[18]

Jisung PoV

Wieder lag ich in meinem Bett und konnte nicht schlafen. Meine Beine jucken und brannten von den Berührungen meiner Mutter, ebenso wie meine Wange. Sie hatte mir ins Gesicht fassen wollen, doch ich war zurück gezuckt. Schließlich war es ihre Hand und nicht Minho's. Sie hatte nur gelacht und gesagt, dass sie mich schon nicht schlagen würde und es keinen Grund gab, zurück zu zucken. Das tat sie immer. Sie belächelte immer alles, denn wenn man lächelte, existierten Probleme für sie nicht. So einfach war das. Wann immer ein trauriges Lied spielte, riss sie einen Witz, um es zu überspielen und die Stimmung zu heben.

Minho ging anders damit um. In einer traurigen Situation war er für mich da und kümmerte sich um mich. Er versuchte nicht die Situation einfach verschwinden zu lassen, denn er wusste genauso gut wie ich, dass das nicht funktionierte.

Ich wünschte, er wäre jetzt auch hier. Minho. Ich wünschte, er wäre bei mir und würde mich in den Arm nehmen, mich küssen und mir sagen, dass alles gut wird. Aber er war es leider nicht.

Die Dunkelheit nahm mich wieder zurück zu sich und meine Gedanken wanderten zurück zu dem heutigen Tag.

Die Angst Minho zu verlieren schoss erneut durch meinen Körper und ließ mich verkrampfen. Sein bewegungsloser Körper tauchte vor meinen Augen auf und ich durchlebte all diese negativen Gefühle noch einmal. Dann kamen die Gefühle hinzu, die ich gefühlt hatte, als ich meinen Vater wieder gesehen hatte. Wut, Trauer und Angst nahmen mich ein. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als jetzt einfach in Minho's Arme kriechen zu können und seinen Geruch einatmen zu können, seine Wärme an meinem Körper zu spüren und seine Stimme zu hören.

"Minho...", flüsterte ich leise in mein Kissen. So leise, dass ich es selbst kaum hören konnte, mal ganz davon abgesehen, dass er mich nicht hören konnte, selbst wenn ich schrie, doch ich wollte einfach seinen Namen sagen. Als könnte er mich beschützten vor der Dunkelheit, die sich um mich legte. Als könnte sein Name diese Dunkelheit davon abhalten mir weh zu tun oder überhaupt an mich ran zu kommen.

Der nächste Morgen war grausam. Er kam viel zu früh und ich hatte nicht wirklich Schlaf bekommen. Der wenige Schlaf, den ich bekommen hatte, war auch nicht wirklich erholsam gewesen, da mich wirre Träume verfolgt und nicht in Ruhe gelassen hatten. Dazu kam noch das riesige Durcheinander, das mein Vater in meinem Kopf hinterlassen hatte.
Alles in allem war mir ziemlich nach heulen zu Mute.

Es fiel ihm auf. Natürlich fiel es ihm auf. Er war mein Freund und sorgte sich um mich.

"Hey, Jisung.", begrüßte er mich und gab mir einen Kuss, den ich kraftlos erwiderte.

"Hey, Minho."

"Was ist los, mein Kleiner? Du siehst wirklich niedergeschlagen aus..."

"Bin ich auch. Das gestern war zu viel auf einmal. Und ich hab dich vermisst..."

"Ich hab dich auch vermisst."

"Außerdem mache ich mir Sorgen um dich. Weil du Idiot ja nicht auf dich selbst aufpassen kannst. Ich hab Angst, dass ich dich verliere."

Während ich geredet hatte, konnte ich ihm nicht in die Augen sehen, deshalb hob Minho nun vorsichtig mein Kinn mit zwei Finger an, sodass ich ihm ins Gesicht sehen musste.

"Ich werde besser auf mich aufpassen, Ji. Du wirst mich nicht verlieren, hörst du? Ich will nicht, dass du dir zusätzlich auch noch Gedanken um mich machen musst."

Dieses Mal war ich derjenige, der ihn küsste und nicht anders herum. Ich legte meine Arme um seinen Hals und er legte seine Hände an meine Hüften, während sich unsere Lippen sanft in einem gemeinsamen Takt gegeneinander bewegten. Für eine gefühlt endlose, schöne Zeit genoss ich einfach nur Minho's Nähe, doch alles Schöne hatte irgendwann ein Ende und unser Kuss endete mit der Pausenglocke.

"Was sagst du dazu, wenn wir beiden uns heute einen schönen Nachmittag mit ein paar schlechten Filmen und Snacks machen und du dich ein bisschen entspannen kannst? Du hast etwas Ruhe verdient.", schlug er vor, als wir uns voneinander gelöst hatten und nun mit verschränkten Händen zu unserem Klassenraum schlenderten.

"Klingt toll. Vielleicht dieses Mal mit einem normalen Abendessen? Ohne dass irgendetwas seltsames passiert?"

