Kapitel 10 - Holly
Winstons Bewegungen waren fließend und leicht, sodass es Spaß machte, ihm beim Kochen zuzusehen. Ihn schien es gar nicht zu stören, dass er nun doch alles allein machte und Holly nur zusah.
Ally hatte sich inzwischen zu ihnen gesellt, zum Glück wieder mit besserer Laune. Aber eigentlich hatte sie ja recht, das, was sie beim Autoverkäufer getan hatte, passte eigentlich gar nicht zu ihr. Sie mochte diese Frauen nicht, die nur mit ihren Reizen spielten anstatt ihr Gehirn zu benutzen, aber vorhin war es einfach über sie gekommen. Denn was hatte sie schon zu verlieren? Niemand kannte sie hier und sie konnte tun und lassen, was sie wollte. Sie konnte sich neu erfinden und Dinge tun, die sie als Rebecca niemals getan hätte.
„Deckt doch schon mal den Tisch und fragt die von oben, ob sie auch was wollen", sagte Winston, während er die Burger auf einem großen Tablett drapierte. Ally zog scharf die Luft ein, als wäre ihr etwas eingefallen.
„Stimmt, du kennst die drei ja noch gar nicht", sagte sie und klopfte Holly gegen den Arm. Holly wurde nervös, denn soweit sie es einschätzen konnte, teilten sie sich hier zwar das Haus, aber Winston und Ally schienen nicht wirklich viel mit den anderen Mitbewohnern zu tun zu haben. Plötzlich schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf.
„Was, wenn sie mich nicht mögen und nicht wollen, dass ich hier einziehe?", fragte sie und sah panisch zwischen Ally und Winston hin und her. Als beide lachten, umzuckte auch ihre Lippen ein Lächeln.
„Mach dir da mal keine Gedanken. Sie werden nichts sagen. Sie bleiben da oben eh die meiste Zeit für sich", sagte Ally, griff nach ihrem Handgelenk und zog sie in Richtung der Treppe. Holly atmete erleichtert auf und folgte ihrer neuen Freundin. Ally lief eilig die mit Teppich ausgelegte Treppe nach oben, wobei ihr Haar lustig auf und ab wippte.
Hollys Herz schlug ein wenig schneller, als sie oben im Flur ankamen. Von dort gingen vier Türen ab, die eben so weiß waren wie ihre im unteren Stockwerk. Vor dreien davon standen kleine Schuhregale, auf denen ordentlich die Schuhe aufgereiht waren und nicht wir unten kreuz und quer im Flur herumlagen. Zwar mochte Holly Ordnung, aber das Chaos unten machte es irgendwie ein wenig wohnlicher und gemütlicher. Ansonsten war der Flur komplett leer, noch nicht einmal ein Bild hing an der weiß gestrichenen Wand.
Holly beobachtete, wie Ally zielsicher auf die erste Tür, die direkt gegenüber der Treppe lag, zuging und klopfte. Einen Moment lang war es still, bis hinter der Tür leise Schritte zu hören waren und sie geöffnet wurde.
Holly erblickte einen jungen Mann, etwa in ihrem Alter, vielleicht ein wenig älter, der mexikanisch aussah und genau wie sie selbst eine Brille trug. Er trug ein rosafarbenes Polohemd zu einer kurzen, schwarzen Jeans.
„Hey Alejandro, ich wollte dir Holly vorstellen. Sie wird hier einziehen", sagte sie, griff nach Hollys Handgelenk und zog sie etwas näher heran.
„Hi", sagte Holly verlegen und streckte ihm instinktiv die Hand hin, die er ohne zu zögern nahm.
„Hi Holly, ich bin Alejandro", sagte er und lächelte. Er wirkte nett, aber ganz anders als Winston. Viel aufgeräumter und förmlicher.
„Freut mich", sagte Holly, dann ließ sie seine Hand wieder los und trat ein wenig verlegen von einem Fuß auf den anderen.
„Sind die anderen beiden auch da?", fragte Ally, doch Alejandro schüttelte den Kopf.
„Sie sind doch diese Woche auf Exkursion", sagte er und klang dabei ein wenig vorwurfsvoll, dass Ally das hatte vergessen können. Sie tippte sich einmal mit dem Finger an die Stirn und schnippte anschließend.
