10 : DAY THREE
tw: homophobia
Das Treffen der beiden Teams kommt zu Jaemins Bedauern doch noch zustande, sodass sie sehr bald nach dem Abendessen in der Hotellobby sitzen und nach einiger Zeit anfangen, sich gegenseitig Fragen zu stellen. Ein Konzept, das Jeno idiotisch findet, aber seine Mannschaft ist total begeistert gewesen, also konnte er nicht Nein sagen und sitzt jetzt seit einer Weile schon Jaemins Kapitän gegenüber, und je länger er das tut, desto überzeugter ist er, dass er der größte Arsch des ganzen David Cups ist.
"Nächste Frage!", grölt die gegnerische 10, und Jenos Seitenblick sagt Chenle deutlich, dass er keine Lust mehr hat. Aber Chenle ist ein Meister der Ignoranz, weshalb er auch diesen Blick ignoriert und ihn stattdessen angrinst.
"Ich bin nicht dran", verteidigt er sich, also richtet sich die Aufmerksamkeit auf den anderen Kapitän. Der verschränkt die Arme vor der Brust, und Jeno will ihm am liebsten eine reinhauen, so sehr trieft sein Grinsen vor Arroganz.
"Wer ist euer Ausnahmefall?"
"Im Sinne von?"
"Egal. Jemand, der euch beim Wort Anders einfällt."
"Käpt'n, mein Käpt'n", grölt eine Gruppe hinter Jeno los, und er verdreht die Augen.
"Ich bin nicht ganz so dumm wie die Trottel, gilt das?"
"Gib uns was Besseres!", kommt es aus den roten Reihen, und Jeno seufzt.
"Sho, darf ich deine Story erzählen?"
"Oh." Der Torwart wird glatt rot. "Ähm. Ja."
"Hat angefangen mit Handball", erklärt Jeno also, "aber irgendwann nach seinem Training immer bei uns zugesehen und nach einer Weile mitgemacht. Von der Verteidigung in den Sturm und lange im Mittelfeld, bis wir ihn einmal ins Tor gestellt haben, weil Pfosten Nummer Eins nicht da war. Chenle hat ihm die Nase gebrochen, weil er nur dastand und Angst vor dem Ball hatte." Ein Grölen geht durch die roten Trikots, Jeno wartet, bis es und das liebevolle Spotten der schwarzen aufhört. "Das hat er als Herausforderung gesehen und ist nochmal in die jüngere Jugend gegangen, um Torwart zu werden. Jetzt kommt er in die Startelf, wenn Kai schwächelt."
"Ey", kommt es von dem, aber Jeno ignoriert ihn völlig, weil er zwei Sachen gleichzeitig wahrnehmen muss und es sich aber nicht anmerken lassen darf. Erstens die Gruppe nerviger Fußballer hinter und vor allem vor ihm, wobei an erster Stelle immer noch deren Kacknase von Kapitän steht, und zweitens Jaemin, der die ganze Zeit regungslos am Rand saß und jetzt in einer ruckartigen Bewegung die Hände auf den Boden legt. Jeno ist sich nicht sicher, was er macht, weil er nicht hinsehen kann, aber er ist ein wenig zu verbissen darauf, es herauszufinden.
"Wer ist es bei euch?"
Sähe er hin, könnte er sehen, dass Jaemin die Augen schließt, und könnte sehen, dass er sich die Fingernägel in die Handinnenflächen bohrt, um ruhig zu bleiben. Sähe er hin, könnte er sehen, dass Jaemin ihn am liebsten erwürgen will, auch wenn er weiß, dass Jeno ja keine Ahnung hat, dass er ihn damit gerade in die Scheiße reitet.
Es ist nicht nur sein Kapitän, der an ihn denkt, auch der Rest seiner Mannschaft wendet ihm die Köpfe zu, weshalb es auch die schwarzen Trikots tun. Jaemin will schreien.
