Eine unverhoffte Begegnung
In jeder Kurve riss sich das Lenkrad von allein herum und zerrte an Phils Armen. Noch immer klammerte er daran fest, während sein rasendes Herz die Ohren zum Rauschen brachte und seine Muskeln sich verkrampften. Sein Kopf war leer.
Neben ihm bemerkte Josto, dass etwas nicht stimmte, und begann unruhig zu winseln und knurren. Jede Vernunft verschwand nun aus Phil, und blanke Panik machte sich in ihm breit. Er erwartete, jede Sekunde gegen ein Haus oder Baum zu rasen, und fing ein verzweifeltes Gebet an.
"Oh mein Gott, oh mein Gott, oh mein Gott!", rief er aus. "Ich will nicht sterben, bitte!"
Plötzlich tauchte vor ihm eine große Halle auf, und das Auto fuhr direkt auf die metallenen Eingangstore zu. Nun kam das Leben auch in Phils Körper zurück, und er trat mit voller Wucht auf die Bremse.
Nichts funktionierte.
Er schloss die Augen und kauerte sich tief im Sitz zusammen, bereit für den Aufprall. Es gab eine leichte Erschütterung, ein Knallen und knirschendes Geräusch, aber die Fahrt ging weiter. Zumindest kurz, denn dann blieb der Wagen abrupt stehen. Jedoch nicht auf die Art, wie wenn man gegen eine Wand fährt, sondern mit quietschenden Reifen und einer halben Drehung um die eigene Achse, die Phils Schulter schmerzhaft gegen das Fenster prallen ließ.
Langsam öffnete er wieder seine Augen und sah sich um. Josto, der nun auf den Sitz gesprungen war, kauerte sich winselnd neben ihn.
Während Phil ihm einmal beruhigend über den Kopf streichelte und dann seine dumpf pochende Schulter rieb, begutachtete er mit klopfendem Herzen die dunkle Umgebung. Scheinbar war er nun innerhalb der Halle, dessen Tor sie angesteuert hatten. Wenn ihn nicht alles täuschte, war dies sogar die Eingangshalle jenes Militärgeländes, welches Lucas ihm zuvor per Funk weitergeben wollte. Phil hatte den Ort bereits des Öfteren bei der Planung seines ursprünglichen Fluchtwegs auf den Karten gesehen, doch erst jetzt erinnerte er sich daran.
Plötzlich hörte er über sich das Wummern kreisender Hubschrauberrotoren, und versuchte daraufhin hektisch, das Auto zu verlassen. 16 Millionen hin oder her, er wollte nicht den Rest seiner Existenz in einem Gefängnis verbringen. Doch die Tür war verschlossen und ließ sich partout nicht öffnen. Fluchend trat Phil dagegen. Als auch das keine Wirkung zeigte, blieb er ganz still und lauschte angespannt auf die Geräusche außerhalb der Halle. Vielleicht hatte er Glück, und sie wussten sich, dass er hier war. Von der Luft aus dürfte das große Loch in der Metallwand der Halle nur schwer erkennbar sein. Eine Zeit lang flogen die Hubschrauber über dem Gebäude herum und Phil begann, nervös an dem ledernen geflochtenen Armband um seinem Handgelenk zu zupfen. Er befürchtete schon, dass er gleich gefunden werden würde, da wurden die Geräusche leiser.
Erleichtert atmete er die Luft aus, die er vor Anspannung angehalten hatte, und er wischte sich mit zitternden Händen Angstschweiß von der Stirn. Auch die Autotüren sprangen nun auf.
Doch schon im nächsten Moment sah er mehrere Wagen durch ein Loch im Eingangstor auf sich zu fahren, welches mit Sicherheit dem Mercedes zu verschulden war.
Schnell sprang er nun mit Josto aus dem Auto und prüfte mit geübtem Auge, ob er laufen sollte oder nicht. In der Dunkelheit der Nacht erkannte er nicht viel, doch als er bemerkte, dass die Fahrzeuge keine Fahrer besaßen, entschied er sich für ersteres. Es waren zwar keine Polizeiwagen, doch führerlose Autos waren definitiv nichts, was ihm ein Gefühl von Sicherheit gab. Gleichzeitig fragte er sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, auf das Hausprogramm zu hören und im Bett zu bleiben. Wer weiß, vielleicht war er nun wirklich krank geworden und halluzinierte?
Zusammen mit Josto rannte er auf das große Loch im Tor zu und fiel prompt über irgendetwas, was er in der Dunkelheit nicht genau erkennen konnte. Es fühlte sich jedoch an wie ein Ziegelstein. Während er sich aufrappelte, wurde er von den fremden Fahrzeugen umzingelt. Sie waren noch immer führerlos, er hatte sich dies also nicht eingebildet.
