NEUNTES (3)

Dieses Gefühl, welches sie seit Wochen verspürte.

In der Schule, zu Hause oder einfach so auf der Straße.

Bonnie stützte sich mit einer Hand an einem Regal ab, sie konnte Lukas nicht sehen, ein Regal versperrte die Sicht.

Er konnte ihr nicht helfen.

Bonita japste nach Luft, versuchte sich auf die Musik zu konzentrieren. Sie versuchte einen Anhaltspunkt zu finden, an den sie sich klammern konnte.
Wie an einen Rettungsring.

Etwas Weiches berührte ihre Beine. Die kleine Tinkerbell kuschelte sich an sie.

Das Mädchen griff nach dem Kätzchen, stand etwas schwankend da und vergrub ihr Gesicht in dem weichen Fell.

Langsam begann sie sich zu beruhigen, es fiel ihr wieder leichter zu atmen.

„Danke Samtpfötchen."

Sie legte das Kätzchen ab, schnappte sich eine Dose Nassfutter für Katzenbabys und drei Käsebrötchen.

Sie reichte Lukas einen Fünfeuroschein in die Hand und lächelte gequält freundlich. Als er ihr das Restgeld übergeben wollte, schüttelte sie leicht den Kopf. Mit hastigen Schritten verließ sie den Laden und setzte sich auf eine Bank.

So früh am Morgen war noch niemand unterwegs und so konnte sich Bonnie ein wenig ausruhen. Sie hasste diese Panikattacken, hasste es vor ihren Klassenkameraden wie ein Freak dazustehen.

Zwar hatte sie bisher tatsächlich nur vier Panikattacken in der Anwesenheit ihrer sogenannten Freunden erlebt und dennoch hatte es gereicht, dass die Lästerküche brodelte.

Innerhalb von zwei Stunden wussten alle 724 Schüler ihrer Schule von der Irren aus der Neunten B.

Dieses Mädchen das während des Tests umfiel, wegen Sauerstoffmangel.

Das Mädchen, das ausgeholt hatte um einen Lehrer zu schlagen.

Das Mädchen, welches wegen Entzuges von Medikamenten übermüdet und dadurch aggressiv war...

Niemand hatte verstanden, warum es passieren konnte, nicht einmal sie selbst.

„Wir haben eine Mission zu erledigen", rief sie sich selbst wieder in Erinnerung, „Hörst du Samtpfötchen?" Die kleine Tinkerbell nickte und Seite an Seite liefen sie die Straßen entlang.

Es ging nicht in die Richtung von Bonnies Haus, sondern in die entgegengesetzte. Über die Hauptstraße gelangten sie zu einer kleinen, unscheinbaren Nebengasse.

Der Gang war kaum ein und halb Meter breit, es roch auch immer sehr muffig und manchmal liefen hier wirklich seltsamen Personen durch. Beinahe könnte man sagen die Kleine Herbstleite sei eine hässliche Straße, aber durch die buntangestrichenen Häuser, war das Gegenteil Fall.

Die Häuser leuchteten in allen möglichen Pastellfarben und das Gelbe, gehörte zu Lilys Familie. Bonita klingelte. Nach etwa zehn Sekunden Wartezeit ertönte das ihr so bekannte Surren. Es klang sehr heimisch, immerhin hatte sie jeden Dienstagnachmittag hier verbracht, mit Lily.

Irgendwie hatten sie sich auseinandergelebt, dachte das Mädchen zumindest aber Lily schien es nicht zu merken, oder sie störte sich nicht an dem Gedanken. Jeder der mit der Irren rumhing, war gewiss selbst ein Irrer, zumindest funktionierte die Logik all ihrer Mitschüler so.

Das hatte auch ihr Fußballteam „Block'n Role!" eingesehen und Bonnie rausgeschmissen. Bei ihrer Theatergruppe war es noch schlimmer. Niemand sah sie an, geschweige denn sie ansprechen. Sie bekam keine Rolle im neuen Stück, musste in der Bühnentechnik mitarbeiten.

Natürlich trat sie nach einiger Zeit aus und seitdem verbrachte sie ihre Nachmittage zu Hause. Im Treppenhaus sah sie das Gesicht von Lilys Mutter hinunterschauen. Sie beugte sich über das Treppengelände, hatte eine Maske auf dem Gesicht und schürzte ihre Lippen als sie Bonnie nicht erkannte. „Hallo!", begrüßte sie die Frau die früher beinahe wie eine zweite Tante für sie war, „Ist Lily zu Hause?" Die Frau schüttelte ihren Kopf und einige Tropfen der grünen Gesichtsmaske fielen das Treppenhaus hinunter. „Nein Mäuschen, sie ist mit ihren Freunden ins Schwimmbad", erklärte sie Bonnie.Wie benommen nickte diese.

Freunden? Schwimmen?

Ja, Lily war schon immer viel offener als Bonita und hatte somit einen größeren Freundschaftskreis, aber bemerkte sie denn nicht die Ironie? Sie und ihre Freunde waren Schwimmen... Nach dem Bonnie vor nicht mal so langer Zeit im See ertrank. Diese Tatsache erinnerte das Mädchen an noch etwas viel Wichtigeres.

Sie musste schwimmen lernen, mit ihren 15 Jahren war sie schließlich mehr als alt genug.
„Danke!", rief sie noch nach oben, während sie schon nach unten eilte. Sie und Lily hatten definitiv etwas zu besprechen!

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