Waffen
Phil spielte am Nachmittag des nächsten Tages mit Josto im Vorgarten, als Hive auf das Grundstück zu kam. Revolt, der wie immer davor parkte, transformierte sich und nahm eine versteifte Haltung ein. Vorsorglich nahm Phil zusammen mit Josto ein wenig Abstand von der Szene und beobachtete das Geschehen mit gerunzelter Stirn. Er hatte die letzte Begegnung der beiden noch lebhaft vor Augen, und falls Kanonen diesmal tatsächlich zum Einsatz kommen sollten, wollte er nicht dazwischenstehen.
"Was tust du hier?", fragte Revolt mit einem gereizten Unterton.
"Ratchet hat jemanden gesucht, der hier nach dem Rechten sieht", antwortete Hive mit einem berechnenden Blick. "Hobble ist gerade anderweitig beschäftigt und Prime hat sich gemeldet. Er schien etwas zu befürchten."
Revolt schnaubte. "Natürlich meldest gerade du dich da freiwillig", stellte er fest.
"Ja, das tue ich. Wenn dem Menschen etwas zustößt, oder er gar in die Hände eines Decepticons gelangt, ist die Zeit seiner gesamten Spezies abgelaufen." Die Erwähnung der Decepticons betonte Hive besonders stark, sodass der Seitenhieb eindeutig verständlich war. Phil wurde zusehends unwohler. Einerseits hasste er das Gefühl, dass das Schicksal des gesamten Planeten auf seinen Schultern lastete, und andererseits befürchtete er eine Eskalation dieser Begegnung.
"Dir geht es hierbei kein Bisschen um die Menschen, sondern dein eigenes, riesiges Ego", zischte Revolt und verengte seine rot leuchtenden Augen zu gefährlichen Schlitzen. "Du bist der Einzige, dem ich gerade etwas tun würde."
"Dann beweist das nur, dass du ein verräterischer Decepticon bist!", erwiderte Hive mit ebenso verengten Augen. Phil entwickelte eine gewisse Abneigung gegenüber dem Autobot. Er wusste zwar selbst nicht, was er von Revolt halten sollte, aber immerhin verdrehte er einem nicht jedes Wort im Mund. Als Hive seine Hand dann durch eine Waffe zu ersetzen begann, war Phil die Situation eindeutig zu bunt.
"Hey, Stopp!", rief er und eilte vom Grundstück zu den Transformern heraus, Josto mit einem Handzeichen einen Rückzug befehlend. "Hier wird niemand erschossen!"
Hive sah nur kurz zu ihm hinab, bis er seinen Blick wieder Revolt zuwandte. "Die Decepticons müssen vernichtet werden. Ich habe schon gegen viele gekämpft, ich erkenne einen, wenn er vor mir steht. Dieser hier ist einer von der widerlichsten Sorte. Ein Spion und Heuchler."
Nun zückte auch Revolt seine Waffe.
"Stopp jetzt!", rief Phil erneut und hob beschwichtigend seine Hände, als müsse er zwei wilde Tiere zähmen. "Hör' auf, Hive!", rief er. "Lass Revolt in Ruhe, mir geht es gut! Er hat mir bisher kein Haar gekrümmt, okay? Hier wird keiner getötet! Wenn ich befürchten sollte, dass er etwas ausheckt, sage ich was, okay?" Wütend blickte Hive zwischen Phil und Revolt vor und zurück, bevor er dann auf dem Absatz umdrehte und einen Abgang machte. Erleichtert atmete Phil auf und nahm seine Hände wieder runter, während Revolt seine Waffe verschwinden ließ.
"Danke", presste dieser hervor, während Phil sich zurück auf das Grundstück begab, wo Josto ihn begrüßte.
"Kein Problem", antwortete er. "Der Typ ist ein Arschloch." Halbherzig grüßte er seinen Hund, doch Phil konnte sich nicht wirklich konzentrieren. "Warte!", sagte er, als Revolt beginnen wollte, sich zu transformieren. Der Transformer hielt inne. "Hive sagte, dass Optimus etwas zu befürchten schien. Was meinte er damit?"
