Blitzlichtgefühle




Im Blitzlicht der Handys und ihrer Wirkung auf dem Wasser sieht Sina schön aus.

Nicht hübsch, wie vorhin, als sie zusammen vor dem Spiegel gestanden haben, in ihren luftigen Sommerkleidern, den Jeansjacken und Sandalen. Da sah Sina hübsch aus, die Augen mit bronzenem Eyeliner umrahmt, einen Lippenstift in sanftem Rosé-Ton aufgetragen, die honigblonden Haare offen - in natürlichen Locken sind sie ihr über die Schultern gefallen.

Inzwischen sind die Strähnen ihrer Haare nass vom Poolwasser, der Lippenstift haftet nur noch am Plastikbecher, in dem sie ihren Caipirinha hatte, und ihr Eyeliner und die Wimperntusche ist verwischt. Das Kleid hat sie irgendwann ausgezogen, weil es triefend an ihrem Körper klebte. Sie sind ja eh nur Mädchen.

Kurz hören die Anderen auf, Fotos zu machen, und die Nacht tanzt über Sinas Gesicht.

Sie lacht, wirft die Haare zurück - sie wirken dunkler, wo das Wasser sie berührt hat - und zieht sich den BH zurecht. Schwarz ist der. Aus Spitze.

Vorhin, als sie das Kleid ausgezogen hat, war sie sexy, mit ihrer Haut vom Handlicht beleuchtet, die Tropfen haben geglitzert.

Lilli hat sich ihres auch ausgezogen, aber nicht, weil es Spaß gemacht hätte, sondern nur, weil es ihr durchweicht am Körper klebte und ihr kalt war. Sie hat sich nicht sexy gefühlt, gar nicht. Aber sie sind ja nur Mädchen.

Die Anderen fangen wieder an, Fotos zu machen. Sina grinst und posiert, das kann sie gut. Kim, die neben ihr im Pool steht, wirft Lilli am Rand einen schelmischen Blick zu, dann springt sie und wirft Sina um. Kreischend fallen die beiden; Wasser spritzt auf und trifft Lilli, deren Oberkörper seit ein paar Minuten wenigstens ein bisschen trocken war.

Sinas Kopf taucht wieder auf, sie spuckt Wasser, hustet, dann lacht sie wieder. Die Wimperntusche hängt dunkel unter ihren Augen, lässt sie irgendwie mysteriös wirken.

Lilli grinst und macht ein Foto, das nicht gestellt ist, dann legt sie ihr Handy wieder weg. Kim und Sina posieren schon wieder für die Anderen, umarmen sich, küssen sich auf die Wange und kurz auf den Mund.

Lilli schaut weg. Sie mag das nicht, diese unbedeutenden Küsse unter Freunden, auf Partys, wenn sie alle alkoholisiert sind. Küsse sollten immer etwas bedeuten, findet sie.

Kim löst sich von Sina, grinst. "Sorry Leute, aber ich muss raus, mir ist echt kalt." Sie spritzt Lilli nass, als sie aus dem Pool klettert und als sie sich ihr Handtuch umwickelt, zwinkert sie ihr zu. "Hey Lilli, macht ihr doch mal zusammen ein Foto."

Eigentlich will Lilli nicht. Sie mag sich selbst nicht, und schon gar nicht auf Fotos.

Aber Sina lächelt, und ihre Augen glitzern in Erwartung. Man braucht Fotos, glaubt sie. Vor allem von Partys.

Ihre Augen sind auch schön. Es ist Lilli nie aufgefallen, aber jetzt sieht sie es. Die grünen Sprenkel im Blau ihrer Iris, der dunklere Kreis am Rand.

Lilli grinst und zuckt mit den Schultern, dann klettert sie in den Pool. Sofort ist Sina neben ihr, so nah, dass Lilli die kleinen Tropfen auf ihren Wimpern sehen kann. Sie spürt die Wärme von Sinas Körper neben sich, ihre nassen Oberkörper berühren sich nicht, aber fast; und Lilli ist sich auf einmal bewusst, wie schnell ihr Herz schlägt. Bubumm. Bubumm.

"Lachen, Mädels", ruft Kim, die mit gezücktem Handy am Poolrand steht. Sina lacht, wirft sich die Haare zurück, sodass ein paar Tropfen auf Lilli Haut landen, und dann legt sie einen Arm um sie, und auf einmal prickelt ihre Haut. Sie kann nicht anders. Für einen Moment nur sieht sie Sina an, die Linie ihres Kinns, das Muttermal auf ihrer rechten Wange, ihre Wimpern, das glänzende Wasser auf ihrer Haut.

"Hey, die Kamera ist hier!"

Kim. Ihr Tonfall ist neckend, amüsiert, aber Lilli hört die Verwunderung darin genauso wie Sina. Ganz kurz flackern ihre Augen zu ihr herüber, aber dann posiert Sina schon wieder für die Kamera. Auch Lilli wendet den Blick ab, setzt ein Lächeln auf, dreht sich nach Kims Anweisung mal in die eine, mal in die andere Richtung.

