06 | Farbenmeer


Der Friedenswächter schlägt auf Aline ein.

Meine Stimme kreischt ihren Namen, versucht alles, um zu ihr zu gelangen.

Doch der Soldat greift zu seiner Elektrowaffe und dann...

Ich schnappe nach Luft.

Die goldeneren Sonnenstrahlen von draußen wärmen mein müdes Gesicht. Mit düsterer Miene wende ich meinen Blick vom Fenster meines Abteils ab, gegen das ich meinen Kopf gestützt hatte. Wie schon so oft in meinem Leben bin ich wieder in einer meiner schlimmsten Erinnerungen getaucht. Ja, wirklich getaucht.

Es ist, als wäre ich ein Schiffbrüchiger, der zwischen den dunklen, tosenden Fluten der See hin - und hergewirbelt wird, so lange, bis er die Luft nicht mehr anhalten kann und - ertrinkt.

Seufzend will ich von meiner Bettkante aufstehen, um mich noch ein letztes Mal im Spiegel zu begutachten, bevor wir im Kapitol ankommen. Doch da sehe ich aus dem Augenwinkel, dass jemand im Türrahmen lehnt. Ich erschrecke und fahre sofort herum.

Es ist Jacek.

Ich weiß nicht, wie lange er dort schon steht. Die blauen Augen durchbohren mich auf eine seltsam prüfende Weise, doch ich kann keinerlei Emotionen in seinen harten Zügen erkennen. Nach einer Weile hat er immer noch nichts gesagt, also erhebe ich das Wort.

„Was willst du?" frage ich, doch meine Stimme klingt weinerlich und vor allem unfreundlicher, als ich es beabsichtigt hatte. Doch ich habe wohl ein gewisses Recht dazu. Warum auch kommt er ohne Anzuklopfen einfach in mein Abteil und beobachtet mich dann auch noch, vor allem, wenn ich gerade in meinem Kopf etwas schreckliches durchlebe?

„Tut mir leid." erwidert mein Distriktpartner sofort. Als ich ihn weiter fragend anblicke, fügt er hinzu: „Wir kommen in ein paar Minuten an. Ich wollte dir nur Bescheid sagen."

Dann macht er auf der Schwelle kehrt und ich will mich schon abwenden, da steckt er seinen Kopf nochmal zurück durch die Tür. Jetzt blickt er beinahe wehmütig.

„Das...mit deiner Schwester tut mir leid."

Es ist kaum mehr als ein Flüstern, nachdem er schon wieder verschwunden ist und mich mit einem seltsamen Gefühl in der Brust zurücklässt. Ich kenne Jacek kaum und doch haben mich sein eigenartiger Blick eben - dieser wehmütige Gesichtsausdruck, die leicht geöffneten Lippen, die nach Worten suchen, und die Augen, die eisblauen Augen - an etwas erinnert.

Ich habe das Gefühl, dieses Gesicht schon einmal vorher gesehen zu haben, lange bevor den Spielen. Doch wann? Gibt es etwas in meiner Vergangenheit, wo Jacek schon einmal eine Rolle gespielt hat? Und vor allem - könnte es womöglich sogar sein Handeln in den Spielen beeinflussen?

Ich schüttele nachdenklich den Kopf, um mich von den vielen Gedanken frei zu bekommen und stehe schließlich auf. Ich richte nur noch einmal kurz meine Haare und zupfe einige Falten an Moms Kleid zurecht, welches ich wieder angezogen habe. Obwohl Saphire mich gebeten hat, mich für die Kapitolsbewohner entsprechend „schick" zu machen, habe ich das nur wenig ernst genommen. Dies sind wohl die letzen Tage meines Lebens - dort möchte ich wenigstens noch ich selbst sein.

Im Hauptabteil erwarten mich Saphire, Mags und Jacek bereits. Besonders unsere Betreuerin scheint es kaum abwarten zu können, dass wir in wenigen Minuten ihr heißgeliebtes Kapitol erreichen werden.

„Komm, komm hier zum Fenster! Dort vorne könnt ihr es schon sehen!" ruft Saphire viel zu übermütig, doch trotzdem gehe ich nur mit langsamen Schritten auf sie und die anderen zu.