"Unsere Dreizehn." Es ist spöttisch, aber ernst gemeint. Und eigentlich auch völlig hinfällig, weil sowieso schon jeder Jaemin ansieht. Er schnipst einen Fussel von seinem Knie und will jedem einen Blitz in die Augen rammen, aber Jenos Blick ist der einzige, dem er begegnen kann, und der einzige, bei dem er den Blitz nicht schicken will. Er hat es ja nicht gewusst, aber Jaemin wünschte doch, er hätte einfach verdammt nochmal die Klappe gehalten.
"Er ist schwul." Der rote Kapitän spuckt es förmlich aus, und Jeno ist drauf und dran, ihm wirklich eine reinzuhauen. Sein eigenes Team bleibt still, warten auf die Reaktion ihres Kapitäns.
"Wow", sagt er trocken. "Das ist erbärmlich." Das Grinsen auf dem Gesicht seines Gegenübers friert ein, als Jeno weiterspricht. "Ich hatte niedrige Erwartungen an euer Niveau und bin trotzdem noch beeindruckt, wie weit ihr das unterbietet. Wow, ernsthaft? Seine Sexualität macht ihn anders? In welchem Jahrhundert seid ihr denn hängen geblieben?"
"Das ist ekelhaft", faucht Alex, "wer weiß, wo er dir hinguckt beim Umziehen."
Jeno fährt sich über die Stirn. "Ich betreibe jetzt keine Aufklärung mit einer Gruppe Fußballer, deren durchschnittlicher IQ gerade so die untere Mindestgrenze erreicht. Ihr seid wirklich absolute Vollidioten, und jetzt weiter."
Zwei Fragen hält Jaemin noch aus, aber nur, damit es nicht auffällt. Bei der dritten steht er auf und nimmt die erstgelegene Treppe nach oben. Ein paar Schritte geht er noch normal, doch sobald er im ersten Stockwerk ist, rennt er los, stürzt kopflos die Stufen hoch und bekommt kaum die Zimmertür aufgeschlossen, so sehr zittern seine Hände. Seine Gedanken überschlagen sich, er stolpert ins Bad und wählt Jisungs Nummer.
Der Anrufbeantworter klingt ihm entgegen, er legt auf und versucht es erneut. Als er schon nicht mehr klar sehen kann, kommt ein Pop-Up.
Ji ❤️🩹
wir essen gerade Jaem
ist es wichtig?
Jaemin wischt sich die ersten Tränen von den Wangen. Nein, ist okay, tippt er zurück, wollte dir nur was erzählen 🤠 meld dich einfach nachher, aber ich glaub, ich geh früh schlafen heute. Also nicht wundern, wenn ich nicht antworte 😘
Jisungs Antwort kann er gar nicht mehr erkennen, und will es vielleicht auch gar nicht, weil er Angst hat, dass sein bester Freund ihn auch durch die Nachricht einfach liest und genau weiß, dass er mitten auf dem Badezimmerfußboden einen Zusammenbruch hat.
Von seiner eigenen Mannschaft ist er das gewohnt, zwangsweise. Aber dass sie es vor einer anderen einfach so sagen, ihn outen, schon wieder, das tut weh. Und dann war es auch noch Jenos Team, es ist so demütigend, er will ihn am liebsten nie wieder sehen. Jaemin ist sich sicher, dass er das zu Alex nur gesagt hat, damit er vor seinem eigenen Team nicht schlecht dasteht, denn wenn Jaemin sich auf eines verlassen kann, dann auf seinen Gaydar, und der schlägt bei so einigen ziemlich aus. Aber allein, dass Jeno nicht diskutieren wollte, ist ja schon Antwort genug. Und jetzt ist er sich sicher, dass Jeno sich nicht mehr im gleichen Raum wie er umziehen will, und Bemerkungen machen wird und Abstand zu ihm hält und ihm aus dem Weg geht und—
"Jaemin?" Er muss sich die Hand vor den Mund schlagen, um nicht aufzuschluchzen. "Bist du da? Du hast den Schlüssel stecken lassen."
"Sorry", seine Stimme klingt sogar einigermaßen stabil, "vergessen."
Da Jeno nicht antwortet, hat er kurz Hoffnung, dass er dir Antwort akzeptiert und einfach wieder geht, am besten für den Rest des Abends, nein, der ganzen Woche– aber der Kapitän hat andere Pläne.
