NEUNUNDZWANZIGSTES
❧Weihnachten ist keine Jahreszeit. Es ist ein Gefühl ☙
Last Christmas tönte aus den Musikboxen im Wohnzimmer der Schuhschachtel. Zimt- und Glühweinduft breiteten sich im ganzen Haus aus und verströmten einen angenehmen Geruch. Erst Acht Uhr zeigte die Uhr in der Küche an, dennoch herrschte im Gebäude ein gemütlicher Trubel. „Es ist Weihnachten!", jubelte die kleine Ruth und steckte ihre beiden Brüder an. „Weihnachten, Weihnachtsmann!" grölte Gabriel. „Weihnachtsduft und Geschenke!", stimmte sein Zwillingsbruder Matteo mit ein.
Wie wildgewordene Hühner rannten sie durch die Zimmer, bis in die Küche und trieben dort ihr Teufelswerk weiter. „Menschenskinder!", fluchte Tante Franzi und wich den Rabauken etwas ungeschickt aus. „Kinder!" Verzweifelt und gespielt dramatisch, schlug Mareike die Hände über dem Kopf zusammen. „Wenn ihr hier so einen Mist macht, können wir nichts vorbereiten und dann kommt der Weihnachtsmann auch nicht", drohte deren Mutter mit erhobenen Finger.
„Verwirre die Kleinen doch nicht. Der Weihnachtsmann kommt, wenn du die meiste Zeit des Jahres artig warst", beruhigte Vera sie.
Die Kinder starrten mit weit aufgerissenen Augen zu den drei Frauen hoch, irritiert darüber, wem genau sie nun glauben sollten.
Doch wie sonst auch immer, verwarfen sie nur kurz darauf ihre Sorgen und machten in ihrem Unfug weiter.
„Heilige Nacht! Stille Nacht!", schrie Maria-Ruth und sprintete die Treppen hoch. Sie wollte schauen, ob sie schon den Schlitten mit den magischen Rentieren sehen konnte. „Alles schläft, einsam wacht", setzte sie ihr Lied fort.
Wenn man in diesem Haus nur ruhig schlafen konnte, dachte Bonita sich müde. „Bonnie!", grüßte ihre Mutter sie, „Na endlich bist du auch wach. Komm und helfe mir doch." Mit weit aufgerissenem Mund gähnte Bonnie und nickte.
Mit einer Hand fuhr sie sich durch ihrer von der Nacht zerzausten Haarpracht und versuchte sie etwas zu bändigen.
„Lege die Plätzchen auf den Tisch und mach die Kerzen an. Dann suche doch die schönen Weihnachtsservietten und ruf die Kleinen runter.", diktierte Vera Kirsch ihrer Tochter, „Keine Ahnung was die dort Oben treiben." Wenn man vom Teufel sprach... Ein lauter Knall ertönte und es hörte sie an, als würde etwas in Tausend Splitter zerspringen.
„Meine Vase!", keuchte Mareike entsetzt und raste die Treppen hoch. Gemeint war die grottenhässliche Vase aus China und an genau dieser gab es für Bonnie nur einen guten Punkt: Sie war teuer. Aus keinem anderen Grund würde sie selbst so eine Vase aufstellen, geschweige denn öffentlich zeigen!
„Eike, heute ist Weihnachten! Und Kinder, kommt zu Tisch!"
Begeistert klatschte Bonnies Tante Franzi in ihrer Hände und ließ sich auf ihren Stuhl nieder.
Die Lichterkette leuchtete und schwenkte den Raum in einem gemütlich orangenem Ton. Die unzähligen Geschenke stapelten sich unter dem Tannenbaum, welcher eigentlich eine Fichte war und verliehen dem Raum ein kunterbuntes Dasein.
„Daf ich bitte das erwte Geschenk aufmachen, Mami bitte", quengelte Christoph und machte seine Hundeaugen. Es wirkte auf Tante Franzi, welche beinahe sofort nickte und ihm durch seine feinen Haare wuschelte. Aber auf die anderen drei kleinen Kinder im Hause zeigte es keine Wirkung. „Christoph nein, das ist unfair! Ich bin der Erste", maulte Matteo. „In der Schule sagen sie immer, Ladys first!", erwiderte Klein-Ruth schmollend. „Du und eine Lady?", zog ihr Bruder Gabriel sie auf, „Eher lernen Elefanten fliegen!"
„Mensch Gabriel! Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du deine Schwester nicht beleidigen darfst?!" Mareike stand auf und zog Marie-Ruth zur Seite, welche sich auf ihren Bruder geworfen hatte und ihn nun an seinen Haaren zog. „Ich glaube, ich suche das erste Geschenk aus und wir schauen, welchen von euch es gehört!", entschied Vera endlich. Ihre linke Hand hielt sie vor die Augen und mit ihrer rechten griff sie blind in den Geschenkehaufen. Ein kleines Paket, vielleicht sieben Zentimeter bei jeder Kante, aber schätzen konnte sie nicht wirklich. Etwas in dem Geschenk bewegte sich, denn als Vera es schüttelte, klimperte es geheimnisvoll. Christoph, Ruth und ihre beiden Brüder Matteo und Gabriel hielten gespannt ihren Atem an...
