DREIUNDDREIßIGSTES
❧Wer seinen eigenen Weg geht, kann nicht überholt werden☙
Bin ich Tod? Bonita traute sich nicht, ihre Augen zu öffnen. Noch immer war die Angst zu groß, noch immer spürte sie den Druck und die Schmerzen in ihrer Lunge. Vorsichtig betastete sie ihren Körper, er war komplett und trocken. Wahrscheinlich saß sie auf ihrem Bett oder einer Coach, weich war es auf jeden Fall. Bonnie öffnete ihre Augen und mehrmals musste sie blinzeln, um wieder klar und scharf zu sehen.
Ihr Handy zeigte als Datum den 28. Dezember. Also war es doch ein Traum, dachte sie erleichtert und stand auf. Sofort fiel sie wieder zurück ins Weiche, denn ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Wackelpudding.
Anders als im Traum hatte sie vollständige Kontrolle über ihren Körper. Glücklich jagte sie die Treppen hinunter. Sie rannte zu ihrer Mutter, welche an der Theke stand und Pfannkuchen vorbereitete. „Du bist die Beste!", sagte Bonnie. Vera drehte sich verblüfft um.
In ihrer Hand hielt sie den Pfannenwender, legte dann aber ihr Hand um ihre Tochter und seufzte: „Du doch auch Bienchen, was würde ich nur ohne dich tun..." Noch fester drückte Bonnie ihre Mutter an sich.
„Du bist also nicht mehr böse? Und" Bonita schüttelte entschlossen ihren Kopf und presste ihren Zeigefinger gegen Veras Mund.
„Darüber reden wir später! Jetzt muss ich los", erklärte das Mädchen und drückte noch einen Kuss auf die rechte Wange ihrer Mutter.
Schnell schnappte sie sich noch zwei fertige Pfannkuchen, bevor sie in den Flur lief und nach ihrer Jacke griff.
Der Schlüssel in ihrer Tasche klirrte, als sie ihr Handy mit rein legte.
„Wohin gehst du?!", rief ihr Vera aus der Küche zu, schon hörte Bonnie die schnellen Schritte. Mist ich muss hier weg, sie hält mich sonst noch auf, fluchte sie im Kopf und öffnete hastig die Tür. „Bonnie!" Ihre Mutter stand schon im Türrahmen und wischte ihre Hände an der Kochschürze ab. „Bis später." Das Mädchen ignorierte ihre Mutter komplett und sprintete die glatte Straße hoch. Sie hörte nur den Knall der Haustür hinter sich. Schon vibrierte das Handy in ihrer Jackentasche.
Hey Bonnie,
Ich weiß, es ist nicht gut gelaufen in letzter Zeit aber ich brauche deine Hilfe.
Es war genau dieselbe Nachricht wie im Traum. Das Video mit Hanahara folgte. Eigentlich hatte sie gehofft, etwas mehr Zeit zu haben, doch nun war es einmal so, wie es war... Sie verschnellerte ihr Schritttempo noch ein bisschen, während sie eine Antwort eintippte.
Bin gleich da, schon unterwegs!
Dann legte sie ihr Handy zurück in die Tasche und rannte weiter. Sie spürte die Vibration ihres Handys, doch ignorierte sie es, um schnellstmöglich an ihr Ziel zu kommen. Schon konnte sie den verschneiten und vereisten See sehen. Die letzten Meter lief sie nur noch langsam, denn mittlerweile hatte sich das Stechen in ihrer Seite nicht nur bemerkbar gemacht, sondern auch deutlich verstärkt.
Als sie am Ufer ankam, blieb sie stehen und keuchte. Nolan stand noch auf dem Strand gegenüber, nur die Katze saß einsam und allein auf dem verräterischen Eis.
Hanahara bewegte sich nicht, tiefentspannt leckte er über sein Bein und säuberte sich.
„Nolan!", schrie Bonita so laut sie konnte. Er hörte sie nicht.
„Nolan!!!", versuchte sie es erneut und kramte dann nach ihrem Handy. Wo ist es? Warte nein... Panisch sah sie sich um. Anscheinend ist es ihr aus der Tasche gefallen, aber sie hatte es doch bis eben gehabt. Das läuft alles nicht wie geplant. Sie seufzte und begann um den See rum zu rennen. Sie ignorierte das grausame Seitenstechen und sprintete tapfer weiter. „Nolan", keuchte sie. Er starrte auf sein Handy, versucht er mich zu erreichen? Das was sich abspielte, war schlimmer als Sportunterricht. „Nolan", ihre verzweifelte Stimme brach und ihre Lunge schmerzte. Bonnie war noch so weit weg von ihm und schon wagte er den ersten Schritt auf das verräterische Eis.