Ich stelle mich neben Jacek an das schimmernde Glas, von dem aus sich uns eine unglaubliche Aussicht bietet. Ein riesiger, in der Sonne glänzender See erstreckt sich vor uns und dutzende Wasserfontänen schießen die sprudelnden Wassermassen in schwindelerregende Höhen. Obwohl noch etwas von dem morgendlichen Nebel über dem See ruht, verschlägt mir der Anblick, der sich dahinter bietet, die Sprache. Eine eindrucksvolle, in allen Farben leuchtende Skyline ragt meterhoch in den Himmel, die Berge in weiter Ferne dahinter wirken beinahe winzig. Die unzähligen glänzenden Farben der Hochhäuser heben sich in einem beeindruckenden Kontrast vom strahlend blauen Himmel ab.

Doch der Anblick bleibt uns nicht länger, denn schon wird uns die Sicht auf die Skyline von der Wand des dunklen Tunnels genommen, durch den der Zug im nächsten Moment fährt. Es vergehen nur wenige Sekunden, bis das Innere des Abteils wieder in grelles Licht getaucht wird, als wir den Bahnsteig erreichen.

Der Zug bremst ab und bietet uns den Blick auf eine Unmenge von seltsam gekleideten Leuten, die sich nur so drängen, um einen Blick auf uns zu erhaschen. Selbst durch die geschlossenen Fensterscheiben kann man ihren Jubel hören. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, als ich daran denke, dass sie alle insgeheim doch nur darauf warten, dass wir in der Arena brutal getötet werden.

Mit einem Ruck kommt der Zug schließlich zum stehen. Das einzige, was man noch hört, sind die Menschenmassen draußen, die begeistert unsere Namen schreien. Von hinten spüre ich Saphires spitze Finger, die mich an den Schultern packen und mitsamt Jacek vor die Tür schieben.

Bei meinem wohl wenig begeisterten Gesichtsausdruck beim Anblick der draußen jubelnden Kapitolsbewohner sieht sie mich mahnend von der Seite an.

„Na los! Lächelt! Winkt! Sie lieben das!" flötet sie und keine Sekunde später öffnet sich schon die Tür vor uns mit einem lauten Zischen.

Eine Flutwelle an Menschen schlägt uns entgegen, als Saphire Jacek und mich die Treppen hinunter auf den Bahnsteig schiebt. Grelle Lichter, blitzende Kameras und unzählige Hände, die sich nach uns ausstrecken. Es braucht eine Weile, bis ich realisiere, dass wir auch vorwärts gehen müssen.

Ein Blick auf Jacek an meiner Seite zeigt, dass er bereits ein strahlendes Lächeln aufgesetzt hat. Ich tue ihm gleich. Ich denke mal, es sieht überzeugend aus. Nur die, die mich wirklich kennen, wissen, dass es unecht ist.

Ich versuche, nicht in die vielen Gesichter zu blicken, die uns anstrahlen, sondern nur zwischen ihnen hindurchzugehen. Ich wage es nicht, die Menschen anzusehen, die mich ansehen werden, wenn ich brutal getötet werde.

Zum Glück sind wir bald endlich aus den Massen entkommen und ich kann das gekünstelte Lächeln wieder ablegen. Wir werden in ein bereit stehendes Auto gebracht und schon bald ist das Gejubel von draußen wieder nur ein dumpfer Klang, abgedämpft durch die Fensterscheiben.

Einige Minuten und einen kurzen Weg zu Fuß später stehen wir vor einem hoch in den Himmel ragenden Wolkenkratzer, dessen Fensterglas immer abwechselnd dunkelblau und rot getönt ist.

Wie ein Meer aus Farben schimmern uns die unzähligen kleinen Scheiben in Sternform entgegen. „So, das ist es! Euer Zuhause für die nächsten Tage! Ich denke, das übertrifft eurer altes um einiges oder?" flötet Saphire und wartet auf ein Lachen von Jacek und mir, doch sie bekommt keins.

„Und wo sind die Tribute der anderen Distrikte?" fragt Jacek stattdessen. „Jeder Distrikt bekommt sein eigenes Stockwerk. Da wir aus vier sind, wohnen wir in Stockwerk vier." erklärt Saphire begeistert.

Daraufhin folgen wir ihr durch eine große Eingangshalle in einen Fahrstuhl, der uns in in eine schwindelerregende Höhe transportiert. Nachdem wir ausgestiegen sind, ist es nur noch ein kurzer Weg bis zu unserem Wohnbereich.

Bald treten wir durch eine Glastür, die sich automatisch öffnet, zu einen lichtdurchfluteten Raum, der eine Mischung aus Küche, Ess- und Wohnzimmer zugleich zu sein scheint. Anstelle von Wänden trennen uns nur Glasscheiben von der Außenwelt, die zugleich auch einen Blick hinunter auf die Stadt bieten.