...Dann seufzten sie enttäuscht, als Vera den Namen verkündete: „Bieni"
Die Kleinen verzogen ihre Schnuten. „Man Mama, die ist die Älteste und sie hätte ruhig warten können", murrte die neunjährige Maria-Ruth. „Genau", fügte Christoph hinzu. Warum konnte der kaum Dreijährige nur so viele Wörter? Ist das normal? Bei Ruth und den Zwillingen war das damals anders.
Bonnie nahm das Geschenk entgegen und schälte es quälend langsam aus dem glänzend roten Geschenkpapier. Sie spürte wie die Blicke der anderen sich an sie hefteten und sie jede ihrer Bewegungen verfolgten. „Wie schön!", jauchzte sie etwas zu freudig, „Das ist doch bestimmt etwas Schickes!" In ihrer Hand hielt das Mädchen ein weißes Schmuckkästchen mit goldenem Verschluss. Nun packte auch sie die Euphorie und so öffnete sie es schnell und schaute hinein. Der Anblick ihres Geschenkes irritierte sie. Es war ein Ohrring. „Ohh", sagte sie. Gespannt schaute die restlichen Kinder ihr über die Schultern und begutachteten das erste Geschenk. „Und was ist es?", wollte jetzt auch Mareike wissen. „Es ist ein Ohrring, aber..."
„Es ist ein Piercing!", rief Bonnie entzückt, als sie endlich die Erkenntnis packte. Sie hatte sich eins gewünscht, das stimmt, aber erwartet hatte sie es nicht. Immerhin waren ihre Mutter und ihr Vater dagegen gewesen und das hatten sie ihr auch erklärt, doch nun lag das kleine Schmuckstück vor ihr auf dem weißen Polster.
„Ein was?", fragte Ruth und hob ihre Augenbrauen.
„Ein Bauchnabelpiercing und es ist wundervoll!" Sie schenkte ihrer Mutter einen dankbaren Blick, äußerte sich aber wegen der kleinen Kinder nicht. Ruth und Christoph lebten noch in der schönen und naiven Kinderwelt. Gabriel und Matteo wurden letztes Schuljahr in der Schule mit der grausamen Realität konfrontiert.
Während einer täglichen Übung im Englischunterricht mussten sie den Satz: Welche Weihnachtsgeschenke hast du deiner Familie gekauft?, übersetzten und dabei hat es bei mehreren Schülern Klick gemacht. Bonita wusste zwar nicht mehr ob der Lehrer danach irgendwelche Konsequenzen hatte oder so, aber zu Hause gab es damals viele Krokodiltränen.
„Ein Einhorn und es leuchtet unter Wasser!", rief Ruth und schwenkte begeistert das Plastikbiest rum, „Mama, Mama schau doch!" Anscheinend waren sie schon beim nächsten Geschenk angekommen. Mareike nickte etwas weniger begeistert als ihre Tochter. Hochwahrscheinlich, oder sogar zu hundert Prozent sicher, kannte sie das Geschenk bereits.
„Florin, hier ist ein Geschenk für dich", Vera hielt ein goldverpacktes Geschenk in ihren Händen und beugte sich vor, um es ihrer Freundin selbst zu überreichen. Etwas zögernd drückte sie einen flüchtigen Kuss auf deren Lippen und entzog sich ihr aber schnell.
Flori war nett, aber sympathisch musste sie Bonnie lange nicht sein...
Viel zu schnell verging die Zeit. Mittlerweile stand ein Geschenkestapel neben Bonnie und langsam aber sicher, verschwanden die verpackten Geschenke unter dem Baum. Ruth spielte noch immer mit ihrer neuen Puppe mit den langen blauen Haaren und dem im Wasser leuchtenden Einhorn, während Gabriel und Matteo mit einer neuen Armee von Soldaten gegeneinander Krieg führten. Christoph schlief in den Armen seiner Mutter, etwas zu anstrengend war der Tag für ihn gewesen.
„Und das letzte Geschenk ist für unsere liebe Eike", Vera lächelte ihre Mitbewohnerin an und reichte ihr das Geschenk.
Ein Klingeln unterbrach die weihnachtliche Ruhe. „Na nun?", flüsterte Franziska, „Wer könnte das so spät sein?"
Vera Kirsch stand auf und klopfte Staub von ihrem Kleid, sie zupfte es noch etwas zurecht und lief dann zur Tür. Flori lief ihr nach und griff nach ihrer Hand. Anscheinend wollen die etwas Zärtlichkeiten austauschen, aber da haben sie sich geschnitten! Bonnie sprang auf.
Sie hörte wie sich die Haustür knarrend öffnete und jemand nach Luft schnappte. Ein paar leise Schritte, so als würde jemand zurückweichen.
„Du?", die Stimme von Bonnies Mutter brach.
„Schöne Weihnach...", begann eine männliche Stimme und unterbrach sich. Bonita konnte sie nicht richtig einordnen, aber sie klang irgendwie bekannt...
Schon stand auch sie nun im Flur, die kalte Luft von außen überraschte sie, aber noch mehr überraschte sie der Anblick.
„Papa?", krächzte Bonnie und dann fiel ihr Blick auf die zwei Blondinen neben ihm. Sofort verhärtete sich ihre Miene.
„Hey Biene, fröhliche Weihnachten."
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