FÜNFUNDZWANZIGSTES

Freunde zeigen dir den Weg nicht, sie laufen mit dir

„Bonnie, reichst du mir bitte die Malerwalze?" Nolan streckte seinen Arm aus. „Die was?", fragte sie und sah sich suchend um. „Eine Farbrolle", er nickte in eine Richtung, während er eine mintgrüne Farbwanne mit Farbe befüllte. „Ach so", sie zog das O besonders lang, als sie nach dem Gerät griff und es ihm reichte.

Naomi betrat das Zimmer. „Habt ihr noch Farbe?", wollte sie wissen, „Ich muss noch eine halbe Wand streichen und ich hab keine Farbe mehr." Bonnie seufzte, werde ich heute noch selbst arbeiten oder muss ich den Diener spielen? „Welche Farbe brauchst du?", erwiderte Bonita und zeigte dabei auf die unzähligen Farbdosen. „Katinka Zweihundertsiebzig oder sowas", meinte ihre Freundin und inspizierte die Behälter. „Das!", rief sie erfreut aus und verließ das Zimmer, mit einem Farbkübel in ihren Händen.

„Nolan?", flüsterte Bonnie und versuchte ein Gespräch zu beginnen. Er drehte sich nicht um, machte mit einem Brummen aber klar, dass er sie hörte. „Ich schreibe an einer Geschichte..." Erneut tunkte er die Malerwalze in die Farbe. „Und?", fragte er. „Es geht um ein Mädchen. Sie hat Träume in denen sie Tod ist und sie hat Angst. Die Träume spielen in der Zukunft und deshalb denkt sie, es könnte ihr dasselbe Schicksal widerfahren. Irgendwann hat sie rausgefunden, wie und wo sie stirbt, sogar auch warum sie diese Träume hat." Bonnie stoppte und erwartete irgendeine Reaktion, aber es kam keine. „Hörst du mir noch zu?", fragte sie. Endlich! Drehte er ihr seinen Kopf zu und musterte sie. „Natürlich!", sagte er dann, „Ich weiß nur ein bisschen nicht, was du von mir als Reaktion erwartest." Er zuckte mit seinen Schultern und legte die Malerrolle beiseite. Sie schluckte und fuhr fort: „Irgendwann kommt dieses Todesdatum auch im realen Leben näher und das Mädchen verzweifelt komplett, weil sie noch nicht weiß, wie sie ihr Leben retten kann."

„Ich bin fertig!", rief Naomi triumphierend, als sie den Raum betrat. „Ich glaube es ist an der Zeit, dass wir uns Mal unser Werk ansehen", ergänzte sie und zog Bonnie schon am Ärmel aus dem Raum, welcher irgendwann die Rezeption werden sollte. Nolan folgte ihnen und wahrscheinlich hatte er ihr Gespräch schon wieder vergessen, irgendwie machte es Bonnie ein bisschen wütend. Naomi zog sie raus aus dem Haus und präsentierte das Bauernhaus mit weit ausgestreckten Armen. Die frischlackierte Tür glänzte in einem satten rotbraun und lud zum Reingehen ein.

„Wir heißen sie willkommen im Pension Bienchen und laden ganz herzlich zu einer Führung ein", sagte Bonnies Freundin und öffnete nebenbei die Haustür. „Zur rechten Seite sehen sie die Rezeption."

Die Wand war noch nicht ganz fertig angemalt, aber den Rezeptionstisch hatten sie glatt geschliffen und drei blaue Sessel standen an der Wand gegenüber. Besonders stolz war Bonita auf die ganze Möbelsammlung, welche sie zusammengestellt hatten.

Unzählige Male waren die drei auf Flohmärkten unterwegs und verhandelten um die besten Preise. Auch auf Ebay und anderen Seiten hatten sie einige gute Stücke zum guten Preis ergattert. Nur leider hab ich das ganze Geld von Papa dafür genutzt, höllisch viel Geld... Schon bei dem Gedanken daran, schüttelte sie sich. Meine Mutter würde mich umbringen, dachte sie, musste dabei aber grinsen.

„Weiter haben wir die Empfangshalle und den Flur, sowie neun von fünfzehn Zimmern neu gestrichen und mit Möbeln ausgestattet. Die Gemeinschaftsküche finden sie im zweiten Stock, doch leider ist diese nicht funktionsfähig und kaum ausgestattet."