Der Boden ist mit einem dunkelblauen Samtbezug überzogen, an den Wänden hängen große Bilder, in der Mitte des Raumes thront ein polierter Tisch, und allein das Sofa dahinter ist beinahe so groß wie unsere Küche zuhause.

Saphire lacht begeistert, als sie mein staunendes Gesicht sieht und sofort funkele ich sie an. Ich will nicht, dass sie auch noch den Eindruck bekommt, mir gefalle das alles hier. Es ist zwar eines der beeindruckenden Dinge, die ich bisher gesehen habe, doch ein Ort den ich „Zuhause'' nennen kann, wird das hier niemals sein.

Alles wirkt so inszeniert, so glänzend, so perfekt. Als wäre es nicht das Kapitol, das Fehler macht, wenn es diesen Raum herrichtet, sondern wir Tribute, wenn wir ihn verschmutzen.

Ein paar Minuten später sind Jacek und ich bereits jeweils in unsere Zimmer gebracht worden. Sie sind noch prächtiger als die im Zug, doch ich will jetzt nicht meine Zeit damit verbringen, mir die kapitolsgemachten Einrichtungen auch hier genauer anzusehen.

Stattdessen lasse ich mich seufzend auf das kuschelweiche Bett sinken. Doch mir bleibt nicht mal eine Minute, um durchzuatmen, denn schon kommt Saphire ohne Vorwarnung zu mir und bittet mich, ihr zu folgen. Das tue ich nur widerwillig, denn ich weiß, was jetzt folgt.

Den gesamten Rest des Tages werden Stylisten aus dem Kapitol Jacek und mich für die Einführungsfeier heute Abend herrichten. „Sie schmücken die Tribute für den Tod" - das hat Nale immer gesagt. Bei dem Gedanken an meinen besten Freund verspüre ich ein schmerzhaftes Stechen in der Brust.

Schnell konzentriere ich mich wieder auf das bevorstehende Ereignis. Was die Stylisten uns wohl für ein Kostüm rausgesucht haben? Die Tribute müssen alle etwas tragen, das die Aufgabe ihres jeweiliges Distriktes widerspiegelt. Bei uns waren es meistens irgendwelche seltsam aussehenden Konstrukte aus Fischernetz oder Schuppen, die Fischerei symbolisieren sollten.

Was es wohl dieses Jahr sein wird?


Etwa fünfzehn Minuten später sitze ich alleine in einem kleinen Raum.

Eisweiße Wände, ein grelles Licht und die harte Liege, auf der ich gebeten wurde, Platz zu nehmen, kreieren eine seltsame Atmosphäre.

Obwohl der Raum keinerlei Fenster hat, habe ich das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Ich erschrecke, als nach einer Weile die metallene Tür aufgeht, und ein Mann und eine Frau hereinkommen. Und beide sehen noch dämlicher gekleidet aus als die Leute am Bahnhof.

Die Frau hat unnatürlich lange, grüne Wimpern und sowieso ein übermäßig geschminktes Gesicht. Ihre beinahe gelb leuchtenden Augen beißen sich mit ihrem neonpinken Kleid und den roten Stöckelschuhen.

Der Mann trägt ein silbern glänzendes Oberteil aus Pailletten und eine nicht weniger schimmernde Hose aus etwas wie dunkler Seide. Auch seine Wimpern sind künstlich verlängert, jedoch sieht es zumindest nicht ganz so krass aus wie bei seiner Partnerin.

Nachdem sie mich stumpf aufgefordert haben, mich bis aufs weitere auszuziehen, mustern sie mich von Kopf bis Fuß. Beschämt versuche ich, Augenkontakt mit ihnen zu vermeiden und starre stattdessen auf den Fliesenboden. Ich fühle mich wie ein Ausstellungsstück in einem Museum, das sie bewerten sollen, nicht wie ein Mensch aus Fleisch und Blut.

„Du hast ja schöne Augen, kleines! Verschiedenfarbig, darauf kommen selbst die Leute hier nicht oft!" flötet die Frau mir zu und lacht kurz auf. Sie weiß natürlich genau, dass ich mir meine Augen nicht habe künstlich verändern lassen. Und trotzdem kann sie es anscheinend nicht lassen, Witze darüber zu reißen.

