Kapitel 5

Eins. Zwei. Drei. Vier. Fünf.

Abrupt öffne ich die Augen. Und... das war wohl keine so gute Idee.
Grelles Licht scheint mir direkt entgegen, weshalb ich sie wieder schließe und versuche noch einmal langsamer zu öffnen.

So ganz gelingt es mir nicht. Ich bekomme sie nur halb auf und sehe ein paar Schattierungen sowie Umrisse. Noch kann ich sie nicht zuordnen, weil alles verschwommen scheint.

Ich reibe meine Augen und versuche es gleich noch einmal. Dabei entgeht mir nicht, wie die Stellen pulsieren.

Noch einmal. Ganz Langsam.

„Na geht doch."

Immer noch etwas benebelt, sehe ich mich ein wenig um. Drehe meinen Kopf in alle möglichen Richtungen.

Gewohntes Zimmer. Was habe ich auch anderes erwartet?

„Ich muss wohl erschöpft eingeschlafen sein.", stelle ich fest.

Ist ja auch nicht verwerflich, nach der Ganzen Sache. Wer würde da denn nicht einfach umkippen?

Ich setze mich aufrecht, strecke mich, wobei mein kompletter Rücken durchknackst und muss sogleich gähnen.

Wieso muss das gerade mir passieren? Was stimmt nur nicht mit mir?
Schmerzen durchzucken meinen Kopf und ich lasse noch mal alles Revue passieren. Ich erinnere mich wieder an alles und fühle ihn. Den Leid. Ich fühle den Schmerz, den ich kurzzeitig ausblenden konnte.

Das klappt scheinbar nur, wenn ich schlafe.

Körperlicher und seelischer Schaden.
Das ist einfach alles zu viel für mich und meinen Körper.

Ich fasse mir an den Kopf, denn dieser will mir auch heute einfach keine Ruhe gönnen. Dabei kneife ich die Augen fest zusammen. Der Schmerz durchbohrt nicht nur meinen Kopf, sondern findet seine Wege in den Nebenhöhlen und meiner Stirn wieder.

„Mary, bist du endlich aufgewacht?"

Hm? Mama? Wann ist sie denn in mein Zimmer gekommen?

Ich öffne meine Augen und erblicke sie am Türrahmen. Sie verschränkt ihre Arme und lehnt sich an, dabei ruht ihr Blick stets auf mir. Besorgt.

Ihre Augen sind angeschwollen und rot angelaufen. Ihr Gesicht ganz blass.
Mama...

Zu wissen, dass die eigene Mama für einen Tränen vergießt... ist wohl das Schlimmste. Nicht nur der Fakt, dass sie weinen musste, sondern, dass es meinetwegen ist. Ist einfach das Allerschlimmste. Ich will nicht, dass sie weint. Dass sie besorgt um mich ist. Ich möchte sie immer lächeln sehen.
Die Einzige, die immer für mich da ist und mich so akzeptiert wie ich bin. Die mich liebt, obwohl ich so unliebenswürdig scheine.

Ich fühle mich elend und mir schießt die Übelkeit kurz hoch. Aus Reflex schnellt meine Hand zu meinem Mund.

„Alles in Ordnung, Mary?", fragt mich meine Mama besorgt und eilt zu mir. Sie fasst mir an die Stirn und ich fühle mich ein wenig schwummrig.

Der leichte Druck, den sie gegen meine Stirn ausübt, reicht vollkommen aus, um mich wieder nach hinten auf mein Kissen fallen zu lassen.

Ich habe keine Kraft mehr. Alles fühlt sich schwer und erdrückend an. Was ist nur los mit mir?
Ich bin so unendlich müde und ausgelaugt, dabei bin ich doch erst aufgewacht.

„Schlaf jetzt ein bisschen", sagt sie mit sanfter Stimme und ich schließe meine Augen.

„Mama.", möchte ich laut sagen, bringe jedoch nichts als ein leises Flüstern hervor. Kaum hörbar.

Ich will nicht länger in diesem Zustand sein. Verdammt. Aber ich kann nichts daran ändern. Es liegt mir nicht in der Hand.

Ich versuche alle Kraft zusammenzukratzen und öffne langsam meine Augen. Ich sehe ihr direkt in die, mit Sorgen und Kummer gefüllten, Augen.

