Kapitel 13 - Holly
Sie hatten doch länger als eine halbe Stunde gespielt, denn auch wenn sie gegen Ally und erst recht gegen Winston keine Chance hatte, war es lustig gewesen. Immer wieder hatten Winston und Ally sich gegenseitig blöde Kommentare an den Kopf geworfen, was ziemlich amüsant war. Doch nun war Holly ziemlich müde und auch Ally hatte schon ein paar Mal herzhaft gegähnt.
„Ich werde mal ins Hotel fahren", sagte Holly und erhob sich. Sofort richtete sich Winstons Blick auf sie.
„Jetzt noch? Es ist schon wirklich spät. Bleib doch hier", sagte er und Holly bemerkte, wie Ally zustimmend nickte.
„Ich habe doch kein Bett", erwiderte sie, denn auch wenn sie das Hotel nicht wirklich mochte, waren all ihre Sachen noch dort und sie wollte lieber in einem Bett schlafen als auf dem Sofa.
„Außerdem muss ich die Nacht im Hotel noch bezahlen, also...", setzte sie an, doch Ally verdrehte die Augen.
„Schon vergessen, dass ich dort arbeite? Vielleicht lasse ich dich schon heute auschecken", sagte sie, offensichtlich ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Zögernd sah sie zu Winston, der nickte und mit dem ausgestreckten Finger auf Ally zeigte.
„Das war ausnahmsweise mal eine gute Idee von dir", sagte er, doch Holly fühlte sich verunsichert.
„Mein Koffer...", setzte sie an, aber Ally unterbrach sie.
„Den holen wir morgen früh. Mein Chef wird schon nichts bemerken", sagte sie, aber Holly war nicht wirklich wohl dabei.
„Nein, ich... ich werde zurückfahren", sagte sie entschieden, woraufhin Ally eine Schnute zog, als wäre sie beleidigt.
„Morgen gehen wir zusammen ein Bett kaufen und ich werde morgen hier einziehen", sagte sie und lächelte.
„Na gut. Kommst du morgen früh vorbei? Dann können wir hier zusammen einkaufen gehen", wollte Ally wissen und sofort nickte sie.
„Klar, ich bin um neun da, wenn du willst", sagte sie und Ally streckte den Daumen nach oben.
„Okay, dann... gute Nacht", sagte Holly, auf einmal ein wenig zögernd. Sie musste ins Hotel, aber hier zu bleiben war auch ziemlich verlockend. Aber nein, sie sollte sich vernünftig verhalten.
„Bis morgen, neue Mitbewohnerin", grinste Winston, erhob sich und kam auf sie zu.
„Hat Spaß gemacht, mit dir zu spielen", sagte er und legte ein wirklich charmantes Lächeln auf. Holly spürte, wie ihr heiß wurde, denn Winstons Blicke vorhin waren ihr keineswegs entgangen. Allerdings würde sie niemals darauf eingehen, allein Ally zu Liebe. Außerdem würde eine Beziehung innerhalb einer WG sicherlich zu Spannungen führen und Stress wollte sie um jeden Preis vermeiden.
Sie hob noch einmal die Hand und winkte, bevor sie sich umwandte und in Richtung der Tür ging. Sie bemerkte jedoch, dass Ally und auch Winston ihr folgten, bis sie zögernd an der Tür stehen blieb und sich noch einmal umwandte.
„Bis morgen", sagte Winston, breitete fragend die Arme aus und lächelte schon wieder. Anscheinend war das Lächeln für ihn ganz natürlich.
Holly zögerte, ließ sich dann aber kurz und rein freundschaftlich von ihm umarmen. Unwillkürlich legte sie ihre Wange an seine Brust und sog für einen Moment seinen noch fremden Duft ein. Er roch ein wenig nach den Burgern, die er vorhin zubereitet hatte, aber da war auch noch etwas anderes, das sie sich heimisch fühlen ließ. Sie konnte den Geruch nicht genau benennen, aber es roch gut.
Viel zu schnell löste Winston sich von ihr und Holly sah, wie Ally ihn beiseite schob und nun ebenfalls die Arme ausbreitete. Allerdings wartete sie nicht darauf, dass Holly die Umarmung erwiderte, sondern sie umarmte sie stürmisch, als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen.
