Kapitel 18 - Winston

Winston spürte, wie ihm das Herz schwer wurde, als er Allys Blick sah. Vor ihm schaffte sie es einfach nicht, ihren Schmerz zu verbergen und sicherlich hing ihr noch genau wie ihm ihr vergangener Wutanfall in den Knochen. 

Ihm war klar, dass Holly auch irgendwann einmal mitbekommen würde, dass Ally nicht immer die war, die sie nach außen hin zu sein schien. 

Gleichzeitig machte er sich Sorgen um sie und vielleicht wollte er unterbewusst einfach nur sicher gehen, dass es ihr gut ging. 

Kaum dass Ally das Zimmer verlassen hatte, ließ er sich neben Holly auf der Bettkante nieder und lächelte sie an. Beinahe panisch setzte sie sich auf und lehnte sich mit dem Rücken an das Kopfteil ihres neuen Bettes. 

„Hey", sagte er leise, was sie schüchtern lächeln ließ. 

„Hey", wiederholte sie und fing an, ihre Finger zu kneten.

„Hattest du einen schönen Tag mit Ally oder war sie zu anstrengend?", fragte er leise, damit Ally, die er in der Küche hantieren hörte, nichts mitbekam. 

Holly schien einen Moment lang zu versuchen, seine wahre Absicht zu erkennen, denn sie sah ihn eindringlich an. Ihre braunen Augen wanderten dabei von links nach rechts und blieben schließlich auf seinen Lippen liegen. 

„Ich meine... sie ist manchmal etwas unausgeglichen und sie scheint in letzter Zeit etwas... mitgenommen zu sein", fuhr er fort, was Holly verwirrt die Augenbrauen zusammenziehen ließ. 

„Nein, sie hat heute wirklich gute Laune. Wir hatten einen schönen Tag", sagte sie, aber Winston spürte, dass sie über etwas nachdachte. Kurz zögerte er, doch dann entschied er sich, Holly einzuweihen. 

Er beugte sich näher an sie heran, sodass seine Brust gegen ihr angewinkeltes Bein stieß. 

„Sie ist manchmal etwas... ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll, aber... sie hat Stimmungsschwankungen, die einen manchmal unvorbereitet treffen. Sie macht es nicht mit Absicht, aber sie sagt manchmal verletzende Dinge", erklärte er und sah, wie Holly nickte. 

„Dass sie Stimmungsschwankungen hat, habe ich auch schon bemerkt, aber bisher war es nicht außergewöhnlich stark", erwiderte sie und als Winston ihren Blick fand, wusste er instinktiv, dass Holly genau wusste, was er ihr sagen wollte. Beinahe so, als würde sie ihn auch ohne Worte verstehen. 

„Was ich nur sagen will: Nimm es nicht persönlich, wenn sie mal ausrastet. Das ist meist schnell wieder vergessen und sie meint es nicht so", sagte er und eilig nickte Holly. 

„Schon okay. Danke, dass du mir das gesagt hast", sagte sie, auch wenn sich in Winston ein schlechtes Gewissen ausbreitete, dass er hinter Allys Rücken über sie sprach. Aber er wusste, dass sie durch ihre Wutanfälle schon ziemlich viele Leute abgeschreckt hatte und irgendwie wollte er nicht, dass Holly sich von ihr abkapselte. 

Denn vielleicht könnte sie sie ein wenig von ihren Gefühlen für ihn ablenken. 

Er schluckte schwer, denn es kam ihm falsch vor, Holly gewissermaßen als Puffer zwischen ihm und Ally zu benutzen. 

Holly räusperte sich und erst da wurde ihm bewusst, dass er ihr noch immer ziemlich nah war. Beinahe erschrocken wich er zurück. 

„Essen klingt ziemlich gut", sagte sie, sprang auf und eilte zur Tür, so als wollte sie dringend weg von ihm. 

Ein wenig verunsichert sah Winston ihr nach, denn eigentlich hatte er bisher den Eindruck gehabt, dass Holly ihn mochte. Er erhob sich ebenfalls und folgte ihr in Richtung der Küche. 

Er schob die Hände in die Hosentaschen, denn komischerweise verspürte er den Drang, mit Holly über Ally zu reden. Denn nicht nur sie brauchte jemanden, mit dem er reden konnte, sondern auch er.

Zwar hatte er ein paar Kumpels aus dem Ort, mit denen er sich hin und wieder zum Grillen traf, aber so richtig jemanden zum Reden hatte er außer Ally nicht. Und bei ihr waren einige Themen schwierig, vor allem, wenn es ihre Gefühle für ihn anbetraf. 

