20 : DAY FIVE
"Nana. Ich fass es nicht."
"Das hat sich nicht er ausgedacht, er hat das nur übernommen." Jaemin wischt sich über die Augen. "Von seiner Mannschaft. Als sie das erste Mal bei mir zugeguckt haben, weil sie erst nur Na gebrüllt haben und dann aber auf Nana gekommen sind."
"Das ist adorable."
"Ja, ich weiß."
"Trotzdem hat er dich gerade Nana genannt."
"Ich weiß, Ji." Er versteckt sich hinter einer Hand, da die andere sein Handy halten muss. "Ich weiß nicht, wie ich das bis Sonntag durchhalten soll. Es ist Dienstag."
"Ja, aber schon mittags, also ist es nicht mehr lange", will Jisung ihn aufmuntern, aber es ist recht wirkungslos. Jaemin hat nicht einmal mehr die Kraft, etwas zu antworten, schließt nur die Augen und sinkt gegen die Fliesen an seinem Rücken.
"Ich wünschte, er wäre geblieben", wispert er, "und mit mir mitgekommen."
"Noch kannst du ihn bestimmt wieder zurückholen."
"Nein, will ich doch gar nicht. Das ist alles so bescheuert, ich bin so ein Idiot, und ich hab nicht das Recht dazu, irgendwas mit Jeno unternehmen zu wollen, aber weißt du, was ich stattdessen mach? Mit ihm kuscheln."
"Was?", hakt Jisung atemlos nach.
"Du hast schon richtig gehört." Jaemin klingt etwas kläglich. "Von gestern hab ich dir ja berichtet, aber, ich weiß nicht, ob er so dicht war, oder bei den geringsten Mengen an Alkohol einfach schon zu einem kuschelbedürftigen Welpen wird, aber du hättest ihn sehen müssen, wie er vor mir stand und mich ohne ein Wort angebettelt hat, ihn neben mir schlafen zu lassen."
"Ernsthaft?"
"Ja. Die ganze Nacht, mit einem Arm um mich gelegt." Es ist Jaemin fast schon peinlich, das zuzugeben, als wäre er derjenige gewesen, der das durchgezogen hätte. "Und morgens vor unserem Weckerklingeln ist er aus dem Bett gefallen, und statt ihn in sein eigenes zu schleppen, hab ich ihn wieder in meins eingeladen, und– und er hatte sich weggedreht, also hab ich me–" Er muss schlucken. "Meine Stirn an seinen Rücken gelegt."
"W. A. S."
"Und nach dem Frühstück wieder."
Stille. Jaemin vergräbt das Gesicht an seinen Knien.
"Also, Jaem, ich will ja nichts sagen, aber ich geb euch zwei Tage, dann habt ihr Sex."
"Jisung! Bist du vollkommen übergeschnappt?! Ich leg auf! What the fuck!"
"Hey, okay, entspann dich", lacht der Jüngere, während Jaemin das Blut in den Ohren rauscht. "Als wäre das so schlimm?"
"Halt die Fresse", grollt es zurück, "halt einfach deine scheiß Fresse."
"Okay, okay." Er seufzt übertrieben. "Aber mal ehrlich, Jaemin, das kam dir nicht fishy vor?"
"Was weiß ich denn, was straighte Fußballjungs mit ihren Homies so treiben?", faucht Jaemin zurück.
"Erstens, no way in hell ist Jeno straight. Zweitens, du bist weit entfernt vom Homie-Dasein mit ihm, ihr kennt euch seit Freitag. Niemand, der noch ganz bei Sinnen ist, kuschelt mit jemandem, den er erst seit vier Tagen kennt."
"Jisung, bring mich nicht auf dumme Gedanken."
"Hm." Er gluckst. "Na gut. Ich sag nur die Wahrheit, ob du sie wahrhaben willst oder nicht."
"Halt die Klappe. Du hilfst mir jetzt, irgendein Restaurant oder so in der Nähe zu finden, damit ich– allem aus dem Weg gehen kann, ich hab Hunger."
"Ist ja gut. Wie heißt dein Hotel?"
↯
Jenos Training ist noch nach Jaemins, aber sie überschneiden sich zeitlich, deshalb sehen sie sich erst wieder, als der Ältere ziemlich erschöpft ins Zimmer stolpert und Jaemin auf der Fensterbank den Kopf zur Tür wendet.
"Hi", sagen sie gleichzeitig, müssen lächeln. Jeno streift sich die Schuhe von den schmerzenden Füßen, pfeffert seine Tasche an ihren Stammplatz und hüpft zu Jaemin aufs Fensterbrett.
"Wie war dein Tag?", fragt er zuerst, Jaemin schließt die Augen.
