare und spinne den Gedanken weiter.
Genau so eine Person ist Fabian!
Er macht einen auf glücklich, aber tief in seinem Herzen wünscht er sich nichts mehr als Liebe, Zuneigung und Beachtung.
Erst jetzt wird mir in gesamter Tragweite bewusst, wie schrecklich sein angeblicher Player-Ruf für ihn ist und wie sehr Fabian darunter leidet.
Gleichzeitig ist er nach außen hin stark und lässt niemanden an sich heran, damit niemand hinter sein Geheimnis kommt.
Fabian lebt sein Leben nach dem Motto: Einfach weiter machen, egal was passiert.
Ich umschließe seinen Körper fester und gebe ihm dadurch Halt so gut ich kann. „Willst du mir sagen was los ist?" Eine ganze Weile passiert nichts, aber nach einigen Minuten löst sich Fabian von mir und rollt sich auf die Seite.
Ohne mich anzusehen fängt er an zu sprechen: „Ich bin schuld. Ich bin schuld daran, dass es dir so schlecht geht und es bringt mich fast um.
Weißt du wie viele Vorwürfe ich mir deswegen mache?
Als du verschwunden warst, bin ich nahezu gestorben, weil ich Angst um dich hatte.
Nachdem uns Chris erzählt hat was gestern am Lagerfeuer vorgefallen ist, habe ich sofort verstanden, dass der Basketball die einzige logische Erklärung für deine Schmerzen ist.
Mein Basketball.
Nie mehr werde ich vergessen können, wie du vor mir auf dem Boden lagst und das so gut wie leblos.
Und das Ganze nur meinetwegen.
Einzig und allein wegen mir, musst du jetzt diese Schmerzen ertragen und egal wie oft ich mich dafür entschuldigen werde, es kann nicht rückgängig gemacht werden.
Daran kannst weder du noch ich etwas ändern.
Allein dieser Gedanke macht mich wahnsinnig.
Was bin ich nur für eine schreckliche Person?
Ich habe es nicht verdient auf dieser Welt zu sein! Kein Tag vergeht an dem i...", sein Tonfall ist bitter, aber ich kann mir das nicht weiter mit anhören und deswegen unterbreche ich Fabian.
„Hörst du mal bitte damit auf dich selbst runter zu machen! Ich sag das dir jetzt noch ein Mal. Das hatten wir zwar schon, aber ich werde es dir so lange erklären, bis das in deinen Dickschädel reingeht.
Du bist nicht schuld an dem Unfall und schon gar nicht an meinen Schmerzen. Das ist einfach nur lächerlich!
Fabian, dafür kannst du nichts okay!?
In dem Moment hätte auch jede andere Person getroffen werden können, aber es war halt ich. Tja, Pech gehabt würde ich sagen.
Na und jetzt? Das Leben geht weiter und mir geht es wieder gut. Der Ball hätte auch Bella, Eddie oder...", beginne ich, aber Fabian fällt mir in das Wort.
„Aber er hat dich getroffen", verzweifelt schlägt er auf die Matratze und ich verdrehe innerlich die Augen.
Dann nehme ich sein Gesicht in meine Hände und sehe ihm fest in die Augen:
„Jetzt hör mir Mal gut zu!
Du bist nicht schuld, Fabian!
Sonst bist du doch auch nicht so begriffsstutzig...warum gerade jetzt? Ich mache dich für nichts, verantwortlich denn das ist mehr als ungerecht und das solltest du auch nicht.
Das Leben geht weiter und irgendwann muss man sich verzeihen. Geh nicht so streng mit dir in das Gericht", bitte ich ihn und beobachte ihn genau.
Schließlich nickt er und ich fahre mit meinem Vortrag fort:
„Zweitens hast du es genauso verdient auf dieser Welt zu sein wie jeder andere hier auch.
Wenn es von vorneherein klar gewesen wäre, dass du es nicht wert bist hier zu sein, dann wärst du jetzt Gott weiß wo, aber ganz sicher nicht hier.
Und bist du hier?
Ja, und genau deshalb kannst du dir die Frage auch selbst beantworten.
Du bist kein Stück weniger wert, als alle anderen Menschen auf diese Planeten, denn wir sind alle gleich.
Nicht von unserem Aussehe, unserem Handel oder unserem Charakter, sondern von unserem Ursprung.
Jeder macht mal einen Fehler und das ist auch wichtig, denn wenn alle perfekt wären, dann wäre das ja sehr langweilig.
Also hör mir gut zu:
Du hast es verdient auf dieser Welt zu sein, also sah sowas nie mehr! Versprochen?"
Fabian nickt nochmal und ich bemerke den Anflug eines Lächelns, also hole ich tief Luft, um meine Rede abzuschließen:
„Drittens bist du keine schreckliche Person!
