Kapitel 34
Endlich waren Weihnachtsferien. Allerdings saß ich die ersten beiden Tage davon nur an meinem Schreibtisch. Mir war aufgefallen, dass ich noch gar keine Weihnachtsgeschenke für meine Freund*innen hatte und entschloss mich spontan, etwas selbst zu basteln. Ich hatte noch Schrumpffolie übrig, aus der ich Schlüsselanhänger basteln wollte.
Dafür malte ich zuerst mit Folienstiften für jeden ein passendes Symbol auf die Folie: Für Robin einen Fußball, für Henry den Zauberstab seines Pen-and-Paper-Charakters, für Irina ihre Siamkatze Simba und für Timothy eine Schneeflocke. Unter jedes Bildchen schrieb ich in cooler Schrift unseren Gruppennamen Mindfuck.
Da ich noch Folie übrig hatte, zeichnete ich noch einen Anhänger für mich selbst mit einem Longboard, für Grace eine Fotokamera, für Maja das Logo ihrer Lieblingsband „Babymetal" und für meine Mum ein Herz mit dem Schriftzug „Beste Mum". Als ich mit Zeichnen fertig war, schnitt ich die kleinen Bildchen einzeln aus, stanzte in jedes ein Loch und legte die Folienteile danach auf einem Backblech in den Backofen. Es dauerte nur wenige Sekunden, da schrumpften die Folienbildchen zusammen und verhärteten sich zu stabilen kleinen Anhängern.
An jedem Plastikbildchen befestigte ich eine kurze silberne Kette mit einem Schlüsselring. Zufrieden mit meiner Arbeit betrachtete ich die kleinen Anhänger. Um sie sicher zu verpacken, bastelte ich noch kleine Boxen aus Tonkarton und legte je einen Anhänger hinein. Um jede Box band ich ein schönes Geschenkband. Ein Grinsen erschien auf meinen Lippen, als endlich sieben kleine Geschenke vor mir auf dem Tisch standen.
Am nächsten Tag schnappte ich mir mein Longboard und fuhr erst zu Robin, dann zu Irina und anschließend zu Henry, um ihnen meine kleinen Geschenke zu überreichen. Sie freuten sich alle drei, wobei Robin, wie auch Henry, sich ärgerten, weil sie nichts für mich vorbereitet hatten. Von Irina bekam ich ein Tütchen mit selbstgebackenen Plätzchen. Lecker!
Zu Timothy und Grace brauchte ich nicht extra zu fahren. Wir waren heute Abend verabredet. Die beiden fuhren über die Weihnachtsfeiertage mit der Familie zu ihren Großeltern nach Norddeutschland. Grace hatte deshalb vorgeschlagen, dass wir doch davor noch zusammen auf den Weihnachtsmarkt gehen könnten.
Ich stand also pünktlich um 17 Uhr vor unserer Haustür und rauchte noch eine Zigarette. Der Himmel war gerade dabei von grau in schwarz überzugehen. Die Luft war eiskalt. Ich hatte mir die dickste Winterjacke angezogen und mir meine schwarze Mütze auf den Kopf gesetzt. Über meiner Schulter hing mein schwarzer Jutebeutel, darin die zwei kleinen Geschenke für Timothy und Grace.
Ich zog meinen Schal gerade etwas enger, als Andrews dunkelblauer VW Golf an der Straße hielt. Ich ging darauf zu, nahm einen letzten Zug von meiner Kippe und schnippte den Stummel auf die Straße. Es kostete mich Überwindung, die hintere Tür des Autos zu öffnen und einzusteigen. „Hey, hey", sagte ich bemüht lässig, während ich mich auf den Rücksitz hinter Grace fallen ließ. Timothy saß ebenfalls hinten und lächelte mich wie immer an. „Na du."
Auch Grace drehte sich sofort zu mir um, um mich zu begrüßen. Von Andrew, der auf dem Fahrersitz saß, bekam ich nur einen kalten Blick über den Rückspiegel. Ich ignorierte ihn. Das Radio spielte Weihnachtsmusik. Wir fuhren los.
