NEUNZEHNTES
❧ Da ist immer dieser Schatten im Hintergrund,
welcher mir auf Schritt und Tritt folgt ☙
„Ich bin gleich da", keuchte Bonita in ihr Handy. „Lass dich doch nicht stressen", versuchte Naomi sie zu beruhigen, „Wir können schon auf dich warten. Stimmt's No?" Sie hörte ein leises „Ja klar, sicher" aus dem Hintergrund, merkte aber, dass Nolan nicht wirklich anwesend war. Bonita verlangsamte ihr Schritttempo und rang nach Luft.
In der rechten Seite ihres Körpers breitete sich das Seitenstechen wie ein widerlicher, kleiner Parasit aus.
Heute waren die Drei zum Kakao trinken verabredet. Bereits seit einer Woche wusste sie von diesem Sonntagstreffen und dennoch kam sie zu spät.
Verfluchte scheiße, knurrte sie in ihrem Kopf.
Vorsichtig packte sie ihr Handy weg und versteckte ihre eiskalten Hände in den Jackentaschen.
Während sie durch die Straße lief und dabei der Schnee unter ihren Schuhen knirschte, bemerkte sie etwas hinter sich. Ein Schatten, ein Knirschen was im selben Moment kam, wie bei ihr. Jemand passte sich ihrem Lauftempo an
Unruhig suchte sie den Schlüssel in ihrer Jackentasche, krallte sich an ihm fest, damit sie diesen im Notfall nutzen konnte.
Sie drehte sich um neunzig Grad und starrte in ein weihnachtlich geschmücktes Schaufenster.
Wendys
Tee & Naschereien
Stand in roten Buchstaben an der Tür, darüber hing ein Weihnachtskranz mit roten Schleifen und silbernen Sternen. Zögernd versuchte sie in der Spiegelung einen Blick auf ihren Verfolger zu werfen. Gerade noch erkannte sie einen Schatten, doch schnell bog der große und breite Umriss in eine Nebengasse.
Unsicher setzte Bonnie sich wieder in Bewegung. Dabei zwang sie sich, sich nicht umzudrehen. Jeder Schritt fiel ihr schwer.
Nur noch fünf Minuten, versuchte sie sich in ihren Gedanken zu beruhigen. Der Schlüssel in ihrer Hand war inzwischen fast heiß geworden, längst hatte er seine Form in ihre Handfläche gebrannt.
Trotz des eisigen Wetters schwitzte Bonnie, immerhin kannte sie diesen Schatten schon. Mehrmals hatte sie ihn gesehen, auf dem Weg zur Schule oder einfach plötzlich in der Schule. Am schlimmsten war die Begegnung nach der Party in ihrem Hofhaus und auch dort war sie sich sehr sicher, dass es sich um eine Person handelte.
Sogar einen konkreten Verdacht hatte sie bereits, dieser Michael aus der Bibliothek. Sie schüttelte ihren Kopf, denn jetzt musste sie konzentriert bleiben. Aufmerksam schielte sie in die Schaufenster neben sich, um in deren Spiegelung einen Schatten erkennen zu können. Tatsache, ihr Verfolger war wieder aufgetaucht, vielleicht drei oder vier Meter hinter ihr. Kaum merklich verschnellerte sie ihr Tempo.
Jetzt wo sie mehr auf den Mann hinter sich achtete, bemerkte sie das es er gar nicht mal so groß war, dagegen aber noch ein bisschen breiter. Dieser Typ hinter ihr war aber eindeutig ein Mann, sein Körperbau, welcher sich deutlich unter seinem dunklen Mantel formte, verriet es Bonnie und das trotz der verwischten Spiegelungen.
Nur nach zwei Straßen und ich bin da. Bonnie spürte wie ihr Handy in ihrer Tasche vibrierte, bestimmt war es Naomi. Kurz zögerte sie, entschied sich aber dagegen ihr zu schreiben.
Bonnie bog ab, sah schon die letzte Ecke vor der Zielgeraden und atmete langsam aus. Erst jetzt, wo mehr Leute auf der Straße waren, riskierte sie es, einen Blick über ihre Schulter zu werfen.
Der Abstand zu ihr und dem Schatten wurde immer größer und als sie abbog und das Café in ihre Sicht trat, folgte er ihr plötzlich nicht mehr.