„Ach, wie furchtbar unhöflich von uns, uns garnicht vorzustellen! Also ich bin Selyn, und das ist Jake." flötet sie und weist auf ihren Partner. Ich bemerke, dass bloß er mir in die Augen sieht, Selyn scheine ich wohl kaum mehr als ein paar oberflächliche Begrüßungsworte wert zu sein.„Nun, beginnen wir!" ruft Jake ungewöhnlich laut, sodass ich kurz zusammenzucke.

Und in den folgenden Minuten bereue ich es, mich nicht irgendwie gewehrt zu haben, denn das, was die beiden mit mir anstellen, ist keinesfalls schön. Den Rücken auf einem kalten Metalltisch, liege ich da und lasse unzählige Prozeduren, die mich anscheinend schön machen sollen, über mich ergehen.

Nach einer Dusche mit viel zu heißem Wasser beginnen meine Stylisten schließlich, mit schmalen Wachsstreifen jeden Zentimeter von mir zu bearbeiten. Es fühlt sich so an, als würden sie mir nicht nur die Härchen, sondern auch den Rest meiner Haut entfernen, solch brennende Schmerzen verursacht der Vorgang.

Auch danach ergeht es mir nur wenig besser, ich muss mehrere Bäder nehmen, die das Brennen auf meiner Haut erstrecht verstärken, mich immer wieder in den prüfenden Blicken meiner Stylisten finden und bald habe ich vor Schmerzen jegliches Gefühl in meinen Gliedmaßen verloren. Ebenso habe ich kein Zeitgefühl mehr, doch auf jeden Fall bin ich schon mehrere Stunden hier drinnen. Schließlich werde ich mich ein letztes Mal abgeduscht, bis sich Selyn und Jake meinem Gesicht zuwenden.

Bevor Selyn beginnt, mit irgendeinem Werkzeug, von dem ich garnicht wissen will, was es anstellt, an meiner Stirn herumzuzupfen, hält sie inne und blickt mir das erste mal seit heute Morgen wirklich ins Gesicht.

Ich fühle mich unangenehm beobachtet, doch trotzdem schaffe ich es, ihr im die die kalten gelben Augen zu blicken.

„Ach, du bist so hübsch, Kindchen. Schade, dass solch eine Schönheit in den Spielen zugrunde gehen wird." seufzt sie, bevor sie sich an meinen Augenbrauen zu schaffen macht.

Ich verziehe das Gesicht, als mir ein Schauer den kalten Rücken hinabläuft. Von jemandem aus dem Kapitol „hübsch" genannt zu werden, ist keineswegs ein Kompliment, finde ich. Im Gegenteil - es zeigt bloß, dass Schönheit hier bloß etwas materielles ist, dass jeder versucht, irgendwie zu erlangen.

Doch ich denke, dass Schönheit nichts ist, was man von außen beurteilen sollte. Ich denke, es ist das, was wir selbst fühlen und was sich dann auch außerhalb von uns zeigt. Schönheit sind die Spuren, die das Leben auf uns hinterlässt und all die Narben und Lachfalten, welche die Erinnerungen uns hinterlassen. Schönheit ist es, sich selbst leben zu lassen - und nicht so, wie jemand anderes es von einem möchte.

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen, als Jake freudig in die Hände klatscht. „Wir wären fürs erste fertig!" ruft er und beäugt mich stolz wie ein fertiges Porträt, das er gemalt hat.

Mittlerweile lasse ich die Blicke einfach über mich ergehen, doch trotzdem bin ich froh, als die beiden kurz darauf den Raum verlassen, um mein Kostüm zu holen.

Ich nutze die Zeit allein, um an den bevorstehenden Abend zu denken. Ich sollte die Wichtigkeit dieses Moments definitiv nicht unterschätzen. Obwohl es nur wenige Minuten einer kurzen Kutschfahrt über eine Straße des Kapitols sind, ist dies die erste Chance, potenzielle Sponsoren zu gewinnen, die einen in der Arena womöglich vor dem Tod bewahren können.

Wir Tribute können nicht mit dem Publikum sprechen, also sind das einzige was zählt, unsere Kostüme und die Aufmachung. Darum hoffe ich auch, dass die Stylisten Jacek und mir ein nicht allzu schreckliches Kostüm herausgesucht haben.


Ein paar Minuten später kommt Jake allein, ein glänzendes Kleidungsstück über seinen Arm gehängt, wieder herein. Als ich ihn aus dem Augenwinkel mustere, als er das Stück auf eine Kleiderstange hängt, fällt mir auf, dass er allein, ohne Selyn, weniger verspannt zu sein scheint.

