15 : DAY FOUR

internalized homophobia, alcohol

"In dem fall ich so auf", jammert Jaemin und zieht seinen mintgrünen Hoodie wieder aus.

"Stell dich nicht so an", schmunzelt Jeno.

"Was denn? Ihr alle in euren Vereinsjacken und dann komm ich mit– keiner. Und dann auch noch Knalltürkis? Ich stell mich überhaupt nicht an."

"Du kannst ja eins deiner zwanzig schwarzen T-Shirts anziehen." Jeno deutet auf den Stapel am Fußende, den Jaemin beim Durchwühlen seiner Tasche – nach dem zweiten Hoodie, den er hätte schwören können, eingepackt zu haben – herausgefischt hat.

"Erstens sind das nur vier und zweitens ist das kalt."

"Jaemin, es ist Sommer." Dafür bekommt Jeno einen Blitzblick, weshalb er abwehrend die Hände hebt. "Okay. Und was machst du jetzt?"

"Beleidigt sein und trotzdem in Türkis gehen?" Jaemin stopft seine Kleidung zurück in die Tasche, und sein Zimmernachbar sieht ihm eine Weile nur zu, ehe er den Reißverschluss seiner Jacke aufzieht und sie auf Jaemins Bett wirft.

"Hä?", macht der daraufhin, und Jeno muss lachen.

"Du kannst die anziehen, mich stört das nicht, wenn ich heraussteche."

Jaemin sieht zwischen ihm und seiner Jacke hin und her. "Es stört mich auch nicht so sehr, dass du mir deine Jacke geben musst."

"Mach ich aber, wenn du dich dann wohler fühlst." Jeno sieht ihm dabei zu, wie er zögerlich nach dem Stoff greift und einmal von jeder Seite betrachtet.

"Fällt bestimmt auch nicht auf, dass da deine Nummer draufsteht", murmelt der Jüngere.

"Stört's dich?"

"Stört's dich nicht? Der Schwuchtel deine Jacke zu geben?"

Jeno blinzelt ihn sprachlos an. "Bist du blöd?"

Jaemin schluckt. "Ja?"

Ein Seufzen. Jeno setzt sich zu ihm und bohrt seinen Blick so sehr in Jaemins, dass er nicht wegsehen kann.

"Jaemin Na", beginnt er leise, eindringlich, "es ist absolut egal, ob du schwul oder hetero oder aro oder pan oder ace oder demi oder was-auch-fucking-immer bist, es juckt mich nicht, und wenn du noch einmal wagst, das anzunehmen, dann stell ich dich meinen queeren Jungs vor und die überzeugen dich vom Gegenteil. Kapiert?"

"Kapiert", erwidert Jaemin kleinlaut.

"Gut. Und hör auf, dich selbst zu beleidigen." Jeno steht wieder auf und fischt einen schwarzen Hoodie aus seiner Tasche.

"Warum nehm nicht ich den und du–" Jaemin verstummt, als er ihm einen strafenden Blick zuwirft.

"Halt die Klappe und zieh endlich diese beknackte Jacke an."

"Okay, okay", murmelt er. Es kostet ihn ziemliche Überwindung, was Jeno aber zum Glück nicht merkt, weil er erst mit dem Hoodie und dann mit seinen Schuhen beschäftigt ist, sonst hätte er wieder losgelegt. Aber immerhin ist das Jenos Jacke, und ein Teil von Jaemin fühlt sich mit der 23 auf der Brust und der fremden Farbe ein bisschen wie ausgeliehen (oder eher, als hätte Jeno ihn jetzt als Seins markiert, damit sein eigentliches Team in Ruhe lässt). Der andere Teil ist vollkommen am Ausrasten, weil er jetzt den ganzen Abend in einer Jacke steckt, die nach Jeno riecht.

"So schlimm ist es nicht, oder?" Jaemin sieht auf und hat somit den perfekten Blick auf Jenos wuschelige Haare, die er mit ein, zwei Bewegungen seiner Hand hindurch wieder in Position bringt.

