Kapitel 42
Robins Handywecker ertönte. Langsam zwang ich mich, meine Augen zu öffnen. Ich fühlte mich wie gerädert und nach und nach kamen mir die wirren Ereignisse des gestrigen Abends wieder in den Sinn. Ich wollte nicht über das schreckliche Gespräch mit Timothy nachdenken und genauso wenig darüber, was ich danach mit Micha getan hatte. Alles daran ließ mich einfach nur elendig fühlen.
„Einen wunderschönen guten Morgen", gähnte Robin im Bett neben mir. Ich war mit dem Rücken zu ihm gedreht und beabsichtigte nicht, etwas daran zu ändern. „Wer geht heute als Erstes ins Bad?"
Niemand meldete sich. „Oh Mann, ihr seid echt alle solche Schlafkappen!", maulte Robin, „dann geh' ich halt als Erster."
Ich nahm mein Handy in die Hand und schaute auf das Display. Eine neue Nachricht von einer unbekannten Nummer. Ich tippte auf den Chat. Die unbekannte Person hatte mir ein Flammen-Emoji geschickt. Obwohl ich es inzwischen bereute, bei Micha gewesen zu sein, schlich sich ein Grinsen auf meine Lippen.
Ich tippte auf das Profilbild. Michas Gesicht darauf war nicht zu sehen, nur sein Körper. Mit Tanktop stand er vor einem Spiegel im Gym und zeigte seine Muskeln ins Foto. Ich verdrehte die Augen. So ein arroganter Arsch! Dennoch speicherte ich die Nummer ab als Fettsack und schickte ihm ebenfalls ein Flammen-Emoji zurück.
In dem Moment kam Robin aus dem Badezimmer. Er entdeckte sofort, dass ich wach war und grinste mich an. Ich konnte es nicht erwidern. „Naaaa, wie war euer Filmabend?", meinte er und setzte sich zu mir aufs Bett.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und schaute ihn vermutlich immer noch mit grimmigem Blick an. Robin zog fragend seine Augenbrauen zusammen: „Alles gut?"
„Nicht wirklich!", meinte ich schroffer als beabsichtigt, sprang aus dem Bett und verschwand im Bad. Trotz der Lüftung, die automatisch in dem kleinen gefliesten Raum ansprang, konnte ich das Gespräch draußen hören. „Oha, was ist denn mit dem los?", fragte Henry. „Keine Ahnung ... Timothy, bist du wach?" Ich hörte keine Antwort. Vielleicht hatte er genickt, denn Robin redete weiter. „Ist irgendwas passiert?"
„Wir ... Wir hatten 'ne Meinungsverschiedenheit", hörte ich jetzt Timothy. Meinungsverschiedenheit?! So kann man es auch ausdrücken! Es schmerzte mich, seine Stimme zu hören. Außerdem wirkte er ziemlich gefasst, was mich umso mehr verletzte. Hatte ihm das alles denn überhaupt nichts bedeutet? Wollte er wirklich nur mit mir befreundet sein?
Meine Hände zitterten und Tränen sammelten sich in meinen Augen. Doch ich schluckte es runter. Ich wollte nicht vor den anderen heulen. Schnell putzte ich meine Zähne und wusch mein Gesicht. Plötzlich klopfte es an der Tür. „Tris, mach mal schneller! Ich muss ganz dringend ...", hörte ich Henry.
Ich öffnete die Tür und ohne jemandem ins Gesicht zu sehen, ging ich stur zu meinem Bett, legte mich wieder hinein und zog mir die Decke über den Kopf. Die anderen sagten nichts, aber ich stellte mir vor, wie sie sich genervte Blicke zuwarfen.
Nach einiger Zeit waren alle bis auf mich fertig angezogen und bereit zum Frühstück. „Tristan? Kommst du auch?", hörte ich Robins Stimme neben mir. „Kein Hunger", murmelte ich, immer noch mit dem Kopf abgetaucht. „Wir gehen schon mal raus", hörte ich Henry.
„Tris?", sprach Robin wieder und setzte sich zu mir aufs Bett, „magst du vielleicht reden?"
„Nein."
„Okay, du weißt aber, dass du zu mir kommen kannst. Ich bin für dich da." Tränen liefen mir über die Wangen, doch ich steckte gerade zu tief in meinem Schildkrötenpanzer, um ihm danken zu können. Robin seufzte leise. „Ich geh' jetzt zum Frühstück. Falls ich dir was mitbringen soll, oder du doch noch reden magst, dann kannst du mir schreiben."
Erst als die Tür geschlossen wurde, schlüpfte ich aus meinem Versteck hervor. Ich war genervt von mir selbst. Warum war ich so zu Robin, obwohl er so lieb zu mir war? Nach einiger Zeit wälzte ich mich aus dem Bett, zog mir meine Schneekleidung an und ging nach draußen.
