EINUNDDREIßIGTES
❧Dem Auge fern, dem Herzen ewig nah☙
Der Tag war viel zu schnell vergangen. Sie hatte es nicht gewagt ihren Vater anzusprechen, schon gar nicht vor ihrer Mutter. Jetzt war er weg. Er würde in den Winterferien nochmal vorbeikommen, aber da würde sie das Thema längst vergessen haben. Mehr als eine Midlife-Crisis konnte es nicht sein. Bianca hatte zwar erwähnt, dass er und Amrei sich in letzter Zeit oft stritten, aber er liebte sie. Auf Fotos, Videos und sogar bei persönlichen Treffen durfte Bonnie die zwei zusammen erleben.
Sie waren glücklich und so wie sie miteinander umgingen, dass wünschte sich eigentlich jeder.
Bonnie stapfte durch den Schnee, versuchte das unangenehme Gefühl von nassen Hosenbeinen zu ignorieren und kämpfte sich langsam zur Arche Noahs durch. Naomi, Lily und Matti waren schon auf dem Weg. Es versetzte ihr einen schmerzlichen Stich, dass Nolan abgesagt hatte. Was konnte sie dafür, dass er versucht hatte sie zu küssen?! Sie erkannte die Logik nicht, egal wie sehr sie sich anstrengte.
Endlich kam sie vor dem großen Haus an, obwohl es nur wenige Meter von der Schuhschachtel stand, hatte der Kampf durch den Schnee Bonnie ziemlich zugesetzt. Sie stemmte ihre Hände gegen ihre Oberschenkel und beugte sich vor, während sie ein Hustanfall zu unterdrücken versuchte.
Vergeblich.
Während sie ihren Kopf in ihrem Ellenbogen versteckte und dort rein hustete, schloss sie die Tür auf und verschwand im Haus. Es war nicht besonders warm im Inneren, aber wärmer als Draußen.
Bonita legte ihren Schal ab und platzierte ihn auf einen der kleinen Tische im Empfangsraum. Ihr Blick fiel dabei auf einen Schatten. Sie näherte sich einen Schritt dem Fenster und legte ihre Hände auf den kalten Rand. Wegen ihrem Atem beschlag die Fensterscheibe und ihre Sicht verschwamm.
Trotzdem.
Ein dunkler Schatten stand auf der anderen Straßenseite und schaute zu ihr rüber. Ein kalter Schauer fuhr über Bonitas Rücken. Sie krallte sich in das Holz. War es Lani? Nein, Unsinn. Viel breiter war diese Person, kleiner und keine langen Haare fielen über die Schultern. Stattdessen verdeckte seine Kapuze das Gesicht.
Ein Klopfen riss sie aus ihren Gedanken. „Fröhliche Weihnacht überall! Tönet durch die Lüfte froher Schall", hallte es von Draußen. „Bonnie, mach auf!", es waren die Stimmen ihrer Freunde. Sie rannte zu der Haustür und öffnete sie weit. Sofort fiel ihr jemand um den Hals. Lily verdeckte mit ihren Veilchenhaaren ihre Sicht und drückte Bonita so fest an sich, dass diese kaum Luft bekam. „Du weißt nicht wie sehr ich mich freue dich zu sehen!", rief Lily und drückte noch etwas mehr zu.
„Wir schlafen doch bestimmt wieder in demselben Raum wie letztens?" Naomi drückte sich an Bonnies Schulfreundin vorbei und betrat den blaugestrichenen Flur. „Ja genau", murmelte Bonnie in die Haare ihrer Freundin. Der ihr so bekannte Vanilleduft von Lilys Freundin stieg ihr in die Nase.
„Ich bin so froh dich zu sehen!", erwiderte nun auch Bonita. Langsam ließ Lily von ihr ab. „Also!", begeistert klatschte Lily in ihre Hände, „Wohin kann ich meine Sachen bringen?" Naomi legte eine Hand auf Lilys Schulter. „Komm ich zeig's dir", antwortete sie anstatt Bonnie und zog das Mädchen die Treppe hoch.
