2 - Das Aufeinandertreffen
Ein paar Tage waren nun vergangen, seit er sie das letzte Mal an der Haltestelle gesehen hatte. Ausgerechnet an dem Tag, als er ihr ursprünglich seine Nummer geben wollte, stattdessen aber seine Nichte und seine Schwester im Auto hatte.
Seufzend fuhr er an der Bushaltestelle vorbei, ohne den Blick nach rechts zu wenden. Das hatte wirklich keinen Sinn mehr, denn sie war nicht dort. Aber die Enttäuschung war immer noch sehr groß. Der schönste Teil seines Tages war damit einfach verschwunden und würde vermutlich nicht mehr wiederkommen.
Wer wusste schon, warum sie nicht mehr dort stand. Vielleicht wohnte sie gar nicht mehr hier oder war sowieso nur zu Besuch vor Ort gewesen.
Jedenfalls fehlte sie ihm auf merkwürdige Weise. Er hatte nur zu gern nochmal ihr Gesicht ansehen wollen. Das strahlende Lächeln auf ihren Lippen, das nur ihm galt. Das bildete er sich inzwischen zumindest ein.
Aber er hatte seine Chance vertan und wahrscheinlich würde er sie nie wiedersehen.
***
Er war gerade unterwegs, um sich mit seiner Schwester und seiner Nichte zu treffen als er an einem kleinen Café vorbeikam. Wie vom Blitz gerührt bleibe er zwei Tische von einer jungen Frau stehen, deren Silhouette er nur zu gut kannte.
Sie saß mit dem Rücken zu ihm, aber er erkannte jedes Detail an ihr wieder. Die langen dunklen Haare, die sie mit einer Flechtfrisur aus ihrem Gesicht hielt. Selbst im Sitzen war ihre Sanduhrfigur unglaublich. Und diesmal trennte sie keine Wagenkarosserie voneinander.
Für einen Moment überlegte er, ob er einfach wieder umdrehen und einen anderen Weg nehmen sollte, um zu dem Restaurant zu kommen, in dem er mit seiner Schwester verabredet war.
Aber dann riss er sich zusammen und erinnerte sich an seine Enttäuschung, als er feststellen musste, dass er sie vielleicht nie wiedersah. Und jetzt saß sie einfach da vor ihm. Genauso hinreißend, wie er sie in Erinnerung hatte.
Deshalb nahm er all seinen Mut zusammen und trat an ihren Tisch.
„Entschuldigung, ist hier noch frei?", fragte er und versuchte so selbstsicher wie nur möglich zu wirken, während er nach dem zweiten Stuhl griff.
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Endlich hatte sie ihre Arbeit abgeschlossen und was noch viel wichtiger war, auch abgegeben.
Damit war eine große Last von ihren Schultern gefallen, aber sie blickte auch ein wenig wehmütig auf ihre Studienzeit zurück und vielleicht auch auf die Zeit, in der sie die bewundernden Blicke des Mannes an der Bushaltestelle zugeworfen bekommen hatte.
Seufzend saß sie vor ihrem Milchkaffee. Dass sie immer noch an ihn dachte, kam ihr wirklich komisch vor, aber irgendetwas an dem erschrockenen Blick als er bemerkt hatte, dass sie ihn angelächelt hatte, war in ihrem Gedächtnis hängen geblieben.
Die Vermutung ihrer Freundin, dass er sie Podcast-reif abschlachten wollte, hatte sich nicht bestätigt.
Sie trank einen Schluck und lehnte sich auf dem schmalen Bistro-Stuhl des kleinen Cafés zurück, auf dessen Außenbereich an der Fußgängerzone sie sich zurückgezogen hatte, nachdem sie ihre Arbeit abgegeben hatte.
Ihr Blick glitt in die Ferne und sie überlegte, was sie mit dem angebrochenen Tag noch anfangen sollte, als sie eine tiefe weiche Stimme neben sich hörte, bevor jemand nach dem zweiten Stuhl an ihrem Tisch griff. „Entschuldigung, ist hier noch frei?
Sie sah auf und erschrak fast ein bisschen, als sie in das Gesicht sah, an das sie eben noch gedacht hatte. Er sah anders aus, so ohne das Hemd und ohne die Frontscheibe zwischen ihnen.
Vielleicht ist er doch ein Stalker, kam es ihr in den Kopf. Aber dann sah sie sein zurückhaltendes Lächeln und musste einfach nicken. Eventuell ging es ihm ja auch nur um den Stuhl und er erinnerte sich gar nicht an sie.
„Ähm, ja. Da ist frei", entgegnete sie ein wenig holprig und er konnte sich einfach nicht von ihren dunklen großen Reh-Augen losreißen, die ihn vollkommen irritiert anstarrten.