"Okay", gibt er leise zurück, was eine mordsmäßige Lüge ist. Das Essen heute Mittag war so ziemlich das einzig Gute, das lange Training am Nachmittag – erst Theorie, dann Praxis – hat nicht nur an seinen körperlichen, sondern auch an seinen mentalen Kräften gezehrt, denn wie er vorausgesagt hatte, fand besonders Alex es urkomisch, dass Jeno auch "so einer" ist. Wenigstens war er heute ziemlich allein damit, die anderen haben hauptsächlich gar nichts gesagt oder waren zu beschäftigt mit ihren Bällen, und seine Trainerin hat auch eingegriffen, weshalb es okay war, aber Jaemin hat es einfach so satt. Das alles hat er so satt.
Aber jetzt ist Jeno da, und das ist schön, und deshalb öffnet er die Augen wieder. "Und deiner?"
"Anstrengend." Jeno massiert abwesend seine Oberschenkel, seufzt. "Aber es ist tatsächlich ganz schön hier. Wart ihr schon unterwegs?"
Jaemin schüttelt den Kopf. "Ich hab auch nicht vor, mitzugehen."
"Verständlich", schmunzelt Jeno. "Habt ihr Training gehabt?"
"Mhm. Ich bin auch fertig", ergänzt er noch, und sie teilen ein Lächeln miteinander. In der Dunkelheit fällt es leichter, sich gegenseitig lange in die Augen zu sehen, und Jaemin versinkt nach und nach in Jenos dunkler Iris. Er zögert, aber mit einem bildschönen Jeno vor sich ist es ziemlich schwer, nachzudenken.
"Du hast eine Regenbogenbinde", sagt er deshalb leise.
"Mhm." Jeno betrachtet seine Gesichtszüge im schummrigen Schein der Lichter auf dem Hof, der schwach nur durchs Fenster fällt und trotzdem all das Wichtige sichtbar macht.
"Heißt das, du...?"
Jeno beginnt zu lächeln. "Irgendwas mit bi, ja. Weiß aber keiner außer Mark."
"Warum nicht?"
"Keine Ahnung. Schätze, weil manche das nicht als wirklich queer sehen, und ich will nicht schon wieder für Stress in der Mannschaft sorgen."
"Schon wieder?" Jaemin fühlt sich etwas bescheuert, dass er nur Fragen stellt, aber Jenos Lächeln weicht nicht ein Stück aus seinen Augen.
"Naja. Donghyuck war der Erste, der sich getraut hat. Renjun hat schnell nachgezogen, weil die beiden beste Freunde sind. Die anderen drei haben's gleichzeitig gemacht. Das war noch mit Mark als Kapitän, und ein paar andere waren eben auch noch dabei. Deshalb waren... Ich hab meine Jungs wirklich lieb", sagt Jeno leise, "aber das war schon hart. Sie waren nicht gemein, aber... Ich schätze, Fußballjungs sind einfach so, oder? Dass sie dafür erstmal Zeit und eine Menge Gespräche brauchen, bis sie sich damit wohlfühlen."
"Und du wusstest es da noch nicht?"
Jeno schüttelt den Kopf. "Ich hab zwei fette Crushes gebraucht, um's zu checken", grinst er schief, und Jaemin muss schmunzeln.
"Der große Regenbogen auf deinem Arm wird nicht hinterfragt?"
"Ally und so." Jeno zuckt mit den Schultern. "Ist ja okay so. Solange wir alle respektvoll miteinander umgehen."
"Hm." Jaemins Blick wandert über sein Gesicht. "Für mich war das ein ziemliches Versteckspiel."
"Ja, bei deinem Team ist das auch kein Wunder."
Jaemin lacht leise. "Schon klar. Aber auch abgesehen davon, ich meine..." Sein Satz geht in die Leere, als ihre Blicke sich treffen und sich gegenseitig aufladen, bis sie Funken sprühen.
"Im Grunde ist es mir egal, ob sie's wissen oder nicht. Ich will kein großes Ding daraus machen, und das wird es aber, wenn ich mich hinstelle und ein Coming Out habe. Außerdem hab ich ja nicht einmal einen Namen dafür. Was auch okay ist, aber versuch das mal, manchen der Pappnasen zu erklären."
"Wohl wahr." Ein Lächeln spielt mit Jaemins Mundwinkeln, springt auch auf Jenos über. "Es ist schön, wie du von ihnen redest."
"W-Was?" Jenos Ohren werden heiß, aber das Licht reicht nicht aus, um es Jaemin erkennen zu lassen.
"Von deiner Mannschaft, du Idiot. Ihr seid so... eingeschweißt miteinander, ich weiß nicht. Das ist schön. Außerdem bist du voll und ganz ihr Kapitän."
"Das ist eben mein Job?"