Revolt sah mit harter Miene zu ihm hinab. "Du bist der wandelnde Untergang für diesen Planeten. Eine Waffe. Natürlich befürchtet er, dass etwas nicht stimmt."
Phil presste seine Lippen aufeinander. "Danke für die motivierenden Worte", murmelte er dann.
"Es ist nicht meine Aufgabe, dich zu motivieren", antwortete Revolt, und transformierte sich dann endgültig in den Oldtimer, den Phil ursprünglich einmal stehlen sollte.
Er hob eine Augenbraue, bevor er sich seufzend mit Josto zurück ins Motel begab. Irgendwo hatte Revolt schließlich recht. Er war eine Waffe. Wenn die Decepticons ihn erwischten, würde er für den Untergang der Menschheit verantwortlich sein - wenn nicht, wäre er für das Aussterben der Transformer verantwortlich. Er fühlte sich schuldig, obwohl er noch gar nichts getan hatte. Mit einem Seufzen holte er sich eine Flasche Wein aus der Küche, die ihm zuvor von dem Italiener bei der Tankstelle wärmstens empfohlen wurde. Eigentlich stand er mehr auf Whiskey, doch den hatte er sich noch nicht angeschafft. Kurz debattierte er, sich in den Aufenthaltsraum zu setzen, den er inzwischen als 'Wohnzimmer' bezeichnete, doch der Gedanke, sich gerade Beleidigungen von Doddle an den Kopf werfen zu lassen, ließ ihn in der Küche bleiben. Er holte sich zwei Stühle aus dem Speisesaal - einen für Josto, einen für sich - und schob sie an die Arbeitsplatte, die mitten im Raum aufgebaut war. Dann setzte er sich hin, füllte sich ein Glas ein, und Josto sprang auf den Platz neben ihm.
"Immerhin habe ich dich", murmelte Phil, und strich Josto über den Kopf. Der Hund sah ihn nur mit einer wedelnden Rute an. Früher hatte Phil sich oft gewünscht, ein Hund zu sein. Damals war es, weil ein Hund nicht zur Schule gehen brauchte. Heute wünschte er sich dasselbe, doch diesmal, weil ein Hund sich nicht mit Fragen über Aliens und die Zukunft seiner Spezies befassen musste. Während Phil versuchte, sich einen Reim aus allem zu machen, was er in den letzten Tagen gelernt hatte, wurde das Glas vor ihm immer leerer und seine Hände begannen zu zittern. Er fühlte sich zunehmend so, als würde der Raum immer enger werden und die Luft immer knapper. Anstatt sich ein zweites Glas zu füllen, begann er direkt aus der Flasche zu trinken. Auch wenn es kein Whiskey war, der Tankstellenbesitzer hatte recht - der Wein schmeckte hervorragend. Josto fiepte kurz und kratzte Phil mit einer Pfote über den Arm. "Alles gut", meinte dieser und kraulte das Tier am Kopf - um sich selbst zu beruhigen oder Josto, das wusste er nicht. "Brauchst dir keine Sorgen zu machen."
