SIEBZEHNTES
❧ Das Gefährliche am Verrat ist, dass er nie von Feinden kommt ☙
Ich kippe um.
Meine Mama hat eine Freundin.
Sie spürte wie sie jemand festhielt und sicherte, damit sie nicht fiel. Man zog sie zu einem Stuhl und sie ließ sich drauffallen.
Ist das ein Problem, ändert das was? Nee aber trotzdem...
„Ist es deine Freundin?", fragte sie nach Luft schnappend. Von ihrer Hektik bildeten sich rote Flecken an ihrem Hals. Verzweifelt versuchte sie wieder Luft zu bekommen, endlich wurde ihre verschwommene Sicht etwas klarer. Vor ihr kniete ihre Mutter, in der Ferne stand Flori. Unsicher wechselte sie von ihrem rechten zu ihrem linken Bein.
Warum? Warum musstest du mich damit so überraschen. Ich hasse Überraschungen! Vera legte ihr eine Papiertüte über Nase und Mund, doch anstatt das Bonnie sich beruhigte, wurde ihre Atmung immer hektischer. Ihre Mutter legte eine Hand auf ihr Knie. „Bieni, Bienchen ruhig."
Nichts mit ruhig! Wütend nahm sie die Tüte selbst in die Hand und schlug Veras weg. Ihr Kopf tat schrecklich weh, ihre Sicht wurde immer mehr verschwommen...
Sie war wieder am selben Ort, ihre Bemühungen haben nichts mehr gebracht. Wie auf Knopfdruck fing sie an zu weinen. Ließ sich fallen, auf den weißen Asphalt. Der Schnee taute ein wenig auf, saugte sich in ihre Hose und hinterließ einen großen dunklen Fleck.
Seit ihrem letzten Traum hatte sie sich keinen einzigen Zentimeter bewegt, sie stand auf der Straße vor dem Café und ihre Katze streifte um ihre Beine. Neue Schneeflocken fielen ihr auf sie und hinterließen weiße Punkte in ihren blonden Haaren.
Sie streichelte über Tinkerbells feuchtes Fell. Sofort begann die kleine Katze zu schnurren. Bonnie zog die Katze auf ihren Schoß, vergrub ihre Hände und ihr Gesicht in ihrem weißgrauen Fell.
Ein Hupen ließ sie blitzschnell aufspringen. Der Mann im Auto machte eine wütende Geste in ihre Richtung. Mit ihrer Katze in den Armen stolperte sie zum Bordstein, stieß sich aber am Rand. „Fuck", fluchte sie, während sie in den kleinen Schneeberg stürzte.
Tinkerbell fauchte, trampelte sich gerade noch rechtzeitig frei und es gelang ihr, auf alle ihre vier Pfoten zu fallen.
„Bist du noch ganz dicht?!", knurrte sie jemand an. Er beugte sich zu Tinkerbell hinunter und streichelte sie sachte zwischen ihren Ohren.
Dann schaute er sie an, seine hellen Augen musterten sie eindringlich. „Dich kenne ich doch!", stellte er fest. Ich dich auch, Nolan. „Du bist die Irre, die so aufdringlich war am Samstag." Sie kniff ihre Augen zusammen und zog eine fürchterliche Grimasse. „Ja genau die", presste sie dann hervor und lächelte gequält. „Was wolltest du denn?", wollte er wissen. Seine Miene war viel netter als zuvor, endlich erinnerte er sie an ihren Nolan.
„Ich wollte dich etwas fragen", startete sie zögernd, würde sie Bonnie jetzt erwähnen, könnte er womöglich einen Rückzieher machen.
Sie zitterte schon am ganzen Körper, der Schnee war eben kalt und wenn sie sich einfach so reinsetzte, hinterließ es Spuren.
„Ist dir kalt?", fragte er. Blitzchecker, „Ne, weißte", entgegnete sie. „Hast du denn keine andere Jacke, etwas Warmes?", wollte er wissen und dieses Mal schüttelte sie einfach nur ihren Kopf. Nein hab ich nicht, eigentlich habe ich hier in dieser Welt gar nichts. Wie eine Obdachlose wollte sie aber nicht wirken, er musste mit ihr reden wie mit jedem anderen. „Ich bin zu Besuch hier, aber mein Koffer ist weg", schwindelte sie. Er holte seinen Rucksack hervor und zog eine Thermoskanne raus. Im Augenwinkel bemerkte sie eine Papiertüte voller frischer Brötchen, Käse und Kekspackungen im dunkelblauen Rucksack. „Was transportiert du denn alles?", fragte sie ihn und lächelte. „Frühstück", erwiderte er und schaute nicht mal auf. Stattdessen füllte er den kleinen Becher mit dampfend heißen Kaffee. „Für wen denn?", gab sie nicht auf, offensichtlich war der Rucksack bis zum Rand gefüllt und dieser würde die Bäuche einer Horde Affen füllen. „Meine Geschwister", dieses Mal schaute er hoch und reichte ihr den Becher. Sie mochte Kaffee nicht besonders, aber wenn es sie ein bisschen von innen wärmen würde, konnte sie den rauen und erdigen Geschmack ertragen. Sie spürte wie die heiße Flüssigkeit ihre Speiseröhre hinunterlief und eine Wärme ihren Körper flutete. „Danke", flüsterte sie. „Also", eröffnete Nolan das Gespräch, „Über was wolltest du mit mir reden, Fremde." Er legte seinen Kopf schief und musterte sie erneut. „Ich bin Lydia", stellte sie sich erstmal vor, „und ich wollte mit dir über..." Sie konnte den Satz nicht beenden, nur bei dem Gedanken das sie in weniger als einem Monat Tod sein könnte, ließ sie wieder weinen. „Sag schon", munterte er sie auf. Der Dampf aus der Tasse stieg hoch und traf sie im Gesicht, hinterließ einen nassen, warmen Fleck. Noch immer saßen sie im Schnee. Wie dumm, wenn ich hier weiter sitze, hilft der Kaffee auch nicht.
