Kapitel 28
Es war inzwischen Sonntag und morgen würde die Schule wieder losgehen. Ätzend! Maja war schon wieder abgereist. Ich lag gelangweilt in meinem Bett und scrollte auf meinem Handy. Plötzlich vibrierte es in meiner Hand, woraufhin eine Nachricht in mein Sichtfeld rutschte. Schon wieder Unbekannt?
„Hey Tristan, sorry, dass ich störe, aber ich weiß nicht, an wen ich mich gerade wenden soll. Hättest du vielleicht Zeit zu reden? Liebe Grüße Irina." Irina? Ich starrte skeptisch auf die Nachricht. Ich musste unbedingt aus diesem Klassenchat raus, sonst würde mir bald jeder schreiben und ich würde noch beliebt werden. Hahaha!
Doch dann packte mich die Neugierde. Warum sollte Mias beste Freundin mich um Hilfe bitten? „Hey Irina, willst du dich irgendwo treffen? Vielleicht im Park?", schrieb ich deshalb zurück. Ich wartete auf ihre Antwort. Als sie ankam, sprang ich auf und rannte nach unten.
„Mama, ich geh nochmal raus. Bisschen Longboard fahren im Park." Meine Mum saß im Wohnzimmer in ihrem Ohrensessel, eingekuschelt in eine Decke und las ein Buch. Nur kurz blickte sie zu mir auf und meinte: „Gut, mein Liebling. Zieh eine Jacke an." Und schon versank sie wieder in ihrem Roman. Ich schlüpfte in meine schwarze Jacke, meine Vans und meine fingerlosen Handschuhe. Dann schnappte ich mir mein Longboard, das dort angelehnt an der Wand stand und machte mich auf den Weg.
Ich kam beim Park an. Es roch nach nassem Laub, das sich dort am Wegrand angesammelt hatte. Schnell checkte ich mein Handy. Irina hatte mir ihren Standort geschickt und innerhalb von fünf Minuten fand ich sie. Meine Klassenkameradin saß auf einer Parkbank unter einer Birke. Kleine gelbe Blätter regneten auf sie hinab, als ein Windstoß durch die Blätterkrone pfiff. Sie trug eine beige Jacke. Ihre blonden Haare waren vom Wind zerzaust. Was sie wohl will?
Ich sprang von meinem Longboard, schmiss meinen Kippenstummel auf den Boden und trat die Glut mit meiner Schuhspitze aus.
„Hey, wie geht's?", begrüßte ich sie und setzte mich neben sie auf die Parkbank, während ich meine Kopfhörer aus den Ohren nahm und in meine Jackentasche stopfte.
„Geht so", antwortete sie und schaute mich an. Sie sah müde und traurig aus.
„Du wolltest mit mir sprechen?", fragte ich sie und hielt die Spannung fast nicht mehr aus. Sie nickte nur, aber redete nicht. Dann schaute sie auf ihre Schuhe. Nervös zupfte sie an einem Armbändchen, das sie um ihr Handgelenk trug. Auf dem kleinen goldenen Herzanhänger war „Mia bff <3" eingraviert.
Ich spürte, dass sie sich nicht traute zu reden, also sagte ich zu ihr: „Leg einfach los, sobald du dich bereit fühlst. Ich bin hier." Sie schaute wieder zu mir und nickte dankbar. Es dauerte noch einen Moment und dann begann sie zu sprechen: „Bei der Halloweenparty ... Hast du da auch zufällig Mia und Robin auf der Tanzfläche gesehen?" Ich dachte kurz nach. Meinte sie den Kuss? Und dann fiel bei mir der Groschen. Sie war bestimmt verknallt in Robin.
„Meinst du, als sie getanzt und na ja, sich geküsst haben?" Sie verzog schmerzlich das Gesicht, als sie sich daran zurückerinnerte. „Sorry", meinte ich. Ich hatte sie nicht verletzen wollen. Aber jetzt war mir auch klar, warum sie nicht mit Mia darüber reden konnte. Ich wusste nur nicht, warum sie damit dann gerade zu mir kam. Etwas unbeholfen legte ich ihr eine Hand auf die Schulter.
„Ich glaube aber nicht, dass sie in ihn verknallt ist", versuchte ich sie irgendwie aufzumuntern.
„Ich weiß, sie will was von Timothy", meinte Irina geradeheraus. Offensichtlich.
„Hmm", ich dachte nach, „aber dann ist es doch gar nicht so problematisch, wenn der Kuss zwischen den beiden nichts bedeutet hat. Ich glaube zwar, dass Robin ganz schön in Mia verknallt ist, aber vielleicht kannst du ihn ja trotzdem mal fragen, ob er Lust hat, was mit dir zu unternehmen. Und wer weiß ..." Ich stockte mitten im Satz.
Irina sah mich entgeistert an. „Robin?", fragte sie. „Ich will doch nichts von Robin!" Shit, dann will sie was von Timothy!
„Oh!", sagte ich nur, „mit Timothy kann ich dir aber auch nicht weiterhelfen ..."
„Timothy?" Sie schaute mich verwirrt an und dann brach sie plötzlich in lautes Lachen aus. Ich checkte gar nichts mehr. Um was ging's hier denn eigentlich. Oh Gott, will sie etwa was von mir? Jeder im Umkreis von tausend Kilometern weiß doch, dass ich schwul bin!
