Kapitel 2 - Ally
Ally spuckte ihren Kaugummi zielsicher in den Mülleimer hinter der Rezeption, löste das dämliche Namensschild und warf es neben das Buch mit den Reservierungen. Sie wollte nur noch weg hier, auch wenn es eigentlich eine angenehme Schicht gewesen war.
Ihr Chef, ein alter, dicklicher Typ, der sein Hemd immer ein wenig zu weit aufgeknöpft hatte und dadurch sein graues Brusthaar entblößte, sah sie unverhohlen an. Er war widerlich, aber da sie die meiste Zeit allein hier arbeitete und es ganz gut bezahlt wurde, ließ sie seine geifernden Blicke über sich ergehen.
„Bis morgen", verabschiedete sie sich, winkte kurz und schnappte sich ihre Handtasche, die unter dem Tresen in einem kleinen Schrank lag.
„Bis morgen, Kleine", sagte ihr Vincenzo, ihr Chef. Sie ignorierte seinen unangemessenen Kosenamen, stieß die Glastür so fest auf, dass sie an die Wand knallte und verließ das Gebäude.
Sofort brannte ihr die Sonne auf den Schopf und auch wenn sie schon ihr ganzen Leben lang hier in Texas lebte, machte ihr die Hitze zu schaffen. Es war wirklich unerträglich heiß und sie wollte schnell nach Hause.
Sie ging in Richtung des Zimmers von Holly. Sie hatte sich ihren Namen gemerkt, das machte vielleicht einen guten Eindruck, denn sie brauchten wirklich dringend einen neuen Mitbewohner. Zwar machte ein Sechstel mehr Miete, das sie nun aufteilen mussten, nicht allzu viel aus, aber das leere Zimmer schien sie jeden Tag mehr zu bedrücken. Sie liebte Geselligkeit und außerdem brauchte sie ein wenig weibliche Unterstützung in ihrem Haufen von Jungs.
Als sie an Hollys Zimmer angelangt war, klopfte sie und wartete geduldig, bis Holly die Tür öffnete. Sie lächelte schüchtern und schob ihre schwarzrandige Brile zurecht. Sie war eher der Typ Mauerblümchen, aber sie schien nett zu sein.
„Hi", sagte Ally und hielt ihr die Hand hin, um sich noch einmal vorzustellen. Ohne zu zögern nahm Holly ihre Hand und drückte sie leicht.
„Ich bin Ally. Bitte nicht Allison", sagte sie, denn sie war sich sicher, dass Hollys Blick vorhin an ihrem Namensschild hängen geblieben war.
„Freut mich. Ich bin Holly", sagte sie, bevor sie ihre Hand wieder losließ und unsicher an ihren Fingern herumspielte.
„Also, wenn du Lust hast, können wir zu mir nach Hause fahren und du könntest dir das Zimmer ansehen", sagte sie und schnell nickte Holly.
„Ja, das wäre schön", erwiderte sie und Ally fand, dass ihre Stimme genau so nervös klang, wie sie sich fühlte.
„Komm mit, mein Auto steht dort vorn an der Straße", sagte sie und wandte sich zum Gehen. Sie hörte, wie Holly die Tür schloss und anschließend ihre Schritte, bis sie zu ihr aufgeschlossen hatte.
„Du bist neu hier?", fragte Ally, gerade als sie an ihrem alten Corolla ankamen. Sie schloss auf und noch bevor Holly geantwortet hatte, setzte sie sich auf den Fahrersitz. Holly nahm neben ihr Platz, ließ ihren blauen Rucksack zwischen ihre Füße auf den Boden gleiten und schnallte sich an.
„Also, ja. Ich bin neu hier. Brauchte mal einen Neuanfang und hier bin ich", sagte sie, aber Ally spürte, dass sie nervös war. Sofort fragte sie sich, warum sie wohl neu angefangen hatte, traute sich aber noch nicht, sie danach zu fragen.
„Woher kommst du?", fragte sie, startete den Motor und lenkte den Wagen in Richtung Straße. Holly zögerte, was eindeutig verriet, dass sie bei ihrer Antwort log.
„Oregon", sagte sie, was Ally nicken ließ. Wer wusste denn schon, warum sie von wo immer sie auch kam, weg musste? Vielleicht hatte sie schlechte Erfahrungen gemacht und wollte nicht mehr daran erinnert werden.
Einen Moment lang schwiegen sie, doch dann fing Ally an zu plappern. Sie ertrug Stille nur schwer.
„Wir sind eine Sechser-WG, aber Luke, Shane und Alejandro bleiben meist für sich. Sie wohnen im oberen Stockwerk, Winston und ich wohnen unten. Er ist wirklich lustig, du wirst ihn mögen", sagte sie, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was für Leute Holly mochte. Sie schien eher ein ruhiger Typ zu sein, also ziemlich das Gegenteil von Winston.
„Und wo wäre das freie Zimmer? Oben oder unten?", fragte Holly und klang wirklich interessiert.
„Unten, direkt neben meinem. Es ist zwar kleiner als die Zimmer oben, aber unser Bad ist größer und die Küche ist unten", erklärte sie und hoffte, dass sie wirkliches Interesse an dem Zimmer hatte und sich nicht nur aus Nettigkeit verpflichtet fühlte, es sich anzusehen. Eilig verdrängte Ally die Unsicherheit, die immer wieder hervorblitzte und konzentrierte sich wieder auf die Straße.
„Und wie ist Winston so? Klingt, als würdest du ihn mögen", bemerkte Holly und traf damit unweigerlich ihren wunden Punkt. Sie mochte Winston nicht nur, sie empfand ein wenig mehr für ihn. Allerdings hatte er ihr klar gemacht, dass er nichts Festes wollte und das war okay für sie, auch wenn es hin und wieder schmerzte.
„Er ist Engländer", setzte sie an, was Holly lachen ließ.
„Naja, sein Vater zumindest. Er arbeitetet als Koch und er ist ziemlich lustig. Sicherlich verstehst du dich gut mit ihm", fuhr sie fort und schnell warf sie einen Blick zu Holly. Sie lockerte gerade ihr blondes, eher dünnes Haar auf und fächelte sich mit der Hand Luft zu.
„Gewöhnt man sich irgendwann an diese Affenhitze?", fragte sie, was Ally glucksen ließ.
„Nein", antwortete sie knapp und grinste. Holly stöhnte.
„Aber dein neues Zimmer hätte eine wunderbar funktionierende Klimaanlage", sagte sie und hoffte, dass Holly sich für das Zimmer entschied. Ally konnte es nicht genau beschreiben, aber sie mochte dieses Mädchen.
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