Kapitel 28

Glühend vor Zorn laufe ich die lange Auffahrt zu unserer Villa hinab und biege kurz darauf um die Ecke. Ich krame in meiner Tasche nach meinem Handy und stöpsel mir noch die Ohrstecker in die Ohren.

Dann lasse ich mich von lauter Musik beschallen, genauer gesagt von „Paris". Ich stampfe die Straße entlang und achte nicht auf meine Umgebung.

Die Sonne brennt gnadenlos auf mich hinab und zumindest habe ich Glück, dass mein Jumpsuit relativ luftig ist. Wenigstens irgendwie muss man doch mal Glück im Leben haben...

Meine Gedanken wandern zu Chris zurück und ich bohre meine Fingernägel in meine Handflächen.

Wie kann man nur so etwas behaupten?

Klar er kennt mich schon Ewigkeiten, aber das gibt ihm verdammt nochmal nicht das Recht mich so zu behandeln!

Ich fühle mich gerade von vorne bis hinten verarscht und komplett gedemütigt. Innerlich frage ich mich wirklich, wie man auch nur ansatzweise auf so etwas kommen kann.

Natürlich ist Chris der größte Quatschkopf unter der Sonne, aber diese Aussage überspannt sogar seine Reichweite.

Was zur Hölle bildet der sich ein, dass er so mit mir reden kann?

Er ist weder mein Bruder, noch meine Schwester und erst recht nicht verkörpert es die Rolle meiner Eltern!

Wortwörtlich also: Er ist ein A-R-S-C-H.

Ich meine wie krank ist das denn bitte!?
Fabian und ich?
Zusammen?
Wir beide und Sex?

Das ist doch wie eine ganz andere Welt!

Mein Bruder hätte mich gestern Abend auch einem anderen von seinen Freunden in die Arme drücken können, aber es halt zufällig Fabian.

Na und jetzt?

Sollen wir bezüglich dieser Erkenntnis jetzt alle tot umfallen, oder was?

War das wirklich Zufall? Meine Gedanken spielen verrückt, denn auf einmal kommt mir ein Verdacht. Jason hat doch nicht...? Nein, das würde selbst mein Bruder nicht wagen. Oder vielleicht doch?

Im Prinzip ist das im Moment auch völlig egal, denn passiert ist nun mal passiert. Trotzdem finde ich es immer noch ungeheuerlich wie sich der Freund meines Bruders mir gegenüber verhalten hat.

Erst erzählt Leon bei der Party so eine Kacke und Chris hat nichts anderes zu tun als noch mehr Salz in die Wunde zu streuen. Ein neues Lied wird abgespielt und ich erkenne „Bad News".

Das passt ja wie die Faust auf das Auge, denke ich grimmig und summe leise mit.

Auf der anderen Straßenseite sticht mir ein kleines Café ins Auge und ich steuere darauf zu. Ein kühles Getränk wird mir jetzt bestimmt weiter helfen. Ich betrete den Laden und steuer gleich auf die Theke zu.

„Was kann ich für dich tun?", fragt mich ein junger Mann. Er ist schätzungsweise vielleicht zwanzig Jahre alt, gut gebaut, hat braune Harre und braune Augen.

„Ich hätte gerne eine Iced Chocolate mit Sahne und einer Kugel Vanilleeis", gebe ich meine Bestellung auf und der Mann beginnt mein Getränk zu mixen. Nach fünf Minuten hält er mir einen Becher mit einem schiefen Lächeln und ich bedanke mich freundlich.

„Das macht dann zwei Euro fünfzig", erklärt er mir und ich reiche ihm drei Euro. „Stimmt's so?", ich gehe lächelnd raus und schlürfe meine Iced Chocolate.

Es ist wirklich ein Traum und die Sahne ist himmlisch.

Suchend schaue ich mich um und entdecke schließlich die Kaimauer auf der ich mich niederlasse. Neugierig betrachte ich die vorbeilaufenden Menschen und beruhige mich langsam aber sicher wieder.

Soll Chris doch so ein Gestörter bleiben...
Mir soll das Recht sein, solange er mich in Ruhe lässt.