"Alles okay?" Auf einmal steht er direkt an der Tür, und er ist wirklich besorgt, Jaemin hickst lautlos. "Das war... nicht nett."
"Nein." Nicht nett. Das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.
"Hey." Jeno räuspert sich leise, weshalb Jaemin sich nicht sicher ist, ob er sich das in seinem Tränenwahn nicht nur einbildet. "Ich will nur, dass du weißt, dass mich das nicht stört, okay? Ich wüsste auch nicht, warum es die so sehr stört, also, ernsthaft jetzt. Das ist nicht deren scheiß Problem, und von solchen Volldeppen will sowieso niemand was, egal welches Geschlecht."
Jaemins Lachen klingt seltsam unter Tränen. "Nein, wirklich nicht."
"Eben. Oh Mann." Jeno seufzt. "Ähm, das war irgendwie auch alles. Ich wollte dich nicht stören, nur– nach dir sehen, weil– also, ich versteh, wie beschissen das war, deshalb. Ja. Ähm. Deshalb geh ich jetzt auch wieder, also..." Er lässt ihn allein. Aus irgendeinem Grund ist das gerade Jaemins schlimmste Vorstellung.
"Nicht", schluchzt er deshalb, "Jeno."
Stille. Er bereut es sofort wieder, den Mund aufgemacht zu haben.
"Kann ich reinkommen?" Da ist etwas Sanftes in seiner Stimme, und damit ist es vollends vorbei bei Jaemin. Er kann keine Antwort geben, aber Jeno drückt auch schon die Türklinke herunter, schiebt sie hinter sich ins Schloss, ehe er sich zu Jaemin setzt.
"Tut mir leid", schluchzt der, "ich bin so erbärmlich."
"Bist du nicht", erwidert Jeno mit einer Selbstverständlichkeit, die wehtut. Er streicht über Jaemins Rücken, aber daraufhin sinkt dieser an seine Brust, weshalb er stattdessen beide Arme um ihn legt. "Mir tut's leid", fährt er fort, "dass ich gefragt hab."
"Woher solltest du das wissen?"
"Naja." Jeno seufzt leise. "Ich hätte zumindest damit rechnen können, nach dem, was ich so gehört hab von dir. Aber irgendwie– Weißt du eigentlich, wie tierisch mich das aufregt? Du hast doch nichts getan, und für deine Sexualität kannst du auch nichts, was stimmt nicht mit denen? Mal im Ernst."
Jaemin kriegt keine Antwort mehr hervor, und auch Jeno sagt nichts mehr, also sitzen sie nur da, und Jaemin ist unfassbar dankbar, dass er da ist. Ohne Jisung ist es nicht auszuhalten, wenn so etwas passiert, aber Jeno macht das auch ziemlich gut, und seine Umarmung ist so warm. Jaemin klammert sich fester an ihn.
"Jeno!" Beide zucken zusammen, Chenle schreit es wohl über den ganzen Flur, wenn es selbst hinter zwei Türen noch so laut ist. "Komm jetzt!"
Leise seufzend schiebt der Gewollte Jaemin von sich, mustert ihn. "Unsere Trainer wollten uns sehen. Ist das okay, wenn ich dich allein lasse?"
Er bekommt ein Nicken zurück, Jaemin wischt sich über das Gesicht. "Geht schon", schiebt er noch hinterher, als er sich nicht rührt.
"Du weinst immer noch." Jeno streicht ihm eine Strähne aus dem Gesicht, was gerade absolut gar nicht dabei hilft, sich zu beruhigen. "Ich kann noch bleiben, wenn du willst."
"Nein, das ist okay." Er scheucht Jeno mit einer Handbewegung weg, also steht dieser auf, aber rührt sich nicht vom Fleck, sieht zu, wie Jaemin versucht sich zu sammeln.
"Hey", sagt Jeno leise, weshalb er aufsieht, "also, das hilft dir jetzt nicht, aber– meine Jungs sind auch nicht alle hetero. Ich wollte jetzt niemanden outen, weißt du, aber... Wir verurteilen dich nicht, okay? Und rumerzählen wird es erst recht niemand. Wenn irgendwelche blöden Bemerkungen kommen, sag mir einfach Bescheid."