„Grace." Andrew drehte das Radio leiser und schaute zu seiner Schwester. „Wir sind jetzt gleich bei Lisa. Setzt du dich dann bitte nach hinten?"
„Wenn's sein muss", meinte Grace, nicht gerade begeistert.
„Ja, und am besten in die Mitte. Dir wird sonst doch immer schlecht."
„Die fünf Minuten schaffe ich gerade noch so", meinte sie lachend.
Doch Andrew blieb stur: „Bevor dir schlecht wird, mach einfach, was ich sage!"
Sie stöhnte genervt und obwohl ich ihr Gesicht nicht sah, wusste ich, dass sie gerade die Augen verdrehte. Ich hingegen wurde innerlich wütend. Obwohl sich Andrew hier als Wohltäter darstellte, der seine Schwester vor Übelkeit bewahren wollte, kannte ich natürlich seine wahren Absichten. Er wollte nur nicht, dass ich in die Mitte rutschte und dann direkt neben Timothy saß. Homophobes Arschloch!
Wir hielten an einem großen, modernen Haus. Grace und ich stiegen beide aus. Dann rutschte Grace hinten in die Mitte und ich setzte mich wieder auf meinen Platz. Lisa, die inzwischen aus dem Haus gekommen war, setzte sich vorne auf den Beifahrersitz und begrüßte uns alle freundlich. Dann beugte sie sich rüber zu Andrew, der ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen drückte.
Während wir zum Weihnachtsmarkt fuhren, plapperte Lisa ununterbrochen. Ohne ihr zuzuhören, versuchte ich mich die ganze Zeit daran zu erinnern, warum sie mir so bekannt vorkam. Gerade, als Andrew auf dem seitlichen Parkplatz parkte, fiel es mir wieder ein und ich musste grinsen. Sie war die Elftklässlerin, mit der Fabi, unser Klasenclown, betrunken auf der Halloween-Party herumgeknutscht hatte.
Am Marktplatz angekommen, verschwand Andrew händchenhaltend mit seiner Freundin in der Menge. Allerdings ließ er es sich nicht nehmen, mir nochmal einen warnenden Blick zuzuwerfen, der mich direkt wieder einschüchterte. Doch dann schaute ich mich lieber anderweitig um.
Der kleine Marktplatz zwischen den alten Fachwerkhäusern sah ganz anders aus als sonst. Überall standen kleine Holzhütten, die mit Lichterketten und weihnachtlicher Deko verziert waren. Es roch nach Bratwurst, Schupfnudeln, aber auch nach gebrannten Mandeln. Die Umgebung summte vom Gebrabbel der vielen Menschen, die ebenfalls unterwegs waren. Durch das Menschengewimmel war es so eng, dass wir uns mehr schiebend, durch die kleinen engen Gassen bewegten, als zu gehen.
„Wollen wir uns dort was Warmes zum Trinken holen?", fragte Grace und zeigte auf den Köstlicher Winterzauber-Stand.
„Ja, da wird gerade ein Tisch frei", meinte Timothy und stellte sich schnell an den runden Stehtisch, während Grace und ich zum Verkaufstresen gingen. Vor uns standen noch ein paar Leute, die zuerst bedient wurden. Unter anderem eine Frau mit Pelzmantel, die ich kritisch beäugte.
„Willst du Glühwein oder Punsch?", fragte mich Grace. Ich überlegte kurz. Bisher hatte ich noch nie Glühwein getrunken, aber wollte es testen. „Glühwein", antwortete ich deshalb.
„Okay, alles klar", meinte Grace, als wir gerade an die Reihe kamen, „zwei Glühweine und einen Punsch, bitte."
Der in dicke Winterklamotten eingepackte Mann musterte uns skeptisch, doch entschied sich dann, uns als mindestens 16-jährig einzuschätzen.
„Will Timothy keinen Glühwein?", fragte ich Grace, während sie dem Mann die Geldscheine überreichte.
Sie grinste. „Andrew bringt mich um, wenn ich unseren 15-jährigen Bruder mit Glühwein abfülle ... nachdem ich ihn bei der Halloweenparty ja schon nicht im Auge behalten hatte."
