[02]

Jisung PoV

Nachdem ich mich die überfüllten Treppen herunter gezwungen und einen angenehmen Platz für die Pause gefunden hatte, konnte ich mich endlich ein wenig entspannen.

Die Stimmung, die zwischen mir und Minho in der letzten Schulstunde geherrscht hatte, war bedrückend und seltsam gewesen. Es wirkte immer wieder so, als würde er mit mir reden wollen, doch er tat es nicht. Am liebsten hätte ich ihn einfach aus meinem Umfeld vertrieben. Ihn auf seinen Meter fünfzig Abstand geschoben. Doch bedauerlicherweise ging das nicht.

Hier, auf einer der Treppen im hinteren Teil des Schulhofs, hatte ich wenigstens meine Ruhe von ihm.

"Hey, Jisung..."

Oder auch nicht. Jetzt stand der Braunhaarige nämlich vor mir und sah mich unsicher an.

"Was willst du, Minho?", seufzte ich.

"Ich wollte mich entschuldigen für das vorhin. Ich dachte nur irgendwie, dass es einfacher wäre, wenn wir die anderen denken lassen, dass sie recht haben, als ihnen klarzumachen, dass wir nicht zusammen sind und da-"

"Da dachtest du, es wäre toll, andere glauben zu lassen, dass ich auf dich stehe? Super nachgedacht hast du da.", unterbrach ich ihn, doch er ließ sich davon nicht beirren.

"Da hab ich nicht daran gedacht, dass du ja nicht schwul bist, und ich dich damit fälschlich oute. Tut mir leid."

"Das Outing ist nicht das Problem, schließlich bin ich schwul. Aber ich will nicht, dass sie denken, dass zwischen uns beiden etwas läuft. Das wäre ziemlich weird."

"Zumindest hättest du recht damit, dass wir beide" gleich straight" sind. Aber ich bin wohl nicht so dein Typ, was?", fragte er und seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben.

"Um ehrlich zu sein, vom Aussehen her bist du total mein Typ. Du hast ein quasi perfektes Gesicht und bist generell ziemlich hübsch. Aber deine Persönlichkeit ist halt so, so... meh... Eine 3 von 10. 8 von 10 und du wärst totales Boyfriend Material."

"Wow, okay... Danke, schätze ich mal?"

"Du solltest dich nicht bedanken, sondern eher darüber nachdenken, warum ich so über dich denke, oder nicht?", fragte ich.

"Ich hab mich inzwischen einfach dam. damit abgefunden, dass du mich nicht leiden kannst.", lachte Minho, "Den Grund dafür suche ich schon lange nicht mehr."

"Warum gehst du dann nicht einfach wieder und lässt mich in Ruhe?"

"Weil ich trotzdem nicht will, dass du einsam bist.", antwortete er.

"Ich bin nicht einsam.", log ich. Und wie einsam ich war. Die Einsamkeit hatte mich schon lange eingefangen, doch ich hatte begonnen Sicherheit in den dunklen Schatten zu finden, in die sich außer mir niemand hinein trauen wollte. Niemand wollte sich zu mir in die Dunkelheit begeben, in der ich mich immer mehr verlief und die doch meine einzige Zuflucht war. Minho hatte genauso gelogen wie ich. Da war ich mir sicher. Warum sollte er in diese Schatten laufen und mich retten wollen?

"Also soll ich dich wieder alleine lassen?", fragte er mit einem Seufzen.

"Ja." Nein. Lass mich nicht alleine. Bleib bei mir. Bitte...

Er ging, wie ich es ihm gesagt hatte. Wenn auch nicht, ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen. Ich setzte ein gefälschtes Lächeln auf und winkte ihm zu, bis er weiter ging und mich hier sitzen ließ, so wie ich es von ihm verlangt hatte.

Ich zog mir meine Kapuze über den Kopf und vergrub meinen Kopf in meinen Armen, um die Welt um mich herum besser ausblenden zu können. Mir war nach heulen zu mute, doch ich konnte nicht. Nicht hier, nicht zu Hause, nirgendwo. Niemand sollte davon mitbekommen, wie es mir ging, denn sie würden es nicht verstehen. Ich verstand es ja selbst nicht einmal. Ich verstand eigentlich nichts an mir, außer dass ich diesen Körper lenkte und ihn wohl nicht so schnell wieder loswerden würde, auch wenn ich es mir an Tagen wie diesen mehr wünschte als alles andere auf der Welt. Es war nicht so, dass ich sterben wollte, aber leben wollte ich so auch nicht mehr. Am liebsten wäre es mir, wenn ich nie geboren wäre.

Ich atmete tief durch und konzentrierte mich auf den Wind, der mir um den Körper strich. Der mich berührte, ohne mir weh zu tun. Der einfach nur da war und mir Gesellschaft leistete. Als Kind hatte ich den Wind schon immer geliebt. Irgendwann hatte ich mir sogar eingeredet, dass ich ihn kontrollieren könnte, doch inzwischen war mir klar geworden, dass diese Vorstellung nie mehr als nur eine bloße Vorstellung sein würde. Sie war nur eine der Fantasien, in die ich mich als Kind gestürzt hatte, damit ich das Gefühl hatte, dass ich etwas besonderes war. Sie war nur ein einfaches Mittel zum Zweck und war vermutlich einer der unzähligen Gründe, warum ich in der Grundschule nie Freunde gefunden hatte. Denn wer wollte schon mit dem verrückten Jungen befreundet sein, der nur versuchte sich Aufmerksamkeit zu holen, indem er tat, als wäre er etwas, das er niemals sein würde. Als wäre er etwas Besonderes.

Als ich dann auf die weiterführende Schule kam, gingen alle wieder in ihre alten Freundesgruppen zurück, weshalb es mir schwer fiel, mich irgendwo mit einzugliedern. Ich fand nur einen anderen Kumpel, doch auch diese Freundschaft ging nicht gut aus. Wir stritten viel, bis es eskalierte und er mir alles ins Gesicht schrie, was ich nie hören wollte. Einen seiner Sätze bekam ich heute nicht aus meinem Kopf heraus: "Ich dachte, das mit deinem Vater hätte dir ein wenig Mitgefühl gegeben, aber anscheinend bist du noch immer einfach nur egoistisch!" Vielleicht war ich das. Wer wusste das schon? Nach diesem Streit hatte er sich jedenfalls neue Freunde gesucht, mit denen er immer noch befreundet war, soweit ich wusste. Doch mir sollte es egal sein. Er hatte mich schließlich zurückgelassen. Seitdem hatte ich es einfach aufgegeben. Alle anfänglichen Freundschaften waren wieder zerbrochen und irgendwann hatte ich es einfach aufgegeben, mich um neue Freunde zu bemühen.

Ich stützte mein Kinn auf meinen Händen ab und sah in die Richtung, in die Minho vorhin verschwunden war.
Nun wanderten meine Gedanken langsam zu dem einzigen Jungen, der mich nicht mied.
Zu Minho.

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