„Ich ...will ... nicht ...", stammele ich.

„Psh, streng dich nicht an, liebes. Alles wird gut", versucht sie mich zu besänftigen.

Nein! Hör auf, Mama! Ich darf nicht aufgeben. Ich muss gegen diese Müdigkeit ankämpfen. Gegen dieses Schwächegefühl. Ich will mit ihr reden. Ich will darüber reden. Mir es von der Seele freireden. Ich habe das Gefühl, innerlich zu platzen. Das Schlimme ist nur, dass ich es nicht herausbringen kann, obwohl alles in mir schreit hinausbrechen zu wollen.

Ich versuche es noch einmal.

„Ich ... ich will dich nie wieder weinen sehen.", hauche ich und spüre wie meine Tränen fließen.

Meine Mama streichelt meine Stirn mit ihrem Zeigefinger und lächelt, während sie versucht ihre Tränen zurückzuhalten.

„Aber ich weine doch gar nicht. Schau, ich lächle sogar!"

„Abe-"

Ich will etwas erwidern, doch meine Stimme versagt. Stattdessen fange ich an zu schluchzen und kann mich nicht mehr zurückhalten. Durch den Tränenschleier, kann ich ihr Gesicht dabei nicht betrachten und wische ihn sofort weg. Es bringt jedoch nichts. Sofort entsteht ein neuer Tränenschleier, der mir die Sicht versperrt. Mich nicht sehen lässt. Es nicht zulässt. Das Ganze frustriert mich nur noch mehr und ich bemerke, wie heiß mir wird.

Ich halt das nicht mehr länger aus. Ich muss irgendwas tun.
Ohne viel nachzudenken, was, richte ich mich abrupt auf, indem ich mich Mamas Arm abstütze. Ich stoße meine Decke von mir weg. Dann versuche ich aufzustehen. Mit bloßer Willenskraft, und indem ich mich weiter auf ihr abstütze, gelingt es mir tatsächlich.

Und nun?

Ganz erschöpft und atemlos, schnappe ich erstmal gierig nach Luft. Atme ganz tief ein und wieder aus.

Mein Herz pocht so schnell, dass ich mich nicht wundern würde, wenn es gleich herausspringt.

Aber, keine Zeit mich weiter mit diesen Dingen zu befassen. Ich wische mir noch einmal über die Augen und schaue meine Mama ins Gesicht.

Ihr Lächeln ist verblasst.

Ich räuspere mich kurz und dann sprudelt alles, was sich bisher aufgestaut hat und hinauswollte, aus mir heraus. Ich habe keine Kontrolle darüber, was ich sage. Jedoch ist dies im Moment auch nicht wichtig. Mein Herz spricht und denkt für mich.

„Es tut mir leid, Mama! Es tut mir so leid. Ich will diese blöde WINX Zeitschrift nicht mehr. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich daran gefunden habe! Die anderen können machen, was sie wollen. Ich bin nicht mehr traurig darüber! Ich will mit ihnen auch nicht mehr spielen. Es ist mir egal. Sie sind mir egal. Es ist egal, was sie mir angetan haben. Darum sei nicht mehr traurig!"

Endlich. Das tut so gut. Es ist so ein erleichterndes Gefühl, sich alles von der Seele zu reden.

Meine Mama kann sich vor Schock nicht einmal mehr rühren. Ich kann es ihr nicht verübeln. Bin selbst ein wenig über mich überrascht, auch stolz.

Es kümmert mich nicht mehr. Ich will nur noch bei Mama sein und sie nie mehr loslassen.

Ich werde sie ignorieren. All die Schmerzen. Egal, ob sie mich zerstören werden oder nicht. Ob sie mich innerlich und äußerlich auffressen werden. Ich bin bereit. Komme was kommen mochte.

Doch dann...

Die Tränen, die sie versucht hat zurückzuhalten, finden ihren Weg hinaus und fließen unwillkürlich, als gäbe es kein Morgen.

„Aber, Mama... du solltest doch nicht mehr weinen."