Du bist ein netter, wundervoller und einfühlsamer Mensch der es verdient hat geliebt zu werden.
Hör bitte auf dich selbst zu erniedrigen, denn du bist weder schrecklich noch ein Arsch.
Fabian Grace, du bist gut so wie du bist und falls jemand mal etwas anderes behaupten sollte, dann komme ich höchstpersönlich vorbei und poliere ihm die Fresse.
Ach ja, und auch wenn du selbst dieser Jemand bist werde ich nicht davor zurückschrecken es in die Tat umzusetzen.
Hast du mich verstanden oder soll ich es noch mehr verdeutlichen?"
Nachdem ich meinem Mund schließe, beugt sich Fabian wortlos über mich und mustert mich genau.
„Ich glaube das ist das Schönste, was mir in meinem ganzen Leben gesagt wurde Chiara. Danke!", mit diesen Worten streckt er sich neben mir aus und legt seinen Kopf an mein Schlüsselbein.
So liegen wir beide eine Weile da und lauschen dem Atem und dem Herzschlag des anderen.
„Besser?", hauche ich nach einer Weile und Fabian nickt ohne sich von mir zu lösen. Ihn hier so in meinen Armen zu halten, erscheint mir momentan wie das Natürlichste auf der Welt und ich bin froh, dass ich so ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein habe und nicht so ein stilles Mäuschen bin.
„Wir müssen es noch den Jungs sagen", schneidet Fabian das Thema plötzlich wieder an.
„Du meinst was passiert ist? Oder auch das mit dem Basketball?", ich kann nicht verhindern, dass in mir ein winziger Keim der Angst aufsteigt und ich kneife die Augen fest zusammen.
„Mein Bruder wird todsicher ausrasten", flüstere ich dann so leise wie möglich und verknote die Hände angespannt in einander.
Stöhnend fahre ich mir mit den Fingern über mein Gesicht und so gleich vernehme ich Fabians angespannte Stimme: „Hast du wieder Kopfschmerzen?"
„Was? Nein habe ich nicht", antworte ich sofort und öffne meine Augen.
„Nur das Nächste was wir gleich machen werden bereitet mir Kopfschmerzen." Fabian schmunzelt, doch seine Miene wird gleich wieder ernst und er nickt zustimmend.
„Ja, ich weiß was du meinst."
„Aber prinzipiell ist das Ganze ja nicht deine Schuld, denn ich bin es ja schließlich der fü..", setzt er dann noch hinzu, aber ich unterbreche ihn mit einem wütenden Blick.
„Wie war das gerade?", knurre ich sauer und er hebt sofort die Hände.
„Sorry, sorry ich habe es vergessen. Das ist mir nur so rausgerutscht. Wird nicht mehr vorkommen, versprochen", entschuldigt sich Fabian mit schiefgelegtem Kopf.
„Das will ich auch stark hoffen", gebe ich zurück.
Ich kann es echt nicht ertragen, wenn er sich selbst für etwas beschuldigt, obwohl er nichts dafür kann.
„Ja tut mir wirklich leid", wiederholt Fabian erneut und ich schüttele den Kopf.
„Soll ich dir mal was sagen?", unschuldig klimpere ich mit meinen Wimpern und er nickt überrascht.
„Klar."
„Du bist ein wirklich, wirklich grottenschlechter Lügner. Und ich habe immer gedacht, dass Nico von niemandem mehr getoppt werden kann", teile ich ihm ernst mit und ich bemerke deutlich wie sich Fabians Augen minimal weiten.
Er ist sichtlich geschockt.
„Was dachtest du denn was jetzt kommt? Eine Liebeserklärung oder was?", necke ich Fabian und grinse spitzbübisch.
„Vielleicht", murmelt er verführerisch und setzt hinzu: „Wäre mir lieber gewesen!"
Jetzt liegt es an mir die Augen geschockt aufzureißen.
Was hat er gerade gesagt?
„Ähm", stottere ich peinlich berührt und spüre die flammende Röte auf meinem Gesicht.
Ich verfluche sie!
„Willst du immer noch eine?", frage ich dann leise und er hebt verblüfft den Kopf. „Wie bitte?", hackt Fabian dann nach und grinst unsicher.
„Fabian Grace ich liebe dich", hauche ich ihm in das Gesicht und springe dann leichtfüßig aus dem Bett. „Hä?", macht er nur hinter mir und ich drehe mich haltlos lachend zu ihm um.
„Du sagst mir, dass du mich liebst, springst dann aus dem Bett und ignorierst mich", fragt er mich ungläubig und ich lache immer noch.
„Du verarscht mich doch gerade...", stellt er dann wütend fest. „Na warte, Prinzesschin.