Naomi senkte ihren Kopf und tat so, als würde sie eine Träne wegwischen. Nolan lachte leise, stoppte sich aber sofort. Er setzte eine super ernste Miene auf und folgte Naomi.

„Doch lassen wir uns unsere gute Laune nicht verderben, lassen sie uns lieber die Treppen hochgehen und die einzelnen Zimmer bewundern." Aufrecht und mit der Brust voraus lief Naomi die Treppen hinauf und drehte sich oben noch mal um. „Kommen sie doch!", spornte Nolans Cousine sie an. „Ja ja", meinte Nolan und ging ihr mit Bonita nach.

„Boah bin ich müde", Naomi gähnte, verbarg aber ihren Mund hinter einer Hand. Sie schnappte sich ihren prallgefüllten Rucksack und zog ein Kuscheltier heraus. Stolz hielt sie es hoch, wie in König der Löwen.

„Mit sechzehn immer noch mit einem Kuscheltier schlafen", flüsterte Nolan. „Na und?", fragten Bonnie und Naomi gleichzeitig. Beschwichtigend oder beschützend, da war Bonita sich nicht sicher, hob er seine beiden Hände und murmelte: „Schon gut ich sag ja nichts!" Die drei brachen in Gelächter aus.

„Du hast gesagt wir brauchen keine Luftmatratzen oder sonst was, also hab ich nichts mit", meinte Naomi und sah ihre Freundin an. „Das ist auch richtig so, wieso solltet ihr sowas mitbringen, wenn wir um die fünfundzwanzig Betten hier haben."

Auch Nolan griff nun nach seiner Tasche. „Also", er zog den Vokal lang, „Welches Zimmer nehmen wir?"

„Die drei, das einzige Fünferzimmer mit drei Betten in einem Raum", erklärte Bonnie und hob kurz und mit sich zufrieden beide Augenbrauen. „Gute Wahl", gab Naomi nickend zu, „Daran hätte ich irgendwie gar nicht gedacht." Nolan schüttelte seinen Kopf. „Ne ich auch nicht", stimmte er seiner Cousine zu und stieg dann langsam und als Erster die Treppen hoch.

Zusammen betraten sie das Zimmer, wie angewurzelt blieben Bonnies Freunde stehen. Im Zimmer lagen LED-Lichterketten rum und die drei Betten, hatte sie selbst schon vorher zusammengeschoben. Auf dem kleinen Nachttisch stapelten sich süße und salzige Snacks und rechts von dem Tisch standen verschiedenste Getränke.

„Oha", staunte Naomi, „Wann hast du das denn gemacht?"

Bonita lächelte deutete mit ihrer Hand auf die Betten. „Als ihr noch gearbeitet habt und jetzt setzt euch doch hin. Ich weiß so ohne Heizung ist es hier im Winter kalt, aber deshalb gibt es ja so viele Decken!" „Mensch Bonnie!", sagte jetzt auch Nolan, „Ich glaube heute wird das ein guter Abend!"

Als sie aufwachte, umrahmten wieder glatte platinblonde Haare ihren Kopf. Sie wusste, eigentlich lag sie zwischen Nolan und Naomi im Bauernhaus und schlief tief und fest, doch nun war sie wieder hier.

Obwohl... Sie stand nicht mehr am vereisten See, sondern wieder bei sich zu Hause im Zimmer.

Die Wände strahlten in einem fröhlichen Rosa und in einer Ecke stand ein Babybettchen. Vorsichtig fuhr Bonnie mir ihrer Hand über das glatte Holz und seufzte. Kann man mich so leicht ersetzten?, fragte sie sich. In ihrem ehemaligen Kinderzimmer bedeckte ein neuer und flauschiger Teppich den Boden und Kisten stapelten sich deckenhoch. Vorsichtig lugte sie in eine. Ihre alten Babysachen verbargen sich darin, ganz obendrauf ihr alter Teddybär. Mit zittrigen Fingern griff sie danach und betrachtete ihn dann. Mister Ted. Der Kleine hatte ihr immer beim Einschlafen geholfen.

Mit dem hellbraunem Kuscheltier in den Händen ließ sie sich zu Boden fallen und saß nun im Schneidersitz da. Tränen liefen über ihr Gesicht, wodurch ihre Wangen wie Feuer brannten. Wütend wischte sie diese mit Mister Ted weg.