Bevor ich etwas erwidern konnte, reichte uns der Mann die drei Tassen und wir gingen zu Timothy an den Stehtisch. Der diskutierte gerade mit der aufgetakelten Frau im Pelzmantel, die wohl gerne den Stehtisch für sich und ihre Gruppe wollte. Schnell drückten wir uns zwischen die beiden und stellten unsere Tassen auf den Tisch, was die Frau endlich zum Aufgeben zwang.
Ich reichte Timothy seinen Punsch. Mein bester Freund war eingepackt in seine dicke dunkelblaue Winterjacke und seinen wolligen hellblauen Schal. Auf dem Kopf trug er seine hellblaue Bommelmütze. Die blonden Locken ringelten sich wie immer daraus hervor. Mit beiden Händen hielt er seine Tasse, um sich seine kalten Finger daran zu wärmen. Seine Nasenspitze und Wangen waren rot von der Kälte. Mit seinen vollkommenen Lippen pustete er vorsichtig in den Punsch. Der Dampf stieg auf und hüllte ihn kurzzeitig in weißen Nebel.
Obwohl sein Gesicht immer noch zu seinem Heißgetränk gewandt war, blickten seine Augen plötzlich zu mir auf und erwischten mich dabei, wie ich ihn anstarrte. Seine Lippen verzogen sich zu seinem charmanten Lächeln. „Wie schmeckt dein Glühwein?", fragte er mich grinsend. Glühwein?
„Ähm, ach so ..." Meinen Glühwein hatte ich ganz vergessen. Ich hob ihn zu meinen Lippen und nippte vorsichtig an dem viel zu heißen Getränk. Schnell pustete ich ein paar Mal in die Tasse und nippte noch einmal. Ein mir bisher unbekannter Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus. Ich verzog das Gesicht. Timothy und Grace lachten. „Na ja, also das Zeug wird definitiv überbewertet," beurteilte ich den Glühwein und stellte die Tasse wieder vor mir ab.
Timothy streckte mir seine Tasse entgegen und meinte lachend: „Du darfst gerne bei meinem Punsch mittrinken."
„Danke, sehr gütig", meinte ich ebenfalls lachend.
Wir standen eine Weile ohne zu sprechen um den Stehtisch und genossen die weihnachtliche Atmosphäre. Der Glühwein schmeckte auch nicht besser, nachdem er abgekühlt war.
„Wann fahrt ihr Morgen dann eigentlich los?", fragte ich die beiden.
„Wir fahren schon heute Nacht los. Mein Dad findet es da besser zum Fahren und wir sind ja um die 8 Stunden unterwegs", antwortete Grace und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.
„Ah okay", meinte ich, „wo genau wohnen eure Großeltern eigentlich?"
„In Hamburg", antwortete diesmal Timothy.
„Cool. Mein Dad wohnt auch in Hamburg", meinte ich beiläufig.
Beide schauten mich verwundert an. Vermutlich, weil das gerade das erste Mal war, dass ich meinen Vater erwähnt hatte. Aber da ich nichts weiter sagte und die beiden nicht nachhakten, fiel das Thema schnell unter den Tisch.
Nachdem die beiden ihre Tassen leer hatten, meine ließ ich halbvoll zurückgehen, gingen wir weiter. Wobei man nicht wirklich von gehen sprechen konnte. Grace hielt an jedem zweiten Stand an. Sie schaute sich Kerzen an, probierte Mützen und Schals auf und schnupperte an handgemachten Seifen. Gerade, als der Essensstand fast schon in Reichweite war, blieb sie wieder stehen.
„Oh, wartet mal! Die kleinen geschnitzten Holzfiguren will ich mir anschauen. Die könnten was für Oma sein", meinte sie und schlängelte sich schon durch die Menschenansammlung zu einem Stand, der über und über mit kleinen Holzfiguren vollgestopft war.
„Wir gehen schon mal weiter zum Essensstand da vorne", antwortete Timothy, da er wohl keine Lust hatte, sich die Figuren anzuschauen. Schnell ging ich hinter ihm her und folgte seiner hellblauen Pudelmütze durch das Gewimmel. Doch anstatt direkt auf den fettig duftenden Stand zuzugehen, bog er plötzlich ab und verschwand zwischen zwei Marktständen. Ich sah ihm verwundert hinterher und schlüpfte ebenfalls in die Lücke.
