SECHSUNDZWANZIGSTES
❧Was im Traum noch deutlich war,
macht plötzlich keinen Sinn mehr ☙
„Und die Bücher hast du schon abgegeben?", fragte Matti Bonnie erneut. „Jaa", seufzte sie, „Das Abgabedatum wäre sonst verfallen."
„Mensch, warum konntest du es nicht einfach verlängern?", erkundigte er sich offensichtlich genervt von ihr. Eine richtige Antwort hatte sie darauf nicht und deshalb schwieg sie lieber, während sie ihren Weg zur Bibliothek fortsetzten. Wie so oft in den letzten Tagen, hatte das Schneien wieder eingesetzt und der weiche Schnee bedeckte die Straßen der Stadt.
„Wir sind da", murmelte Bonnie und öffnete die schwere Holztür. Die Worte: „Ich weiß, bin ja nicht blind", ignorierte sie gekonnt.
„Einen guten Tag Frau Bäcker", begrüßte Matti die alte Frau im Sessel. „Hallo Bibliothekarin Bäcker", sagte Bonita nach ihrem Ritual und betrachtete die Frau. Sie wirkte besser als vor ein paar Wochen und lächelte ihnen auch entgegen. „Hallöchen Bonnie", wieder hörte es sich so an, als ob man mit einem englischen Hasen sprechen würde. „Sucht ihr was bestimmtes? Michael kann euch immer helfen, ihr findet ihn im Büro. So ein netter junger Mann und er kennt sich hier so gut aus", schwärmte die Bibliothekarin von ihrem Aushelfer und lächelte dabei breit, dabei konnte man gut ihre Lachfältchen erkennen.
Bonnie lief es eiskalt den Rücken herunter, dieser Typ war ihr einfach zu unheimlich!
„Nein, nein", erklärte Bonita schnell, „Ich weiß schon was wir suchen und wo wir es finden." Schon entfernte sie sich etwas von dem kleinen Tisch und nur noch leise nahm sie die Worte: „Nun gut Kindchen, viel Spaß euch beiden noch", wahr.
Bonnie zog ihren Banknachbarn hinter sich her und die Treppen hoch. Nach Luft schnappend kamen sie im Dachgeschoss an. Die wenigen, welche durch diesen schmalen Gang liefen, könnten sich vielleicht vorher auf Klaustrophobie testen. Am Ende kippten die noch um...
Bonnie ging durch die Zickzackgänge und hielt Ausschau nach dem Regal mit Traumdeutungen.
„Da", sagte sie und zeigte auf eines der verstaubten Regale. „Sicher?", fragte Matti und musterte kritisch die, mit Spinnennetzten bedeckten, Bücherreihen. „Ja", erwiderte sie sicher. „Dann machen wir uns wohl an die Arbeit...", seufzte er und schnappte sie ein besonders alt wirkendes Buch. Als er es von seinem Platz zog, entstand eine Staubwolke und umhüllte ihren Freund. Erstickt hustete er und wedelte mit seinen Händen. „Steh doch nicht so dumm rum", keuchte er.
Bonnie schüttelte sich. Sie ignorierte dieses kleine Scheinen in der Mitte der Staubwolke. Das Mädchen eilte zu dem schrägen Fenster und öffnete es. Langsam verzog sich der Staub.
Eigentlich war sie sich nicht mal mehr sicher, ob es dieses goldenen Licht gegeben hatte.
„Fällst du in deinen Träumen?" Mittlerweile saß Matti an dem kleinen Tisch, wo bei ihrem letzten Besuch noch Michael gesessen hatte. „Fallen dir Zähne aus?"
„Nein, so ein Quatsch. Ich hab dir doch gesagt, dass ich ertrinken", murmelte sie, sah immer noch der Wolke nach.
„Ich weiß", sie hörte das Grinsen in seinen Worten, „Machst du das Fenster her? Ich dachte wir wollten Träume studieren."
Sie nickte und löste ihrem Blick von den winzigen Staubkörnchen und setzte sich neben dir.
