Ein Einkauf
"Wir müssen einkaufen." Phil stand mit verschränkten Armen vor Revolt, der ihn, ebenfalls mit verschränkten Armen und einem missmutigen Blick, taxierte. Als Josto ihn am nächsten Morgen nach einer unruhigen Nacht geweckt hatte, wurde Phil nämlich durch einen grummelnden Magen unangenehm daran erinnert, dass er im Gegensatz zu den Autobots durch eine regelmäßige Nahrungsaufnahme am Leben gehalten werden musste. Als er daraufhin die Küche am hintersten Ende des Speisesaals im Erdgeschoss auf das Essen durchsuchte, welches Skymark am Tag zuvor erwähnt hatte, wurde er beim Öffnen des Kühlschranks von einer weiß-grünen Schimmeldecke begrüßt. Es brauchte all seine Willenskraft, sich nicht sofort auf den Boden zu übergeben. Dann hatte er erst einmal nach dem Kaffee gegriffen, der vor nur wenigen Tagen offiziell abgelaufen und komplett schimmelfrei war. Das hatte seinen Magen erst einmal beruhigt. Es würde jedoch erfahrungsgemäß nicht lange dauern, bis dieser bemerken würde, dass es sich bei dem Kaffee nicht um eine echte Mahlzeit handelte.
"Warum?", fragte Revolt forsch. Seine Augen hatten sich verengt.
"Weil ich Essen brauche", entgegnete Phil nicht weniger unfreundlich. "So ist das bei Menschen halt, finde dich damit ab oder erkläre deinem Boss wieso ich unter deiner Obhut kläglich verhungert bin."
"Optimus hatte bereits jemanden dazu beauftragt, sich darum zu kümmern."
Phil verdrehte die Augen. "Optimus weiß scheinbar nicht, dass Essen irgendwann schlecht und somit für einen Menschen giftig wird."
"Und weshalb soll ich mich darum kümmern?", fragte Revolt entnervt. Es war klar, dass er um die Unumgänglichkeit dieser Fahrt wusste, aber sich alles in ihm sträubte.
"Wer von uns ist das Auto?", entgegnete Phil daraufhin, ohne zu zögern. Er bereute die Worte, sobald sie seine Lippen verlassen hatten. Die Reue war scheinbar berechtigt, denn Revolt beugte sich bedrohlich in seine Richtung und kniff die rot leuchtenden Augen zusammen, welche ihn ohnehin bereits dauerhaft böse erscheinen ließen. "Ich bin ein Transformer des Planeten Cybertron, und kein von euch Menschen konstruiertes mickriges Auto!", zischte er. "Ich könnte deine traurige, insignifikante Existenz mit einem unbedachten Schritt beenden, und würde nicht einmal etwas davon spüren. Ich bin weder dein Diener noch deine Kutsche. Hast du das verstanden, denn ich werde mich nicht wiederholen."
Phil schluckte. Zwar glaubte er, dass Revolt Autobot genug war, ihm nichts anzutun, doch dafür würde er nicht seine Hand ins Feuer legen. Auch hatte das Motel, vor dem er stand, eine gewisse Entfernung vom Hauptteil der Basis und somit auch den anderen Autobots, die ihm im Fall des Falles hätten helfen könnten.
"Ich brauche trotzdem ein Transportmittel zum Einkaufen", sagte dann, vorsichtiger als zuvor und mit ungewohnt hoher Stimme. Revolt setzte zu einer Erwiderung an, hielt inne, schnaubte dann und transformierte sich ohne ein weiteres Wort. Phil stieß mit leichtem Beben den Atem aus, den er unbewusst angehalten hatte, und stieg dann mit schwitzigen Händen in den Oldtimer. Es war vermutlich mehr Glück als Verstand, dass Phil diese Situation ohne gebrochene Knochen überstanden hatte. Sein fehlendes Taktgefühl hatte ihn oft in unangenehme Situationen gebracht, doch nie war er dabei bisher mit einem übergroßen Alien konfrontiert worden. Er täte gut daran, seine Worte in Zukunft weiser zu wählen.
***
Die Fahrt war genauso rasant wie die letzte mit Revolt - wenn nicht sogar schlimmer - und als sie nach einer gefühlten Ewigkeit an der nächstbesten Tankstelle ankamen, musste Phil erstmal eine Weile an der schwarz glänzenden Motorhaube gelehnt dastehen, um seinen Magen zu beruhigen. Mehrmals hatte er auf der Fahrt unangenehme Würgegeräusche von sich gegeben, wovon sich Revolt jedoch nicht beirren ließ. Vermutlich war es in dieser Situation von Vorteil, dass Phil nicht gefrühstückt hatte.
Erst nachdem die Welt um ihn herum wieder klar sichtbar war und stillstand, konnte er sich stumm darüber aufregen, dass die Basis so abgelegen war und Revolt somit alle Möglichkeiten hatte, die Fahrt zu einer Tortur zu machen. Bevor er jedoch den kleinen Laden der Tankstelle betrat, kickte er gegen einen der Reifen von Revolt und begab sich dann, mit noch immer etwas wackligen Beinen, zügig außerhalb dessen möglicher Reichweite.