"Nein", er schluckt, "nur ungewohnt. Die Nummer vor allem."

"So groß ist der Unterschied jetzt nicht." Jeno betrachtet ihn eine Weile und muss unwillkürlich lächeln, weil der Anblick irgendwie so niedlich ist. Eigentlich nehmen sie sich an Statur nichts, aber irgendwie schafft Jaemin es trotzdem, kleiner als sonst auszusehen. "Fällt niemandem auf."

"Klar", murmelt Jaemin, steht auf, "bin ja nur ein fremder Spieler in der falschen Jacke."

"Und weil es meine ist, wird niemand etwas sagen." Jeno tritt einen Schritt an ihn heran, wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht, er streift Jaemins Nacken beim Richten des Kragens. "Wenn du jetzt fertig bist mit Meckern können wir los."

Kaum hat Jeno sich abgewendet, wird Jaemin feuerrot und ist dementsprechend dankbar, dass er sich auch nicht noch einmal umdreht, sondern vorgeht und es ihm überlässt, die Zimmertür abzuschließen. Es ist Jaemin ein Rätsel, wie Jeno so natürlich solche Sachen abziehen kann (auch wenn er ein bisschen übertreibt, weil er ja wirklich nur die Jacke gerichtet hat). Kann er nicht Rücksicht auf Jaemins armes, schwaches Herz nehmen?

"Willst du auch?", fragt Jeno, als Diskussionen ums Thema Alkohol, hauptsächlich im Bereich Welches Bier nimmst du laut werden, und Jaemin zieht sich Jenos Jackenärmel über die Handgelenke.

"Weiß nicht", sagt er leise, "ich trink nicht so oft."

"Sollen wir uns was teilen?"

"Willst du nichts... Ganzes?"

Jeno zuckt mit den Schultern. "Mal sehen, ob's bei der einen Runde bleibt", grinst er, und es steckt Jaemin an, wobei dieser dabei den Kopf schüttelt.

"Ist das so euer Ding? Vereinsaufen?"

"Nein. Nur zu besonderen Anlässen. Wir sind ja nicht mehr in der B-Jugend, wo alles noch egal war." Jeno legt die Karte wieder hin, um Jaemin besser ansehen zu können. "Ich meine, wir haben Diäten, an die wir uns halten müssen, und Alkohol steht nicht auf der grünen Liste."

"Solange ihr nicht abstürzt und euer Spiel morgen versaut, ist ja alles in Butter."

"Hm." Jeno schmunzelt. "Dafür hab ich eine noch nicht angebrochene Packung Ibuprofen mitgenommen."

"Gute Idee. Dann hab ich nur noch eine Bitte an dich."

"Ich bin ganz Ohr."

"Kotz mir nicht in unser Zimmer."

Jeno prustet davon los. "Nein, dafür bin ich echt nicht anfällig, keine Sorge. Außerdem, wie du ja schon sagtest: Wir haben morgen ein Spiel, das können wir uns nicht versauen."

"Okay. Gut." Jaemin ist tatsächlich ein wenig erleichtert; das Letzte, was er diese Woche erleben will, ist ein kotzender Jeno.

"Dann kannst du dir jetzt ja beruhigt etwas aussuchen."

"Ich pass mich an...?"

Jeno stößt ihm sanft in die Seite. "Du kannst ruhig mal eigene Entscheidungen treffen. Und dich entspannen übrigens auch." Er deutet auf Jaemins Hände, die sich an seine Ärmel klammern, und der Jüngere verdreht die Augen.

"Da bin ich doch gleich viel entspannter, Jeno, danke."

"Immer gern." Er grinst Jaemin völlig unbeeindruckt entgegen, was diesen aus der Bahn wirft, aber Jeno hat sich schon wieder abgewendet und führt ein Gespräch mit seinem anderen Sitznachbarn, weshalb Jaemin Zeit hat, sich von ihm zu erholen und sich darauf einzustellen, mit einer Truppe angetrunkener Fußballer am Tisch zu sitzen. Dabei muss er sich ziemlich häufig daran erinnern, dass sie nicht sein Team sind und besser, und dass sie sich nicht betrinken werden, immerhin ist ihr Trainer auch dabei und sie sind vernünftig und wissen, dass sie morgen in Top-Form sein müssen, aber ein Rest Nervosität bleibt doch.