Ihm entfuhr ein Seufzen, als er am Esstisch ankam und sich auf einen der Stühle fallen ließ. 

Sofort wanderte Allys Blick zu ihm, die gerade Essen aus den mitgebrachten Styroporboxen auf Teller lud. Holly leistete ihr Gesellschaft, aber sie spähte immer wieder verlegen zu ihm. 

„Heute Morgen haben wir uns mit unserer Bestellung wirklich zurückgehalten, nicht?", lachte Ally, reichte Holly einen Teller und schnappte sich die anderen beiden, die sie zum Tisch balancierte. 

Winston stimmte in ihr Lachen mit ein, denn wenn Holly sagte, dass sie heute gute Laune gehabt hatte, dann wollte er ihr das nicht kaputt machen. 

„Ja, allerdings. Aber ihr hättet mich ruhig vorwarnen können, dass ihr vorhabt, vorbeizukommen", sagte er, während Holly und Ally sich zu ihm an den Tisch setzten. 

Ally schob einen Teller zu ihm herüber und gierig sog er den angenehmen Duft des Essens ein, das er selbst zubereitet hatte. 

„War eine spontane Idee", sagte Ally, aber er wusste, dass das gelogen war. Winston grinste dennoch, konzentrierte sich anschließend aber aufs Essen. 

Er lauschte eine Weile dem Geplapper von Ally, hörte aber eigentlich gar nicht richtig zu. Seine Gedanken wanderten komischerweise zu Holly, ihr schüchternes Lächeln und ihre wissenden Augen. Tatsächlich glaubte er, dass sie auf zwischenmenschlicher Ebene um einiges mehr verstand, als man im ersten Moment glaubte. 

Unwillkürlich warf er einen Blick zu ihr, doch sie sah gebannt zu Ally, während sie sich eine Gabel Reis in den Mund schob. 

Auf einmal lachten die beiden und sofort fühlte Winston sich merkwürdig beklommen, denn er hatte gar nicht mitbekommen, worum es ging. 

„Gute Idee! Was sagst du dazu, Win?", fragt Ally ihn und stieß ihm nicht ganz unsanft am Arm an. Verwirrt sah er sie an. 

„Was? Hab nicht zugehört", sagte er und sah sie entschuldigend an. Er schoss für einen Moment die Augen, um sich wieder aufs Hier und Jetzt zu konzentrieren. 

„Holly und ich nehmen am Wochenende das Zelt und die schläfst draußen", sagte sie, legte ihre Hand auf seinen Arm und lachte. Winston grinste. 

„Okay, wenn ihr im Zelt schlafen wollt, nehme ich das Auto. Da ist es auf jeden Fall sicherer vor wilden Tieren", sagte er, entzog Ally seinen Arm und sah zu Holly, die ebenfalls grinste. 

Ihre Blicke trafen sich sofort und auch wenn Winston sich es vermutlich nur einbildete, glaubte er, zwischen ihnen beiden eine Verbindung zu spüren. 

Ally schnaubte verächtlich und eilig unterbrach Holly den Blickkontakt. 

„Das hättest du wohl gern", sagte sie nur, wandte sich dann aber wieder ihrem Teller zu. Winston fühlte sich auf einmal, als müsste er dringend hier weg. Nicht, dass jemand etwas Unangenehmes gesagt hatte, aber er fühlte sich merkwürdig durcheinander. 

Eilig aß er auf, schob seinen Teller von sich weg und erhob sich. 

„Ich lege mich schon mal was hin. Bin total müde", entschuldigte er sich und verzog sich in sein Zimmer. Er spürte Allys Blick auf sich, ignorierte sie aber und schloss die Zimmertür hinter sich. Erschöpft lehnte er sich dagegen und atmete tief ein und aus. Er musste sich dringend sortieren, denn seine Gefühle verwirrten ihn. 

Holly geisterte schon den ganzen Tag in seinem Kopf herum, was ihn jedoch unweigerlich zu Ally führte, die offensichtlich noch immer in ihn verliebt war. Er durfte sich nicht in Holly verlieben, wenn er die Freundschaft zu Ally nicht gefährden wollte. 

Kopfschüttelnd stieß er sich von der Tür ab und ließ sich auf sein Bett fallen. Morgen würde die Welt sicherlich schon ganz anders aussehen und seine kleine Verwirrtheit wäre sicherlich schnell vergessen. 

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