Erleichtert beschloss Bonnie, kein Wort über diesen Vorfall zu verlieren. Wieso sollte sie Naomi und Nolan damit ihr Leben erschweren?
Sie öffnete die Tür und betrat das gemütliche Warm.
„Also hat deine Mutter einen Krankenwagen angerufen als du umgekippt bist?", fragte Naomi und stocherte nebenbei mit einem Strohhalm in ihrem Kakao herum, sie hatte bereits die halbe Sahne mit dem heißen Getränk gemischt, aber bisher keinen Schluck genommen.
„Ja", antwortete Bonnie nickend, „Die Ärzte meinten aber nur es wäre nichts Ernstes, ich solle nur nach Hause und mich ausruhen."
Nolan umklammerte mit seinen Händen seine Tasse, so als ob ihm kalt wäre. „Seid ihr dann nach Hause gefahren? Mit Florin?", wollte Naomi mehr wissen und stoppte sogar im penetrieren ihres Getränkes.
Mit grimmiger Miene nickte Bonita. „Genau, sie saß die ganze Zeit neben mir auf der Rückbank und starrte durchgehend aus dem"
„Ohne den Film zu sehen?!", unterbrach Nolan sie, offenbar völlig entsetzt über diese Option.
„Ja, aber ich glaube der war uns allen in dem Moment herzlich egal", meinte Bonnie nur und drehte sich wieder Naomi zu. Diese warf Nolan einen bösen Blick zu.
„Es ist ein No-Go eine so dumme Frage zu stellen, No!", ermahnte sie ihn, musste dabei aber selber grinsen. „Ist schon okay Naomi", sagte Bonnie, legte eine Hand auf die Schulter ihrer neuen Freundin und wurde ein wenig rot. Kurz herrschte Stille.
„No?"
„Sein Spitzname, ein einfaches No-No", erklärte Naomi ihr und grinste dabei, „Immer wenn der was macht, was er nicht soll, sage ich No No!"
Nolan starrte Naomi an als wöllte er sie in einen Keller werfen und jahrelang foltern, hielt seine Zunge aber in Zaun.
„Stimmt's No-No?" fragte Naomi und drehte ihren Kopf in seine Richtung. Nun deutlich verdutzt das sie mit ihm sprach und ihn dabei noch aufzog, riss er seine Augen auf. Dann öffnete er seinen Mund um etwas zu sagen, aber die Worte wurden von Bonnies und Naomis Lachen übertönt.
Nolan schnitt eine Grimasse, wobei er seine Mundwinkel weit nach unten zog und seine spitzen Zähne entblößte, doch dann grinste er auch.
„Und wie ging es weiter?", erkundigte er sich, als die beiden Mädchen sich halbwegs fingen.
„Irgendwann saßen wir auf der Coach, zu dritt. Ich hatte ein Kühlpack auf meiner Stirn und wir sahen uns irgendeine Sendung über Leguane aus Asien an, oder sowas. Dann klingelte Mamas Handy und sie verließ den Raum", erzählte Bonnie, machte eine Pause und nahm einen Schluck ihres Kaffee Latte mit Zimt- und Biskuitgeschmack, „Es war voll unangenehm und natürlich kam genau in dem Moment die Werbung."
Die Kellnerin unterbrach ihren Bericht, indem sie drei Stück Walnusskuchen auf den Tisch ablegte. Bonnie sah zu der Frau hinauf und wollte ihr danken, da verfing sich ihr Blick in den Augen. Schwarze Augen, wie Kohle und keine erkennbare Pupille. Die Frau bemerkte Bonnie nicht und verließ den Tisch, verdattert sah Bonita ihr hinterher.
„Alles gut?", fragte Nolan und zog seine Augenbrauen zusammen. Sie nickte und schüttelte dann ihren Kopf. Bestimmt nur Zufall. „Was also?", hakte er nach und nahm den ersten Löffel seines Kuchens.