Mit seinem Zeigefinger führ er über die erste Buchseite, das Verzeichnis. „Hab's!", rief er erfreut und suchte die genannte Seite. Als er zu ihr umklappte, rieselte erneut der kleine Dreck auf den Tisch.
„Ertrinken", las Matti vor, „Träume in denen man ertrinkt, könnten darauf hindeuten, dass Sie in Ihrem Leben etwas überfordert sind.
Vielleicht haben Sie gerade eine falsche oder schwere Entscheidung getroffen und sich somit in eine augenscheinlich ausweglose Situation gebracht.
Unter anderem könnte ein Traum übers Ertrinken Sie vor einer kommenden Situation mahnen. Doch natürlich gibt es für Sie eine Rettung. Bleiben Sie sich treu und gerecht zu anderen, so schaffen Sie es gewiss zum Schatz – Erflog und Glück."
Gespannt hörte sie ihm zu und sah ihn dann fragend an, als er stoppte. „Ist das etwa alles?", erkundigte sie sich und zog das Buch zu sich.
„Nein", antwortete er und zeigte ihr eine Zeile, „Hier geht es weiter."
Warum liest du dann nicht weiter? Bonnie schüttelte irritiert ihren Kopf.
„Träume vom ertränkt werden – Falls Sie träumen, von jemandem ertränkt zu werden, nehmen Sie sich in Acht vor unehrlichen Versprechen und Betrug. Ertränkt Sie eine Ihnen bekannte Person, vermuten und/oder fürchten sie einen Verrat von ihr."
Bonita machte eine kurze Pause. Darunter kamen Texte wie:
Vom Schiff geworfen, oder Schwimmbad und Schlamm. Wie kann man überhaupt in Schlamm ertrinken? Darunter fand sie endlich einen wichtigen Text für sich.
„Ertrinken unter Eis", las sie weiter, „Erstarrte beziehungsweise tote Emotionen. Darunter können Sie verstehen: Sie schotten sich von der Außenwelt ab, da Sie Angst vor Verletzungen plagen. Dieser Traum warnt vor Einsamkeit und fordert, dass Sie sich Ihren Befürchtungen stellen."
Sie blätterte eine Seite um. Ein großes Bild von einem Fisch bedeckte die halbe Seite mit der Überschrift: Träume mit Fischen.
Matti hatte nichts mehr gesagt, stattdessen saß er teilnahmslos auf seinem Stuhl. Sein Kopf hatte er nach unten gerichtet und lehnte sie an seine verschränkten Hände. „Matti?", fragte sie. Er drehte ihr seinen Kopf zu und schaute sie aus seinen kastanienbraunen Augen an, einige seiner Locken fielen ihm ins Gesicht. Er brummte und musterte sie fragend. „Hast du mir zugehört? Alles gut bei dir?" Sie blätterte weiterhin durch das Buch und las einige der Überschriften.
„Ich überdenke gerade mein Leben, das passt so gut, dass ich es beinahe glaube", trocken lachte er. Ungläubig starrte sie ihn an und öffnete ihren Mund, nach einer Weile schloss sie ihn wieder.
„Was passt denn daran?", erkundigte sie sich, denn eigentlich hatte sie keine Ähnlichkeiten bemerkt.
„Du bist überfordert und du bist in einer Situation, wo dich nicht rauskommen kannst", erklärte er ihr. Bonita wollte widersprechen, aber er redete einfach weiter: „Du hast die Träume und denkst du stirbst und da kommst du einfach nicht so leicht raus. Oder diese Träume warnen dich halt vor dem Tod und wenn du überlebst bekommst du ein Geschenk"
Wie ein Blitz durchzuckte es Bonnie.
„Ich kann dir nicht sagen wie du deine Aufgabe meistern kannst, aber sobald du es schaffst, erwartet dich eine Belohnung. Ich habe dich nicht angelogen! Du bekommst Kräfte von denen du nicht träumen könntest, du kannst hunderte Leben retten", hatte die Katze gesagt. Konnte das die Belohnung sein?
Wenn sie gerade darüber nachdachte, über Hanahara und Lani hatte sie Matti noch nichts erzählt.