Ich nehme noch einen Schluck und stelle dann erstaunt fest, dass mein Becher bereits leer ist. Na, das ging ja schnell!

Weil ich nicht weiß wie ich mir die Zeit vertreiben soll bis ich mich wieder nach Hause begebe, widme ich meine Aufmerksamkeit meinem Handy und checke meinen Instagram-Account.

Ich mache ein Selfie von mir auf der Kaimauer mit dem Becher in der Hand, der leider schon leer ist, aber das macht nichts. Nach kurzem Zögern lade ich es schließlich hoch und füge eine Bildunterschrift hinzu.

Zugegegeben sieht das Foto schon echt gut gelungen aus und ich habe überhaupt keinen Grund für Kritik. Ich stecke mein Smartphone wieder in die Hosentasche, weil es mir zu langweilig wird die ganze Zeit darauf zu starren.

Stattdessen suchen meine Augen nach einem hübschen Laden mit Klamotten oder einem Juwelier. Tatsächlich kann ich am Ende des Hafens ein Schmuckgeschäft ausmachen und deshalb springe ich leichtfüßig von der Mauer.

Gedankenverloren schlendere ich die Promenade entlang, bis ich schließlich den Laden erreiche und die Tür aufdrücke. Ein Glöckchen bimmelt und die Verkäuferin und wahrscheinlich auch Ladenbesitzerin guckt mir freundlich entgegen.

Höflich lächele ich zurück und mache mich dann auf die Suche nach einem schönen Schmuckstück.

Ich sehe lauter Uhren und Ketten, aber die sind leider ziemlich teuer. Im hinteren Teil des Ladens befinden sich Armbänder sowie Ohrringe und ich werde schnell fündig.

Ich greife nach einem filigranen, silbrig schimmernden Armband das einen Anhänger in Form eines Unendlichzeichens hat.
Daneben liegen rosse glänzende Ohrringe, die kunstvoll in einander verdreht sind und nach unten hin spitz zulaufen.

Ich nehme sie und das Armband von dem Ständer und gehe dann zu der Verkäuferin, die mich während meines ganzen Rundganges beobachtet hat.

„Ah, das ist eine gute Wahl", lächelt sie und tippe etwas in ihre Kasse ein. „Das sind dann 96, 30 Euro", teilt sie mir und für den Bruchteil einer Sekunde zucke ich zusammen.

Dennoch zücke ich meine Kreditkarte und stecke sie in das Lesegerät auf dem Tresen. Die Frau hält mir dieses hin, damit ich die Geheimzahl eintippen kann und dann gehören die zwei wundervollen Schmuckstücke auch schon mir.

„Vielen Dank und noch einen schönen Tag", wünsche ich ihr und durchquere den Laden. Draußen streife ich mir das Armband auch sofort über und begutachte es an meinem Handgelenk.

Es passt perfekt!

Die Verpackung mit den Ohrringen verstaue ich in meiner Umhängetasche und laufe dann zurück zu der Kaimauer. Plötzlich höre ich einen Schrei von meiner Linken und abrupt wende ich den Kopf um.

Prompt laufe ich gegen etwas und knalle mit meiner rechten Hälfte an einen harten Gegenstand. Scharf ziehe ich die Luft ein und halte mit meiner Hand meinen Kopf.

„Shit! Ist alles in Ordnung?", höre ich eine besorgte Stimme und ich richte meinen Blick nach oben. „Ja klar. Ich bin ja eigentlich in dich reingelaufen. Tut mir leid", antworte ich dem Jungen gegen dessen Brust ich gelaufen bin.

„Alles gut", achselzuckend läuft er weiter und ich bleibe betäubt stehen. Mein Kopf fängt an unaufhaltsam zu pochen und die Welt beginnt sich zu drehen.

Ich taumel die Promenade weiter entlang, aber meine Beine wollen mich nicht tragen. Auf der Suche nach etwas wo ich mich festhalten kann, stütze ich mich an einer Hauswand ab.

Die Menschen um mich herum beachten mich nicht und das ist auch besser so, denn ich brauche jetzt Ruhe. Ich falle auf den Boden und kann mich nicht mehr abfangen.