Heute nicht! Heute stirbt keiner. Sie fand ein Tempo, was nicht das Schnellste war, aber sie nicht sofort tötete.
Warum hab ich eigentlich Mama nicht gebeten mit mir zu kommen? Bonniehirn du bist so dumm, wenn wir das überleben, bring ich dich um! Schimpfte sie mit sich selbst und rannte weiter. Jede Sekunde fühlte sich wie eine Stunde an, immer tiefer glitt Nolan über das Eis und kam somit näher der Katze.
Ich verfluche dich Hanahara! Spiel mit meinem Leben, aber lass meine Freunde raus, verdammt nochmal. Dann stand sie am Ufer, vor lag das glatte und blauweiße Eis. Sie zitterte am ganzen Körper aber nicht wegen Kälte. „Nolan!", schrie sie erneut, denn endlich befand sich genug Sauerstoff in ihrer Lunge. Sofort bereute sie ihre Tat. Nolan erschrak und als er sich so hastig umdrehte, fiel er zu Boden.
Das Eis unter ihm knackte und erste Risse tauchten auf. Entsetzt schlug sie ihre Hände vor den Mund und fluchte innerlich. Nolans Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. „Du bist gekommen", rief er ihr zu. „Natürlich bin ich das!", erwiderte sie so laut sie konnte, „Beweg dich nicht Nolan, sonst bricht das Eis!"
Zweifelnd sah er zuerst sie und dann die Katze an, langsam bewegte er sich auf das Vieh zu. So ein Sturkopf! „Nolan!", schrie sie, aber jetzt drehte er sich nicht einmal um.
Du schaffst das Bonnie. Du hast unzählige Anleitungen gelesen.
Du weißt wie man schwimmt und über Eis geht, oder eigentlich robbt.
Bonita versuchte sich mit ihren Gedanken aufzuheitern, doch auch in einer so schlechten Situation befand sich ein kleiner Teufel in ihrem Hinterkopf.
Vielleicht weißt du das alles, aber alles nur theoretisch. Versucht hast du es nie, flüsterte dieses Stimmchen.
„Verpiss dich!", zischte Bonnie. Die Zeit lief ihr davon, sie bemerkte die Risse um Nolan, immer mehr Neue formten sich. Das erste Eis löste sich von der großen Fläche und versank in die dunklen Tiefen des Sees. „Wenn du nicht sofort stehen bleibst, schwöre ich Nolan, dass ich dich nicht retten werde!", schrie sie. Tatsächlich verharrte Nolan, was bedeutete, dass er sie hörte. „Wo ist dein Handy? Ruf doch die Feuerwehr, sie retten schon deine kleine Katze", sagte sie. Endlich etwas Sinnvolles, warum war es selbst nicht draufgekommen?!
„Hab ich doch", halten seine Worte zu dem Mädchen rüber, „Der sehr nette Herr hat gesagt, dass" Seine Worte wurden vom kalten Wind verschlungen und kamen nicht bei Bonnie an. „Was?", schrie sie fragend, aber die Windbarriere ließ sie nicht hindurch.
Erneut wagte er einen neuen Schritt. Ganz vorsichtig setzte er zuerst seine Fußspitze ab und verlagerte dann sein restliches Gewicht auf den Fuß.
Es geschah nicht schnell, im Gegenteil, wie in Zeitlupe versank Nolans Fuß in dem Eis. Bonnie schrie, ihre Augen riss sie weit auf und ohne auf das Ufer zu achten, lief sie einen Schritt auf ihn zu.
Da sein Fuß immer tiefer sank, fiel Nolan nach vorne und krachte auf das Eis. Wie durch ein Wunder brach das Eis unter ihm nicht, wie der feste Boden fing es ihn auf. Der Wind hatte sich mittlerweile gelegt und so hörte Bonita den kurzen, aber lauten Schmerzschrei.
Er sah zu ihr zurück und obwohl er so weit weg war, sah sie, dass er sein Bein fest umklammerte. Auch die kleinen roten Flecken bemerkte sie. Hat er sich an dem Eis geschnitten? Geht das?!
