13 | Der Angriff
Einige Sekunden lang ist es so still, dass man die Fische husten hören könnte. Fassungslos blicke ich umher - doch ich sehe nichts als Dunkelheit. Bloß die Augenpaare der anderen leuchten wachsam. Tief in meinem Inneren kündigt sich ein unangenehmes Kribbeln an - und ein ungutes Gefühl macht sich in mir breit.
„Was ist hier los?" höre ich Sohails Stimme wispern, doch niemand vermag eine Antwort zu finden. Stattdessen blicken wir nur alle unentschlossen auf den Platz, an dem die Schemen des Fernsehers noch ganz schwach zu erkennen sind. „Vielleicht ein Stromausfall?" fragt schließlich Rivenna in die eiserne Stille hinein.
„Das glaube ich nicht", beginne ich. „In den letzten Jahren kam es vielleicht ein oder zwei Mal dazu, aber niemals während der Hungerspiele. Vor allem, wo sie jetzt auf ihr Ende zusteuern - das kann unmöglich ein Zufall sein..."
Ich richte mich vom Sofa auf und spüre, wie Atala neben mir das selbe tut. Instinktiv greife ich nach ihrer Hand und sofort schließen sich unsere Finger umeinander.
„Ich gehe mal nach Nale sehen..." meint Rivenna mit wackliger Stimme. „Annie, magst du mich begleiten?"
Daraufhin hört man bloß nur noch, wie sich die Schritte der beiden entfernen und ein paar Meter weiter die Haustür klappert.
„Ich geh auch mal lieber mein Haus abchecken... nicht, dass da gleich Friedenswächter aufkreuzen..." murmelt Sohail und keine fünf Sekunden später ist auch er verschwunden.
Mein Herz rast und auch Atalas Hand in der meinen zittert, als es mir plötzlich ganz kalt wird. „Die Kinder" hauche ich bloß, doch ich komme nicht weiter. Mit einem Mal scheint meine Kehle wie zugeschnürt.
„Sie sind noch immer unten auf dem Markt! Wir müssen sie sofort zu uns holen!" sagt Atala und schon zerrt sie an meinem Arm um loszurennen, doch ich halte inne.
„Warte" zische ich. „Ich hole sie. Du bleibst hier, falls sie zurückkommen."
Trotz ihrer bloß grauen Silhouette sehe ich, dass Atala heftig den Kopf schüttelt. „Kommt garnicht infrage. Ich lass dich nicht alleine darunter." Ein panischer Unterton schwingt in ihrer Stimme mit.
„Und was ist, wenn die drei währenddessen zurückkommen und dann in ein völlig leeres Haus spazieren? Was ist, wenn sie hier von Friedenswächtern abgefangen werden? Ich könnte mir das niemals verzeihen. Also ... ich laufe runter zum Markt, vertrau mir, ich bin schnell. Und du wartest hier und hältst die Stellung, wenn sie zurückkommen."
Meine Stimme klingt zittriger, als ich es beabsichtigt habe. Ich weiß, dass das kaum ein Plan ist, aber was sollen wir sonst tun? „In Ordnung.", stellt Atala schließlich fest. Schon reiße ich mich von mir los und will in Richtung Haustür stürmen, da packt sie mich noch einmal am Arm.
„Librae" beginnt sie und mich erschreckt die plötzliche Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme. „Versprich mir, dass du zurückkommst." Etwas unbeholfen lache ich auf, doch als ich in Atalas blaue Augen blicke, starren sie mich mit einer Sorge an, die ich noch nie in ihnen gesehen habe. „Versprochen" antworte ich schließlich und drücke ihre Hand fest.
Ein letztes Mal drücke ich ihr einen Kuss auf die Schläfe, bevor ich schließlich aus dem dunklen Wohnzimmer hinaus in Richtung Haustür stürme. Noch gerade so erkenne ich die hölzerne Tür vor mir, schon reiße ich sie auf und stolpere keine Sekunde später in die warme Nacht hinein.
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Ich laufe erst wenige Minuten den Sandweg hinab, der hinunter ins Dorf führt, als mich plötzlich aus heiterem Himmel ein tiefes Brummen unterbricht. Als würde ein Schwarm wütender Jägerwespen näherkommen ...
Sofort suche ich den Himmel nach den bösartigen Insekten ab - und in meinem Inneren baut sich ein Schrei auf. Denn anstatt schwarz glänzenden Wespenleibern sehe ich etwas ganz anderes - und viel schlimmeres. Auch glänzend und ganz glatt, aber größer - viel größer. Und lauter. Ein Hovercraft.