„Hey du. Alles gut bei dir? Brauchst du Hilfe?", fragt jemand über mir und ich schaue auf. Der Junge von eben sieht sorgevoll auf mich runter und kniet sich neben mich. Stumm schüttele ich den Kopf, aber höre sofort wieder auf, denn daraufhin wird das Pochen noch unerträglicher.

Ein Stöhnen bricht aus mir heraus, gefolgt von einem Keuchen und es ist mir gleich was dieser Typ jetzt von mir denkt. Der Junge berührt meine Schulter und will fürsorglich wissen: „Brauchst du Hilfe?"

Ich kann ihm nicht antworten, denn ein blendender Schmerz schießt durch meine Eingeweide und ich drehe mich vor Übelkeit zur Seite.

„Hey sag was. Bitte! Du siehst gar nicht gut aus...", versucht er es nochmal, aber ich bin nicht im Stande etwas zu erwidern.

Die Welt um mich herum dreht sich schnell und wie in Zeitlupentempo zieht alles an mir vorbei. „Soll ich einen Arzt rufen? Verdammt! Sag doch was", fleht der Junge und legt seinen Arm um mich aufrecht zu halten.

„Nein, geht schon", würge ich hervor und schließe die Augen in der Hoffnung, dass es besser wird.

Doch das ist ein großer Irrtum!

Es fühlt sich so an als könnte ich die hämmernden und krampfhaften Schmerzen viel intensiver spüren und sogar auch sehen.

Ich reiße die Augen wieder auf und umklammere mit meinen zittrigen Händen meinen Kopf. „Shh, shh...beruhig dich doch bitte. Wo ist dein Handy?", hakt er weiter nach und mit einem Nicken in meine Tasche antworte ich ihm.

Der Junge greift hektisch nach meiner Tasche und durchwühlt sie auf der Suche nach meinem Handy. „Code?", murmelt er geistesabwesend und ich bringe keuchend die Zahlen hervor. Vor Schmerzen winde ich mich und atme rasselnd ein und aus.

„Name?", vergewissert er sich noch und ich presse „Chiara" hervor. Gleich darauf folgt ein erneutes Aufkeuchen untermahlt von einem Wimmern.

Mittlerweile scrollt mein „Retter" durch meine Kontakte und drückt auf irgendeine Nummer.

Augenblicklich hat er jemanden in der Leitung: „Hey? Kennst du eine Chiara?...
ja, gut...also die Sache ist die, sie ist gerade in mich reingelaufen und hat jetzt starke Kopfschmerzen...
Ich weiß nicht was ich machen soll, aber sie sieht so aus als würde sie gleich das Bewusstsein verlieren...
Kannst du bitte herkommen?...Kennst du die Rue de Fortune?
...Am Hafen...Ja genau da...Komm bitte so schnell du kannst, ich weiß nicht wie lange sie noch durchhält...
Ja gut mache ich...Versprochen...
okay, bye und danke."

Der Junge legt auf und packt mein Handy in meine Tasche. Dann schaut er mich an und erklärt: „Jemand ist auf dem Weg und holt dich gleich ab, okay? Bitte bleib ruhig, weil es kann wirklich nicht mehr lange dauern!"

Ich kann nur nicken und auf einmal gehe ich mit einem leisen Aufschrei zu Boden. „Fuck, bleib hier", der Blondhaarige stütz sich über mir ab und nimmt meine Hand in seine.

„Hör mir zu. Gleich kommt jemand. Du schaffst das", redet er auf mich ein und klopft gegen meine Wange, wahrscheinlich damit ich nicht wegtrete. Ich verstehe nur die Hälfte seiner Worte und krümme mich zusammen.

Mein Atem geht flach und ruckartig und nur noch undeutlich kann ich schemenhafte Gestalten erkennen.

Einen Wimpernschlag später trübt sich meine Sicht ganz und alles um mich herum fällt in sich zusammen.

Die Sonne erlischt, die Geräusche verstummen, die Welt wird unheimlich dunkel und ich falle...

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