9 : DAY THREE

Jeno sitzt mal wieder in der Fensterbank, als Jaemin aus dem Badezimmer kommt, wendet ihm den Kopf zu und lächelt ein "Hi". Jaemin muss schlucken.

"Musst du nicht los?" Er versteckt sich hinter seiner Schnippigkeit, das ist Jeno vorhin auch klar geworden.

"Demnächst. Ich wollte nach dir sehen, du bist nach dem Spiel sofort gegangen."

Jaemins Hände beginnen zu zittern, doch er ballt sie zu Fäusten. "Hatte keine Lust mehr."

"Du hast gut gespielt."

"Ja, ich." Jaemin wirft sein Trikot auf seine Tasche, wühlt aus der anderen Socken hervor. Jeno sieht ihm zu, während er abwägt, ob er nachfragen soll.

"Kommst du zu unserem Spiel?"

Jaemin hält inne, dreht sich um, und als er Jeno ansieht, bröckelt seine Fassade. "Bist du nicht– sauer?"

"Warum sollte ich?" Jeno rutscht von der Fensterbank und setzt sich zu ihm. "Du warst ja nicht auf mich wütend."

"Aber ich hab's an dir ausgelassen."

Er berührt Jaemin sacht am Knie. "Und das ist okay."

"Tut– mir leid." Jaemin beißt sich auf die Unterlippe, um sie vom Zittern abzuhalten.

"Entschuldigung angenommen." Jeno spricht so sanft, Jaemin will ihn erwürgen, denn es funktioniert. "Kannst du jetzt meine Frage beantworten?"

"Natürlich komm ich, du Idiot."

"Okay." Jeno lächelt, als er aufsieht. "Iss noch was, tu dir den Gefallen, okay?"

"Du bist nicht mein Kapitän", versucht Jaemin es schwach. Jeno rutscht zu seiner eigenen Tasche.

"Bin ich auch nicht, aber ich kann mich trotzdem um dich sorgen." Er wirft Jaemin einen weiteren seiner Proteinriegel zu. "Wenigstens den?"

"Okay", flüstert Jaemin, vielleicht kommt es gar nicht an, aber Jeno lächelt ihm zu und steht mit seiner Tasche zusammen auf. Er will ihm ganz schön viel sagen, vor allem Danke, aber sieht nur zu, wie er zur Tür geht, nicht, und–

"Jeno." Er hält inne, dreht sich wieder um. "Ich, nur– Viel Glück."

"Danke. Bis gleich." Schon ist er weg, und Jaemin blickt auf den Proteinriegel und muss beinahe weinen.

Zeit für einen Anruf bei Jisung.

Wie kann es eigentlich sein, dass dieser Tag immer schlimmer wird? Kaum dass Jaemin aufgelegt hat, schiebt sich die Nachricht seiner Trainerin in die Benachrichtigungsleiste, dass sie noch eine Theoriestunde einfügen. In einer halben Stunde, und das heißt, dass er Jenos Spiel verpassen wird und ihm nicht einmal Bescheid sagen kann, obwohl er es ihm versprochen hat, und er garantiert enttäuscht sein wird.

Tränen wegblinzelnd steht Jaemin auf.

Es sind noch etwa zwanzig Minuten Spielzeit übrig, als sie endlich gehen dürfen, und Jaemin sprintet den Weg bis zum Platz. Fast niemand sitzt auf den Zuschauerrängen, und sofort fühlt er sich noch schlechter. Und als er sieht, dass Jeno auf der Ersatzbank sitzt, könnte er glatt losheulen.

Das heißt aber auch, dass Jeno, als er ihn entdeckt, aufstehen und zu ihm kommen kann, mit einem freudigen Lächeln, das nur noch das Tüpfelchen auf dem i ist.

"Tut mir leid", stammelt Jaemin, bevor der Blauhaarige auch nur den Mund aufmachen kann, "unsere Trainerin hat spontan mit uns Theorie gemacht, und ich konnte dir nicht Bescheid sagen, weil du ja schon weg warst, und deine Handynummer oder so hab ich auch nicht, und–" Seine Stimme gibt nach, und sein Oberkörper bebt, als er tief Luft holt. "Tut mir leid", wispert er erneut. Jeno will ihn umarmen und nie wieder loslassen.

"Alles okay." Stattdessen nimmt er Jaemins zitternde Hände und drückt sie sanft. "Ich hab mir sowas schon gedacht."

"Warum spielst du nicht?" Jaemin muss vom Thema ablenken, sonst fängt er gleich hier an zu weinen, und dann wird er nicht mehr aufhören können.

Jeno grinst schief. "Wurde vorhin gefoult. Erst ging's noch, aber dann fing mein Fuß an wehzutun, also bin ich raus."

"Wie ist es jetzt?"