Sie war von nahem noch hübscher, als er sie in Erinnerung hatte. Das brachte ihn etwas aus dem Konzept, denn er wollte diese zweite Chance auf keinen Fall vermasseln.
Er setzte sich und streckte etwas unbeholfen seine Hand aus. „Hi, ich bin Chris. Also Christoph. Ich darf mich doch setzen, oder?"
Sie sah seine ausgestreckte Hand an und überlegte tatsächlich kurz, ob sie sie überhaupt ergreifen sollte. Aber letztlich, was sollte ihr hier an diesem öffentlichen Ort schon passieren. Also griff sie nach seiner Hand und schüttelte sie kurz.
„Hi, Valentina. Klar, bitte. Außerdem sitzt du ja ohnehin schon hier", entgegnete sie und versetzte ihn damit in Staunen.
Ihre Stimme war fast so, wie er sie sich vorgestellt hatte, aber dass sie so schlagfertig war, überraschte ihn trotz allem.
Er hatte den gleichen Gesichtsausdruck wie in dem Moment, als er sie aus dem Auto hatte lächeln sehen und sofort drängte sich ihr ein Schmunzeln auf.
Das ließ ihn diesmal nun ebenfalls lächeln und sie bewunderte den weichen Ausdruck auf seinem wirklich attraktiven Gesicht.
„Ich glaube wir kennen uns schon, kann das sein? Ich meine vom Sehen?", fragte sie mutig und musterte ihn weiter. Er hatte eine athletische Figur, aber aus der Nähe konnte sie deutlich sehen, dass er wahrscheinlich wirklich Mitte dreißig war.
Ihre Worte ließen ihn aufhorchen. Sie konnte sich an ihn erinnern. Das musste doch bedeuten, dass sie ihn nicht nur an diesem einen Abend, als sie gelächelt hatte, wahrgenommen hatte.
„Ja, ich glaube auch. Es scheint dir nicht entgangen zu sein, dass du mir aufgefallen bist. Da an der Bushaltestelle, meine ich." Etwas verlegen sah er auf den Tisch vor sich und zeichnete kleine Kreise mit seinen Fingern auf die Platte.
Sie dagegen lächelte noch immer. Die Angst davor, dass er ein Killer mit einer Kettensäge war, war plötzlich vollkommen verschwunden. Der Mann war ganz anders als sie ihn sich vorgestellt hatte, aber die Zurückhaltung gefiel ihr.
„Ist es allerdings nicht. Und kurzzeitig hatte ich sogar schon Angst, dass du mich in deinen Kofferraum zerren und in irgendeinem düsteren Wald abmurksen würdest."
Wenn er sich richtig erinnerte, hatte er kurz davon fantasiert, sie einfach in sein Auto zu ziehen, aber er hätte sie natürlich nicht 'abgemurkst'. Er hätte ihr Taille umfasst, sie auf den Rücksitzt gelegt, geküsst und...
Das alles hätte er natürlich nie ohne ihre Zustimmung getan.
Er spürte, dass er bei seinen nicht ganz jugendfreien Gedanken rot wurde.
„Äh, naja. Das hatte ich nicht vor, aber ich wollte dir eigentlich meine Nummer geben. Ich habe es nur nicht über mich gebracht, einfach anzuhalten und dann - warst du weg."
Seine Ehrlichkeit überraschte sie wieder. Wenn er ihr also wirklich seine Nummer geben wollte, wer war dann die Frau, die neben ihm gesessen hatte, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte? Eine Frage, die sie jetzt erstmal nicht laut stellte. Sie hoffte allerdings inständig, dass es nicht seine Ehefrau gewesen war.
Daraufhin entsperrte sie kurzerhand ihr Handy und öffnete ihre Kontakte. Sie drückte auf 'Kontakt hinzufügen' und drehte es so, dass er seine Nummer einspeichern konnte.
So wie er sie ansah, war es ihr sogar egal, wie alt er war. Schließlich konnte das Ganze auch einfach bei einem harmlosen Flirt bleiben. Aber dieser Blick, den er ihr zuwarf, verzauberte sie.
Mit großen Augen betrachtete er erst ihr Handy und dann sie.
Mit einem Finger zeigte er schließlich darauf. „So- Soll ich meine Nummer einspeichern?", fragte er stotternd und entlockt ihr somit ein kleines Lachen.
„Ja, Zettel verliere ich ständig. So habe ich sie gleich da, wo ich sie brauche. Also wenn du so nett wärst...", sagte sie zwinkernd, während er mitgeweiteten Augen anfing zu tippen.