„Stimmt, habe ich ganz vergessen. Sag mal, willst du auch einen Waffelburger? Winston kocht gerade und er müsste jeden Moment fertig sein", fragte sie und sofort nickte Alejandro.
„Gern", erwiderte er, ging zurück in sein Zimmer und schaltete die Schreibtischlampe aus, anschließend trat er zu ihnen in den Flur. Ally bedeutete ihnen beiden mit einer Kopfbewegung, dass sie wieder mit ihr nach unten kommen sollten und Alejandro setzte sich in Bewegung.
Holly blieb hinter ihm und musterte sein kurzes, schwarzes Haar. Er war sehr nett und schien der Typ Mensch zu sein, mit dem Holly sich früher gut verstanden hätte. Ruhig, strebsam und er hielt sich ganz sicher fern von Ärger.
Allerdings wurde ihr nur zu bewusst, dass solche Menschen nur wenige nah genug an sich heranließen, damit sie enge Freundschaften schließen konnten. Sie selbst war als Rebecca auch so gewesen.
Eilig verdrängte sie den Gedanken, denn irgendwie war sie nun zwischen Ally und Winston geraten, die sie schon jetzt in ihren Kreis aufgenommen zu haben schienen.
Sie gelangten wieder nach unten, wo Winston gerade das Tablett mit den Burgern und die riesige Schüssel mit Pommes auf dem Esstisch abstellte, den er in der Zwischenzeit auch noch gedeckt hatte. Sofort bekam Holly ein schlechtes Gewissen, denn eigentlich hatten sie und Ally dies erledigen sollen.
„Wenn du willst, können Ally und ich nachher spülen", schlug sie vor, was ihr einen grinsenden Blick von Winston und einen empörten Blick von Ally einhandelte.
„Fantastische Idee", sagte Winston, holte noch einen Teller und Besteck für Alejandro aus der Küche und reichte ihm beides. Holly folgte Ally an den Tisch und setzte sich neben sie, Winston setzte sich ihr gegenüber und Alejandro ihr gegenüber. Holly betrachtete die Burger und fand, dass es doch ein wenig merkwürdig aussah, die Waffeln mit dem Fleisch zu sehen.
„Seid ihr sicher, dass das schmeckt?", fragte sie skeptisch.
„Probier doch erst mal! Und ja, es schmeckt wunderbar", schwärmte Ally, schnappte sich einen der Burger und legte ihn auf Hollys Teller. Anschließend nahm sie sich selbst einen und biss sofort hinein. Genüsslich stöhnte sie und warf einen beinahe schmachtenden Blick zu Winston, der wiederum verlegen lächelte.
„Du bist der beste Koch in ganz Texas", schmatzte sie, was Winston lachen ließ.
„Was habt ihr da oben mit ihr gemacht? Sie gegen ein Alien ausgetauscht?", fragte er und sah nun zu Holly, die über seine Bemerkung kicherte. Nachdem sich alle aufgetan hatten, nahm sie den Waffelburger in die Hand und biss vorsichtig hinein. Tatsächlich war es ungewohnt, die süßen Waffeln zusammen mit dem herzhaften Fleisch zu schmecken, aber es funktionierte tatsächlich ziemlich gut.
„Und?", fragte Winston, woraufhin sie den Daumen nach oben reckte.
„Hab ich doch gesagt", warf Ally ein, die ihren Burger schon fast komplett aufgegessen hatte.
„Wann möchtest du einziehen, Holly?", wandte Alejandro sich an sie und eilig schluckte Holly ihren Bissen hinunter.
„Am liebsten so schnell es geht. Ich wohne aktuell im Hotel", erklärte sie, was Alejandro nicken ließ.
„Studierst du auch?", fragte er, was sie den Kopf schütteln ließ.
„Nein, ich habe mein Studium letztes Jahr abgeschlossen", antwortete sie, was ihn anerkennend nicken ließ.
„Ich, Luke und Shane machen gerade unser Forschungssemester. Ganz in der Nähe haben wir eine Forschungsstation", berichtete er und auch wenn es sicherlich interessant war, konnte Holly mit Naturwissenschaften nicht wirklich viel anfangen.