Nicht, dass er kein verrückter Stylist aus dem Kapitol mehr wäre - aber jetzt, wo er dort steht und beinahe verträumt zu Boden blickt, finde ich ihn das erste Mal seit heute Morgen nicht ganz so abscheulich und beinahe schon menschlich und verletzlich.

Als er mich auffordert, aufzustehen, sind meine Gedanken jedoch wieder bei dem Kostüm. Nachdem ich mir die schwarze Unterwäsche übergezogen habe, die er mir bereitgelegt hat, soll ich mich erneut wieder setzen. Es ist beinahe schon lästig, und ich tue mich nur schwer, nicht die Augen zu verdrehen.

Eine gefühlte weitere Stunde sitzt Jake nun an meinen Haaren, kämmt sie, bringt sie mit irgendwelchen Werkzeugen in gewünschte Formen und sprayt sie mit irgendetwas ein.

Anschließend scheint er etwas kleines aus hinteren Strähnen zu flechten, also bleibt der Rest meiner Haare wohl offen. Wenigstens etwas, das noch ein wenig nach meinem alten Ich aussehen wird. Nachdem mich Jake danach auch noch geschminkt hat, kommen wir endlich zum Kostüm, das wohl aus Kleid bestehen wird. 

Als mein Stylist es mir hinhält, sehe ich, dass es aus einen türkisblauen Stoff besteht, der unglaublich stark zu schimmern scheint. Außerdem scheint es kein gewöhnliches Türkis zu sein, sondern eins, das aussieht, wie das Meer am Abend, wie es schimmert, wenn sich die Sonne darauf spiegelt. Der Stoff scheint am Saum eine Welle aus Pailetten zu bilden, und es sieht beinahe täuschend echt wie Wasser aus.

Zwar würde ich dieses prächtige Kleid niemals freiwillig tragen, doch trotzdem bin ich beeindruckt. Ich denke, es repräsentiert die Aufgabe unseres Distrikts, ohne dabei völlig bescheuert auszusehen.

Nachdem ich das Kleid schließlich übergezogen habe, zupft es Jake noch an einigen Stellen zurecht, obwohl der weiche Stoff bereits perfekt zu sitzen scheint. Zu meiner wenigen Begeisterung kommt schließlich auch noch die neugierige Saphire in den Raum geplatzt und quietscht bei meinem Anblick beinahe tierisch auf.

Sie scheint den Moment kaum abwarten zu können, in dem Jake seine Arbeit stolz beendet hat, nur, um mich dann vor den großen Spiegel an der Wand zu schieben. Was ich dort sehe, verschlägt mir nicht nur die Sprache, sondern lässt mich auch beinahe auf den kalten Fliesen ausrutschen.

Denn vor mir stehe nicht mehr ich.

Dort steht nicht mehr das siebzehnjährige Mädchen aus Distrikt vier, das in den Kleidern ihrer Mutter am Strand sitzt. Sondern ein viel älteres Mädchen, glänzend, perfekt, in einem atemberaubenden Kleid. Mein Gesicht ist geschminkt, dunkel, sodass es beinahe geheimnisvoll wirkt. Meine Lippen scheinen, genau wie der Rest an mir, leicht bläulich zu schimmern. Meine langen schwarzen Haare liegen in leichten Wellen über meinen Schultern, bloß die vorderen Strähnen sind am Hinterkopf zu einer einzelnen Strähne zusammengeflochten, die aussieht wie ein gewebtes Fischernetz.

Es wirkt so fremd, und trotzdem genau so, als wäre es für die Hungerspiele. Denn beide Male bin ich nicht mehr ich selbst. „Du siehst fantastisch aus!" quietscht Saphire übermütig.

Kurz darauf verlasse ich den Raum das erste Mal an diesem Tag wieder und treffe auf dem Flur auf Jacek und eine Frau in einem quietschgelben Blazer, die wohl seine Stylistin zu sein scheint. Auch er sieht beeindruckend aus, trägt einen Anzug im selben türkisblau wie ich und sein Haar schimmert nun beinahe golden.

„Siehst gut aus" zwinkert er mir zu. Ich erwidere nur ein kurzes Lächeln.

„Du auch" füge ich hinzu, bevor ich mich wieder abwende. Ich kann jetzt kaum noch darüber nachdenken. Denn nun geht es los.

Ab jetzt zählt jeder einzige Zug von mi  und wird entscheiden über die Spiele und dann auch über mein Leben. Und das meiner Geschwister.

Die Hungerspiele haben begonnen.

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