Ziemlich unberechtigt, wie er später merkt. Die Stimmung wird lockerer, und sie sind bald die Lautesten vor Ort, aber lassen sich davon kein Stück stören. Außerdem kommt Jaemin so mit ein paar der Jungs ins Gespräch, bei denen er die Gelegenheit noch nicht so richtig hatte, und je mehr er aus Jenos Team kennenlernt, desto mehr fragt er sich, warum er davon niemanden in seinem hat.

Das einzige Problem, das sich nach und nach abzeichnet, ist dass Jeno jemand zu sein scheint, der nicht Nein sagen kann – oder was auch immer der Grund ist, dass er von der überschwänglichen Meute ihm gegenüber nach Jaemins Ermessen schon glatt abgefüllt wird. Es fängt damit an, dass Chenle sein Getränk nicht mag und Jeno es ihm abnimmt, und wenn ihn das nicht schon beschwipst macht, dann sorgen spätestens die von Donghyuck erbettelten Shots dafür, dass er in einem stummen Hilferuf an Jaemins Schulter sinkt.

"Wie war das vorhin? Ihr betrinkt euch nicht?"

"Sorry", murmelt Jeno in seine Jacke, "ich dachte nicht... Ich glaub, die Mischung."

"Hm", macht Jaemin nur, das noch gefüllte Shotglas vor Jeno betrachtend. Den Großteil ihrer Mische hat Jeno getrunken, er selbst spürt kaum etwas vom Alkohol bisher, also...

"Wenn ich zurück bin, hast du den ausgetrunken!", gackert Donghyuck – recht weit entfernt von nüchtern, aber wenigstens noch ansprechbar –, und verschwindet. Jeno gibt ein gequältes Geräusch von sich, richtet sich auf, aber Jaemin nimmt ihm das Glas weg und ext den Shot selbst.

Als er es das Gesicht verziehend wieder absetzt (wirklich, er mag ja sowieso nicht wirklich Alkohol, aber Shots, das ist echt das Letzte), wird er von Jeno angeblinzelt, und so sehen sie sich eine Weile nur an, bis Jaemin seufzt und nur seinen Hinterkopf antippen muss, damit der Blauhaarige wieder an seine Schulter fällt.

"Jaemin", kommt es leise über seine Haare hinweg, Angesprochener wendet sich fragend Renjun zu, "willst du mit ihm zurück? Von hier geht's wenn noch abwärts, und das kann er nicht gebrauchen."

"Das stimmt nicht", nuschelt Jeno, aber Jaemin muss ihm nur in die Seite schnipsen, dass er nichts mehr sagt.

"Lässt Donghyuck sich nicht aufhalten?"

Renjun grinst schief. "Schwierig. Und Jeno hat einen Soft Spot für die Hälfte von uns, also noch schwieriger."

"Das stimmt nicht."

"Halt den Mund", seufzt Jaemin in seine Haare, und Jeno schnauft geräuschvoll, aber tut es tatsächlich.

"Die Luft hier drin macht es garantiert auch nicht besser."

"Okay, ich hab's verstanden. Jeno, kommst du wenigstens allein hoch?"

"Ich krieg alles hin."

"Das bezweifle ich." Jaemin erhebt sich gleichzeitig mit ihm, und Jeno muss eine Weile leicht schwanken, bis sein Gleichgewicht sich findet. Der Braunhaarige will ihn einfach nur noch hier herausschaffen, bevor er sich noch abpackt, also geht die Verabschiedung recht schnell, und damit Jeno wirklich nicht noch auf den Boden klatscht, greift er um seine Seite und stützt ihn.