„Mama! Mir geht es gut, versprochen! Mach dir keine Sorgen mehr. Weine nicht mehr. Außer es sind Freudentränen. Aber bitte Mama, hör auf... es tut weh, dich so zu sehen. Es fühlt sich an, als würde mein Herz bluten. Mama.", versuche ich sie flehend zu überzeugen.

Ich habe wohl das Gegenteil von dem erreicht, was ich wollte.

Sie schluchzt heftig und schaut mich nur entgeistert an. Mama? Was ist denn nur los?
Ich bekomme Angst und versuche sie zu umarmen, doch sie lässt es nicht zu.

„WAS MEINST DU MIT WINX, MARY? ÜBER WAS REDET DU SCHON WIEDER? ICH DACHTE FÜR EINEN KURZEN MOMENT... ICH HATTE HOFFNUNG!!!", kreischt sie hysterisch.

Was. Was. Was. Was ist hier nur los??

Urplötzlich fange ich an zu zittern und mir wird ganz schlecht und schwindelig.Ich verstehe überhaupt nichts mehr. Ich will Antworten. Warum ist meine Mama so?

Ich fühle die Enge in meiner Brust und mir ist die Kehle wie zugeschnürt.

Sie bemerkt meinen Zustand und packt mich fest an den Armen.

„WACH ENDLICH AUF! ICH WEIß NICHT, IN WELCHER ZEIT DU DICH JETZT BEFINDEST, ABER DIES IST DIE REALE WELT. DU BIST 21, MARY!", schreit sie, während sie mich heftig an mir schüttelt.

21?!

Augenblicklich ändert sich das Bild vor meinen Augen.

Huh?

Ich befinde mich nicht mehr in meinem Zimmer. Was ist das für ein Raum? So hell.So weiß. Moment mal. Sieht aus wie ein Krankenzimmer. Wo bin ich hier?!

Hin und her. Hin und her. Jedes Mal, wenn ich blinzele, wechselt sich das Bild.Hier, mein dunkles Zimmer. Jetzt, ein mir unbekannter heller Raum, welches einem Krankenzimmer ähnelt. In meinem Kopf dreht sich alles. Hin und her. Ich weiß nicht, was hier los ist oder wo ich mich gerade befinde. Ich weiß nicht,was für ein Streich mir mein Verstand spielt. Oder ist das alles doch nur ein Traum?

„Ich will nichts davon sehen! MACH DAS ES AUFHÖRT!", kreische ich.

„Ich will aufwachen!"

Ich sacke zusammen und schließe die Augen und drücke mit beiden Händen gegenmeinen schmerzenden Kopf. Wippe mit meinem Oberkörper in einem stetig schnellen Takt.

Ich will, dass es aufhört. Ich will von hier weg. Was ist nur los mit mir? Warum kann ich mich nicht befreien?! Ich bin verloren. Wohin gehöre ich? Was passiert nur mit mir?

Plötzlich höre ich ganz entfernt ein Stimmengewirr, das ich nicht zuordnen kann.

„Sie hat wieder eine ihrer Attacken."

„Schnell bringt die Beruhigungsspritze und schafft sofort die Mutter raus."

„Ich wusste, das wird nicht gut ausgehen. Sie haben doch versprochen, die Patientin nicht zu reizen."

„Ich wollte doch nur... Ich dachte sie ist wieder zurück. Es macht mich einfach nur so fertig, sie so zusehen. Es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid!Bitte rettet mein Kind!"

Mama? Weint meine Mama wieder? Ich bin hier Mama! Sei unbesorgt. Ich will die WINX Zeitschrift nicht mehr und mir geht es gut! Wein bitte nicht mehr Mama!

Ich will die Augen öffnen, aber etwas hindert mich daran. Ich schaffe es nicht. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr.

„Beruhigen Sie sich und bitte begeben Sie sich nach draußen"

Nein! Sie wollen mir meine Mama wegnehmen. Das lasse ich nicht zu!

„Lasst meine Mama in Ruhe! Was habt ihr vor? Was wollt ihr von uns?", schreie ich und schlage wild um mich.

Dann spüre ich augenblicklich einen dumpfen Schmerz und bin erneut weg.
Weg von hier und jetzt.
Ich bin gefangen im Nirgendwo.

Es ist so dunkel hier.
Mir ist kalt.

„Wo bist du nur, Mama?"

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