***
Düster beobachtete Revolt, wie Phil in dem Laden verschwand. Er befand es als absolut unter seiner Würde einen Menschen durch die Gegend zu kutschieren, um sich dann von ihm treten zu lassen. Doch um an die Matrix zu kommen, musste er weiterhin Optimus' Befehlen gehorchen und dazu gehörte auch, den Jungen mit Essen am Leben zu erhalten.
Ungeduldig zählte er die Sekunden, die Phil in der Tankstelle verbrachte. Nach einer viertel Stunde kam er sich damit blöd vor und er hörte auf. Es schien zu einem längeren Aufenthalt zu werden. Dann probierte er die Radiofrequenzen der Menschen durch, in der Hoffnung, dass irgendetwas sein Interesse weckte. Er blieb irgendwann einfach bei einem Nachrichtensender stehen und lauschte den unbedeutenden Problemen der Menschheit. Eine Familie in Kansas wurde von einer Bananenspinne im Haus getötet. Venedig war wegen Hochwasser evakuiert worden. Ein Reporter berichtete über einen Krieg in Australien. Ein Junge aus Schweden hatte die Schach-Weltmeisterschaft gewonnen und war somit der jüngste Weltmeister aller Zeiten. Ein Erdbeben erschütterte Thailand und verletzte zwei Menschen.
Gelangweilt schaltete Revolt das Radio nach einer halben Stunde wieder aus, gerade noch rechtzeitig um zu bemerken, wie ein führerloses graues Auto auf das Gelände fuhr. Rollend kam es neben ihm zu einem Halt. Revolt erkannte einen Decepticon - Demontrack war sein Name. Er war so etwas wie der 'Kerl für alles' in ihren Reihen, und erledigte meist Botentouren durch ganz Amerika.
"Wir haben Optimus kurzzeitig einige Kilometer von der Autobot-Basis entfernt geortet", meinte Demontrack ohne Umschweife. "Lord Mordread verlangt nach einem Bericht." Kurz überlegte Revolt, etwas Sarkastisches zu erwidern, wie 'Hallo, auch dir einen guten Tag, mir geht es super, danke der Nachfrage', doch er verwarf diesen Gedanken fast sofort wieder. Demontrack hatte Sarkasmus noch nie verstanden. Also antwortete er lediglich so wie es verlangt war.
"Optimus hat sich mit Begleitung auf den Weg zum Lagerort der Matrix gemacht. Es ist davon auszugehen, dass er sie auf dem Rückweg dabei haben wird. Sein Ziel ist es, sie zu vernichten. Das ist der Grund dafür, dass er den Menschen geholt hat. Wenn ihr mit einem großen Trupp angreift, sollten er und seine Unterstützung keine Chance haben und ihr könnt die Matrix problemlos übernehmen", antwortete Revolt also.
Sofort kam eine zufriedenes Brummen als Antwort. "Gut. Lord Mordread wird sich für weitere Informationen mit dir in Verbindung setzen, wenn es so weit ist. Behalte weiterhin den Jungen im Auge, den Wohnort seiner Eltern konnten wir noch nicht bestimmen. Bumblebee hat alle Informationen über sie verschwinden lassen."
Revolt seufzte innerlich, ließ sich dies aber nicht anmerken.
"Ja, Bee ist gut", murmelte er dann - mehr zu sich selbst als irgendwem anders - bevor er sich wieder an Demontrack wandte. "Ich werde versuchen, ihren Aufenthaltsort über den Jungen in Erfahrung zu bringen. Versprechen kann ich nichts." Er spürte den Missmut, der von dem Decepticon ausging und bemühte sich um beschwichtigende Worte. Mordread wollte Ergebnisse, die Aussicht auf ein mögliches Scheitern würde er nicht akzeptieren. "Was ich jedoch Versprechen kann, ist, dass ich mein Bestes tun werde, um jede benötigte Information aus dem Menschen zu quetschen."
Das schien Demontrack zu akzeptieren, wenn auch erst nach kurzem Zögern. "Ich werde deinen Bericht an Lord Mordread weitergeben", sagte er und verließ das Gelände mit quietschenden Reifen genauso schnell wieder, wie er gekommen war. Revolt blieb allein zurück und formte in Gedanken eine Art Schlachtplan. Ab jetzt würde er Phils Vertrauen gewinnen müssen. Er wusste aus Erfahrung, dass dies mehr Informationen einbrachte, als es Drohungen und Folter je können würden. Zumal er keine Chance haben würde, mit all den Autobots um ihn herum überhaupt ein Verhör zu starten. Auch wenn ihm die Aussicht, Kumpel zu spielen, nicht wirklich rosig schien, fühlte er sich ungewohnt leicht. Endlich - nach all den Äonen - schien ihr Sieg zum Greifen nah.
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