"Alles wieder gut." Jeno schenkt ihm wieder ein Lächeln, und Jaemin will wirklich heulen. "Und da wir führen, bin ich auch zuversichtlich, dass ich nicht gebraucht werde."

"Aber morgen spielst du wieder, oder?"

"Natürlich."

"Wann? Dann kann ich zusehen?"

"Um zehn." Jeno sieht, wie Jaemin gegen die Tränen ankämpfen muss, und er drückt seine Hände noch etwas fester, aber sagt nichts.

"Gut, dann wird das doch nichts. Da spielen wir auch." Jaemin blinzelt. "Sorry, ich– hatte keinen guten Tag."

"Schon wieder?" Es ist sanft, Jaemin muss sich eine Träne von der Wange wischen und nickt wortlos. Jenos Hand ist seiner noch offen, deshalb greift er wieder nach ihr. "Willst du darüber reden?" Kopfschütteln. "Okay. Hilft es, wenn ich einfach noch eine Weile hier mit dir herumstehe?"

"Ja." Sehr sogar, weil er sich dann nicht so entsetzlich allein fühlt. Noch mehr, weil Jenos Finger warm und weich sind und seine nicht loslassen, und so kann Jaemin sich darauf konzentrieren und den riesigen Kloß im Hals langsam wegatmen.

"Tut mir leid", flüstert er dann.

"Hey." Fürsorgliche Schärfe, vielleicht muss Jaemin doch wieder weinen. "Es gibt nichts, für das du dich entschuldigen müsstest, und du hast es jetzt schon dreimal gemacht."

"Ich bin nicht aufgetaucht, obwohl ich's dir versprochen hab."

"Ja, aber dafür konntest du ja nichts." Jeno drückt seine Hände kurz etwas fester. "Und weißt du was? Wenn wir zurück sind, geb ich dir meine Nummer, was hältst du davon?"

Jaemin nickt, vielleicht etwas zu heftig. Aber Jeno strahlt nur und hüpft auf die Bande, legt einen Arm auf Jaemins Schulter und so sehen sie dem restlichen Spiel zu, bis Jeno beim Abpfiff wieder aufs Feld muss.

"Willst du warten?", fragt er Jaemin noch, und als dieser nickt, streckt er ihm grinsend die Daumen entgegen und joggt dann zu seinem Team. Jaemin behält ihn noch im Blick, aber irgendwann nehmen die Schmetterlinge Überhand, und er sinkt zu Boden und muss endlich wieder lächeln.

Jeno kommt in einem kleinen Grüppchen aus der Tür – Jaemin erkennt Chenle zwischen den anderen –, aber winkt ihm, sobald ihre Blicke sich kreuzen, weshalb Jaemin unsicher näher kommt. Er hofft, dass Jeno nichts gesagt hat, aber jetzt, wo seine Gedanken etwas klarer sind, ist ihm sehr bewusst, dass irgendjemand das Gespräch – und vor allem das Händchenhalten – der beiden bemerkt haben muss, und wenn jemand nachgefragt hat, hat Jeno vielleicht doch etwas erzählt, und—

"Hi Nana", strahlt Chenle, und es bringt ihn sofort zu einem zwar schwachen, aber ehrlichen Grinsen.

"Hi Chenle", gibt er zurück und landet sofort unter dessen Arm.

"Du und dein Team habt doch bestimmt Lust, mit uns den Abend zu verbringen?" Oh nein. Sein Team ganz bestimmt, aber er absolut und überhaupt nicht. Er will einfach nur etwas essen und dann früh ins Bett, damit dieser Tag endlich aufhört.

"Musst du die fragen", murmelt er also wenig enthusiastisch und bittet innerlich Jeno um Hilfe, der augenscheinlich Gedanken lesen kann, denn er nimmt in einer Bewegung Chenles Hand von seiner Schulter und legt selbst den Arm um ihn.

"Erstmal schlagen wir uns jetzt die Bäuche mit mittelmäßigem Hotelessen voll", verkündet er mit einem leichten Akzent, der ein Lächeln aus Jaemin hervorlockt.

"Unbedingt", stöhnt der Mensch auf Jenos anderer Seite. "Können wir nicht mal essen gehen?"

"Bestimmt morgen, wenn feststeht, dass wir weiterkommen."

"Jeno." Sofort sieht dieser zu Jaemin, drückt ihn etwas fester an sich, als er die Unsicherheit in seinen Augen sieht. "Kann ich... wieder bei euch sitzen?"

Jeno wuschelt ihm durch die Haare. "Das musst du gar nicht mehr fragen. Der Platz neben mir gehört dir."

Das sollte Jaemin nicht so glücklich machen, aber weil es das tut, lächelt er und Jeno lächelt zurück und Jaemin findet den Tag doch gar nicht mehr so schlimm.

31.07.2022

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