24 : DAY SIX
"Jaemin!", ruft seine Trainerin nach ihm, sobald er auf den Platz kommt, und winkt ihn zu sich, weshalb er sich nur schnell einen guten Ball schnappt und zu ihr gejoggt kommt.
"Werd ich wieder ersetzt?"
"Hm? Nein, ich wollte dich fragen, warum du heute Vormittag nicht zum Training gekommen bist."
Jaemin wird blass. "Training?", krächzt er, "es stand doch nichts auf dem Plan außer heute Abend."
"Alex hat ihm nicht Bescheid gesagt." Die Zwölf steht neben ihnen, sie drehen sich ihm gleichzeitig zu, und er bohrt die Schuhspitze in den Rasen.
"Und was ist mit euch? Hier sind ja noch neunzehn andere Leute, die etwas hätten sagen können."
"Dem Kapitän widerspricht man nicht", sagt er leise. Alex widerspricht man nicht.
Ihre Trainerin seufzt entnervt. "Ich hab schon verstanden. Jaemin, wir haben gleich alles vorgezogen, das heute Abend fällt also aus."
Er schluckt trocken. "Okay."
Ein Lächeln bekommt er noch, dann dreht sie ab und ruft nach dem Torwart.
"Sorry", sagt die Zwölf, Jaemin hört es kaum, aber er wirft ihm auch nur einen giftigen Blick zu und beginnt mit dem Aufwärmen.
Es geht dann auch recht schnell rum, und gegen Ende taucht Jeno mit seinem Team auf. Sie winken sich, die Gruppe stimmt sogar zu einem Anfeuerungsruf an, den Jeno aber zum Schweigen bringt, und Jaemin ist darüber so amüsiert, dass ihm sogar Alex und die Wut, die er auf ihn hat, für den Moment egal ist.
Wenn überhaupt treibt sie ihn während des Spiels sogar noch zusätzlich an, und er macht zwar selbst keines davon, aber sie gehen trotzdem mit zwei Toren zu einem vom Platz. Deshalb ist Jeno auch ein bisschen besorgt, als Jaemin nicht ein einziges Mal zu ihnen hochsieht – immerhin sollte er sich irgendwie doch noch freuen, oder ihm mitteilen, dass er keine Lust hat, weiterzukommen – und ohne eine einzige Interaktion nach dem Abklatschen als Erster in Richtung der Umkleiden verschwindet.
Auf dem Weg nach draußen bekommt Jeno eine Nachricht.
Nana :)
Kannst du mich abholen hinten
Bitte?
Klar, tippt Jeno nur hastig zurück, ehe er sich mit den anderen im Schlepptau schneller auf den Ausgang zubewegt.
"Wohin so eilig, Käpt'n?", tönt Chenle irgendwo hinter ihm, und er verdreht innerlich die Augen.
"Raus hier", gibt er nur zurück.
Auf dem Platz vor dem Stadion scheucht er seine Mannschaft dann Richtung Hotel, während er selbst einmal um es herumgeht. Jaemin ist schon draußen, kommt ihm entgegen, als sie sich entdecken, und irgendwie erwartet Jeno alles – aber nicht, dass Jaemin ohne ein Wort mit der Stirn an seine Brust sinkt.
"Alles okay?", fragt er deshalb, streicht vorsichtig über seine Haare.
"Wir hatten Training", bringt Jaemin hervor, Jeno kann nicht ganz erkennen, ob es nur Erschöpfung in seiner Stimme ist, "vorhin, als wir unterwegs waren."
"Oh scheiße."
"Ja. Mir wurde davon nichts gesagt, mal wieder. Und ich hab einfach– Ich hab keine Lust mehr, Jeno."
"Und das ist verständlich." Er legt beide Arme um Jaemin und zieht ihn sacht in den Schatten des Stadions. "War's wieder Alex?"
Nicken. "Ich bin auch– nicht mal mehr überrascht oder sonst irgendwas, weil es immer so ist. Als hätte ich jemals..." Es ist Erschöpfung. Aber nicht bloß vom Spiel, sondern von der ganzen Situation, und wer weiß, seit wann, deshalb schiebt Jeno ihn sanft von sich und nimmt seine Hände, weshalb er aufsieht.
"Hast du nachher noch was vor?", fragt er leise, Jaemin schüttelt den Kopf. "Okay. Was hältst du von Kino?"
"Was?"
"Heute Abend. Wir könnten ins Kino gehen. Filme machen immer alles besser."