"Ich geb mir Mühe.", lachte er. "Aber bei uns weiß man das ja nie."

"Das stimmt."

Ich lehnte mich gegen ihn und legte meinen Kopf auf seine Schulter, wobei mir ein leises Seufzen entwich. Minho drückte mir einen Kuss aufs Haar, was uns ein paar komische Blicke einbrachte, doch das war mir relativ egal. Ich hatte nicht die Kraft mich jetzt auch mit den Meinungen anderer zu beschäftigen.

"Na komm, der Lehrer ist da."

"Will nicht... Bin zu müde."

"Ich weiß, mein Kleiner. Aber du musst leider."

"Ja, leider."

Ich zwang mich in den Klassenraum und ließ mich erschöpft auf meinen Platz fallen, doch bevor ich anfing, meine Sachen raus zu holen, legte ich zunächst meinen Kopf auf den Tisch. Ich war viel zu müde und erschöpft, um irgendwas vernünftig zu machen und das sagte mir mein Körper gerade auch. Dennoch schaffte ich es irgendwie meine Sachen raus zu holen. Auch wenn mein Kopf keine fünf Sekunden später wieder auf dem Tisch lag.

Der Lehrer fing an Dinge zu erklären, doch ich kam überhaupt nicht mit. Nichts von dem, was er sagte fand seinen Weg in meinen Kopf oder zumindest blieb nichts hängen. Ich starrte immer wieder auf die Zahlen an der Tafel, doch sie ergaben auf keine Weise Sinn. Es passte einfach nichts zusammen.

"Ich will hier raus.", sagte ich leise zu Minho, unsicher ob ich den Ort oder meinen Körper meinte, der sich anfühlte, als würde er jeden Moment unter seinem eigenen Gewicht zusammen brechen. Es war einfach zu viel.

"Entschuldigung?", unterbrach Minho den Lehrer, der gerade in irgendeiner uninteressanten Anekdote versunken war, "Jisung geht es nicht besonders gut. Können wir kurz vor die Tür gehen?"

"Ja, natürlich. Man sieht ja, dass es dir nicht gut geht, Jisung. Soll ich deine Eltern anrufen, damit sie dich abholen? Du solltest dich besser ausruhen."

Ich schüttelte nur den Kopf. Mehr als Minho's Namen hätte ich in diesem Moment vermutlich eh nicht über meine Lippen bringen können.

Kaum waren wir vor der Tür, klammerte ich mich regelrecht an Minho und begann zu schluchzen. Ich weinte nicht, aber dennoch verließen zahlreiche Schluchzen meine Lippen

Er sagte nichts und schloss mich einfach in seine Arme. Ich vergrub mein Gesicht im Stoff seines Hoodies und schluchzte weiter.

"Minho, ich...", ich versuchte weiter zu reden, doch meine Stimme gab auf.

"Ich weiß, Jisung. Du bist erschöpft. Du willst nicht mehr. Du kannst nicht mehr und das mit deinem Vater überfordert dich. Du hast das Gefühl, dass dir das alles über den Kopf wächst und nichts besser wird, egal was du machst. Ich will dir so sehr helfen, mein Kleiner. Wenn ich die Hälfte deiner Schmerzen ertragen müsste, damit dein Schmerz auch weniger wird, würde ich es machen. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern."

"Was gibt es überhaupt für einen Grund dafür, das alles durchzustehen? Wird doch eh nicht besser..."

"So darfst du niemals denken, hörst du? Was soll ich denn ohne dich machen?"

"Dir jemand besseren suchen."

"Es gibt niemand besseren für mich als dich. Ich liebe dich. Und niemand wird daran je etwas ändern können. Sieh mich an, Kleiner."

Ich sah ihm in die Augen und sah, dass auch er Tränen in den Augen hatte, doch er weinte genauso wenig wie ich.

"Ich kann nicht ohne dich. Ich brauche dich bei mir, verstanden? Wie soll ich denn wieder glücklich werden ohne meinen J.One and only?", scherzte er, was mich kurz lachen ließ, doch ich konnte die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sehen, die hinter seinen Worten steckte, ebenso wie den Schmerz. Es tat ihm weh, mich so zu sehen.

"Ich werde nicht gehen, Minho. Das könnte ich nicht in dem Wissen, dass es dir schlecht geht. Aber es ist gerade einfach zu viel."

"Das weiß ich doch... Deshalb bin ich ja für dich da.", sagte er und gab mir einen liebevollen Kuss, den ich genauso erwiderte.

"Lass uns wieder rein, Minho."

Mit einem kurzen "Glotzt nicht so." ging ich wieder in den Klassenraum und ließ mich auf meinen Platz fallen. Minho setzte sich neben mich und ich legte meinen Kopf auf seine Schulter.

Hoffentlich hatte diese Scheiße bald ein Ende.

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