2 : DAY ONE
Zufrieden ist Jeno wieder in sein Bett zurückgekehrt – er hat Chenles Kreischen noch genau im Ohr, als er ihn immer fester umarmt hat – und hat sein Drumherum glatt vergessen, als der Schlüssel im Schloss klickt und er sich aufrichtet.
Sein Zimmernachbar lugt hinein, schiebt sich hastig durch die Tür und streckt ihm die Hand entgegen. Jeno nimmt sie, fragend eine Augenbraue gehoben.
"Jaemin Na", stellt er sich leise vor, "ich spiel auch Fußball. Sorry wegen vorhin, ich– hatte nicht so einen guten Tag."
"Hi, Jaemin." Jeno schenkt ihm ein Lächeln und drückt seine Hand. "Soll ich mich auch nochmal vorstellen oder beleidigst du mich dann wieder?"
Dem Braunhaarigen schießt Blut in die Wangen, aber er lässt Jenos Hand los und verschränkt die Arme vor der Brust. "Leg's ruhig drauf an."
"Nein, ungern", grinst Jeno zurück. "Ich muss eh gleich los, unsere Trainer foltern uns gerne."
"Da sagst du was", murmelt Jaemin, "ich muss mich auch noch informieren, das kommt bei mir immer recht spät an."
"Oh-oh", macht Jeno, beugt sich über sein Bettende und angelt sein Trikot hervor. "Nicht dass du noch was verpasst."
"Stört auch niemanden." Irgendetwas in Jaemins Stimme lässt Jeno innehalten, aber als er aufsieht, bedenkt er ihn nur mit einem Lächeln. "Welche Position spielst du?"
"Sturm." Er wühlt nach seinen Stutzen, blickt kurz hoch, als Jaemin nicht von selbst antwortet. "Du?"
"Mittelfeld. Mein Team ist aber nicht so kompetent, deshalb spiel ich gefühlt alles."
Jeno lacht leise auf und verschwindet wieder in seiner Tasche. "Solche Aussagen kann ich leider nicht treffen, sonst gehen die auf mich los."
"Meinen Grund dafür kenn ich, was ist deiner?"
Statt einer Antwort wedelt Jeno mit seiner weißen Kapitänsbinde. "Jetzt du."
"Das ist privat." Jaemin sagt es zwar scherzhaft, aber flüchtet im Anschluss ins Badezimmer, weshalb Jeno ganz viele Fragen hat, die er alle nicht stellen kann, weil sie sich ja nicht einmal richtig kennen. Und außerdem wird jemand, der ihn als Allererstes beleidigt, etwas "Privates" nicht einfach so mit ihm teilen. Also ignoriert er das fürs Erste und stopft alle Sachen in seine Fußballtasche, die er nicht anzieht, und verlässt im Anschluss das Zimmer.
Jaemin hört die Tür hinter ihm ins Schloss fallen und macht sich gleich noch etwas kleiner auf dem Fliesenfußboden. Er möchte sich eigentlich schlagen dafür, dass er wirklich kurz erwägt hat, Jeno die Wahrheit zu sagen. Zu sagen, dass er von einem ehemaligen Mitspieler zwangsgeoutet wurde und seitdem totaler Außenseiter ist. Dass selbst die neuen Spieler Bescheid wissen und nie länger als den ersten Tag mit ihm reden, weil seine Team"kameraden" sie einweihen und ihnen gar keine Chance geben, sich für eine Seite zu entscheiden (und ganz ehrlich, Jaemin wäre der Letzte, der das jemandem übel nehmen könnte, immerhin hat er jahrelang das Gleiche getan). Dass er immense Vertrauensprobleme dadurch entwickelt hat und auch ihre erste Begegnung deshalb so dermaßen in die Grütze ging, dass er sich jetzt noch dafür schämt, obwohl Jeno es ihm wohl schon wieder nachsieht. Dass er, wenn er zu lange darüber nachdenkt, gar nicht mehr den Fußballplatz betreten will, aber es aus Trotz macht, weil er sich nicht kleinkriegen lassen will. Und dass es ihm trotzdem so Angst macht, offen damit zu sein, weil es nicht geht, weil niemand schwule Fußballer sehen will, weil er mit seiner selbst lesbischen Trainerin einfach unfassbares Glück hatte, und weil er sich doch selber noch so schwer damit tut, diesen Teil von sich zu akzeptieren. Dass es auch absolut gar nicht hilft, wenn Jeno ihn mit seinen fragenden Augen so ansieht, weil sie so nett aussehen und Jaemin keine Ahnung hat, was vielleicht hinter ihnen lauert, aber er ist so schlecht darin, sich dagegen zu wehren, weil er vertrauen will, weil er offen sein will.
Er tastet wieder nach seinem Handy, sucht fahrig nach Jisungs Nummer, und seine Hand krampft immer mehr um das Gerät, je länger er nur das Tuten hört.
↯
"Tempo, Tempo, sagte ich! Ihr Schlafmützen, habt ihr eure Sportlichkeit zuhause gelassen? Tempo!"
Chenle und Jeno tauschen ein Augenrollen aus, als sie noch einen Zahn zulegen und den bereits keuchenden Shotaro hinter sich zurücklassen. Stattdessen holen sie zum Vierten im Bunde auf; Sungchan, der recht entspannt wirkt, doch an seinem Hals zeichnen sich rote Flecken vor Anstrengung ab, und es ist ihm anzusehen, dass er seinen Sprint zu Beginn der ersten Runde bereut.
"Na?", grinst Jeno ihm entgegen und bekommt dafür wortlos den Mittelfinger entgegengestreckt, bevor Sungchan abdreht und Shotaro Gesellschaft leistet.
Das zwanzigköpfige Team hat sich mittlerweile über die fünf Runden recht gleichmäßig auf die Aschenbahn verteilt, und wer nachlässt, wird vom Trainer wieder aufgescheucht. Jeno weiß jetzt schon, dass er wieder dafür verantwortlich sein wird, die Mannschaft morgens vor dem Frühstück für eine Stunde Joggen aus dem Bett zu holen, und es sind Momente wie diese, in denen er sich fragt, warum er die Rolle als Kapitän angenommen hat.
"Kam er nochmal zurück?" Chenle krempelt sich die Ärmel seiner Jacke hoch, wo Jenos schon seit der zweiten Runde auf dem Rasen liegt.
"Jap." Eigentlich will Jeno ihm gar nicht von Jaemin erzählen, weil er dann nur wieder herumkreischt, aber er hat den Verteidiger einfach viel zu lieb, um etwas vor ihm zu verheimlichen. "Er hat sich entschuldigt. Und einen Namen. Außerdem spielt er auch Fußball, im Mittelfeld, und er mag seine Mannschaft nicht sonderlich gerne, aber ich weiß noch nicht warum."
"Hat sein zweiter Eindruck seinen ersten wieder wettgemacht?"
"Schon", murmelt Jeno, muss daran denken, wie rot Jaemin wurde, als er es erwähnt hat.
"Wie heißt er, wo spielt er, ist er gut?"
"Jaemin, hab ich nicht gefragt und hab ich nicht gefragt. Und jetzt Klappe zu, sonst kriegst du wieder Seitenstechen."
"Du Spielverderber", jammert Chenle, aber sagt tatsächlich nichts mehr.
25.07.2022
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