Es ist noch genau ein Monat bis zu den Spielen, als die erste Sommerbrise durch Distrikt vier weht. Anstatt der tosenden Stürme, die in den letzten Wochen die Fenster zum Klappern gebracht haben, hört man nun Vogelgezwitscher. Früher gab es tatsächlich um diese Zeit immer ein oder zwei freie Tage für die Fischer, denn meistens kamen ein paar Besucher aus dem Kapitol den Distrikt besuchen und dafür musste alles perfekt aussehen.

Doch in diesem Jahr zeigt das Kapitol seine Präsenz auf eine andere Weise. Die Fischer, die in den großen Sturmfluten der letzten Wochen ihre Schiffe verloren haben, müssen meist auf einen großen neuen Kutter anheuern, welchen das Kapitol nach der Verkündung des Jubeljubiläums geliefert hat. Oftmals sind sie Tage oder gar Wochen unterwegs und ein riesiger Tross Friedenswächter bewacht dort jede noch so kleine Aktion.

So kommt es, dass auch Atala schon seit einigen Tagen fort ist und mir nichts anderes bleibt, als auf ihre baldige Rückkehr zu warten und darauf zu hoffen, dass ihr nichts geschehen ist. Zum Glück es gibt anderes, mit dem wir Sieger schon seit mehreren Wochen unsere Zeit vertreiben - Training für die Arena.

Überraschenderweise war es Mags, die nur wenige Tage nach der Verkündung des Jubeljubiläums vor Finnicks Haustür stand und behauptete, dass sie die nächsten Monate nicht tatenlos auf ihren Tod warten würde. Damit begann die erste Trainingseinheit von vielen der beiden, welche sie jedes Mal in der alten Lagerhalle von der Karrieroakademie ausführen.

Und so kommt es auch an diesem ersten warmen Sommertag, dass Rivenna, Sohail und ich Mags und Finnick in die Trainingshalle begleiten. Ihr Deckenlicht flackert kühl und allgemein ist es kaum gemütlich dort. Beinahe wie im Trainingscenter des Kapitols reihen sich an den grauen Wänden massenweise die verschiedensten Waffen, der Boden ist mit Matten ausgelegt und mehrere Stationen mit lebensgroßen Pflanzen und Hindernissen stehen bereit.

Am heutigen Tag konzentrieren sich Finnick und Mags schon nicht mehr auf einfache Übungen wie etwa Laufen oder Seilspringen für die Kondition, oder Dehnen und Parcours für die Beweglichkeit. Viele ereignislose Stunden und Tage, die wir allesamt zumeist schweigend verbracht haben, sind bereits dafür draufgegangen.

Obwohl Rivenna, Sohail und ich gegen Nachmittag in einen Strategieplan vertieft sind und die Trainierenden nur von der höheren Ebene der Halle, in der wir sitzen, beobachten können, entgeht es uns nicht, als Finnick und Mags zum ersten Mal an die Waffenständer treten.
So lassen wir für eine Weile ab von den unzähligen Papieren, auf denen wir mögliche Arenen gezeichnet haben und treten ans Geländer, um die zwei genauer zu beobachten. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit, als ich meine Blicke über die vielen Dreizacke und Speere schweifen lasse, die fein säuberlich geordnet an der Wand hängen und nur darauf warten, sich in eine der Trainingspuppen zu bohren.

Zu unserer Überraschung schlägt sich Mags jedoch nicht schlecht. Natürlich ist sie nicht ansatzweise so gewandt, stark und athletisch wie Finnick und ihre Chancen im Zweikampf sind aussichtslos, doch sie scheint trotz ihres enormen Alters eine gewisse Kontrolle über ihren Körper erlangt zu haben. In den Pausen sorgt sie auch an diesem Nachmittag mit Geschichten aus vergangenen Zeiten für Ablenkung. Das sind die einzigen Augenblicke, in denen die Hallenwände herzhaftes Lachen statt eisernes Waffenklirren zurückwerfen.

Finnick hingegen scheint regelrecht in einen Sog zu geraten, jedes Mal, wenn er sich mit Sohail im Boxkampf misst, oder wenn er einen gesichtslosen Sandsack trifft. Bloß, als er das erste Mal wieder einen Dreizack in die Hand nimmt, funkelt etwas im unendlichen Meergrün seiner Augen auf.
Ich kann mir nur zu gut vorstellen, wie Erinnerungen an seine Hungerspiele wieder in seine Gedanken zurückfluten. Erinnerungen daran, wie sein Dreizack die Körper unzähliger Tribute durchbohrt. Trotzdem zögert er nicht, ihn schließlich aller Kraft in Richtung Rivenna zu schwingen. Es ist nicht das erste Mal, dass die zwei sich im direkten Übungskampf gegenüberstehen, und doch funkeln Rivennas Augen dieses Mal wütender als sonst.