Josto gab sich alle Mühe und versuchte, alle Wagen gleichzeitig anzubellen, während Phil einfach nicht mehr wusste, was überhaupt gerade passierte und wie er darauf reagieren sollte. Also stand er einfach nur mit vor Panik geweiteten Augen da und verfolgte mit seinem Blick die Gefährte.
Ein großer, blauer Truck mit roten Akzenten auf dem Lack löste sich aus der Reihe der ihn umzingelnden Fahrzeuge und steuerte direkt auf ihn zu. Phil wollte laufen und ausweichen, doch seine Muskeln gehorchten nicht. Nur wenige Meter vor ihm kam das Gefährt quietschend zum Stehen. Dann gingen dessen Scheinwerfer aus und der Wagen begann, sich aufzuklappen.
Starr beobachtete Phil, wie sich das Fahrzeug innerhalb weniger Sekunden in eine Art Riesenroboter verwandelte und mit zwei kleinen blauen Lichtern – Phil vermutete, dass dies Augen waren – auf ihn hinab starrte. Der Roboter kniete sich hin, und um sie herum begannen auch die anderen Autos, sich zu verwandeln. Josto, der nach der vollendeten Transformation des Trucks zu bellen aufgehört hatte, zog seine Rute ein und kauerte sich mit einem unsicheren fiepen zusammen. Für etwas derartiges war er nicht ausgebildet worden, was Phil nur allzu gut verstehen konnte, denn er war es ebenfalls nicht.
„Bist du Philias Witwicky?", meldete sich der ehemalige Truck zu Wort. Phil fühlte sich, als wäre er in einem dieser viel zu realistischen Träume, bei denen man am Morgen eine Weile brauchte, um sich wieder in der Realität einzufinden.
Wie konnten Autos zu Robotern werden? Woher kannte der Truck seinen Namen? Und weshalb fragten er nach ihm?
Sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerbersten. Als er in die erwartungsvollen Augen des fragenden Riesenroboters sah, brachte er ein leichtes Nicken zustande. Er hoffte bloß, dass dies wirklich ein Traum war.
Ein anderer Roboter – der zuvor gestohlene Oldtimer, um genau zu sein – meldete sich zu Wort.
„Wie bitte? Das soll ein Witwicky sein? Der hat vor Angst wie ein kleiner Sparkling geschrien, als ich ihm sein Leben gerettet habe!"
„Hey!", entfuhr es Phil unwillkürlich. Er wusste zwar nicht, was ein Sparkling war, doch da es nicht freundlich klang, würde er sich nicht mit einem solchen vergleichen lassen. Traum hin oder her. „Wie würdest du reagieren, wenn dein Wagen plötzlich macht, was es will, beinahe mehrere Unfälle baut, und offensichtlich einfach so unbeschadet durch das Metalltor einer ehemaligen militärischen Anlage fährt?!"
„Wenn es offensichtlich meinem Schutz dient, erweise ich mich dankbar!"
Phil schnaubte. „Ja, herzlichen Dank auch!"
Nun meldete sich der erste Roboter zu Wort, der größer als alle anderen war. „Revolt, nimm dich zurück!", mahnte er mit ruhiger, tiefer Stimme.
Phil wurde das alles zu bunt. „Was zum Teufel wollt ihr von mir?", fragte er, und ein leichtes Beben in seiner Stimme konnte er nicht verbergen. Der Truck, der scheinbar eine Art Anführer war, begann bereitwillig zu erklären.
„Mein Name ist Optimus Prime, und ich bin ein Autobot vom Planeten Cybertron. Wir sind vor mehr als einem Jahrhundert auf der Erde gelandet und lernten hier deinen Ururgroßvater Samuel Witwicky kennen. Er half uns im Krieg gegen die Decepticons, und das nicht nur einmal. Er hat mehrmals das Leben aller Menschen auf diesem Planeten gerettet, genauso wie das meine."
Phil musste schlucken. Schon bei den Worten ‚vom Planeten Cybertron' musste er sich zusammenreißen, nicht zu lachen. Nicht, weil er die Aussage besonders lustig fand, sondern weil er nicht wusste, wie er sonst regieren sollte. Das alles klang viel zu absurd, um es zu glauben, doch die Tatsache, dass er seines Wissens nicht schizophren war, und die Realisation, dass selbst seine realsten Träume nie so real waren, überzeugten ihn, zumindest fürs erste mitzuspielen. „Also, nur zum Verständnis", begann er mit nervöser Stimme. „Ihr seid Aliens? Und mein Ururopa war euer Freund? Und von was für einem Krieg redest du? Hier war seit bald zweihundert Jahren keiner mehr!"