"Geh, Jeno." Jaemins Stimme zittert, es ist pure Willenskraft, die ihn davon abhält, sich wieder in Tränen aufzulösen und Jeno zu bitten, dass er doch bleibt, weil er weiß, dass er gehen muss.
Jeno sieht das weniger ein, er will nicht gehen, will Jaemin nicht so allein lassen, aber er hat das Gefühl, sowieso schon wieder zu viel gemacht zu haben.
"Okay", murmelt er also. "Ich schließ hinter mir ab. Wenn du willst, können wir– Keine Ahnung. Irgendwas machen, wenn ich zurück bin, ich weiß nicht."
"Schon okay. Ich glaub, ich geh früh schlafen."
"Okay." Jeno schenkt ihm noch ein Lächeln. "Bis dann."
Die Erwiderung bleibt Jaemin im Hals stecken, und sobald Jeno aus der Tür ist, kauert er sich auf dem Fußboden zusammen und betet, dass niemand sein Schluchzen hört.
↯
Jeno ist die halbe Teambesprechung gedanklich noch bei Jaemin, und als sie vorbei ist, ist er der Erste, der den Raum verlässt. Er hätte ihn nicht allein lassen sollen, das war eine dumme Idee, er war noch nicht einmal wieder okay und Jeno geht einfach. Wer macht sowas denn?
Jaemin steht verloren am anderen Ende des Raumes, als Jeno durch die Tür platzt, und ihm ist einfach alles völlig egal, er macht drei große Schritte auf ihn zu und nimmt seinen Kopf in die Hände.
"Ich hätte nicht einfach so gehen sollen", flüstert er, "tut mir leid." Jaemins Augen sind geschwollen, er schnieft, und Jeno will ihn wieder glücklich kuscheln.
"Ist schon okay." Jaemin muss sich räuspern, aber lauter schafft er es nicht. "Ich halt das sonst ja auch aus, ich weiß nicht, warum diesmal nicht."
"Weil das einfach nur respektlos und asozial war." Jeno streicht über seine Wange, und es ist so sanft, Jaemin will gleich weiterheulen.
"Ich bin sonst nicht so, Jeno, das musst du mir glauben."
Sein Lächeln verschwimmt vor Jaemins Augen. "Was, glaubst du, ich denke, dass du immer vollkommen gestresst bist? Ich bin schlauer als die Typen, mit denen du dich sonst so umgibst."
"Ich weiß. Ich, ich–" Er klammert sich an Jenos Brust, als ihm wieder Tränen über die Wangen laufen. "Tut– mir leid."
"Alles gut." Jeno schließt ihn in die Arme, wird noch ein wenig weicher, als Jaemin sich fest an ihn klammert, als wäre er sein einziger Halt.
"Ich hab keine Lust mehr."
"Spätestens gegen uns fliegt ihr raus, keine Sorge", versichert Jeno ihm scherzhaft, und er bringt es zu einem schwachen Auflachen.
"Das hoffe ich doch." Jaemin schluchzt unterdrückt. "Und dann bin ich wieder schuld, ich sag's dir."
Jeno beginnt, über seinen Rücken zu streichen. "Ist das immer so? Dass sie dich so– fertig machen?"
"Nicht so schlimm. Ich weiß nicht– Vielleicht, weil wir jeden Tag spielen und trainieren? Aber–"
"Du weißt, dass du das nicht verdient hast, oder?"
"Ja." Jaemin kann sich nicht mehr unter Kontrolle halten, weint haltlos in Jenos Schulter.
"Okay, gut." Jeno seufzt leise. "Wenn du magst, reden wir gleich drüber, aber musst du auch nicht. Aber– Naja, ich bin da, okay?"
Jaemin kann nur noch nicken, das Danke ist tonlos, aber Jeno erwartet es auch nicht, hält ihn nur fest und fragt sich innerlich, warum er das durchmachen muss.
31.07.2022 art credits to @/bbhdd56 on twitter 🫶
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