Die Stimme ihres Freundes riss sie wieder in die Gegenwart. „Und wegen diesen Träumen schottest du dich von vielen ab. Manchmal hab ich das Gefühl, dass du auch mich und Lily manchmal ignorierst", seine letzten Worte flüsterte er, aber sie bohrten sich wie ein Dolch in ihr Herz. Sie legte ihm eine Hand auf seinen Arm. „Wenn das manchmal so aussah, tut es mir leid. Ich wollte das doch nicht! Und jetzt bin ich doch da", sagte sie und er nickte.
„Was ist mit dem Eis? Du brichst doch durch eine Eisdecke. Außerdem gibt es noch die Frau in schwarz", teilte ihr Mitschüler seine neuen Gedanken mit ihr.
Nachdenklich nickte sie. „Good point!", stimmte sie ihm zu und wollte schon das Verzeichnis aufschlagen um zu schauen, wo sie weiterlesen mussten, doch da blieb ihr Blick an dem Papier hängen.
Lange schwarze Haare, ein bodenlanges Kleid mit Schleppe und dunkle Augen – Die Frau aus ihren Träumen.
„Das ist sie!", japste sie und zeigte auf das Bild. Ihr Banknachbar beugte sich über das Buch und betrachtete es ausgiebig. „Die wöllte ich nicht kennenlernen", flüsterte er schmunzelnd.
„Machst du dich ernsthaft über mich lustig? Die ist echt gruselig und,
'ne lass es. Sag mir lieber was da steht, wenn du dir das Buch schon geklaut hast."
Er lächelte sie an und widmete dann seinen Blick dem Buch. „Eine Frau in schwarzen Klamotten könnte für eine schädliche Denkweise oder eine unangenehme Situation, die nicht Ihrer Norm des Lebens entspricht. Außerdem können sich ungute Gefühle wie Angst, Hass, Trauer oder Schmerz hinter dieser mysteriösen verbergen.
Unter anderem kann das Schwarz für eine dunkle und unbekannte Seite Ihrer eigenen Persönlichkeit stehen, welche sie akzeptieren müssen, ODER sie wird einer anderen Person zugeschrieben, welche Ungutes bringt.
Schwarz als Nichtfarbe. Da Schwarz eigentlich keine Farbe ist, deutet es im Traum manchmal auf das Nicht-Bewusstsein hin. Darunter müssen Sie verstehen, dass es ein Hinweis auf ihren seelischen Zustand ist, wie Trauer oder Angst."
„Das hilft uns nicht", seufzte Bonnie, „Jeder zweite Mensch fühlt sich scheiße und hasst sein Leben. Schau mal lieber nach dem Eis."
Eigentlich wollte sie ja nur, nicht mehr dieses Bild sehen zu müssen, bei welchem sich ihre Nackenhärchen aufstellten und es ihr eisig den Rücken runterfuhr. „Oke, Oke", grummelte er und suchte die richtige Seite. „Ahh, hier, aber viel Text ist das nicht wirklich. Im Eis einbrechen, ist meistens ein Warnsignal. In nächster Zeit sollten Sie lieber vorsichtig sein. Wenn Sie einbrechen, sind Sie gewarnt, nicht den Boden unter ihren Beinen zu verlieren. Außerdem wird vor seelischen Schäden gewarnt, welche sie sich selbst oder jemand in ihrem nahen Umkreis verursachen kann.
Im Spirituellem steht das Eis für einen Teil von ihrer Seele, welcher aufgetaut werden muss. Auch auf unterkühlte Verhaltensweise von Ihrer Seite zu anderen sollten sie achten, denn sie laufen Gefahr, Freunde zu verlieren. So, mehr steht hier nicht. Hast du noch ein Element, welches wir nach sehen müssen?"
Bonita dachte angestrengt nach. „Es war sehr kalt, vielleicht sowas wie Frost und ich glaube, diese Frau steht für den Tod. Also vielleicht noch Teufel oder sowas", schlug sie vor, etwas anderes fiel ihr nicht mehr ein.