„Fahr vorsichtig. Ich freue mich auf morgen", sagte sie leise an ihrem Ohr und Holly nickte. Allerdings lag ihr Blick auf Winston, der ein wenig verunsichert wirkte. Er hatte sie Arme locker vor der Brust verschränkt und sah auf den Boden. Hollys Herz wurde schwer, denn auch wenn sie meist still war, konnte sie gut beobachten. Sie wusste, dass Winston sie mochte. Hoffentlich würde Ally nicht so aufmerksam sein, sodass sie es bemerkte und womöglich noch eifersüchtig wurde.
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Eine halbe Stunde später fiel Holly vollkommen erschöpft in ihr Bett. Der Ventilator an der Decke wehte ihr die Haare ins Gesicht, sodass sie sie kitzelten, aber daran würde sie sich wohl oder übel gewöhnen müssen.
Auch wenn sie müde und erschöpft war, kreisten ihre Gedanken unaufhörlich. Wie Blitze schossen die Eindrücke des vergangenen Tages auf sie ein und immer wieder sah sie Winston und Ally vor sich, wie sie sich gegenseitig neckten und auf den Arm nahmen. Die beiden waren wirklich einmalig und Holly konnte es kaum fassen, dass sie sie gefunden hatte.
Vielleicht war ihre Flucht nach Texas genau der Schritt in ihrem Leben, den sie gebraucht hatte, um endlich so zu sein, wie sie es sich immer gewünscht hatte. Oder vielleicht war das hier auch endlich ihr Leben. Womöglich war ihr Leben in Maine als Rebecca Martin nur eine Bewährungsprobe, die sie bestehen musste, um endlich so sein zu können, wie sie war.
Tatsächlich hatte sie sich als Rebecca immer ein wenig gehemmt gefühlt in der Gegenwart von anderen Menschen, irgendwie auf der Hut. Aber das war hier in Texas komplett verschwunden.
Holly entfuhr ein Lachen. Vielleicht hatte sie auch einfach nur einen Sonnenstich, immerhin wäre das bei der brütenden Hitze hier keine Überraschung. Kopfschüttelnd vertrieb sie die Fragen, auf die sie keine Antwort hatte und schloss die Augen.
Sie lauschte auf ihren aufgeregten Herzschlag, der sich nur sehr langsam wieder beruhigte. Ruhe kehrte ein und das Gefühl der Überdrehtheit verschwand. Ihre Gedanken wurden wieder rational und ihr wurde bewusst, dass sie dringend einen Job brauchte, um sich auf lange Sicht die Miete leisten zu können. Beziehungsweise um keinen Verdacht zu erregen, denn ohne Zweifel würden Ally und Winston misstrauisch werden, woher sie diese Menge Geld hatte, die auf ihrem Konto ruhte. Ein Ausgleich dafür, dass ihre Familie tot war.
Seufzend drehte sie sich auf die Seite und starrte an die Hoteltür, die sie so gerade noch im Dunkeln ausmachen konnte. Komischerweise schlich sich das Bild von Winston in ihr Hirn, wie er durch diese Tür trat und sich zu ihr ins Bett legte.
Holly schüttelte den Kopf. Nein, das durfte nicht passieren. Sie durfte sich nicht in Winston verlieben. Außerdem kannte sie ihn doch gar nicht gut genug, um sich in ihn zu verlieben. Vielleicht war sie in seine lustige, sorglose Art verliebt, aber nicht in ihn. Das war Blödsinn.
Holly griff nach dem zweiten Kissen, das neben ihr im Bett lag und umklammerte es. Wahrscheinlich würde Winston ohnehin das Interesse an ihr verlieren, wenn er bemerkte, wie langweilig und unerfahren sie war.
Holly spürte, wie das gewohnte Gefühl der Traurigkeit in ihr aufstieg. Nicht, dass sie depressiv war, dafür war es viel zu schwach. Aber sie fühlte sich mit einer Grundtraurigkeit wohl, zumindest hatte Rebecca das immer getan. Denn so wurden ihre anderen Gefühle überlagert, die sie womöglich zum Gespött anderer machten.
Panisch drängte sie die aufkeimende Erinnerung zurück und versuchte, an gar nichts zu denken, damit sie endlich einschlief. Immerhin hatten sie morgen viel vor.
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