„Was untersucht ihr denn?", fragte sie dennoch mehr aus Höflichkeit als aus Interesse.
„Das Gift von Klapperschlangen", antwortete er und Holly zog überrascht die Augenbrauen hoch. Das war tatsächlich interessant. Nicht, dass sie das unbedingt machen wollte, aber es war allemal interessanter als irgendwelche Steine oder Bodenproben zu untersuchen.
„Klingt spannend", sagte sie, was Alejandro nicken ließ.
„Ja, das ist es", sagte er nur und verstummte. Holly sah ihn noch einen Moment lang an, aber sie wusste nicht, was sie noch sagen sollte. Ihm schien es genau so zu gehen, denn er konzentrierte sich wieder auf seinen Burger.
Eine Weile aßen sie schweigend, nur das Schmatzen von Ally war zu hören. Holly sah, wie Alejandro ihr bitterböse Blicke zuwarf, als würde ihn ihr Schmatzen eindeutig stören, aber Ally ignorierte es gekonnt.
„Hey, Win. Holly wollte mal in den Guadalupe-Mountains-Nationalpark", warf Ally schließlich in den Raum und sofort richtete Winstons Blick sich auf sie.
„Ja, ich... ich muss einfach mal raus aus dem Alltag und mich ein wenig ablenken", sagte sie und spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. Das musste dringend aufhören, dass sie immer errötete, wenn Winston sie ansah, sonst würde ihr Kopf irgendwann für immer wie eine Tomate leuchten.
„Ach was?", fragte Winston nach, während er ein Lächeln aufsetzte.
„Ally meinte, es ist schön dort", sagte sie schulterzuckend und sah aus dem Augenwinkel, wie Ally nickte.
„Ja, das ist es allerdings. Und ihr wollt mir jetzt sagen, dass ihr einen Ausflug dahin machen wollt?", fragte er, als ob er das nicht schon genau wusste.
„Blitzmerker", kommentierte Ally, doch Holly nickte.
„Wenn du zu frech wirst, setze ich dich aus. Zusammen mit den ganzen Schlangen und Skorpionen und was weiß ich was da noch alles lebt", sagte Winston lachend, dann zuckte Ally unsanft zusammen, so als hätte er sie unter dem Tisch mit dem Fuß angestupst. Holly grinste in sich hinein, denn die Neckereien der beiden zu beobachten war ziemlich amüsant.
„Gut, also nächstes Wochenende? Kram schon mal das Zelt raus", sagte Ally, doch Winston sah sie entschuldigend an.
„Geht nicht. Ich muss Samstag und Sonntag arbeiten", sagte er und sofort war Holly ein wenig enttäuscht. Doch auch sie und Ally würden sich ein schönes Wochenende machen können.
„Dann schicken wir dir ein paar Bilder", sagte Holly und warf einen kurzen Blick zu Ally, ob sie auch damit einverstanden war, mit ihr allein zu fahren. Doch Ally funkelte Winston bitterböse an.
„Das kann nicht sein, du hast schon letztes Wochenende gearbeitet", sagte sie und augenblicklich verschwand Winstons ernster Blick.
„Verdammt, dich kann man auch gar nicht ärgern. Klar komm ich mit", lachte er, woraufhin Ally mit einer Pommes nach ihm warf, die jedoch einige Zentimeter vor ihm auf dem Tisch liegen blieb. Holly lachte und bemerkte, wie Winston sie aus dem Augenwinkel heraus ansah und ihr zuzwinkerte.
Sie fühlte sich merkwürdig, so als würde pure Freude durch sie hindurchströmen. Dieses Gefühl hatte sie schon sehr lange nicht mehr gehabt, denn immer schien eine kleine Stimme in ihrem Kopf ihr zu sagen, dass sie so etwas nicht tun konnte, so etwas sich nicht gehörte oder so etwas peinlich war.
Diese Stimme war ihre eigene kleine Hemmschwelle, die vollkommen zu verschwinden schien, wenn sie mit Winston und Ally zusammen war. Sie spürte, dass es ein schönes Wochenende werden würde, doch davor hatte sie noch einiges zu tun. Morgen, am Mittwoch, würde sie sich hoffentlich erfolgreich einen Job suchen und Möbel kaufen.
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