Kapitel 46 - Holly
Absichtlich trödelte Holly ein wenig beim Spülen, denn die Aussicht, dass sie gleich allein mit Winston war, machte sie nervös. Sie konzentrierte sich auf das kühle Wasser, das über ihre Hände lief und atmete tief durch. Auch wenn Winston heute Morgen erst abweisend oder vielleicht eher verwirrt gewirkt hatte, schien er sich jetzt sicherer zu sein, was seine Gefühle anbetraf. Womöglich hatte er es Ally schonend beibringen wollen, aber da sie es bereits wusste, musste er sich nicht länger verstecken. Zumindest stellte Holly es sich so vor.
Sie drehte das Wasser ab, schüttelte ein paar Tropfen ab und wischte sich die Hände an der Hose trocken. Erst als sie sich wieder zum Gehen wandte, bemerkte sie, dass es in den letzten Minuten schnell dunkel geworden war. Sofort wanderte ihr Blick zum Himmel, aber bis sie wirklich die Sterne beobachten konnten, würde sie noch ein wenig warten müssen.
Sie sah zu Winston, der gerade am Auto stand und im Kofferraum herumkramte. Als würde er ihren Blick bemerken, sah er über die Schulter genau zu ihr. Er lächelte und Holly spürte, wie sie verlegen wurde. Tief in sich drin war sie noch immer schüchtern, auch wenn Winston und Ally eine selbstbewusste, schlagfertige Seite an ihr hervorgekitzelt hatten.
Noch einmal holte sie tief Lust, dann ging sie zu Winston. Ihre Beine fühlten sich an wie Wackelpudding, so nervös war sie. Dabei war es doch nur Winston, von dem sie wusste, dass er sie mochte.
„Hey", sagte er, als sie bei ihm ankam.
„Hey", erwiderte sie und reichte ihm das gespülte Geschirr, welches er in den Kofferraum zwischen das ganze inzwischen ziemlich durcheinander geratene Zeug legte. Als er fertig war, schob er die Hände in die Hosentaschen und drückte die Arme durch, als sei er angespannt. Hollys Herzschlag beschleunigte sich und sie erinnerte sich daran, dass sie sich vorgenommen hatte, notfalls die Initiative zu ergreifen.
„Wollen wir uns vielleicht auf den Baumstamm setzen?", fragte sie und suchte seinen Blick. Seine Mundwinkel zuckten, als sie ihn fand, doch er schüttelte den Kopf.
„Ich habe eine bessere Idee. Komm mit", sagte er und machte eine Kopfbewegung, die bedeutete, dass sie ihm folgen sollte.
„Okay", sagte sie, trat neben ihn und gemeinsam gingen sie wieder zurück in Richtung des Toilettenhäuschens. Holly warf hin und wieder Blicke zu Winston und ein paar Mal bemerkte sie, dass auch er zu ihr sah.
„Wo gehen wir hin?", fragte sie, denn auch wenn die aus dieser Richtung mit dem Auto gekommen waren, behagte ihr es nicht wirklich, im Dunkeln hier herumzulaufen.
„Hier hin", sagte er, blieb stehen und deutete nach oben an die Felswand die sich links neben ihnen befand. Sie folgte seinem Fingerzeig, doch es war schon recht dunkel und sie konnte nicht erkennen, was er meinte. Verwirrt sah sie ihn an.
„Dort, die kleine Höhle", sagte er und erst da erkannte Holly die kleinen Trittsteine, die in der Wand eingelassen waren.
„Geh vor, ich fange dich auf, falls du fällst", sagte Winston und grinste dämlich, was Holly die Augen verdrehen ließ.
„Das würde dir gefallen, was? Wenn du mich mit deinen starken Armen auffängst", sagte sie, allerdings gefiel ihr die Vorstellung tatsächlich auch ziemlich gut.
„Geh schon", forderte er und Holly gehorchte. Es war wie eine winzige, steile Treppe, die in den Stein hineingehauen worden war, doch überraschenderweise gelang ihr der kurze Aufstieg ganz gut.
Knapp drei Meter über den Boden gelangte sie an ein kleines Plateau, vielleicht zwei Mal zwei Meter, dahinter lag eine kleine Höhle. Auch wenn sie nicht wirklich groß war, verängstigte sie die Dunkelheit darin.
Holly richtete sich auf, klopfte sich ein wenig den Staub von den Händen und sah zu Winston, der gerade zu ihr auf das Plateau kletterte. Kaum dass er bei ihr war, legte er die Arme um sie und zog sie in eine feste Umarmung. Holly legte ihre Wange an seine Brust und hörte seinen aufgeregten Herzschlag.
„Das war ein schöner Tag und ich habe das Gefühl, dass er noch besser wird", sagte er leise, legte seine Hand an ihren Hinterkopf und vergrub die Finger in ihrem Haar. Seine Hand war so groß und gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit.
„Winston, ich...", setzte sie an, denn auch wenn sie es genoss, dass sie sich näher kamen, wollte sie klare Verhältnisse schaffen. Zumindest so gut es in diesem Moment eben ging. Sie löste sich ein wenig von ihm, damit sie ihn ansehen konnte. Seine dunklen Augen wirkten so offen und einfühlsam, gleichzeitig wirkte er nervös und besorgt.