Der Oldtimer, Revolt, antwortete mit Verbitterung in der Stimme. „Vor vielen, sehr vielen Jahren, gab es einen Krieg auf Cybertron. Die Gruppe der Decepticons wollte die alleinige Herrschaft über den Planeten und die Autobots rebellierten dagegen. Dieser Konflikt kostete vielen von uns das Leben. Nur noch sehr wenige sind übrig und auch wir werden sterben, da unsere größte Energonquelle zerstört wurde."
Phil schluckte. Er hatte zwar keine Ahnung, was all diese seltsamen Begriffe bedeuteten, doch es schien sich um eine erste Situation zu handeln. „Das tut mir leid für euch, aber was habe ich damit zu tun?"
Optimus antwortete. „Du und deine Familie sind die einzigen, die unsere letzte Energonquelle benutzen können. Die Decepticons wissen das, und deshalb müsst ihr beschützt werden. Wenn sie dich oder den Rest deiner Familie in ihre Gewalt bekommen, dann ist die Menschheit verloren." Phil schwieg. Wieso war ausgerechnet er es, der in dieser Situation war? Vor wenigen Minuten war er noch ein durchschnittlicher Kleinkrimineller, und nun sollte er Teil eines uralten Alien-Krieges sein. Er fühlte sich, als würde er den Boden unter den Füßen verlieren, und hoffte, dass jeden Moment ein Kamerateam um die Ecke kam und ihn darüber aufklärte, dass er Teil eines Verhaltensexperiments sei. Doch das Team ließ auf sich warten.
„Okay", begann Phil langsam. „Also mir reicht das jetzt. Ich gehe. Keine Ahnung, was mein Ururopa gemacht hat, aber ich will damit nichts zu tun haben! Ich habe heute Nacht mein Leben ganz umsonst wegen euch aufs Spiel gesetzt. 16 Millionen Dollar sind jetzt einfach weg. Wochenlange Vorbereitung umsonst!" Er begann, sich in Rage zu reden. „Wisst ihr eigentlich wie anstrengend die letzten paar Tage allein war? Ich habe verdammt nochmal einen Auftrag von Google selbst für diesen Job verschoben! Jeden Tag habe ich mindestens zehn Stunden für diesen einen Abend geopfert, Lucas wurde zwischendurch beinahe von der USSD erwischt, das gäbe mindestens lebenslang, und jetzt wollt ihr mir erklären, dass das Schicksal eines ganzen Planeten von mir und meinen Eltern abhängt, nur weil ich der Ururenkel von Samuel Witwicky bin." Kurz hielt Phil inne, um einmal tief Luft zu holen. "Sowas kann ich gerade nicht gebrauchen, tschüss!"
Mit diesen Worten stapfte Phil los, gefolgt von Josto. Gerade wollte er an Optimus vorbei, da wurde er unerwartet in die Luft gehoben. Mit vor Schreck geöffnetem Mund und einem unangenehmen Schwindelgefühl sah er, wie sich der Boden immer weiter von ihm wegbewegte und Josto bellend im Kreis lief.
Optimus hatte ihn einfach gepackt. Wie eine Puppe. Der Roboter richtete sich mitsamt Phil auf und hielt sich diesen direkt vor das Gesicht.
„Philias, ich kann nicht zulassen, dass du gehst. Ich hatte gehofft, euch nie kontaktieren zu müssen, doch du und deine Familie sind die Schlüssel zur Zerstörung eurer Spezies. Es ist wichtig, dass du uns vertraust. Die Decepticons wissen, dass wir hier sind, und vermutlich schon auf dem Weg hierher. Was genau wir hier tun wissen sie nicht, aber sie werden trotzdem angreifen und herausfinden wollen, warum wir hier sind. Voraussichtlich werden sie sich auf meine Verfolgung konzentrieren. Deshalb musst du jetzt mit Revolt und Bumblebee die Halle verlassen. Ich werde sie mit Skymark, Hive und Flapjack ablenken. Wenn du in Sicherheit bist, werden Bumblebee und Revolt dir alles weitere erklären. Doch du musst mir vertrauen, wenn ich sage, dass du gut daran tätest mir zu glauben. Schlimme Dinge werden geschehen, falls du nicht mit uns kommst. Nicht nur mit dir und uns, sondern diesem gesamten Planeten."
Phil schluckte schwer. Er wollte gerade erwidern, dass seines Wissens genauso gut Optimus derjenige sein könnte, der schlimme Dinge geschehen ließ – schließlich war er es, der ihn gerade in der Luft hielt. Doch etwas an der Dringlichkeit, die in seiner zuvor komplett autoritären Stimme mitschwang, ließ ihn daran zweifeln, dass Optimus in dieser Situation tatsächlich nicht sein Gegner war – auch wenn aus rationaler Sicht alles dafürsprach. Mit einem schlucken nickte er. Auch, wenn er noch nicht verstand, was hier vor sich ging – er wusste, er würde aus dieser Nummer nicht mehr so schnell herauskommen.
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