Es war gerade mal ein halber Meter Platz zwischen den beiden Holzwänden und ohne die Weihnachtsbeleuchtung, die nur vage bis hierher schien, fast schon dunkel. Das Stimmengewirr wirkte hier ebenfalls gedämpfter. Timothy stand dort und wartete schon auf mich. Ich kam wieder in den Genuss seines charmanten Lächelns, was mein Herz schneller schlagen ließ. Hör auf damit, Herz!
„Was ist los?", fragte ich ihn immer noch verwundert.
„Nichts. Ich wollte nur mal ein paar Minuten mit dir allein sein", antwortete er und lächelte geheimnisvoll.
„Aha", meinte ich nur und spürte die Haut unter meinen Sommersprossen erröten.
Dann zog er ein kleines Päckchen aus seiner Jackentasche. Es war in schwarzes Geschenkpapier mit weißen Schneeflocken eingewickelt. Ungefähr gleich groß wie mein Geschenk für ihn, nur flacher und dazu reichte er mir ein blaues Briefkuvert.
„Das ist für dich, aber erst an Heiligabend öffnen", meinte er lächelnd.
„Oh wie lieb. Warte. Ich hab' auch noch was Kleines für dich." Bevor ich ihm das Geschenk aus der Hand nahm, griff ich in meinen Jutebeutel und zog die kleine hellblaue Box für ihn heraus. Dann tauschten wir einander die Geschenke aus. Er strahlte bis zu den Ohren, als er meine kleine selbstgebastelte Box betrachtete.
„Ich bin schon gespannt, was da drin ist", grinste er.
„Ja, ich auch", antwortete ich und schaute auf das kleine Päckchen und den Brief in meiner Hand. Wir verstauten die Sachen jeweils in unseren Taschen und dann standen wir einfach nur da.
Er schaute mich an und sah verlegen aus. „Ich würde dich jetzt gerne umarmen. Wäre das in Ordnung für dich?", fragte er leise.
Mein Herz raste. Ich drehte mich schnell um und scannte durch den Spalt die vorbeigehende Menschenmenge. Kein Andrew!
Dann schaute ich wieder zu ihm und nickte. Ein unglaublich süßes und glückliches Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er überbrückte den kurzen Abstand zwischen uns und zog mich zu sich in eine Umarmung. Ich schlang meine Arme um seinen Körper, legte mein Kinn auf seiner Schulter ab und genoss den Moment. Sein weicher, hellblauer Schal schmiegte sich an mein Gesicht an. Das wohlige Kribbeln breitete sich in meinem Körper aus. Oh Mann! Wie schön kann sich etwas anfühlen?
Ich hatte das so sehr vermisst! Und auch er schien es zu genießen, denn er ließ mich einfach nicht mehr los. Plötzlich merkte ich etwas Kaltes und Nasses auf meiner Nasenspitze landen. Ich schaute nach oben und schmunzelte, als ich sah, dass es zu schneien begonnen hatte. Timothy bemerkte es ebenfalls und schaute auch nach oben. „Wie schön! Ich liebe Winter!", hauchte er.
„He! Was macht ihr da!", ertönte eine Frauenstimme, die uns sofort dazu bewegte, uns voneinander zu lösen.
„Nichts", meinten wir gleichzeitig, drückten uns schnell an der Verkäuferin des Standes vorbei, die vermutlich Raucherpause machen wollte und landeten wieder in der viel zu lauten Menschenmasse.
-----------------------------------
Ganz schön romantisch! *-* Und was wohl in Timothys Geschenk drin ist?
Schön, dass sich die beiden wieder näher kommen. Auch wenn es echt ätzend ist, dass Tristan so viel Angst vor Andrew hat ...
Wart ihr dieses Jahr auch auf einem Weihnachtsmarkt?
Freue mich wie immer über eure ganzen Votes und vor allem über eure Kommentare! <3
Eure Elena :)
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top