Als er ihr das Handy wieder zuschob, tippte sie sofort auf seine Nummer, um durchzurufen. Damit hatte er auch gleich ihre Nummer auf seinem Handy.
„Oh, danke", sagte er und lächelte ein wenig schüchtern, als er sein vibrierendens Handy aus der Hosentasche zog.
Diese Verschämtheit kannte er von sich gar nicht. Sonst ging er immer sehr selbstbewusst auf Frauen zu und hatte bereits in den ersten Minuten ihre Nummern eingesackt, aber bei ihr war das anders. Diese junge Frau hatte ihn in ihren Bann gezogen und daraus konnte er sich nicht befreien.
„Möchtest du auch etwas trinken?", fragte sie vorsichtig.
Er starrte sie noch immer an. Aber nicht auf eine unangenehme Art, sondern so als wäre er unglaublich fasziniert von ihr und das genoss sie fast schon.
Absolut irre. Ich muss wirklich verrückt sein, dass ich das hier mache, dachte sie.
Aber irgendetwas an ihm war so besonders, dass sie sich einfach so verhielt.
„Das würde ich sehr gern, aber ich bin noch verabredet. Ich bin nämlich wirklich nur zufällig hier und nicht um dich zu entführen und in meinem Keller einzusperren", witzelte er.
„Okay, schade", antwortete sie und wurde sich erst darüber bewusst, was sie gerade gesagt hatte, als er anfing zu lachen.
„Oh nein, nein! Ich meine natürlich, dass es schade ist, dass du nicht noch hier bleibst - nicht, dass du mich nicht entführen und - Oh Gott", aber jetzt musste auch sie lachen. Trotzdem wurde sie sicher auch etwas rot, angesichts ihrer nicht überdachten Aussage.
„Ich hab' schon verstanden", lachte er und zwinkerte ihr zu. Zu seinem Glück gewann er durch ihren kleine Fehltritt etwas an Sicherheit, was nur noch mehr dazu beitrug, dass sich ihre Wangen verfärbten.
Die Rötung ließ ihr Gesicht in seinen Augen nur noch mehr strahlen, bis sich ein dunkler Schatten auf ihr Gesicht legte und das Lächeln verschwand.
Finster blickte sie auf etwas hinter ihm und jegliche Freude war von jetzt auf gleich aus ihrem Gesicht verschwunden.
Er sah sich kurz um und entdeckte Luisa hinter sich, wie sie mit ihrer Tochter im Schlepptau auf ihn zu kam.
Als sie sah, dass er in ihre Richtung schaute, begann sie hektisch zu winken.
Valentinas Gesichtsausdruck wurde bitter und sie verschränkte die Finger ihrer Hände miteinander.
Ob sie denkt, dass Luisa meine Freundin ist?, schoss es ihm durch den Kopf.
Sie war enttäuscht, dass es wohl seine Verabredung war, die da gerade auf sie zukam. Vermutlich hatte ihn seine Ehefrau so eben auf frischer Tat ertappt.
„Hi, Chris. Was machst du denn hier? Wir sind doch bei Luigi's verabre - Oh", entfuhr es Luisa als sie einen Blick auf Valentina warf und dann strahlte die Frau mit dem kleinen Mädchen auf dem Arm über das ganze Gesicht.
„Hi, du bist das Mädchen von der Bushaltestelle, oder? Chris konnte seine Augen gar nicht von dir lassen! Ich bin seine kleine Schwester."
Seine Schwester, Gott sei Dank!, dachte sie und lächelte der Frau zu, die dann vermutlich seine Nichte trug.
„Hi, genau die bin ich wohl. Ich heiße übrigens Valentina." Auf ihr Gesicht legte sich zu seiner Erleichterung ein weicherer Ausdruck, ein leichtes Schmunzeln sogar und Chris sah seine Schwester mehr als schockiert an, wegen dem was sie Valentina da gerade offenbart hatte.
Aber sie wäre nicht seine Schwester, wenn sie nicht noch einen oben drauf gesetzt hätte. „Möchtest du mit uns zusammen essen? Wir haben einen Tisch bei dem kleine Italiener die Straße herunter reserviert. Wenn du willst, kannst du gern mitkommen. Chris würde sich bestimmt freuen."
Die junge Mutter hatte ein breites Grinsen aufgesetzt und nickte schon, während sie die beiden aufforderte, aufzustehen.
„Äh, ja. Warum nicht?", entgegnete Valentina und legte den Betrag, den sie zahlen musste auf den Tisch, bevor sie gemeinsam mit den dreien zu dem kleinen Restaurant aufbrach.
Ich hätte noch ein Kapitel, aber ich weiß nicht, ob das nicht den Raum für die Fantasie nimmt. ✨
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