Phil hatte schön öfter Anflüge von Panikattacken und Nervenzusammenbrüchen gehabt - besonders als er hilflos dabei zusehen musste, wie seine kleine Schwester zwei Jahre lang in einem Krankenhaus versauerte und ums Überleben kämpfte - doch der Alkohol schien nicht mehr so gut zu helfen, wie er es damals tat. Nach der Hälfte der Flasche war der Raum, in dem er saß, nicht mehr nur erdrückend eng, sondern begann ebenfalls, sich zu drehen. "Gott", murmelte er. "Meine Toleranz war auch mal besser." Es sollte ein Scherz sein, doch Josto verstand ihn nicht. Er begann lediglich, sich auf Phils Schoß setzen zu wollen. Das gestaltete sich als ein Wesen von guten 30 Kilo jedoch schwer, sodass Phil ihn auf den Boden schickte. "Sorry", murmelte er, nahm sich die Flasche, und setzte sich and die Küchenzeile gelehnt auf den Boden. Er schloss die Augen, da der Raum sich immer schneller zu drehen schien, und spürte wie Josto den Kopf auf seinen Oberschenkeln ablegte. "Weißt du", begann Phil, einfach weil er mit jemandem reden musste - auch wenn er sich dabei um einen Hund handelte. "Ich versteh nicht wieso ausgerechnet ich das sein muss. Ist vermutlich nur mein Glück, dass ich nicht mal Cousins habe, die das machen könnten." Josto bewegte sich nicht, sondern ließ sich von Phil kraulen, der dabei immer wieder einen Schluck aus der Weinflasche nahm. "Wäre es nicht besser, wenn ich einfach weg wär?" Josto änderte daraufhin die Position seines Kopfes, um sich an einer anderen Stelle streicheln zu lassen. "Keine Sorge, ich verlass dich nicht. Aber denk mal nach, wir könnten irgendwo verschwinden, wo uns niemand finden kann. Wir haben inzwischen genug Geld, um für den Rest des Lebens über die Runden zu kommen, und Moms Schulden können wir zahlen indem wir einen kleinen Nebenjob in einer dieser abgelegenen Städtchen in der Wüste oder den Bergen annehmen." Der Wein war inzwischen fast leer und Phil seufzte. "Und Lucas bitten wir, uns einfach ein paar Dokumente zu fälschen. Der kann das beängstigend gut." In seinem Kopf klang die Idee immer mehr nach einem Plan. "Was hältst du von Kanada? Da ist viel nichts, und du hättest öfter Schnee. Du magst doch Schnee. Und die Natur soll atemberaubend sein." Phil öffnete seine Augen wieder, und versuchte, seinen Blick auf Josto zu fixieren, der reglos da lag und ihm zu lauschen schien. "Wir wären so weit weg von der USSD und Aliens und all dem Rest. Das klingt doch nach was. Nur wir zwei. Wir könnten uns eine dieser alten Holzhütten als Zuhause nehmen, mitten im Wald." Eine Träne begann, über seine Wange zu laufen. Weshalb genau er weinte, wusste Phil nicht, und er wischte sie sich verstohlen weg. "Da gäbe es so viele Eichhörnchen, die du jagen könntest. Und ich könnte endlich lernen, wie man schnitzt." Weitere Tränen bahnten sich ihren Weg über Phils Gesicht. Er versuchte, dagegen anzukämpfen, was jedoch nur dazu führte, dass Schluchzer ihn in regelmäßigen Abständen zusammenfahren ließen. Es erschien ihm so unendlich unfair, dass er der einzige Mensch auf diesem Planeten war, der all diese Last tragen musste, während das Leben für alle anderen weiter ging. Er fühlte sich so allein wie nie zuvor. Seine Familie konnte er nicht kontaktieren und Lucas wollte er ebenfalls nicht in die Sache rein ziehen. Mit bebenden Lippen starrte er auf das Lederne Armband an seinem Handgelenk. Wenn er nicht unter dem Einfluss einer ganzen Flasche Wein stünde, würde er nun vermutlich einen Spaziergang mit Josto unternehmen, Musik hören, und sich mit einer Serie ablenken. Da aber genau das Gegenteil der Fall war, entschloss er sich, mit Josto davon zu laufen. Immerhin war das auch eine Art Spaziergang - nur ausgedehnter, und sie würden nicht an ihren Ausgangspunkt zurückkehren. Er raffte sich mit großem Kraftaufwand vom Boden, und machte dann ein paar erste torkelnde Schritte in Richtung der kleinen Tür, welche eine Art Hinterausgang sein musste. Phil hatte sie bisher noch nie geöffnet, doch ihm erschien es nun wie ein guter Zeitpunkt. Er wusste nicht, ob Transformer schliefen, und wollte es bei seiner Flucht auch eher ungern herausfinden. Da Revolt seinen Platz vor dem Haupteingang nie zu verlassen schien, war dies die nächstbeste Lösung, unbemerkt aus dem Motel zu kommen