"Ja, aber du siehst es nicht nur als deine Verpflichtung, sondern... Ich meine, du hast das doch sogar zu mir gesagt", Jaemin muss wieder lächeln, "du bist Kapitän, du machst dir Sorgen. Du musst dir ja nur mal Alex angucken und weißt schon, dass nicht alle so sind. Bei Weitem nicht. Du hast ein Auge dafür, wenn es jemandem schlecht geht, du motivierst, du weißt genau, was du sagen musst, ich meine, wer wenn nicht du ist dafür geschaffen, Kapitän zu sein?"
Einen langen Moment sieht Jeno ihn nur an, weil er nicht weiß, was er sagen soll, und dann ist es auch nur ein leises "Warum...?"
"Weiß ich nicht", wispert Jaemin zurück. "Ich glaub, ich mag dich einfach."
"Ja", er hört Jeno kaum, "ich dich auch."
Es erscheint wie das Ende ihres Gesprächs, also richtet Jeno sich auf, aber Jaemin greift nach seinem Shirt und zieht ihn an sich, Jeno kann sich nur noch an der Fensterbank abfangen, Jaemin zwischen seinen Armen, schon liegen ihre Lippen aufeinander.
All die aufgestaute Elektrizität wird auf einmal freigesetzt und in endlose Feuerwerke umgewandelt, die immer wieder aufs Neue explodieren, je länger ihr Kuss anhält. Jaemins Griff wird geradezu krampfhaft, er will sich überhaupt nicht lösen, nur in dieser Schwere- und Gedankenlosigkeit treiben, denn dann muss er sich nicht mit der Realität konfrontieren lassen.
"Jaemin." Jeno hält ihn auf Abstand, und die Angst bricht in einem Platzregen auf ihn herein.
"Tut mir leid", stottert er, "ich hätte nicht– Ich–"
"Nein. Nein, hey." Jeno umgreift seinen Kopf und begegnet seinen großen, ängstlichen Augen. "Ich hab vergessen zu atmen. Mehr nicht. Okay? Du hast die ganze Luft aus meinen Lungen geküsst."
Jaemin wird rot. "S-Sorry."
Jeno schüttelt leicht den Kopf. "Jederzeit wieder."
Also küssen sie sich erneut.
"Scheiße, Jaemin", wispert Jeno in ihrer nächsten Pause. Der Braunhaarige streicht über seine Wange.
"Jup." Er lacht leise auf. "Das trifft es ziemlich gut."
"Oh, Jaemin."
"Wir reden einfach nicht drüber, okay? Wir ignorieren das einfach."
"Klingt gut." Jeno atmet schwer aus. "Sorry. Ich bin echt müde."
"Sollen wir ins Bett gehen?"
"Bitte. Und weg vom Fenster, oh mein Gott, sind wir lebensmüde?"
Glucksend rutscht Jaemin ihm hinterher von der Fensterbank. "Ich meine, dass ich dich überhaupt geküsst habe, war schon ziemlich lebensmüde."
"Nein, das war... genau richtig." Jeno zieht ihn an sich, und all die Schmetterlinge flattern wieder auf. "Ich hätte mich nicht getraut und es im Nachhinein für immer bereut."
"Jetzt übertreib nicht", lächelt Jaemin, krault durch seine Haare, und Jenos Stirn sinkt an seine.
"Tu ich nicht", flüstert er zurück, "es ist bescheuert, aber... ich glaube, ein Teil von mir wollte das schon die ganze Zeit."
"Von mir auch." Einen Moment steht es zwischen ihnen, dann übt Jaemin sachten Druck auf Jenos Hinterkopf aus und sie küssen sich ein drittes Mal.
"Ich glaub, wir sind wirklich lebensmüde."
"Hab ich doch gesagt." Jaemin gluckst leise über die Absurdität ihrer momentanen Situation, und es springt auf Jeno über, weshalb es irgendwann zu einem Lachen wird.
"Wir sind bescheuert."
"Ziemlich", lächelt Jeno. "Bescheuert, müde und kaputt, also ich glaub, es ist uns verziehen."
"Hm." Jaemin lässt sich anstecken. "Ich schlage Schlaf vor."
"Das ist die beste Idee, die du jemals hattest."
Schmunzelnd schiebt er Jeno Richtung Badezimmertür. "Halt die Klappe und geh dich fertig machen, vielleicht überleg ich mir dann, ob du einen Gutenachtkuss bekommst."
Ein Leuchten geht über sein Gesicht. "Ehrlich?"
"Ehrlich, du Welpe."
"Jetzt musst du die Klappe halten", murmelt Jeno, verschwindet ins Bad, und sie fangen auf beiden Seiten der Tür an, wie verrückt zu grinsen.
08.08.2022
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