Eine Weile saß Bonita regungslos da, immer wieder schnappte sie nach Luft, längst hatte sie es aufgegeben, ihre Tränen wegzuwischen.

Dann erregte etwas ihre Aufmerksamkeit, ein kleines aber helles Funken in der Mitte ihres Zimmers.

Sie zog ihre Nase hoch und wischte ihre Tränen mit dem Ärmel weg. Langsam und mit zittrigen Beinen erhob das Mädchen sich und stolperte auf die Stelle zu. Sie erkannte einen Umriss, sie war es. Eine Erinnerung... Haben auch dasHan und Lani gemacht? Wie konnten sie sie nur so manipulieren und mit ihr spielen?! Sie war doch kein Spielzeug, welches man einfach zerstören durfte!

Bonnies kleines Ich saß auf dem Boden und Mister Ted saß ihr gegenüber. Ganz ernst schaute die kleine Bonita ihn an und sagte etwas. Sie bewegte ihren Mund, aber Bonita konnte nichts hören.

Trotzdem wusste sie den Text.

„Mister Ted, Papa hat heute wieder Kisten aus dem Haus gebracht und sie mit dem Auto weggefahren. Gestern hat er mir dich geschenkt und gesagt, Obwohl er irgendwann vielleicht nicht mehr da wäre, so wirst du mich beschützen. Ich verstehe echt gar nichts mehr!", hatte Bonnie damals gesagt und dann grübelnd die Hände vor ihrem Kinn verschränkt, „Mister Ted, hören sie mir doch zu!"

Bonita hörte die piepsige Stimme ihres jungen Ichs und wiederholte dennoch jedes einzelne Wort im Kopf.

„Auf jeden Fall wird Papa weggehen, denn das hat auch Mama gesagt. Wie lange hat sie nicht erwähnt, aber er kommt immer zurück", flüsterten sie und ihre jüngere Version gemeinsam,

„Papa ist immer für mich da."

Bonitas Gesicht war inzwischen schweinchenrosa, ihre Nase schien wie die von Rudolf und die ganze Haut war um einiges angeschwollen.

„Nein ist er nicht!", schrie sie, während Tränen von ihrem Gesicht zum Boden fielen und dort wie kleine Bomben explodierten, „Er hat uns verlassen! Und jetzt entspannt er sich an irgendeinem Strand in Abú Dhabí mit seiner Frau und zu Hause warten zwei Töchter auf ihn!" Verzweifelt schleuderte sie Mister Ted gegen eine Wand, wobei er durch den Kopf der kleinen Bonnie flog.

Es wunderte Bonnie nicht, dass niemand kam. Niemand wunderte sich über die Schreie aus dem oberen Stockwerk.

Alles war eine Illusion.

Alles ist eine Illusion!

„Hör auf Hanahara! Verpiss dich aus meinem Leben. Du und der Tod, deine Freundin Lani! Hört ihr mir zu, ihr verfluchten Arschlöcher! Haut ab und zerstört keine Menschenleben mehr. Soll sich der Tod doch von alleine ein bisschen zügeln oder löse es halt selber Han!", sie schrie die ganze Bude zusammen. Schon bald hatte sie keine Luft mehr in ihren Lungenflügeln und musste innehalten. Ihr Hals schmerzte, als hätte sie die ganze Woche eine Grippe an ihr Bett gefesselt.

Dann wurde es endlich Dunkel um sie herum und als sie ihre Augenlider wieder aufschlug, lag sie im Bett neben Nolan und Naomi. Die regelmäßigen Atem der beiden und ihre leichte Wärme beruhigten Bonita ein wenig. Sie spürte ihren schnellen Herzschlag, welcher sich endlich etwas verlangsamte. Erst dann bemerkte sie die warme Hand um ihren Körper. Sie lag direkt neben Nolan, Körper an Körper. Er drückte sie fest an sich, schlief aber. Absicht? Unfall? Bonnie wusste es nicht.

Erneut wurden ihre Augenlider schwer wie Blei, sie starrte auf den Display ihres Handys, ein Uhr. Schnell rechnete sie aus, wie lange sie noch schlafen konnte.

Morgen war Schule, alle mussten früh aufstehen und eigentlich war es Wunder, dass Bonnies Mutter dieser Übernachtung zugestimmt hatte. Nur weil sie mich wieder gut stimmen will, dachte sie sich genervt.

Langsam fiel sie zurück in ihren, dieses Mal hoffentlich traumlosen, Schlaf. 

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