"Oh, wow", macht der Ältere, als sie vor die Tür treten, "das ist ja wirklich besser."

"Magie", gibt Jaemin verbissen zurück, schiebt seinen Arm noch ein bisschen höher, als Jeno sich in seinen Griff hineinlehnt.

"Bist du sauer?" Himmel hilf. Jetzt sieht Jeno ihn von der Seite mit Welpenaugen an, Jaemin will nur noch schreien.

"Ja, aber nicht auf dich, also sei still und konzentrier dich auf's Laufen, sonst fliegst du mir hin und darauf hab ich wirklich keine Lust."

"Tut mir leid", sagt Jeno leise, legt seinen Arm etwas ungelenk um Jaemins Schulter, "ich wollte nicht. Und eigentlich war das, also mengentechnisch, das hätte nicht ausreichen sollen."

"Die Mischung macht's", murmelt er zurück.

"Sorry."

"Jeno, wenn ich sage, dass du dich auf's Laufen konzentrieren sollst, mach das bitte auch."

"Okay. Sorry", schiebt er noch leise hinterher. Jaemin versucht gar nicht erst, etwas zu sagen, verdreht nur die Augen und umgreift Jenos Taille noch etwas fester.

Bestimmt zehn Minuten hält die Stille, und Jaemin versinkt in Gedanken, während Jeno sich mit seinen leicht vernebelten Sinnen auf genau eine Sache konzentrieren kann, und das ist Jaemin neben ihm. Er ist warm, merkt Jeno nach einer Weile, so schön warm, im Winter ist das bestimmt schöner als jede Heizung. Und außerdem ist sein Griff fest, und Jeno kann sich an ihm festhalten, ohne dass er mit der Wimper zuckt, das ist auch schön, weil das heißt, dass er hier total sicher ist. Aber am allerschönsten ist Jaemins Gesicht, weil er so konzentriert nach vorne sieht, und deshalb kann Jeno sein Seitenprofil ganz in sich aufnehmen und jede kleine Kurve und Erhebung wahrnehmen und sich merken und—

"Steht dir."

Jetzt ist es Jaemin, der fast stolpert. "Was?"

"Die Farben." Jeno zupft an der Jacke an seiner Schulter. "Steht dir. Solltest du behalten."

"Red keinen Scheiß", murmelt er zurück.

"Tu ich nicht." Jenos Kopf stößt an seinen, Jaemin denkt schon, dass es ihn jetzt vollkommen erwischt hat, aber er scheint es nur für eine gute Idee gehalten zu haben, im Gehen ihre Köpfe aneinanderzulehnen. Außerdem klingt er etwas klarer; dass er nur in Halbsätzen redet, liegt wohl mehr an der Müdigkeit, die ihm auch in den Augen steht.

"Mein Gott, du musst dringend ins Bett."

"Tut mir leid", sagt Jeno wieder so kleinlaut, Jaemin traut sich gar nicht, ihn anzusehen, sonst wird er noch weich.

"Alles gut", erwidert er mit Nachdruck, "wir sind gleich da."

"Hm? Oh, stimmt." Jeno kann das Hotel schon sehen, und es löst Erleichterung in ihm aus. Seine harte Matratze ist auf einmal der schönste Ort, den er sich gerade vorstellen kann.

"Wehe, du kotzt."

Der restliche Alkohol bringt Jeno zum Kichern, was vollkommen unangebrachte Dinge in Jaemin auslöst. "Hab ich doch gesagt: Dafür bin ich nicht so anfällig."

"Du hast mir auch eingetrichtert, dass ihr euch nicht betrinkt, und jetzt sieh dich an."

"Jaeminn", kommt es langgezogen zurück, "das ist die Mischuung."

"Sei einfach still", faucht Jaemin, "ich hätte nicht mitkommen sollen."

"Tut mir leid."

"Mein Gott." Sie schieben sich nebeneinander durch die Hoteltür, und für die Treppenstufen nach oben nimmt er Jenos Hand, die auf seiner Schulter liegt.

03.08.2022

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