„Also Frost. Frost hat viele Bedeutungen, aber herrscht im Traum ein dunkler und trüber Morgen, so wird man wahrscheinlich auf eine lange Reise in ein fremdes Land aufbrechen. Ist das eine Traumwelt, ein anderes Land? Gibt es dafür ein anderes Wort? Die Reise würde auf jeden Fall Sinn ergeben", dachte Matti laut nach. „Ich weiß zwar nicht, wie die Traumwelt heißt, aber die wache Welt nennen sie Patriammane", teilte sie ihr Wissen mit ihm. „Ich weiß zwar nicht woher du es weißt und wer sie sind, aber ich lese einfach mal weiter", sagte er und sah sie verwirrt an. Sie schenkte ihm einen Ich-Sag-Es-Dir-Später-Blick und forderte ihn auf weiter zu machen.
„Der Traum von Frost kann eine Versöhnung mit Freunden oder Familie ankündigen. Auch sind Träume über Frost ein schlechtes Omen für das Berufsleben und Liebesangelegenheiten."
Grinsend sah er sie an und hob seine Augenbrauen. „Lass es", meinte sie von seinem Lachen angesteckt und machte eine verwerfende Handbewegung. Aber es würde erklären, warum ich mich nicht in einen so süßen und netten Jungen verliebe, obwohl Nolan eindeutig einer ist. Sehnsüchtig seufzte sie und konzentrierte sich wieder auf Mattis Worte: „Die eisige Kälte im inneren des Herzens, verweist oftmals auf die Abwesenheit einer geliebten Person. Das bezieht sich nicht auf räumliche Entfernung, sondern vielmehr auf schwindende Zuneigung."
Papa.
Mit seinem Zeigefinger fuhr Matti durch die restlichen Zeilen und überflog für sich den Text. „Nichts Interessantes", sagte er.
Eine Weile schwieg er und blätterte gelangweilt durch das Buch, auf dem nächsten Ziel, Seite vierhunderteinundzwanzig – Der Teufel. „Das kann jetzt nicht wahr sein! Jemand hat einfach die Seiten rausgerissen", rief er entrüstet aus und legte dann seinen Kopf auf das aufgeschlagene Buch. „Ich kann nicht mehr Bonnie, das ist irgendwie noch anstrengender als Schule", stellte er fest. Bonitas Antwort war ein Lachen. „Ehrlich? Na gut, dann würde ich behaupten wie holen uns jetzt ein Baumstriezel auf dem Weihnachtsmarkt", meinte sie betont fröhlich, „Ich bezahl auch!" Bonnie hielt ihrem Freund die Hand hin und er schlug ohne zu zögern ein. „Aber das Buch nehme ich mit." Skeptisch betrachtete sie ihren kleinen Rucksack, ob es reinpassen würde? Bestimmt.
Sorglos nahm sie das Buch in die Hand und lief durch den merkwürdigen Zickzackgang. „Vielleicht spendiere ich auch ein Glühwein, oder ein Kakao", überlegte sie laut aber ein lautes Rumpeln übertönte ihre Worte. Sie drehte sich um und Matti lief in sie rein. „Oh sorry, wollte ich nicht!", sie sah hinter ihn. Am Boden lagen keine Bücher. „Du hast es doch auch gehört?", erkundigte sie sich und er nickte. Zügig lief sie weiter, bog noch zweimal ab ehe sie vor einem kleinen Bücherhaufen stand. „Wie konnte das nur passieren", murmelte Matti hinter ihr. „Keine Ahnung", antwortete das Mädchen und räumte einige der Bücher wieder rein. Gerade wollte sie das Buch Rehaugen – Liebe auf den ersten Blickeinräumen, da bemerkte sie, dass man von ihrem Standpunkt wunderbar den Tisch sehen konnte, um welchen sie mit Matti noch vor zwei Minuten gesessen hatte. Ein unangenehmes Gefühl beschlich sie, doch die schüttelte ihn ab. Unsinn, warum würde das jemand tun. Niemand muss uns ausspionieren!
„Komm," sagte sie und eilte die Treppen hinunter.
Einfach nur weg hier!
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