Jaemin blinzelt. "Du hast Training."
"Jetzt nicht mehr", grinst Jeno, und es dauert eine ganze Weile, bis es bei ihm ankommt.
"Nein. Nein, Jeno, nein, in zehn Jahren nicht."
"Warum nicht?", schmollt er zurück, "ich kann's doch einmal ausfallen lassen."
"Nein, kannst du nicht." Aber dass er es einfach so vorhat, macht Jaemin jetzt schon fertig. "Du musst vorbereitet sein für euer nächstes Spiel, und ein Vorbild für dein Team sein, und– und überhaupt, du kannst nicht einfach so ohne triftigen Grund– Nein."
"Du bist aber ein triftiger Grund." Ein Pfeil, der sich mitten durch Jaemins Brust bohrt.
"Halt den Mund", wispert er. Jeno lächelt.
"Erstmal gehen wir zurück und du duschst, was hältst du davon?"
"Willst du mir etwa sagen, dass ich stinke?" Jaemin lässt seine Hände los und setzt sich in Bewegung, Jeno nimmt den Platz an seiner rechten Seite ein.
"Ein bisschen", grinst er, quietscht, als Jaemin nach ihm tritt, aber es steckt den Jüngeren an und macht sein Herz ein bisschen leichter.
↯
Jeno scheint Jaemins Bett zu seinem neuen Stammplatz erkoren zu haben, denn er sitzt dort, als der Braunhaarige aus dem Badezimmer kommt. Aber den stört es nicht, er lässt sich neben ihn sinken und rubbelt sich mit dem Handtuch durch die Haare.
"Wie geht's dir?", fragt Jeno mit seinem Welpenblick, Jaemin kann ihn kaum ansehen, ohne zur Pfütze zu werden.
"Besser", sagt er leise. "Ich bin müde."
"Hm." Jeno berührt ihn sanft an der Schulter. "Sollen wir gleich was essen?"
"Ich will gar nicht", schmollt er zurück, Jeno stößt ihn an.
"Mir egal. Meinetwegen gehen wir auch wieder woanders hin, wenn das das Problem ist."
"Weiß nicht." Zögerlich sinkt Jaemin an seine Schulter, weshalb Jeno den Arm um ihn legt und sie noch ein bisschen zusammenrücken. "Waren wir doch heute Mittag schon."
"Ist das schlimm?"
"Willst du nicht bei deiner Mannschaft sitzen?"
"Geht es hier gerade um dich oder um mich?"
Jaemin schließt die Augen. Er weiß, was Jeno hören will, aber er weiß auch, dass er dann nicht ehrlich ist, und er will das zwar irgendwie auch nicht, aber es nicht zu sagen, fühlt sich unfair an, und ein Teil von ihm will einfach nur, dass diese Unsicherheiten aufhören.
"Um dich", sagt er also, "weil ich ein Problem habe und du einfach... zu nett bist und mir hilfst, obwohl ich das alleine lösen sollte. Oder zumindest mit Jisung, auf jeden Fall nicht mit dir, weil ich dich dann nämlich nur die ganze Zeit behindere und deine ganzen Pläne auf den Kopf stelle."
Jeno seufzt, erst einmal, dann zweimal. "Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, so viel Unsinn ist das." Er richtet sich auf und nimmt Jaemins Hände, drückt sie, aber er sieht ihn trotzdem nicht an. "Jaemin, ich will mir sicher sein, dass du mir glaubst, kannst du bitte..." Der Rest der Frage läuft ins Leere, als der Jüngere an seine Brust sinkt, und deshalb stellt Jeno sie gar nicht mehr. Legt nur die Arme um ihn und beginnt, über seinen Rücken zu streichen.
"Jaemin", fängt er dann leise an, "du behinderst hier gar nichts. Pläne hab ich auch kaum welche, und ich bin, glaube ich, alt genug, um zu wissen, was meine Prioritäten momentan sind. Wenn es dir nicht gut geht, verbringe ich gerne Zeit mit dir, wenn es dir hilft, und außerdem mach ich mir Sorgen um dich, wenn ich das nicht kann. Ich bin mir sicher, dass du das auch allein hinbekommst, und dass ich dich auch allein essen gehen lassen könnte, aber wenn ich mitkommen will und du mich auch gerne dabeihättest, spricht doch absolut nichts dagegen. Mein Team ertrage ich momentan schon genug und du bist eine mehr als willkommene Auszeit. Überhaupt bist du das, ich bin nämlich mittlerweile echt froh, dass wir beide in ein Zimmer gekommen sind, sonst wär ich wohl noch durchgedreht mit Chenle. Und du störst nie und behinderst mich auch nicht und irgendwelche Pläne durchkreuzt du auch nicht, weil es die nicht mal gibt. So."