Die Tür war zu Phils Glück nicht abgeschlossen - wie alles in diesem Gebäude. Sie führte direkt auf einen leeren Parkplatz, der inzwischen viele Risse hatte durch welche Gräser und Unkraut wucherten. An einer Stelle begann sich Efeu auszubreiten. Am Ende des Platzes, rechts, dort wo das Treppenhaus war, grenzte ein Haus an das Gebäude. Jedoch schien dies nicht zu dem Motel zu gehören - vielmehr handelte es sich aller Ansicht nach um ein ganz normales Wohnhaus. Phil verschwendete jedoch nur kurz einen Gedanken daran, denn er stolperte über einen Ritz im Parkplatzasphalt und fiel zu Boden. Erschrocken machte Josto einen Satz und gab eine Mischung aus Fiepen und Jaulen von sich. Phil stöhnte. "Sorry", murmelte er. Ein paar Sekunden sammelte er sich, bevor er sich wieder aufrappelte. Vermutlich sollte er seine Taschenlampe anmachen - die Sonne war scheinbar gerade über den Horizont verschwunden, und die Dämmerung machte es schwer in betrunkenem Zustand auszumachen, wo man hintrat. Mit zusammengekniffenen Augen suchte Phil nach der Taste für die Taschenlampenfunktion seines Handys, während Josto schnaubte. Zumindest so lange, bis ein schwarzer Mercedes neben ihm parkte, den er erst viel zu spät bemerkte. "Shit", sagte er, und beobachtete entgeistert, wie Revolt sich mit verschränkten Armen vor ihm aufbaute.
"Was genau glaubst du, da zu tun?", fragte er. Die roten Augen sahen in der Dämmerung noch bedrohlicher aus als sowieso schon.
Phil versuchte, Revolt ebenso entgegenzustarren, konnte jedoch sein Gleichgewicht nicht halten und stolperte rücklinks zu Boden. Josto begann, unbeeindruckt ein paar Gräser auf dem Parkplatz zu markieren, während Phil sich schnaufend wieder aufrappelte. Er hatte definitiv schon mal mehr vertragen. Er musste erbärmlich aussehen. Trotzdem verschränkte er die Arme vor seiner Brust und schob sein Kinn vor, in der Hoffnung, dass es ihn Selbstbewusst aussehen ließ. "Ich gehe", sagte er. "Ich geh an einen Ort wo mich niemand findet, und dann kann mich niemand benutzen. Du kannst leben, ihr habt die Matrix, und die Decepticons können bei der Suche nach mir verrotten." Revolt schien sichtlich perplex, während Phil fortfuhr. "Josto und ich werden ein ruhiges Leben führ'n, ohne euch, ohne Diebstahl, und ohne den Namen Witwicky."
Phil wollte gerade weiter stapfen, da fasste sich Revolt wieder. "Hör mir gut zu, denn das sage ich nur ein einziges Mal. Auch wenn ich es begrüßen würde, mich nicht länger mit dir abgeben zu müssen als nötig, es würde nichts ändern. Deine Familie existiert noch immer, und du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass die Decepticons sie finden werden. Früher oder später werden sie ihren Aufenthaltsort erfahren."
Phil schwankte und gähnte. Er wollte etwas erwidern, aber ihm fiel nichts ein. Daran hatte er nicht gedacht. Er starrte mit glasigen Augen Revolt an, der stur zurückblickte, und seufzte dann. "Ich sollte schlafen", murmelte er dann. Vielleicht würde ihm mit nüchternem Kopf etwas Sinnvolles einfallen, was er entgegnen könnte. So jedoch rief er Josto wieder zu sich, der gerade intensiv an der Wand des zuvor unentdeckten Wohnhauses schnüffelte, und schlurfte zurück in das Motel. Ein paar Mal schwankte er gefährlich, schaffte jedoch ohne einen weiteren Sturz den Weg zurück in Innere. Sobald er jedoch in der Küche war, legte er sich dort hinter die Tür. Er redete sich ein, dass er nur eine Pause machte, jedoch war er nach nur wenigen Minuten in einen traumlosen, tiefen Schlaf verfallen, von dem er sich die ganze Nacht nicht wecken ließ.
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