„Bonnie!", rief er, „Ich glaube wir werden auch den Krankenwagen brauchen." Sie nickte und sah sich hastig um. Wo hatte er sein Handy liegen gelassen? Seine Jacke und ein Rucksack lagen im Schnee, hektisch durchsuchte sie die Taschen. Endlich umklammerten ihre Hände das kalte Gerät. Konnte man die Notfallnummer auch ohne Passwort anrufen?
Bonita schaltete das Handy an. Die Uhranzeige sagte ihr, dass es nicht einmal zehn Uhr war und sie bereits dem Tod in die Augen sehen konnte.
Mit zittrigen Fingern wählte sie nun endlich den Notruf. Das Netz hier war besonders schlecht und er hatte nur noch zwei Prozent.
Sie wusste nicht ob auch das Hanahara beeinflussen konnte, aber sie hatte keine Zeit sich aufzuregen. Später!
„Guten Tag, hier die Notrufzentrale", begrüßte sie eine Frau aber Bonnie ließ sie nicht aussprechen. Die Akkuanzeige war auf ein Prozent umgesprungen, Bonita hörte beinahe die Zeit ticken.
„Ich brauche einen Krankenwagen. Ein Junge ist im See eingebrochen. Also eigentlich nur sein Fuß, aber er blutet und kommt nicht von der Stelle. Sein Fuß ist immer noch im Wasser, nur das Bein hat er rausziehen können", versuchte sie alles so schnell sie konnte wiederzugeben. Angestrengt versuchte sie sich auf die fünf W-Fragen zu erinnern, erfolglos.
„Beruhige dich erstmal, sag mir wer du bist und wo du"
Es wurde still. „Hallo?" Noch immer hielt sie Nolans Handy an ihr Ohr. Sie spürte die kurze Vibration, es war aus.
Sie waren alleine, kein Krankenwagen, keine Häuser im Umkreis von fünf Minuten und die Feuerwehr fehlte.
Wenn ich jetzt nichts mache werden alle sagen, ich sei ein Angsthase, dachte sie verzweifelt.
Du bist ein Angsthase Bonnie.
Überleben bedeutet nicht leben.
Schau zu wie Nolan blutet, er kann sich nicht bewegen.
Sein Fuß friert in dem Wasser.
Das Eis unter ihm schmilzt langsam durch seine Körperwärme.
Lässt du ihn sterben? Kannst du es dir antun?
Zischte die Stimme wie eine Schlange.
Bonnie schüttelte ihren Kopf und versuchte die Gedanken zu vertreiben.
Sie kniff ihre Augen zusammen, wodurch sich Tränen aus ihren Augenwinkeln lösten und über ihre Wangen rollten.
Du Memme lässt einen Freund sterben, wieder...
Nein, nein, nein! Lass mich.
Ein Hosenschisser! Kein Wunder das deine Mutter dich nicht versteht, sie will nicht. Warum sollte sie wollen, wenn du so ein schlechtes Kind bist?! Du bist Nichts!
Sie sah zu Nolan. Er schlug auf das Eis und versuchte seinen Fuß zu befreien. Er beachtete sie nicht.
Bonnie ließ sich auf den Boden fallen. „Ich bin vielleicht nicht alles und auch nicht die Beste. Aber ich bin Etwas und heute werde ich Nolan retten. Hörst du Lani? Ich weiß du bist in meinem Kopf, aber nicht heute du Hexe", knurrte sie. Langsam robbte sie auf Nolan zu. Es knackte nicht du es bildeten sich keine neuen Risse. Wie von Magie vorangetrieben glitt sie federleicht über die plötzlich glatte Eisfläche.
„Nolan", keuchte sie, als sie sich kaum mehr einen Meter von ihm entfernt befand.
Überrascht sah er sie an. „Wie bist du denn so schnell hergekommen?", fragte er und zischte dann leise, „Fuck... Egal! Hilf mir hier raus."
Er deutete auf seinen Fuß und schlug weiterhin auf das Eis ein. „Es ist als wäre das Zeug zu Beton geworden", erklärte er und zog dabei ein Grimasse. Sie lachte, trotz dieser unpassenden Szene.
Dafür erntete sie einen echt ernsten Blick, woraufhin sie ihre Lippen zusammenpresste und nickte. „Alles klar Boss."
Wütend schlug sie gegen das Eis und zuckte erschrocken zusammen, als es brach und sie beinahe vor fiel. „Du bist ja eine richtige Heldin", flüsterte Nolan. Er hatte sie abgefangen, wodurch sie nicht das kalte Wasser grüßen musste. Jetzt fuhr er über ihr Gesicht und steckte eine verirrte Strähne zurück hinter Bonnies Ohr.