"Ich hab nicht das Gefühl, dass... Ich meine, ich– Ihr–" Jaemin schluckt trocken.
Jeno streicht ihm über den Kopf. "Spuck's aus, Nana."
"Warum seid ihr überhaupt so nett zu mir? Du vor allem, aber auch dein Team, ich hab nie was gemacht und ihr, keine Ahnung, habt mich adoptiert oder so, ich meine, warum denn? Wir sehen uns jetzt eine Woche jeden Tag und danach nie wieder, und dazu treten wir gerade in einer Weltmeisterschaft gegeneinander an, und euer erster Instinkt ist es, einen fremden Spieler–" Er bricht ab, aber bei Jeno ist seine Aussage schon angekommen, und er nimmt Abstand und sieht Jaemin nachdenklich an.
"Was meinst du, wie lange muss ich dich küssen, damit du den Schwachsinn vergisst?"
Jaemin wird rot. "W-Was?"
"Ich mein ja nur. Es juckt von uns niemanden, ob du jetzt aus einem gegnerischen Team bist oder schon ausgeschieden bist oder ob du meinetwegen Handball oder so spielst. Das ist nämlich ganz einfach: Ich, Zimmernachbar." Jeno macht auf der Matratze passende Gesten, und das allein bringt Jaemin schon zum Lächeln. "Zimmernachbar nett – vom Anfang reden wir nämlich nicht –, also ich nett zu Zimmernachbar. Zimmernachbar immer für sich, Zimmernachbar lässt sich von mir durch die Gegend schleifen und trifft auf mein Team, mein Team findet Zimmernachbar ganz toll, wusch, alle Freunde."
Jaemin lacht leise auf. "Wir sind keine Freunde."
"Nee, stimmt." Jeno grinst zu ihm hoch. "Du wurdest adoptiert und ich küss dich, du bist mit niemandem von uns befreundet. Pass auf, dass Chenle sich nicht als dein alleinerziehender Vater erklärt."
"Aber ich bin doch kaum... da."
Jeno will ihn schütteln. "Shotaro? Unser zweiter Torwart, Rückennummer zwölf? Der redet auch eigentlich nur mit Sungchan, wenn er es nicht muss. Meinst du, wir haben ihn deswegen weniger gern? Jeder gehört dazu, ob er so laut ist wie Lele oder so leise wie Sho, wir gehören zusammen, Punkt. Und es ist uns auch schnuppe, woher du kommst, wir mögen dich und du magst uns, oder hoffe ich zumindest, und da kannst du mit den anderen über Tische springen oder dich an meinem Ärmel festhalten und nirgendwo ohne mich hingehen, das ist egal, adoptiert ist adoptiert. Und es ist auch egal, ob es nur die Woche ist oder zwei Jahre. Okay?"
"Okay." Was ist mit dir?, brennt es Jaemin auf der Zunge, aber er hat jetzt schon einen so großen Kloß im Hals, er traut sich nicht, das auch noch zu fragen.
"Gut. Fick dein Team, ganz im Ernst."
Jaemin nickt. "Ich will auch so Familie", flüstert er, und als er sich auch noch über die Augen wischt, wirft Jeno ihn um.
"Wir sind jetzt deine Familie."
"Hör auf."
"Nee, ich mein das ernst. Ich frag die, ob wir zusammen essen, woanders, mein ich. Also, wenn du willst. Ich garantiere dir, dass sie Bock drauf haben, alle. Und wenn ich sag, dass du einen blöden Tag hattest, dann legen sie sich ins Zeug, dass du dich besser fühlst. Ist doch egal, dass es jetzt nur eine Woche ist, wenn es dich glücklich macht? Wir nehmen dich überall mit hin."
Jaemin traut sich gar nicht mehr, etwas zu sagen, weil er jetzt schon wieder weint und weil er nichts Falsches sagen will. Und Jeno sagt auch nichts mehr, schreibt vorerst nur seinen Freunden, ob sie Zeit hätten, und schlingt danach beide Arme um Jaemin, damit dieser sich ausweinen kann.
18.08.2022
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