Sie beruhigte sich wieder. „Du hast da was falsch verstanden", sagte sie dann schmunzelnd, „mir geht's definitiv weder um Robin, noch um Timothy, noch um irgendein anderes männliches Wesen auf diesem Planeten." Und jetzt endlich machte es wirklich Klick bei mir.
„Oh!"
„Ja!", sagte sie nur und versteckte ihr Gesicht in ihren Handflächen, während sich ihre Wangen rosa färbten.
„Ach so und deshalb kannst du nicht mit Mia darüber reden."
„Blitzmerker."
„Falls es dich beruhigt: Timothy ist nicht in Mia verknallt", rutschte es mir raus. Sie lugte zwischen ihren Fingern durch zu mir. „Sicher?" „Ziemlich sicher", nickte ich.
„Woher weißt du das?"
„Ähm, na ja ..." Und jetzt war ich es, der verlegen drein schaute und dabei rot wurde.
„Oh!" Sie nahm die Hände vom Gesicht. „Du und Timothy oder was?" „Na ja ... Es ist noch nichts wirklich passiert, ... also nichts Offizielles, ... also bitte niemandem weitererzählen", stotterte ich, „ich weiß selber noch nicht so genau, was das ist."
„Ich dachte irgendwie, er hasst dich." Autsch! „Aber ich schweige natürlich wie ein Grab", schob sie schnell hinterher und schloss mit einem unsichtbaren Schlüssel ihren Mund ab und warf ihn hinter sich, „und du sagst bitte auch niemandem etwas."
„Ich schwöre!", sagte ich und hielt dabei Zeige- und Mittelfinger nach oben, „und was hast du jetzt vor mit Mia? Willst du es ihr erzählen?"
Sie seufzte. „Ich habe absolut keine Ahnung, was ich tun soll." Verzweiflung machte sich wieder in ihrem Gesicht breit.
„Bin ich der erste, vor dem du dein Coming-out hast?", fragte ich vorsichtig.
Sie nickte und dann lief ihr eine Träne die Wange runter. Ich drückte ihre Schulter. Wieder versteckte sie ihr Gesicht in ihren Händen. „Ich bin die schlechteste beste Freundin dieser Welt! Wie dumm kann man denn sein und sich in seine beste Freundin verlieben?" Sie schluchzte.
Schnell rutschte ich näher zu ihr und legte meinen Arm um ihre Schultern. „Hey ...", sagte ich nur.
„Ich frage mich jeden Tag, warum gerade ich so komisch sein muss. Warum muss gerade ich mich in Frauen verlieben und dann auch noch in Mia! Ich mach' alles kaputt!" Ich konnte ihren Schmerz so gut nachvollziehen. Selbst hatte ich mir auch schon oft solche Fragen gestellt. Jetzt drückte ich sie an mich und streichelte ihr sanft über den Arm.
Ich wusste erst nicht, was ich sagen sollte. Doch dann fielen mir die Worte ein, die ich schon ganz oft von Maja und auch von meiner Mama gehört hatte: „Du bist genau richtig, so wie du bist. Und für deine Gefühle für Mia kannst du nichts, also kein Grund dich selber fertig zu machen."
„Danke", murmelte sie und drückte sich an mich. Ein bisschen musste sie noch weinen. Ich streichelte ihr einfach weiterhin über den Arm. Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass das manchmal das Beste in so einem Moment sein konnte.
Dann richtete sie sich auf, nahm ein Taschentuch aus ihrer Jackentasche und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Ich glaube, ich muss es ihr erzählen", sagte sie dann und sah plötzlich ganz entschlossen aus.
„Das ist sehr mutig von dir", antwortete ich und meinte es vollkommen ernst.
„Aber ich habe Angst vor ihrer Reaktion", meinte sie und zog die Augenbrauen verzweifelt zusammen.
„Das glaube ich dir. Das ist nicht einfach und man weiß leider nie, wie das Gegenüber reagieren wird." Ich dachte zurück an den angewiderten Blick meines Vaters, als ich es ihm vor zwei Jahren erzählt hatte.
Sie nickte. „Ich habe Angst, dass sie mich dann hasst. Aber ich halt es auch nicht mehr aus, ihr nichts davon zu erzählen. Das ist das einzige Geheimnis, das ich jemals vor ihr hatte."
„Du schaffst das", versuchte ich sie zu ermutigen.
Wir saßen noch einige Zeit stumm nebeneinander auf der Bank, als sie sich mit den Händen auf die Oberschenkel klopfte und sagte: „So, ich denke, ich muss jetzt mal wieder nach Hause gehen." Sie lächelte mich an. „Vielen Dank, Tristan, dass du mir zugehört hast."
„Sehr gerne. Und du kannst dich jederzeit melden, wenn du wieder reden magst."
Sie nickte dankbar. Wir standen auf und umarmten uns kurz zum Abschied, bevor wir uns in die entgegengesetzten Richtungen auf den Nachhauseweg machten.
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Hey hey,
ohh die arme Irina befindet sich wohl gerade auch in einer Gefühlsachterbahn. Aber total schön, dass sie sich an Tristan wendet und er ein offenes Ohr für sie hat, oder?
Was denkt ihr, wie Mia reagieren wird?
Ich freue mich wie immer über eure Votes und noch mehr über eure Kommentare! <3 :)
Eure Elena :)
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