„Ja?", fragte er, als sie nach ein paar Sekunden noch nicht die richtigen Worte gefunden hatte.
„Ich... ich will nicht...", stammelte sie, wusste aber eigentlich selbst nicht so recht, was sie sagen wollte. Für einen Moment schloss sie die Augen und sammelte sich. Ihre Gedanken flogen nur so umher, aber nach und nach formte sich etwas, das ihr Herz aussprechen wollte.
„Ich kann das nicht so, wie das zwischen dir und Ally war. Ich meine, dass wir nur miteinander schlafen", sagte sie, denn auch wenn sie nicht wirklich viele Erfahrungen mit Beziehungen hatte, wusste sie, dass sie nicht der Typ Freundschaft-Plus war. Einen Moment lang blieb Winston stumm, bis sich ein Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete.
„Genau das will ich auch. Ich will dich kennenlernen, dein... dein fester Freund sein. Meine Gedanken mit dir teilen und für dich da sein. Und... naja, ich will auch mit dir schlafen", sagte er und lachte leise. Auch Holly grinste, denn obwohl sie über so ein ernstes Thema sprachen, konnte er seine Witzchen nicht lassen.
„Gut, dass du das auch so siehst", sagte sie, auf einmal noch nervöser als vorher. Winston zog sie wieder enger an sich, legte seinen Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf. Holly spürte, dass er sie küssen wollte und ihre Lider flatterten in freudiger Erwartung.
„Ich habe mich in dich verliebt", hauchte Winston, dann legte er seine Lippen auf ihre. Dieser Kuss war ganz anders als der von heute Morgen. Viel sanfter und nicht so verlangend. Holly erwiderte ihn, ließ ihre Hände auf seine Brust wandern und klammerte sich an seinem T-Shirt fest. Viel zu schnell löste Winston sich von ihr und fuhr ihr mit dem Daumen über die Unterlippe.
„Holly, ich... ich würde gern mit dir zusammen sein. Ich... habe zwar nicht wirklich eine Vorstellung, was es genau bedeutet, in einer Beziehung zu sein, aber... ich denke, dass ich es gern probieren würde", sagte er, lachte verlegen und sah sie ein wenig unsicher an. Es war so ungewohnt, Winston verunsichert zu sehen und es zeigte ihr, dass er noch eine ganz andere Seite hatte, die sie noch nicht oft zu Gesicht bekommen hatte. Eine verletzliche, gefühlvolle Seite. Holly schluckte schwer und bevor sie länger darüber nachdachte, fing ihr Mund an zu sprechen.
„Dann könnten wir ja zusammen rausfinden, wie es ist, in einer Beziehung zu sein", sagte sie, was Winston nicken ließ.
„Okay, also... sind wir ab heute zusammen?", fragte er und sofort nickte sie. Ein breites Grinsen legte sich auf Winstons Gesicht und noch einmal küsste er sie.
„Du bist echt der Wahnsinn. Seit Ally dich mitgebracht hat, habe ich gleich gespürt, dass...", sagte er, unterbrach sich aber, als hätte er sich vor seinen eigenen Worten erschrocken.
„Was denn?", fragte sie, nervös und freudig zugleich, denn Winston hatte unverkennbar etwas ziemlich Süßes sagen wollen. Er räusperte sich.
„Ich habe gleich gewusst, dass du und ich gut zusammenpassen würden", sagte er, was Hollys Herzschlag in die Höhe schießen ließ.
„Winston, das... das ist echt nett, dass du das sagst. Ich wusste nicht, was das zwischen dir und Ally war, deswegen hat es mich verunsichert, als du mit mir geflirtet hast", gestand sie, was ihn nicken ließ.
„Das zwischen Ally und mir... Wir sind Freunde und wir haben ein paar Mal miteinander geschlafen. So sehe ich es und ich bin mir sicher, dass sie es auch bald so sehen wird", sagte er und auch wenn die Vorstellung von den beiden im Bett schmerzte, nickte sie. Zwar hatte Ally ihr diese Erfahrung mit ihm voraus, aber sie schien sein Herz zu haben.
Auf einmal sah Winston nach oben und hob den Finger in die Luft.
„Sieh mal, jetzt kann man auch die Sterne sehen", sagte er und als auch Holly den Blick hob, stockte ihr der Atem. Es waren nicht nur vereinzelte Sterne, die zwischen Wolken hervorkamen, sondern der Himmel war übersät von abermillionen von kleinen, funkelnden Sternen. Es war wunderschön.
„Das ist der Wahnsinn", entfuhr es ihr, denn so etwas hatte sie noch nie gesehen.
„Siehst du, es hat auch Vorteile, in der Wüste zu wohnen. Die Sternenhimmel sind atemberaubend", sagte er, ließ sie los und ließ sich nieder. Er legte sich auf den Rücken, die Hände unter dem Kopf verschränkt. Holly zögerte, tat es ihm schließlich aber gleich und legte sich neben ihn. Der Fels unter ihr war noch warm von der Sonne und wie von allein rutschte sie näher an Winston und schmiegte sich an ihn.
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