Wenn nichts mehr bleibt
1. Wenn nichts mehr bleibt
Ihm blieb nichts mehr. Als er den Brief bekam, drehte sich seine komplette Welt. Viele Jahre hatte er nicht mehr an ihn gedacht, doch sein Kopf war immer noch voller Bilder. Es schmerzten sein Herz und sein Körper. Er weinte. Er hatte so lange nicht mehr geweint. Nicht beim Tod seiner Frau. Nicht beim Tod seiner Eltern, doch hier stand er. Alt und zerbrechlich. Er weinte. Den Brief in seinen faltigen Händen. Zitternd hielt er das Blatt Papier, welches nicht die Schrift von ihm zierte. Tränen fielen auf das weiße Blatt und verwischte die Tinte.
Nach der Trauer kam die Wut. Er war wütend auf den einzigen Mann, der ihn jemals verstanden hatte. Wütend auf diesen blöden Brief mit diesen blöden Zeilen. Die schwarze Tinte machte ihn wütend, besonders weil sie so schnell verwischte. Fast wie sein Leben. Dann war er wütend auf sich selber. Darauf dass er nie etwas für seine Frau empfand. Dass er seinen Kindern nie wirklich in die Augen sehen konnte ohne Schuld zu empfinden. Wut, die ihn durchströmte, weil er ging. Wieso war er nur so dumm und ließ ihn alleine. Warum heiratete er diese Frau und sah ihm in die Augen, während er ihr das 'Ja, ich will' sagte.
Dann traf ihn die Einsicht. Sein Leben war schrecklich. Er hatte den Mann gehen lassen, den er liebte. Hatte ihn verdrängt und ignoriert. Er hatte seine Liebe des Lebens von sich gestoßen und nicht nur ihm das Herz gebrochen. Sein gesamtes Leben bestand aus einer Lüge und erst jetzt wurde ihm das klar. Jetzt wo er alt war. Mit dem Brief in der Hand. Den Tränen auf den Wangen und den leblosen grünen Augen, die damals immer so sehr leuchteten.
Dann blieben ihm nur noch die Erinnerungen. Die Küsse im Regen. Das Händchen halten im Park wo sie keiner sah. Die wunderbaren ruhigen Momente, wo sie lachten und sich versprachen, dass sie ewig zusammen bleiben werden. Doch die Realität holte sie ein und erschlug sie fast. Er konnte es nicht ertragen. All die Blicke. Der Hass und die Wut. Das Unverständnis und die Intoleranz. Jeden Tag wurde es schlimmer und er konnte nicht mehr. Deswegen ging er. Er ließ ihn im Regen stehen.
'Ich hasse dich'
Dafür schämte er sich nicht. Er wusste selber, dass das gelogen war, denn er konnte diesen Mann nie hassen. Nur lieben. Das was er bereute war viel schlimmer. Er drehte sich nicht um. Er sah nie wieder zurück und ließ ihn alleine. Er ließ seine große Liebe das ganze Leben alleine, Verschwendete keinen einzigen Gedanken an ihn. Kein einziges Gefühl und gerade jetzt brach seine Mauer zusammen.
Und sie zerfiel, als er vor ihm stand. Die einst braunen Haare waren grau und fahl und das schöne Gesicht mit diesem wundervollen Lachen, war alt, faltig und kalt. Der Mann mit den einst leuchtenden grünen Augen wünschte sich so sehr die Zeit zurück. Wären sie glücklich geworden? Bestimmt. Doch er war damals ein Feigling und blieb es bis zu diesem Brief. Er wusste, dass der Mann, welcher vor ihm lag. Lag in diesem Gehölz mit den Blumen und den Kränzen, nie wieder geliebt hatte. Und die Schuld trug er. Er hatte nicht nur sein Leben zerstört, sondern dass von ihm mitgerissen.
Sanft strich er ihm die Strähne aus dem Gesicht, die ihn immer störte. Jetzt nicht mehr. Aber er wusste, dass wenn der Mann vor ihm könnte, dann würde er ihm danken. Nicht für sein Leben, aber für die Liebe, die er vor der Zerstörung ihm gab und schenkte. Die er ihm danach grauenvoll entriss und ihn zusehen ließ, wie er jemanden heiratete, der nicht er war.
'Ich liebe dich'
Damals konnte er nicht die Worte sagen und schmiss ihm dann an den Kopf, dass er ihn hassen würde. Wäre alles besser gewesen, wenn er einfach diese drei Worte gesagt hätte? Wahrscheinlich hätten sie dann geheiratet und Kinder adoptiert. Sie wären wahrscheinlich glücklich gewesen, doch die Realität sah so anders aus. Gefühle waren schrecklich. Die Liebe war grausam und nun war seine Liebe weg.
Sie lag vor ihm. Mit leeren Augen und leeren Lungen. Mit Kalter Haut. Die Augen für immer geschlossen und sein Herz stotterte wie wild in seiner Brust. Es weinte nun jede Träne, die er hätte weinen müssen. Jede Träne, die seine große Liebe wegen ihm geweint hatte. Jetzt in diesem Moment wollte er neben den ehemaligen braunhaarigen Jungen liegen. Der Junge, der ihn anlächelte, als er hinfiel und seine Lippen fest an seinen Mund drückte. Doch das Leben war grausam zu ihm, denn er war grausam zu dem Leben.
Deswegen stand er neben der Familie von dem Mann, der langsam in die Erde gelassen wurde. Neben den Cousinen und Cousins. Tanten und Onkel. Keine Enkel und keine Frau. Denn der Junge mit den braunen Augen hatte sein ganzes Leben lang auf den Mann gewartete, welcher nun neben seinem Grab stand und weinte. Weinte und sterben wollte, so wie es seine große Liebe tat.
Und anstatt dass er neben ihm lag, schmiss er feuchte Erde hinterher. Denn nicht nur das Leben war grausam, sondern auch der Tod.
Ich hatte irgendwie richtig Lust etwas kurzes zu schreiben und dann wurde es leider ein wenig traurig :(
Hoffentlich gefällt euch das. Ist nur eine kleine Ablenkung von meinen anderen beiden Storys :3 Keine Ahnung, ob da überhaupt noch ein OS folgt xD
Eure MuffinHill
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