"Jetzt küsst euch mal", sagt Kim locker. Lilli stockt, fühlt selbst, wie ihr Lächeln ins Stolpern kommt. Gerade versucht sie, wieder unbeschwert auszusehen, aber Sina hat es schon gesehen, als sie sich umgedreht hat. Sie sind schließlich nicht umsonst beste Freundinnen.

"Was ist los?"

Ihre Stimme ist so sanft und verständnisvoll, dass Lilli ihr um ein Haar alles gesagt hätte. Aber die Verwirrung macht alles schwieriger und Angst krallt sich in ihr Herz, also sagt sie bloß: "Ich weiß nicht. Ich... diese Küsse unter Freunden...", sie stolpert über ihre eigenen Worte. Sina lacht nur, erleichtert.

"Es macht Spaß, und es bedeutet ja nichts." Ihr federleichter Ton macht Lilli beinahe wütend. Für einen Moment will sie sagen, nein, schreien, dass vielleicht genau das das Problem ist. Aber sie will nichts kaputtmachen. Sie hat doch schon so viel. Also zuckt sie mit den Schultern.

"Okay", murmelt sie, und ihre Stimme hat einen bitteren Unterton, den sie nicht verbergen kann. Sina hört ihn sofort. Sie öffnet den Mund, will gerade etwas sagen, aber Kim unterbricht sie. "Jetzt macht schon." Sie klingt ungeduldig.

Und Sina dreht sich zu Lilli um, macht noch einen Schritt näher heran und küsst sie.

Ihre Lippen schmecken süß, nach den Erdbeeren, die sie vorhin noch gegessen haben, und nach Caipirinha, und auf einmal flattern Lillis Lider.

Aber dann ist Sina fort, und langsam öffnet Lilli die Augen. Sina steht ein paar Schritte entfernt, sie lacht, in Kim Richtung, die ihnen einen Daumen nach oben zeigt.

Es bedeutet ja nichts.

Die Worte hallen in Lilli Kopf nach und auf einmal ist alles wie hinter einem Schleier. Es fühlt sich nicht an wie sie selbst, die zu Kim geht, sich das Foto zeigen lässt. Es ist gut geworden.

"Sieht aus, als wären wir ein Paar", grinst Sina. Ihr Ton zeigt, wie lächerlich, wie absurd das wäre, und auf einmal ist der Schmerz da.

Er reißt Lillis Dämme ein, nimmt die Verwirrung mit. Alles ist glasklar. Lilli steht auf Mädchen. Auf ein Mädchen. Sina.

Die Tränen waschen auch den letzten Nachgeschmack von Erdbeeren und Caipirinha, von Sina von ihren Lippen.

"Hey Süße, was ist denn los?" Sinas Stimme ist leise vor Zärtlichkeit. Lilli schüttelt nur den Kopf, kann nichts sagen. Ihre Kehle ist wie zugeschnürt.

"Es ist okay", flüstert Sina, als sie ihre Arme um Lilli schlingt. Die Berührung ist warm, zärtlich, und Lilli vergräbt ihren Kopf an Sinas Schulter. Ihre Haare duften nach Orange. Das Shampoo hat Lilli ihr geschenkt.

Beste Freunde. Sie haben schon alles mögliche zusammen gemacht. Am liebsten haben sie im Shop die verschiedenen Düfte ausprobiert. Es war Lilli, die dabei war, als Sina Orange offiziell nicht nur zu ihrer Lieblingsfrucht, sondern auch zu ihrem Lieblingsduft erklärt hat.

Sie sind sich so nahe, vielleicht...

"Ich bin in dich verknallt", bringt sie heraus, bevor sie länger darüber nachdenken kann.

Sinas Augen werden groß. "Was?" Ihre Stimme ist mit einem Mal heiser. Vor Angst kann Lilli sie kaum ansehen, starrt stattdessen auf ihre Hände. Die zittern.

Dann ist da eine dritte Hand. Sie ist kleiner, die Haut sonnengebräunt, mit bemalten Fingernägeln. Dunkelblau - indigo. Lilli hat sie ihr ausgesucht.

Sie verhaken die Finger ganz vorsichtig, eine federleichte Berührung.

Und dann ist Sinas zweite Hand an ihrem Kinn, drückt, sodass Lilli sie ansieht. Sinas schöne blaue Augen halten ein so sanftes Gefühl, dass es Lilli beinahe den Atem raubt.

"Ich bin auch in dich verknallt." Sina sagt die Worte mit einer Stimme heiser vor Zärtlichkeit.

Dann, endlich, küssen sie sich. Ihre Lippen sind die Gefühle der letzten Minuten alle in einem vereint. Ein Kuss wie die Erlösung, auf die Lilli gewartet hat, und jetzt, endlich, schlagen ihre Herzen im Gleichklang.

"Vielleicht wird es ja klappen", flüstert Lilli zwischen zwei Küssen an Sinas Lippen. Die Worte schmecken selbst auf ihren eigenen nach einer Angst, die zu lange ihren Platz in ihrer dunkelsten Ecke hat.

Aber Sina lächelt. Dann sieht sie Lilli an, zärtlich, der Blick wie eine flatternde Hoffnung. Noch etwas ist da in ihren Augen. Ein Leuchten.

"Es wird ganz sicher klappen", sagt Sina.

Der nächste Kuss ist ein Versprechen.


© 08.07.2017, onatriptonowhere

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