„Mir ist kalt", sagte sie und zögerte die Antwort so noch hinaus. „Ach ja", dass auch er im Schnee saß, bemerkte er offensichtlich erst jetzt, „Wie wärs wir laufen eine Runde, ich sollte sowieso nach Hause." Bonnie nickte. „Kein Problem für mich", versicherte sie ihm. Sie stand auf, kippte die heiße und bittere Brühe in sich. Sie zischte, kleine Nebelwölkchen bildeten sich vor ihrem Mund und sie fächelte sich hastig kalte Luft in den Mund. Dafür erntete sie einen merkwürdigen Blick von Nolan, verlegen stoppte sie sich und biss sich auf ihre verbrannte Zunge. Fuck, Aua! Sie kniff ihre Augen zusammen und ignorierte den Schmerz.
Langsam setzten sich die beiden in Bewegung, er steuerte Richtung Stadtpark an und sie liefen den Rosenwinkel entlang. „Sooo" Er nahm den Becher wieder an sich und sah ihr direkt in die Augen, in Augen die nicht ihr gehörten. Diese eisblauen Augen konnten doch niemanden verzaubern und in einen Bann ziehen, eher würde die Person an Unterkühlung sterben.
„Sag jetzt, dir muss man wirklich alles aus der Nase ziehen", er lachte, während er den Reisverschluss seines Rucksack schloss. Wieso musste sie diese Situation so zerstören, warum? „Ich muss über Bonnie reden." Anstatt das er ausrastete, weinte, eine eiserne Miene aufsetzte oder einfach wegging, schwieg er erstmal. Dann schlich sich ein winziges Lächeln auf seine Lippen. Alles gut bei dir? „Ich hätte nicht erwartet, dass du es mich fragst", flüsterte er und schluckte, „So viele Menschen haben es mich gefragt, morgen muss ich nochmal zur Polizei. Meine Familie gibt Geld für einen Anwalt aus, dass wir eigentlich nicht haben." Jeder Schritt den sie gingen wurde vom Knirschen des Schnees begleitet, die ersten Vögel flöteten ihr Morgenlied aber ansonsten war die Straße wie ausgestorben.
„Ich kann die Geschichte mittlerweile auswendig", seufzte er traurig, „Dann schadet es auch nicht, wenn ich sie noch einmal erzähle."
Sie wollte nachfragen, fand es dann aber doch ein bisschen zu unhöflich.
„Wir haben uns eine Weile nicht mehr gesehen, irgendwie war sie anders", er schüttelte beinahe ungläubig seinen Kopf, „Ich habe ihr geschrieben, ich brauchte ihr Hilfe." Er verstummte und kickte gegen einen Schneeberg neben ihnen. Der Schnee flog im großen Bogen zu Bonnie rüber, bedeckte ihr ganzes Bein, während der Rest auf der Straße landete. Das Licht der Straßenlampen ging in dem Moment aus,
als Bonita verblüfft aufschrie.
„Sorry", murmelte er und atmete mit geschlossenen Augen ein, „Auf dem See war so 'ne Katze und sie kam nicht mehr vom Fleck. Das Eis war dich" Er sah weg „Dachte ich zumindest. Noch am Tag davor durften wir drauf Eislaufen." Eine Tür neben ihnen öffnete sich und überrascht fuhren die beiden zusammen. „Morgen", begrüßte irgendeine fremde Frau sie. Bonita sah ihr hinterher, warum kannte sie diese Frau nicht? In ihrem Stadtteil kannten sie beinahe jeden, immerhin war dieser Ort nicht allzu groß.
Die schwarzen und sehr langen Haare wippten im Wind mit, aber das was Bonnie fesselte, war diese dunkle Aura um die Frau herum.
Plötzlich blieb diese Frau stehen und drehte ihren Kopf in Bonitas Richtung. Die schwarzen Augen nahmen sie gefangen, ein eisiger Hauch erfasste das Mädchen und es lief ihr kalt den Rücken hinunter. Das Blut gefror ihr in den Adern.
Plötzlich kam ihr die Frau so nah, dass kaum zehn Zentimeter Luft ihre Gesichter trennten. Der Atem der Frau war eiskalt und ihre Augen so schwarz, dass man keine Pupille erkennen konnte.
„Hallo Bonnie", flüsterte sie und lächelte dabei. Doch es war ein böses Lächeln, ein kurzer Satz, der aber mächtig und gefährlich war.
„Lydia?" Er rüttelte an Bonnies Schulter. „Alles klar bei dir?", fragte er. Sie sah zuerst in seine haselnussbraune Augen und dann zurück wo bisher die Frau stand.
Doch sie war weg...
Einfach verschwunden...
„Ja sicher", flüsterte sie.
„Sie ist eingebrochen?", erkundigte sie sich. Die Frau war wieder wie vergessen, die Spannung in ihr stieg, sie musstewissen, wie sie gestorben ist!
Er machte eine Mischung aus Kopfschütteln und Nicken, „Ja", sagte er, „Dort war eine dünne Schicht Eis, bedeckt von Schnee. Man sah den Rand nicht"
Doch sie hörte ihm nicht mehr zu.
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