Kapitel 36 - Winston

Mit schmerzendem Rücken wachte Winston am nächsten Morgen auf. Zumindest nahm er an, dass es Morgen war, denn helles Licht drang durch die dünne Zeltwand. 

Erst da bemerkte er etwas Warmes auf seiner Brust und als er genauer hinsah, erkannte er Hollys Hand, die sich in sein T-Shirt krallte. Er grinste, denn auch wenn er es nicht mitbekommen hatte, wie sie ihre Hand dort hin gelegt hatte, fühlte es sich schön an. 

Ganz anders als sein Rücken, denn er schmerzte und er musste dringend aufstehen. Vorsichtig nahm er Hollys Handgelenk und hob ihre Hand von seiner Brust. Gerade als er sie neben ihr ablegte, schlug sie die Augen auf. 

„Schlaf weiter", flüsterte er, doch Holly blinzelte und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Winston warf einen Blick zu Ally, aber das leise Schnarchen verriet, dass sie noch tief und fest schlief. 

Mühsam krabbelte Winston aus dem Zelt, denn er musste sich dringend strecken. Kaum dass er die frische, klare Luft einatmete, fühlte er sich besser. Er streckte die Arme über den Kopf, sog gierig die noch kühle Luft ein und blickte in die Ferne. 

Der Ausblick hier war wirklich wunderschön. Er trat näher an den Baumstamm, der die Begrenzung des Campingplatzes darstellte und warf einen Blick den steil abfallenden Hang hinunter. Sie befanden sich auf einer Art Plateau, denn hinter ihnen führte ein steiler Bergweg hinauf zum Gipfel des Berges. 

„Nicht fallen", sagte auf einmal Hollys Stimme unerwartet dicht bei ihm, sodass er heftig zusammenzuckte. Er keuchte und legte sich die Hand auf das schnell pochende Herz. 

„Du bist aber schreckhaft", amüsierte Holly sich und grinste ihn an. Winston drehte sich zu ihr um und betrachtete sie näher. Sie sah noch ein wenig verschlafen aus, ihr Haar stand in alle Richtungen ab und als hätte sie seinen Blick bemerkt, glättete sie es mit der Hand. 

„Hast du gut geschlafen?", fragte er, woraufhin Holly nickte. 

„Wie ein Stein", sagte sie, zog gleichzeitig die Ärmel ihres Pullis über die Hände und schlang die Arme um sich, als wäre ihr kalt. 

„Und du?", fragte sie noch und sah ihn erwartungsvoll an. 

„Eher wie auf einem Stein. Mein Rücken tut weh", antwortete er und ließ die Schultern kreisen. 

„Vielleicht hilft dir ja eine Massage", erwiderte sie und er glaubte, dass sie ihm zugezwinkert hatte. Winston spürte, wie seine Wangen heiß wurden. Flirtete Holly etwa mit ihm? 

„Klingt ziemlich verlockend. Aber zuerst muss ich die Cola von gestern Abend wegbringen", sagte er, denn er spürte einen unangenehmen Druck in der Blase. Holly nickte. 

„Ja, ich auch", erwiderte sie und setzte sich in Bewegung. Ein Stück von ihrem Zelt entfernt, am Ende des kleinen Campingplatzes, gab es ein kleines Toilettenhäuschen. Es war nicht wirklich eine Toilette, eher ein Plumpsklo in einem Verschlag inklusive Herzchen in der Tür, aber allemal besser als der dritte Baum links. 

Gemeinsam gingen sie das kurze Stück und Winston bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie als erstes gehen sollte. Eilig schlüpfte sie hinein und er schlenderte ein paar Schritte weiter den Weg entlang. 

Sobald Ally aufgewacht war, könnten sie eine Wanderung zum Gipfel des Berges machen. Auch wenn es sicherlich anstrengend werden würde, war er sich sicher, dass es sich allein für die Aussicht lohnte. 

Er ging zurück zum Toilettenhäuschen und sah, wie Holly wieder herauskam, allerdings hielt sie ein kleines Fläschchen in der Hand und grinste. 

