6 : DAY THREE

Jeno muss keinen Wecker spielen, auch wenn Jaemin noch etwas schwerer als am Vortag hochkommt. Motivation für den heutigen Tag hat er auch keine, denn es findet für ihn zwar nur ein Spiel statt, aber das heißt, dass noch Training ansteht, und seine Trainerin hat bereits gestern Theorie angekündigt, immerhin hat seine Mannschaft daran deutlich zu arbeiten. Man stelle sich vor, die Hälfte säße nicht nur da und es wären alle zu Teamplay fähig, sie müssten ja längst in der Profiliga spielen...

"Morgen", strahlt Jeno aus irgendeinem beschissenen Grund, als er aus dem Badezimmer kommt – ernsthaft, hat er nicht gestern noch gesagt, dass er kein Morgenmensch ist? –, Jaemin will ihn schon wieder mit irgendetwas abwerfen. "Gut geschlafen?"

"Geh weg mit deiner guten Laune", murrt er zurück, "vor meinem Kaffee will ich davon nichts hören."

"Sorry." Aber Jeno kann sich das Grinsen nicht verkneifen, weil Jaemin so dermaßen verschlafen aussieht, dass es schon fast niedlich ist. Ihm stehen die Haare am Hinterkopf ab, wohl weil sie gestern noch nicht ganz getrocknet waren, und es ist ihm anzusehen, dass er den Schlaf nötig hatte, aber, wirklich, dazu noch sein Schmollen, Jeno darf nicht zu lange hinsehen, sonst wird das nichts mit dem Keine anderen Spieler süß finden, was er sich jedes Mal für die Auswärtsspiele vornimmt. Aber so ein gewisser Jaemin in seinem Mintpullover und von Natur aus niedlichen Gesichtszügen ignoriert diese Regel einfach für ihn.

"Du kannst schon vorgehen", bemerkt Jaemin, als er aus dem Badezimmer kommt und Jeno immer noch neben der Zimmertür steht, wartend. "Ich komm nach."

"Okay." Jeno zieht schon die Tür auf, aber geht noch nicht. "Weiß nicht, ob du dich bei deiner Trainerin noch abmelden musst, aber unserer braucht eh für gewöhnlich etwas länger, also wirst du uns schon finden."

"Okay." Jaemin wird nervös und weiß gar nicht warum, und es wird noch ein bisschen schlimmer, als Jeno ihn allein lässt, deshalb schreibt er Jisung noch einen Absatz, ehe er seine Laufbekleidung anzieht und seine Kopfhörer wieder aus seiner Tasche wühlt. Noch ein, zwei Mal muss er durchatmen, steckt sie sich in die Ohren und macht auf dem Weg die Treppen hinunter schon seine Playlist an.

Jeno winkt ihm, sobald er aus der Tür kommt, und es ist ihm fast ein bisschen peinlich, weil das halbe Team zusieht, wie er die paar Meter zu ihnen gelaufen kommt. Deshalb schiebt er auch hastig die Kopfhörer wieder zurück in ihr Case und verflucht innerlich Vergangenheits-Jaemin, zugestimmt zu haben, als Jeno ihn zu seinen Läufern eingeladen hat.

Hinter Jeno poppt auch sofort ein jüngeres Gesicht auf, bevor sie sich überhaupt begrüßen können.

"Bist du Jaemin?" Für Jaemins Geschmack sagt er es viel zu laut, weil seine Mannschaft ihn noch nicht bemerkt hat und er sich nachher einiges anhören darf, wenn sie sehen, dass er bei Gegnern mitläuft. Seine Trainerin hat er auf dem Flur getroffen, sie weiß Bescheid, der Rest muss es nicht wissen, und deshalb will er dem Energiebündel – warum zum Teufel haben alle gute Laune? Es ist halb sieben in der Früh – auch am liebsten das Maul stopfen, aber er lächelt nur schwach und bestätigt die Frage.

"Cool. Ich bin Chenle." Er schüttelt ihm etwas zu überschwänglich die Hand. "Jeno hat viel von dir erzählt!"

"Habe ich nicht", fährt dieser scharf dazwischen, "ich habe eine Aussage gemacht und ihr euch einen ganzen Menschen darunter vorgestellt, übertreib nicht immer so, Lele."

"Ja ja." Der Jüngere verdreht die Augen, grinst Jaemin aber gleich darauf wieder an. "Läufst du jetzt immer mit uns?"

"Kommt drauf an." Jaemin kratzt sich am Hinterkopf. "Wenn du mich weiter mit Fragen bombardierst, vielleicht nicht."

Chenle mustert ihn, dann Jeno, seufzt. "And they were roommates. Ihr passt gut zusammen. Hyuck!" Er brüllt es über den Platz und verschwindet im Anschluss an Jeno vorbei, der Jaemin ein entschuldigendes Lächeln schenkt.

"Ich hätte dich vielleicht vorwarnen sollen. Der Rest ist ähnlich."