Unterwegs kam mir niemand entgegen. Vermutlich waren alle beim Frühstück. Draußen angekommen, es schneite kleine weiße Flöckchen vom Himmel, stampfte ich eine Weile durch den Schnee. Die kalte klare Luft erfüllte meine Lunge und meinen Kopf. Ich versuchte meine Gedanken zu ordnen. Was war das gestern mit Timothy? Warum hatte er mich einfach nicht los gelassen, obwohl ich mich nicht mehr wohlfühlte? Warum hatte er das Ganze zwischen uns einfach so plötzlich beendet? Und was hatte ich mir da eigentlich mit Micha gedacht?
„Tristan?" Meine Gedanken wurden unterbrochen. Ich drehte mich um und erblickte Irina. So gut es in den Schneeklamotten möglich war, kam sie angerannt.
„Puh, jetzt bin ich außer Puste", lachte sie, „hey, ich hab dich beim Frühstück vermisst." Ich rang mir ein Lächeln ab und meinte: „Hatte keinen Hunger." Doch entweder sah sie mir meine Lüge an, oder Robin hatte ihr etwas erzählt.
„Wenn du reden magst, bin ich für dich da. Das weißt du."
Ich nickte. „Danke, es ist alles gut." Sie schien es mir nicht ganz abzukaufen, aber bohrte nicht weiter nach.
„Bist du auch auf dem Weg zum Skilift?", fragte sie dann. Ich war eigentlich nicht mit einem bestimmten Ziel unterwegs, aber nickte ihr dann zu.
„Super", meinte sie grinsend, „ich muss dir nämlich unbedingt noch etwas erzählen." Wir gingen erst zu der Hütte beim Skilift, um uns unsere Ausrüstung auszuleihen und stellten uns dann in die große Gondel. Wir waren eine der ersten. Nur ein älteres Paar in Ski-Montur stand uns gegenüber.
Ich konnte erkennen, wie sie ihre Gesichter angewidert verzogen, als Irina mir überschwänglich davon erzählte, wie sie gestern Chi Chi geküsst hatte. „Das ist echt sehr cool", antwortete ich Irina und umarmte sie, während ich dem Paar hinter ihrem Rücken meinen Mittelfinger entgegenstreckte. Die Frau schnappte empört nach Luft.
„Ich freue mich so für dich, Kleine!" Wenigstens eine von uns durfte wohl glücklich sein.
„Danke! Ach und außerdem haben Robin und Mia den ganzen Abend miteinander getanzt. Hat er dir das nicht erzählt?"
„Ähm, nee, noch nicht."
Oben angekommen, stellte ich mich zum Treffpunkt mit dem Snowboard-Lehrer. Ich war viel zu früh dran. Irina, die schon sehr sicher auf den Skiern war, fuhr direkt nach unten. Sie wollte es ausnutzen, solange noch so wenige unterwegs waren.
Nach zwanzig Minuten trudelten nach und nach die anderen aus meinem Kurs ein. Timothy tauchte auf und suchte Blickkontakt, doch ich ignorierte ihn. Nachdem uns unser Lehrer eine kurze Einweisung für den nächsten steileren Berg gegeben hatte, ging es los. Doch ich war heute überhaupt nicht bei der Sache und landete schon bei der ersten Kurve in einem Schneehügel.
Alleine war es schwierig, mit dem Board an den Füßen aufzustehen. Timothy, der dicht hinter mir war, bremste mit einer schwungvollen Kurve neben mir und streckte mir seine Hand entgegen. Ich starrte ihn nur böse an. „Ich schaffe das selber!", presste ich hervor.
„Jetzt nimm schon meine Hand", meinte Timothy nur.
„Verpiss dich!"
Er kniff seine Augen zusammen, zog seine Hand zurück und fuhr weiter. Ich verfluchte mich selbst dafür, dass ich so war. Aber ich war wütend auf ihn und konnte nicht einfach so tun, als wären wir wieder beste Freunde.
„Haha, schaut euch das Opfer an", hörte ich plötzlich jemanden rufen und in der Sekunde sausten Micha und seine Kumpanen an mir vorbei. So ein dummer Wichser! GOTT! Ich explodierte innerlich. Einfach alles und jeder machte mich gerade so unglaublich wütend und an erster Stelle stand ich selbst.
Nachdem ich es endlich geschafft hatte, mich aufzuraffen, fuhr ich den Berg hinab. Es machte mir keinen Spaß mehr. Unten angekommen, gab ich meine Ausrüstung zurück und stapfte wütend aufs Zimmer. Ich legte mich ins Bett und scrollte auf meinem Smartphone durch belanglose Videos.
Nach einiger Zeit bekam ich Lust zu rauchen, doch da ich niemandem begegnen wollte, setzte ich mich ins offene Fenster und rauchte dort. Nachdem ich mich wieder ins Bett verkrümelt hatte, kamen nach einer Weile die anderen drei ins Zimmer. Robin streckte sofort die Nase in die Höhe und schnupperte.
„Tristan? Hast du hier geraucht?" Ich antwortete nicht und sah nicht mal von meinem Smartphone auf.