Das Flugzeug fährt geradewegs über die Hügel hinter dem Siegerdorf, von dem ich soeben gekommen bin. Nicht weit links daneben folgt ein Zweites. Rechts ein Drittes. Mit ihrer langen Schnauze, die spitz zuläuft, erinnern die Fluggeräte beinahe an einen Schwertfisch. Und trotzdem habe ich solche Hovercrafts noch nie gesehen.
Das Brummen wird immer lauter und sorgt dafür, dass mir nicht einmal mehr der Schrei aus der Kehle kommt. Mein Instinkt ruft mir zu, mich sofort flach auf den Boden zu werfen und die Hände über den Kopf zu schlagen, doch ich mache keine Anstalten, ihm zu gehorchen.
Denn die Hovercrafts scheinen nicht in der Nähe zu landen. Unbeirrt rauschen sie über meinen Kopf hinweg - und geradewegs auf das Stadtzentrum zu.
„Nein!" schreie ich nun doch, aber schon wirbeln die Flugzeuge ein letztes Mal die Sandkörner zu meinen Füßen auf, dann sind sie auch schon verschwunden. Die Wärme dieser Sommernacht kriecht zurück auf meine Haut, als wäre nie etwas gewesen. Doch ich halte keine Sekunde lang inne. Die Kinder sind dort unten. Sofort sprinte ich los.
Die Straßen des Distrikts sind wie leergefegt. Wahrscheinlich hat jeder die Hovercrafts gesehen und den schlauen Weg gewählt - sich im Haus zu verstecken. Aber wo sind Willow, Rayam und Alani? Sind sie womöglich schon vor Minuten vom Markt gegangen, stecken jetzt aber irgendwo in einer Gasse fest?
Ich renne, als wären mir die Mutationen auf den Fersen. Mein Herz klopft unaufhörlich schnell. Viel zu stark pocht es mir gegen die Rippen und mein Hals brennt. Doch ich halte nicht inne. Ich denke nicht einmal über den Weg nach.
Trotzdem finden meine Füße irgendwie den richtigen Weg hinab in Richtung Stadtzentrum, wo sich sonst immer die vielen kleinen Stände und Läden des Markts tummeln. Zumindest diese Umrisse tauchen schließlich vor mir auf - doch keine Menschenseele ist auf dem dunklen Platz zu sehen.
Schon will ich meine Stimme erheben und nach den Kindern rufen - da halte ich mit einem Mal inne. Aus einer Seitengasse ein paar Schritte weiter ertönt das Knistern eines Funkgeräts - Friedenswächter!
Flach atmend presse ich mich in den nächstbesten Hauseingang. Der kleine Mauervorsprung bietet kaum Schutz, denn im nächsten Moment sehe ich die weiß gerüsteten Soldaten, die nun im Gleichschritt um die Ecke kommen. Und in der Arena habe ich gelernt - was ich bemerke, kann auch mich sehen.
Ich straffe die Schultern. Besser, ich sehe nicht aus, als hätte ich etwas zu verbergen. Vielleicht kann ich meinen Siegerinnen - Status ja nutzen... vielleicht weiß einer der Soldaten ja etwas über den Aufenthaltsort der Kinder...
Bevor auch nur eine der behelmten Gestalten ihren Kopf zu mir wenden kann, ertönt plötzlich ein Schrei. Ich presse die Finger auf den Mund, doch es war nicht meine Stimme, die zwischen den Hauswänden widerhallt. Sie gehört zu einer Frau mit Turban aus bunten Stofffetzen hoch oben auf einem Balkon im zweiten Stock.
Und in der nächsten Sekunde begreife ich auch, wo ich bin. Ich stehe geradewegs vor Seema Marinovas Haus - das Haus, in dessen Küche sich der Eingang zum Rebellenversteck befindet. Doch mein Blick bleibt nicht länger auf Seemas Silhouette hängen - denn im nächsten Moment treten plötzlich überall Menschen auf die hölzernen Balkone, lehnen sich aus den Fenstern und rutschen sogar über die Dächer.
Hastig presse ich meinen Rücken an die Tür hinter mir - nur, dass die nicht mehr da ist. Stattdessen stolpere ich geradewegs gegen etwas Kaltes, Hartes. Ich wirbele herum und schaue in den Lauf eines Gewehrs. Eines rostigen, alten Gewehrs, gehalten von einer dunklen Gestalt, dessen Gesicht ich nicht erkennen kann.
Meine Lippen öffnen sich zu einem endgültigen Schrei, doch der Unbekannte kommt mir zuvor und presst mir seine riesige Hand auf den Mund. Schon dreht er mich so in den Armen herum, dass ich mit dem Rücken an seiner Brust lande. Ich beiße zu, aber das kümmert ihn garnicht. Aus dem Augenwinkel sehe ich nur noch, wie Seema das Feuer auf die Friedenswächter eröffnet, dann werde ich in das Haus hinter mir gezogen.
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