„Guck mal, die haben dort drin biologisch abbaubares Shampoo", sagte sie und hielt ihm die kleine Flasche hin. 

„Wie praktisch", sagte er, denn eigentlich hatte er sich darauf eingestellt, nur mit einer Katzenwäsche vorlieb zu nehmen. Bevor Holly noch etwas erwidern konnte, verschwand er allerdings im Toilettenhäuschen. Er beeilte sich und als er nur kurze Zeit später wieder nach draußen trat, entdeckte er Holly ein Stück weiter in Richtung ihres Zelts. Er schloss zu ihr auf und stupste sie an der Schulter an. 

„Hast du auch Hunger?", fragte er und sofort nickte sie. Winston lächelte, denn auf einmal musste er daran denken, wie sie ihre Hand heute Nacht auf seine Brust gelegt hatte. 

„Du hast dich heute Nacht in mein T-Shirt gekrallt", sagte er, was Holly beinahe ertappt die Augen aufreißen ließ. 

„Hab ich nicht!" widersprach sie, auch wenn es ganz klar gelogen war. Ihre Wangen färbten sich rot und sie senkte den Blick auf den Boden. 

„Doch hast du. Und... es hat sich schön angefühlt", sagte er etwas leise und spürte den Drang, sie in den Arm zu nehmen. Bevor er jedoch irgendetwas tun konnte, ließ Holly sich auf dem Baumstamm nahe des Hangs nieder. Sie seufzte, streckte die Arme über den Kopf und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. 

„Ich mache uns was zum Frühstück", sagte er und ging noch einmal zum Zelt, um den Autoschlüssel zu holen. Möglichst leise zog er den Reißverschluss auf, um Ally nicht zur wecken und streckte den Arm hinein. Er fand den Schlüssel oben an dem kleinen Haken neben der Lampe und zog ihn heraus. 

Noch immer war Allys leises Schnarchen zu hören. Sicherlich würde sie heute erst einmal ihren Rausch ausschlafen, aber das war auch gut so. Immerhin hätte er dann ein wenig mehr Zeit, um Holly etwas besser kennen zu lernen. 

Er ging zurück zum Auto und kramte aus dem Kofferraum den Gaskocher und die Dose Bohnen, die sie gekauft hatten. Dazu noch etwas Toast und es wäre ein ganz ansehnliches Frühstück. Gerade als er den Kofferraum wieder schließen wollte, tauchte Holly neben ihm auf. 

„Warte, da drin ist nicht zufälligerweise eine Karte?", fragte sie, doch Winston schüttelte entschuldigend den Kopf. Holly stieß einen unzufriedenen Laut aus und legte einen Finger ans Kinn. 

„Ich hatte da eine Idee, aber...", setzte sie an, machte dann aber eine wegwerfende Handbewegung. Winston wurde neugierig. 

„Was suchst du denn?", fragte er und bemerkte wieder den leicht rosa Schimmer auf Hollys Wangen. 

„Naja, ich dachte wo wir ja jetzt das Shampoo haben...", druckste sie herum, doch Winston begriff, was sie wollte. 

„Also wenn ich mich recht erinnere, gibt es hier nicht wirklich einen See oder einen Fluss. Nur eine Quelle, aber die ist zu Fuß von hier nicht erreichbar", sagte er und sah, wie Holly enttäuscht die Schultern sinken ließ. Anscheinend wollte sie mit ihm baden gehen, was allerdings in der Wüste ziemlich schwierig war. Winston lachte. 

„Aber da vorn gibt es einen Hahn, an dem man Wasser holen kann. Wenn du willst, können wir es in die leeren Flaschen füllen", sagte er schulterzuckend, denn wenn Holly eine richtige Dusche erwartet hatte, würde sie enttäuscht werden. 

„Mach uns erst einmal etwas zum Frühstück", sagte sie, klang aber ein wenig ernüchtert. Sie ging zurück zu dem Baumstamm und setzte sich mit dem Rücken zu ihm, den Blick in die Ferne gerichtet. 

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