Sie tritt Finnick mit gebleckten Zähnen gegenüber und mit einem Zorn in ihren Schlägen, der sich mit Johanna Masons messen kann. Es dauert nicht lange, bis sie Finnick mit roher Gewalt entwaffnet hat, obwohl er ihr zuerst das Schwert aus der Hand geschlagen hat.
So waren ihre Übungskämpfe früher nie, das weiß selbst ich - es gab immer eine gewisse Grenze. Jetzt allerdings thront Rivenna über Finnick, schwer keuchend.

„Steh auf!" brüllt sie ihn an und mein Herz macht einen Satz. Sonst ist Rivenna immer sehr höflich und ruhig - das plötzliche Feuer in ihrer Stimme erschreckt. „Steh auf und kämpfe oder du bist tot!", ruft die Siegerin erneut. „Ich bin nicht die einzige, die will, dass du lebst! Was ist mit Annie, hm? Du willst sie doch nicht etwa alleine lassen!"

„Rivenna-" keucht Finnick und auch Sohail neben mir wirft seiner Freundin einen mahnenden Blick zu. Doch die lässt sich nicht beeindrucken. Ihr Knie bohrt sich so fest in Finnicks Kehle, dass sein muskelbepackter Körper selbst gegen ihre zierliche Gestalt keine Chance hat.  „Du musst mich schon lassen" bringt Finnick hervor und bringt trotz seiner Erschöpfung noch ein trockenes Lachen zustande.

Fehler Nummer eins. Rivenna drückt ihr Knie fester auf seinen Oberkörper. „Das kannst du in der Arena auch nicht verlangen" zischt sie. „Deshalb üben wir ja" meint Finnick. Fehler Nummer zwei. Rivennas Hände wandern an seine Kehle. „Tot, du bist tot, Finnick! Was soll ich Annie jetzt sagen, hm? Wie soll ich sie wieder beruhigen, wenn du in dieser verfluchten Arena draufgehst? Wie, sag es mir! Wie?"

Ein letztes Mal hört man Finnick schnauben, doch dann lässt Rivennas Gewicht von ihm ab. „Jetzt reicht's" spricht Sohail ganz leise und trotzdem ist die Warnung in seinen Worten nicht zu überhören. Bedacht, aber deutlich packt er seine Freundin an den Schultern und zerrt sie von Finnick fort.

„Du gehst jetzt besser. Kühl dich im Meer ab." sagt er zu Rivenna gewandt. Doch die fährt so schnell zu ihrem besten Freund herum, dass ihre blonden Strähnen wild durch die Luft fliegen. „Du kannst mich nicht wegschicken! Ich hänge da genauso drin wie ihr alle!" ruft sie.
Man sieht Sohail an, dass er Mühe hat, Ruhe zu bewahren, doch schließlich schüttelt er sanft den Kopf. „So kann das nicht weitergehen. Du gefährdest das Training. Und das Leben deines Partners."

Rivenna schnaubt. „War ja klar, dass ausgerechnet du mir in den Rücken fällst!" zischt sie ihren besten Freund an. Meine Stimme zittert, als ich das Wort ergreife. „Wir müssen ein Team sein. Das ist das einzige, was uns bleibt."

„Und wer soll dieses Team leiten, wenn nicht Finnick? Was ist, wenn er in der Arena stirbt? Er ist doch der, der uns alle zurücklässt!" ruft Rivenna zornig. Nun tritt auch zum ersten Mal Mags an die Streithälse heran. „Ach Kinder-" Weiter kommt sie nicht. Sie streckt noch die Hand nach Rivenna aus, doch die schafft es schließlich, sich aus Sohails kräftigen Armen zu befreien und stürmt aus der Halle.

Finnick richtet sich endlich wieder auf und seufzt. „Oh verdammt." murmelt er. Seine Stimme klingt immer noch rau, obwohl ihn niemand mehr erwürgen will. „Ich glaube, sie braucht eine Weile. Vielleicht kann der Seewind ein paar Gedanken aus ihrem Kopf treiben." meine ich. „Da wäre ich mir nicht so sicher.", stöhnt Finnick. „Sie ist wirklich sauer auf mich."

„Und deshalb muss sie ganz alleine merken, wie falsch das ist." sagt Sohail und reibt sich die Stirn. „Ist es das?", erwidert Finnick. „Ich glaube immer mehr, dass sie recht hat. Ich hab sie enttäuscht. Euch alle."

„Sag sowas nicht. Ich glaube, wir alle wären genauso, wenn wir in die Arena müssten. Aber du hast diese Aufgabe auf dich genommen und trägst jetzt ganz schön viel mit dir herum." meine ich.
„Das denke ich auch.", fügt Sohail hinzu. „Rivenna ist meine beste Freundin, und ich weiß, wie sehr sie dich schätzt, Finnick. Sie tut das alles nur, um dich zu schützen. Wir alle werden dich und Mags schützen, koste es, was es wolle. "