"Schon gut", murmelt er zurück, "solange du mich nicht allein lässt."

Jenos Magen reagiert darauf mit einem unangebrachten Kribbeln. "Keine Sorge, ich beschütze dich." Er macht so etwas wie eine Kämpferpose, und Jaemin lacht leise auf.

"Brich dir bitte nichts." Bevor Jeno antworten kann, wird Jaemin von jemand anderem in Beschlag genommen, und sie finden erst wieder zueinander, als sie loslaufen.

"Schlimm?", fragt Jeno, Jaemin schüttelt den Kopf. Nett. Zu nett, denn es zeigt ihm nur mal wieder, was er haben könnte, wäre seine Mannschaft nicht so... drauf, wie sie eben drauf ist. Er ist irgendwie neidisch, aber das will er nicht sagen, weil Jeno dann garantiert wieder nachfragen wird, und das will er nicht. Ich bin nicht ehrlich zu Jeno Lee, das ist eine Regel, an die er sich halten wird, egal was kommt. Er kann es nicht gebrauchen, bis Ende der Woche mit jemand Schwulenfeindlichem in einem Zimmer eingesperrt zu sein.

"Geh weg", stöhnt Jeno, Jaemin denkt erst, er meint ihn, aber da taucht wieder dieser Chenle von vorhin auf. "Es war die ganze Zeit so schön ruhig ohne dich."

"Wenn Jaemin jetzt jeden Tag mit uns läuft, will ich ihn aber kennenlernen."

"Und dafür hast du noch die ganze Woche jeden Tag Zeit."

"Nö!" Und damit legt der aufgeladene Verteidiger los, weshalb Jeno gedanklich eine Entschuldigung an Jaemin schickt und ihm stumm mentale Unterstützung leistet, während er versucht, Chenles Fragen zu beantworten und dabei nicht zu viel von sich preiszugeben.

Irgendwann ergreift Jeno seinen Arm und zieht ihn mit sich an die Seite, sodass sie Chenle an die große Gruppe, die an ihnen vorbeiläuft, verlieren.

"Tut mir leid", sagt Jeno, bevor er fragen kann, "wenn er einmal neugierig ist– geht's irgendwie nicht wieder weg. Sorry."

"Alles gut." Jaemin betrachtet ihn genauer und kann sich nicht davon abhalten, zu bemerken, wie attraktiv Jeno aussieht, wenn er sportlich aktiv ist. Himmel, da geht er glatt freiwillig zu einem seiner Spiele, wo er es sonst eher nervig findet, andere Teams zu analysieren. Er will Jeno nicht mögen, nicht so, aber er macht ihm das wirklich schwer, wenn er so verboten gut aussieht.

"Wann spielt ihr heute?" Jeno nimmt eine Lücke zwischen zwei seiner Kameraden als Gelegenheit, wieder loszulaufen, und nach nur wenigen Metern befinden sie sich im Gleichschritt.

"Ähm. In einem der beiden Nachmittagsblöcke. Ihr?"

"Morgens und abends. Dann schleppt Chenle mich garantiert zum Zuschauen bei dir." Jeno seufzt übertrieben.

"Lieber nicht. Sonst fühlt ihr euch noch so unterlegen, dass ihr den Ansporn verliert."

"Lief's so gut bei euch bisher? Du hast's mir immer noch nicht gesagt", schmunzelt Jeno.

"Wir haben gestern beide Spiele gewonnen, aber das zweite Team war echt nicht gut, also muss das nichts heißen. Bei euch?"

"Unentschieden. Gab fünf Minuten Nachspielzeit, aber das hat halt nicht ausgereicht." Jeno zuckt mit den Schultern. "Wir brauchen aber meistens so ein, zwei Spiele, um reinzukommen."

"Warum?"

"Wenn ich das wüsste." Jeno grinst schief. "Ist ja nicht so, als wäre irgendetwas großartig anders, aber irgendwie ist das immer so. Bis ins Achtelfinale sind wir aber in Höchstform."

"Du bist zuversichtlich, notiert."

Jetzt hat Jenos Grinsen etwas Aufforderndes. "Du nicht?"

"Doch, leider." Und weil wieder Schärfe in Jaemins Stimme tritt, fragt Jeno nicht weiter nach.

Eine ziemlich lange Weile sind sie still, jeweils in Gedanken versunken, und Jaemin vermisst seine Musik gar nicht.

"Jeno", beginnt er irgendwann scheu, "kann ich... heute Mittag eventuell– bei euch sitzen?"

"Wenn du dir das antun willst, klar, gerne." Jaemin bekommt ein Lächeln von der Seite und muss wegsehen, um nicht über seine eigenen Füße zu stolpern.

"Ihr redet immerhin mit mir."

"Dein Team klingt wirklich richtig scheiße, weißt du das eigentlich?"

Jaemin lacht leise auf. "Ja." Sehr gut sogar.

29.07.2022

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