„Wir müssen zurück, der Fuß muss verarztet werden", meinte Bonita und drehte sich schon um. „Zum Glück musst du jetzt nicht rennen sondern nur robben", fügte sie hinzu.
„Und die Katze?", erkundigte er sich.
Aggressiv drehte sie ihren Kopf in seine Richtung. Gefährlich funkelten ihre Augen. „Scheiß doch auf die Katze, oder willst du sterben?!"
Er wich etwas zurück. „Alles gut bei dir? Wer redet denn von sterben? Ich will die Katze vor dem Tod retten!"
„Nein Nolan, wir gehen jetzt zurück zum Ufer", knurrte Bonita und man konnte an ihrem Hals sehen, wie schnell ihr Herz klopfte. „Bonnie, ich werde diese Katze retten. Du kannst mir nicht erzählen, dass es sich nicht gelohnt hat, meinen Fuß zu verletzen."
Er drehte sich um und robbte in die entgegengesetzte Richtung. Bonnie machte es ihm schnell nach und packte ihn am Bein. „Du gehst zum Ufer und ich hole die Katze", es klang beinahe wie ein Fauchen, „Wenn es sein muss..."
„Sicher?", fragte er zögernd, aber schon dass er sich nicht sträubte zeigte, dass die Schmerzen im Bein wohl doch ziemlich groß waren. „Ja", antwortete sie und als der Junge sich fügte und sich wieder Richtung Ufer aufmachte, setzte sie alleine ihren Weg fort.
„Komm her du verfluchte Katze!", rief sie dem Tier zu. Eher gelangweilt sah es sie an und leckte an einer der vorderen Pfoten. Demonstrativ langsam fuhr es mit der nassen Pfote über ein Ohr. „Hanahara beende das Spiel, ich lebe noch", schrie sie ihm entgegen.
Nicht mehr lange.
Nervös sah Bonnie sich um, wer hatte das gesagt? Es war doch in ihrem Kopf, oder nicht? Es war als würde sie ein leises Klopfen hören.
Hier unten,
flüsterte die giftige Schlangenstimme. Ist das Lani?
Im Schneckentempo richtete sie ihr Gesicht zum Eis und verschwommen nahm sie darunter einen Schatten wahr. Bonnie zuckte zurück, denn unter dem Wasser sah sie eine Person an. Lange schwarze Haare verteilten sich um den Kopf und bewegten sich mit dem leichten Strom des Wassers.
Lani!
Richtig Bonnie, Bienchen. Ich bin es...
Bonnie beeilte sich, sie und die Katze trennten nicht einmal vier Meter und in der Ferne vernahm sie Sirenen der Feuerwehr.
Begrüßt du mich nicht?
Langsam ging Bonita die Kraft aus, aber anstatt das sie aufgab, kämpfte sie weiter. Nur noch zwei Meter. Regungslos saß die Katze noch am selben Platz, doch die stechend grünen Augen hefteten sich an Bonnie und musterten jede ihrer Bewegungen.
Bonita es ist unhöflich nicht zu antworten. Haben dich deine Eltern nicht richtig erzogen? Ich weiß, dass dein Vater früh weg ist, aber deine Mutter... Schmutzarbeit nenn ich das, was sie geleistet hat.
„Rede nicht so über meine Mutter", flüsterte Bonnie mit rasselnder Stimme. Nur noch ein Meter. Der Wind verstärkte sich erneut und drückte sie beinahe zur Seite, nur mit viel Kraft hielt Bonnie ihre Richtung. Außerdem senkte sich die Temperatur deutlich.
„Lass mich!", zischte Bonita durch zusammengepresste Zähne.
Hanahara befand sich nun in greifbarer Nähe, angestrengt streckte das Mädchen ihren Arm aus und fühlte seine warmes weiches Fell.
Ich hab dich gewarnt, sei brav und vielleicht hätte ich dich noch eine Weile leben lassen...
Sofort sah Bonnie auf das Eis herunter. Lani ballte ihre Hand zu einer Faust und schlug dann gegen die dünne Schicht.
Bonita konnte nur noch nach Luft schnappen, schon umwoben sie die eiskalten Wellen und drängten sie tiefer.
Panisch strampelte Bonnie um sich, hielt sich an der Oberfläche. Wasserspritzer trafen sie im ganzen Gesicht.
Sie fühlte etwas an ihrem Bein, noch kälter als das Wasser um sie herum.
Lani zog sie in die todbringende Tiefe.
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