„Ja, alles gut. Ehm", sie zögerte und versuchte ihren roten Faden wiederzufinden, „Da sagte diese Florin: „Du bist genauso hübsch, wie deine Mutter immer sagte." Ich wäre dabei fast im Erdboden verschwunden, hätte es mein Aggregatzustand erlaubt. Ich hab so getan als hätte ich sie nicht gehört und einfach ganz gebannt die Werbung beobachtet. Sie sagte so: „Ja ich und deine Mumi kennen verstehen uns echt blendend" Und weil es mir unangenehm war, nichts zu sagen, habe ich ihr geantwortet." Naomi öffnete ihren mit Kuchen vollgestopften Mund und fragte: „Was hast du gesagt?"
„Ich weiß."
Nolan sah sie an und kaute an seinem Stück Kuchen rum. „Nur?", meinte er nachdem er schluckte. „Ja und dann war es erstmal ruhig, ich glaube wir haben beide Mamas Telefonat gelauscht. Aber irgendwann sagte sie dann: „Na wenn du so hübsch bist hast du doch bestimmt einen Freund und viele Verehrer, darfst du denn mit denen raus?"" Erst wurde Naomi kurz komplett weiß im Gesicht und dann prustete sie los, Nolan nur kurz nach ihr. Bonnie versteckte ihr rotes Gesicht hinter ihren Händen. „Es war so grausam", jammerte sie, „Und dann hat auch noch Mama den Raum betreten, die hat das bestimmt gehört!"
Noch lauter lachten die Zwei ihr gegenüber und ernteten dadurch einige seltsame Blicke der anderen Gäste.
Bonita legte ihren Kopf auf den Tisch und murmelte: „Ich will diese Flori nicht mehr sehen! Doch wie es scheint, wird sie jetzt stetig bei und ein und ausgehen"
Sie spürte wie jemand, wahrscheinlich Naomi, eine Hand über ihre Schulter legte und ihren Kopf auf Bonnies Rücken anlehnte.
„Dann wissen wir ja was zu tun ist", sagte dieser jemand, der wirklich Naomi war, in Bonitas Ohr.
„Und was? Soll ich Flori so lange quälen bis sie von alleine geht?", fragte sie hoffnungsvoll und hob ihren Kopf leicht.
„Nein, wir müssen das große Haus renovieren, damit du dich dort verkrümeln kannst, wenn sie dich nerven!", erklärte Naomi und ihre Stimmte triefte dabei nur so vor Stolz.
„Eigentlich keine schlechte Idee", stimmte Nolan ihr zu, „Ausnahmsweise" Naomi beugte sich über den Tisch und verpasste ihm einen leichten Klaps auf den Hinterkopf und wieder fragte Bonnie sich, was die beiden eigentlich waren.
Ein Paar? Gute Freunde? Oder wirklich nur Freunde? Geschwister oder vielleicht entfernte Cousins?
Warum frage ich einfach nicht? Sie kannte die Antwort nicht, es war einfach unangenehm.
„Meinst du nicht auch?", Naomi riss sie aus ihren Gedanken. „Was?", fragte Bonnie, sie hatte es nicht geschafft ihrer Freundin zu folgen. „Wir müssen uns unbedingt treffen, im besten Fall noch vor Freitag nächste Woche oder so", wiederholte sie ihre Forderung und schaut erst Nolan und dann Bonnie an.
Er hob abwehrend seine Hände. „Ich hab nichts dagegen, nur schau mich nicht mit deinem Mörderblick an!", sagte er in gespielt ängstlichen Ton und machte sich dabei so klein es eben ging.
Wieder lachten die Drei. „Am Freitag kann ich nicht, aber am Donnerstag habe ich Zeit", meinte Bonita nickend und schloss dabei ihre Augen, woraufhin ein weiteres Lachen folgte. „Dann ist es abgemacht", erklärte Naomi freudestrahlend und nahm den letzten Bissen ihres Kuchens.
Die halbleere Tasse mit ihrem Kakao schob sie von sich weg. „Ist kalt", erklärte sie, als sie bemerkte wie Nolans und Bonnies Blicke der Tasse folgten.
Die Drei bezahlten, blieben aber noch eine Weile sitzen und redeten entspannt weiter.
Längst hatte Bonnie den kleinen Vorfall wieder vergessen und verdrängt.
Kein großes Wunder also, dass keiner von ihnen die zwei Schatten bemerkte, welche sie durch das beschlagene Fenster beobachteten.
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