Du kannst gleich was erleben!"
Kurzerhand steht Fabian auf und ich weiß jetzt schon, dass das kein gutes Ende nehmen wird. Also nehme ich die Beine in die Hand und laufe los.
„Ich krieg dich schon noch. Mach dir da mal keine Sorgen", ruft mir Fabian hinterher, aber ich ignoriere sein Geschrei und sehe lieber zu, dass ich außer Reichweite von ihm gelange.
Leider bekommt er mich auf den unteren Treppenstufen zu fassen und hält mich an den Hüften fest.
„Das hat ein Nachspiel meine Liebe", flüstert er mir in mein Ohr und eine Gänsehaut zieht sich über meine Haut. Meine gesamten Muskeln spannen sich an und Fabians leises Lachen klingelt in meinen Ohren.
„Interessant, diese Wirkung", nuschelt er dann und entlässt mich aus seinem klammernden Griff. „Wie gnädig von Ihnen", schnauze ich ihn gespielt verletzt an und jetzt ist Fabian dran mit lachen.
Wir betreten gemeinsam das Wohnzimmer und finden dort allerdings nur Chris vor.
„Wo sind denn die anderen?", erkundige ich mich bei ihm und er zuckt mit den Schultern. „Nico, Felix und Leon sind in Leons Zimmer und dein Bruder...hm, keine Ahnung. Jason habe ich schon seit er gegangen ist, nicht mehr gesehen", erwidert er.
„Ich weiß wo Jason ist", wirft Fabian mit verschlossenem Gesichtsausdruck ein und mach auf dem Absatz kehrt.
„Ich hole ihn und die anderen Mal." Mit diesen Worten verschwindet er aus dem Raum und lässt Chris und mich alleine zurück.
„Ähm, Chiara?", beginnt Chris prompt und schaut mich nervös an. „Ich wollte mich für das heute Morgen entschuldigen.
Das war weitaus mehr als kindisch und dumm und ich kann selbst nicht erklären, warum ich das getan habe.
Es tut mir wirklich sehr leid! Kannst du mir verzeihen?", fragt Chris und ich brauche etwas Bedenkzeit.
Schließlich nicke ich: „Ja ich nehme deine Entschuldigung an. Vielleicht hätte ich auch nicht so hitzköpfig reagieren sollen.
Ist ein wenig aus dem Ruder gelaufen", sage ich dann und blicke zu Chris rüber, der eilig den Kopf schüttelt und auf mich zu kommt.
„Nein, bitte entschuldige dich nicht. Es war dein gutes Recht so zu reagieren, weil die Bemerkung war alles andere als angebracht", gibt er zurück und ich lache auf.
„Wo du recht hast, hast du recht!"
Erleichtert seufzt er aus und wir setzten uns gemeinsam auf die Couch. „Weißt du Chiara... Du bist sowas wie eine kleine Schwester für mich.
Ja, ich weiß, dass ich eine kleine Schwester habe und so klein bist du auch nicht mehr, aber ich kenne dich schon genauso lange, wie ich deinen Bruder kenne.
Ich wollte dich nicht verletzen, aber ich sehe dich wie gesagt als eine kleine Schwester und ich möchte nur nicht, dass dir etwas passiert.
Abgesehen davon hast du auch recht, dass es mich nichts angeht wann und mit wem du Sex hast",
erklärt Chris leise und ich lächele zaghaft.
„Das war voll süß", gebe ich dann zu und Chris schenidet eine Grimasse.
"Ah, nenn mich bitte nicht süß!" Da muss ich aus vollem Herzen lachen.
„Ich weiß es auch zu schätzen, dass mein Bruder, Nico und ihr auf mich aufpassen wollt, aber ich kann keine Erfahrungen selbst machen, wenn ich immer davon abgehalten werde.
Aber trotzdem finde ich es schön, dass du mich so siehst. Ich dachte immer, dass ich für euch nur die nervige, kleine Schwester eures Freundes bin. Und auch nur deswegen hängt ihr mit Bella und mir in der Schule ab", lasse ich ihn kleinlaut wissen.
„Ach Quatsch! Du und Bella, ihr gehört auch zu unserem Freundeskreis und das nicht nur, weil du seine Schwester bist und Bella seine heißgeliebte Freundin", wiederspricht er mir und legt seinen Arm um meine Schulter.
„Wer hätte gedacht, dass solche großen Worte mal aus deinem Mund sprudeln werden", spöttele ich, aber gleichzeitig bin ich ihm unendlich dankbar, dass ich jetzt die Gewissheit habe, dass die Jungs nicht nur wegen Jason an mir interessiert sind!
„Du ganz sicher nicht", entgegnet er schlagfertig und wir kichern beide blöd.
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