„Woher kennt ihr euch denn?", rief Bonita ihnen noch zu. Sie lachte, die beiden gingen miteinander um wie beste Freundinnen. „Wir haben uns vor der Tür getroffen und haben noch kurz gequatscht, während wir auf Matti gewartet haben", erklang Lilys Stimme von oben, schon verschwanden sie aus Bonnies Sichtfeld. So ein kurzer Moment reicht offensichtlich, um gute Menschen zu erkennen...
Matti, wo ist der eigentlich?
Still stand der Lockenschopf in einer Ecke, begutachtete mit seinen kastanienbraunen Augen die Situation. „Hey", begrüßte sie ihn und lächelte. „Wie geht's?", fragte er.
„Ja eigentlich echt gut. Stell dir vor, ich darf mir ein Piercing stechen!", das war wohl die beste Neuigkeit. „Eigentlich meinte ich ja", er beendete seinen Satz nicht. „Was?" Sie schaute ihn verwundert an und runzelte ihre Stirn. „Was meinst du?", sagte sie nachdenklich.
Dann viel der Groschen, noch ehe er es aussprach.
„Immerhin sollst du in zwei Tagen sterben."
Sie schluckte. „Eigentlich habe ich es tatsächlich verdrängt", knurrte sie leise, „Ich hab mich an all den guten Sachen erfreut!" „Ach Mensch Bonnie." Matti lief die wenigen Schritte auf sie zu und schloss sie in seine Arme. „Es sind nur Träume!", er betonte jedes Wort, „Nur Träume! Mehr nicht und deswegen dürfen wir auch nicht mehr daraus machen." Bonnie löste sich von ihm und wischte die ersten Tränen weg. „Ich weiß nicht Matti. Es ist alles realistisch und ich bin nicht so verrückt es mir auszudenken", flüsterte sie, „Das könnte ich einfach nicht." Seine Augen schauten sie mitleidig an. „Du kannst es vielleicht nicht, aber dein Gehirn. Bleib doch bei logischen Erklärungen, du warst einfach müde und hast dir zu viel auferlegt." Er legte seine Tasche ab, die in seinem Arm mittlerweile etwas zu schwer wurde.
„Ich beweis es dir! Gleich am Morgen deines angeblichen Todesdatums rufst du mich an. Wir werden den ganzen Tag telefonieren und du bleibst zu Hause."
„Matti", seufzte sie, „Es bedeutet soviel für mich. Ich ruf dich an, oder schreibe dir zumindest." Er nickte und öffnete seinen Mund.
„Hey! Kommt ihr auch hoch?", drang gedämpft die Stimme von Naomi runter, „Ich kenn die beiden vielleicht namentlich, aber vielmehr weiß ich auch nicht."
„Wir sind gleich da!", rief Matti zurück und ging schon zu den Treppen.
„Ein Piercing?! Meine Mutter hätte das nie im Leben erlaubt", sagte Naomi und nickte begeistert und beeindruckt zugleich. „Meine auch nicht", stimmte Lily ihr zu. „Weißt du schon wo? Darfst du das auch aussuchen?", erkundigte Naomi sich und griff in die Chipstüte.
Gemeinsam saßen die vier Freunde auf den zusammengeschobenen Betten und schauten nebenbei einen Film. Eigentlich widmete keiner von denen Aufmerksamkeit dem Video, zu sehr vertieft waren sie in ihren Gesprächen.
„Hab noch keine Idee", meinte Bonita nachdenklich, „Ich habe ja noch genug Zeit." Sie sah zu Matti. Mit Naomi verstand er sich gut. Schmunzelnd beobachtete sie, wie die beiden sich über irgendwelche Physikthesen und Theorien austauschten, welche Bonnie nicht einmal ansatzweise verstand. Dennoch saß er manchmal, sogar minutenlang, einfach da und starrte ins Leere. Bonnie wusste über was er reden wollte. Er wollte über ihre Träume reden, anscheinend faszinierten sie ihn mehr als er zugab.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top