„Mann, das geht echt gar nicht! Da bekommen wir alle Ärger, wenn das jemand merkt!" Ich ignorierte ihn weiter.
„Hallo? Was zum Teufel ist eigentlich los mit dir?" Robin war echt geduldig, aber jetzt hatte ich es geschafft, ihn auf die Palme zu bringen. Doch trotzig, wie ich war, streckte ich ihm einfach nur den Mittelfinger entgegen.
„Das ist echt kindisch!" Ich weiß ...
Schnell zog ich mir wieder die Decke über den Kopf, um die Tränen zu verstecken, die sich schon wieder anbahnten. Die anderen redeten noch eine Weile miteinander. Es kotzte mich an, dass Timothy sich ganz normal mit den beiden anderen unterhalten konnte. Hatte das alles gestern denn gar nichts in ihm ausgelöst? Dann machten sie sich endlich auf zum Mittagessen. Diesmal fragte mich niemand, ob ich mitkommen wollte.
Mittags ging ich nochmal nach draußen, um ein paar Mal den Berg herunterzurasen. Alleine machte es wirklich nicht so viel Spaß, aber es war so lange mein Traum gewesen Snowboard zu fahren, dass ich diese Gelegenheit nicht mit Trübsalblasen verschwenden wollte. Doch nach einiger Zeit wurde mir plötzlich schwindelig. Ich hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen.
Noch vor den anderen kam ich zurück ins Zimmer, wo ich schnell duschte und dann wieder ins Bett kroch. Mein Magen knurrte, aber ich hatte keine Lust mit den anderen zum Abendessen zu gehen. Später machten sich Henry und Robin wieder für die Party fertig. Sie versuchten, Timothy zu überreden, mitzukommen, was mir ebenfalls recht gewesen wäre.
Doch zu meiner Enttäuschung, entschied er sich, im Zimmer zu bleiben. Die anderen beiden verabschiedeten sich und es dauerte keine Minute, bis Timothy die schmale Leiter nach unten kletterte. Ich verdrehte nur genervt die Augen. Er setzte sich zu mir und obwohl ich wütend war, begann mein Herz wie immer in seiner Nähe schneller zu schlagen.
„Können wir bitte nochmal darüber reden?", fragte er und sah mich mit seinen bernsteinfarbenen Augen traurig an.
„Was willst du denn noch reden?", fragte ich wütend.
Er knetete nervös seine Hände und überlegte, was er sagen sollte. „Ich mag dich, Tristan ... "
„Ach ja?", unterbrach ich ihn.
„Ja, sehr sogar. Aber es gibt Gründe, warum ich nicht auf diese Art mit dir zusammen sein kann."
„Die wären?"
Er kniff die Augen zusammen. „Ich habe dir gesagt, dass ich nicht darüber reden kann."
„Liegt's vielleicht an deinem verdammt homophoben Bruder?" Meine Stimme wurde lauter. Er zuckte dabei zusammen und schaute mich dann fragend an. „Was hat Andrew zu dir gesagt?"
„Nichts, was jetzt noch wichtig wäre!" Sein Blick blieb skeptisch. Ich erkannte, wie er im Kopf eins und eins zusammenzählte. Vermutlich verstand er gerade den Grund, warum ich mich damals von ihm fernhalten wollte.
Doch dann schüttelte er den Kopf. „Andrew ist nicht der Grund. Tristan, es tut mir wirklich leid. Ich kann es dir nicht erzählen, aber ich will dich trotzdem nicht verlieren." Seine Stimme klang verzweifelt.
„Zu spät, Timothy. Du hast mir verdammt nochmal das Herz gebrochen. Ich kann deine Nähe gerade echt nicht mehr ertragen", warf ich ihm entgegen.
„Es tut mir wirklich leid. Das war nicht meine Absicht", entschuldigte er sich mit Tränen in den Augen bei mir. In dem Moment vibrierte mein Handy. Ich schaute darauf und sah, dass mir Fettsack einen grünen Haken geschickt hatte.
Ohne darüber nachzudenken, sprang ich auf und zog mir meine Schuhe an. Timothy schaute mich verdutzt an. „Wo gehst du hin?" Ich antwortete ihm nicht und schlüpfte in meine Jacke.
„Tristan, bitte. Können wir nicht nochmal darüber reden?", flehte er mich mit seinen wunderschönen Augen an. Doch die Schwärze in meinem Kopf füllte alles aus und ich schaffte es nicht mehr heraus.
„Du kannst mich mal!", meinte ich nur und verschwand durch die Tür.
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Ahhhhh dieser Junge macht einen wahnsinnig! Das ist echt zum Haare raufen ... :')
Sorry, das ihr das ertragen müsst xD
Hoffe dennoch auf eure Kommentare und Votes, auch wenn ihr mich gerade vermutlich ein bisschen hasst! xD <3
Hab euch lieb! <3
Eure Elena :)
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