Prolog

Leicht schwankend lief er den dunklen Flur entlang, öffnete die erstbeste Tür und stolperte in den Raum. Es war Beatrix' Büro, wie er trotz der Dunkelheit sofort erkannte. Schnell schloss er die Tür, ging, ohne das Licht anzumachen zum Schreibtisch und ließ sich in den cremeweißen Designer-Chefsessel sinken. Trotz der merkwürdigen Form war der Sessel überraschend bequem. Wahrscheinlich ergonomisch. Wenn es um sie selbst ging, sparte Beatrix, diese selbstverliebte Hexe, bekanntlich an nichts.

Erschöpft lehnte er den Kopf gegen das weiche Leder. Der letzte Drink war vermutlich einer zu viel gewesen, denn er fühlte sich wie gerädert. Vielleicht lag es auch an dem ganzen Koks, das er sich im Laufe des Abends durch die Nase gezogen hatte und dessen aufputschende Wirkung sich nun zum genauen Gegenteil wandelte. Er war längst nicht mehr in dem Alter, wo er munter irgendwelche Drogen und Alkohol durcheinander mischen konnte, ohne, dass es merkbare Spuren hinterließ. Aber anders hätte er das alles nicht mehr ertragen können. Die ganze Falschheit, die Lügen. Das ganze kotzte ihn einfach nur an.

Seufzend beugte er sich herunter, öffnete die unterste Schreibtischschublade und hob die Mappe, die obendrauf lag, an. Ein Edelstahl-Flachmann glänzte leicht in dem fahlen Licht, das von draußen durch die Lamellen der zugezogenen Vorhänge fiel. Er griff danach, schraubte den Verschluss auf und nahm einen großen Schluck. Immer noch der gute Hennessy. Zumindest in dieser Hinsicht enttäuschte Beatrix ihn nicht.

Auf einmal wurde die Tür von außen aufgestoßen. Vor Schreck hätte er den Flachmann mit dem kostbaren Tropfen beinahe fallen gelassen. Was für eine Verschwendung das gewesen wäre!

„Ach, hier versteckst du dich also", sagte eine ihm wohlbekannte Stimme.

„Ich verstecke mich nicht!", erwiderte er unwillig. Er wollte jetzt keine Gesellschaft, weder von ihr noch von irgendjemand anderem.

„Natürlich nicht."

Leichtfüßig lief sie um den Tisch herum, drehte seinen Stuhl in ihre Richtung und beugte sich zu ihm herunter. Ihre feuchten, nach Martini schmeckenden Lippen pressten sich auf seinen Mund und ihre Zunge drängte sich hinein, um sich mit seiner zu vereinigen.

Sofort war sein Wunsch nach Einsamkeit wie weggeblasen. Er packte sie an der Taille und zerrte sie hektisch zu sich heran. Sie kletterte auf seinen Schoß, wobei ihr die hochhackigen Pumps von den Füßen fielen und klappernd auf dem Boden landeten. Ihre Lippen lösten sich von seinen, wanderten zu seinem Hals und saugten sich leicht daran fest. Er spürte, wie ihr Körper gegen seinen rieb und wie es in seiner Hose enger wurde. Der Stuhl quietschte unter ihnen und neigte sich gefährlich weit nach hinten, doch das kümmerte sie beide nicht. Er legte seine Hand auf ihren Oberschenkel und ließ sie langsam unter ihr Kleid gleiten, spürte ihre warme, zarte Haut unter seinen Fingern.

„Ich kenne dein Geheimnis", hauchte sie ihm mit verführerischer Stimme ins Ohr.

„Welches Geheimnis?"

Seine Finger berührten ihren Slip, der nur so viel bedeckte, dass man ihn fast schon nicht mehr als solchen bezeichnen konnte. Gerade, als er ihn zur Seite schieben wollte, flüsterte sie weiter:

„Das von dir und Beatrix."

Augenblicklich ließ er von ihrer Unterwäsche ab.

„Wovon, zum Teufel, redest du?"

Plötzlich brach ihm der Schweiß aus, was nichts mit der gerade noch verspürten Erregung zu tun hatte. Zumindest nicht mit der Art von Erregung.

„Das weißt du ganz genau."

Natürlich wusste er das. Doch wie? Wie war sie dahinter gekommen? Waren sie nicht immer vorsichtig gewesen? Scheinbar nicht vorsichtig genug.

„Was meinst du, was passiert, wenn ich jetzt zurück in die Ausstellung gehe und alles vor versammelter Mannschaft erzähle? Vor den Presseleuten? Vor den Kunden? Vor ihm?"

Nun lief ihm der Schweiß in ganzen Rinnsalen den Rücken herunter. Dieses Miststück! Dieses gottverdammte Miststück! Er stieß sie so heftig von sich weg, dass sie beinahe hintenüber gefallen und gegen die Tischkante geprallt wäre, doch sie konnte sich im letzten Moment an den Armlehnen des Stuhls festhalten. Schade.

„Hey, ganz sachte!", tadelte sie und kletterte von selbst wieder von ihm herunter. „Sonst mache ich es wirklich!"

Sie warf ihre langen Locken zurück und schaute ihn herausfordernd an. Die Lichtstreifen, die von außen durch die Vorhänge fielen, zeichneten sich auf ihrem hübschen, sommersprossigen Gesicht ab, fast schon wie eine Art leuchtende Kriegsbemalung.

„Wie viel willst du?", fragte er. Schließlich ging es immer nur um Geld. Immer.

„Wie wäre es mit zehntausend? Fürs erste? Das dürfte kein Problem für dich sein, schließlich macht ihr heute sicherlich noch ein paar gute Geschäfte."

Fürs erste... Also würde sie noch mehr Geld haben wollen. Immer wieder. Da er aber meistens den Weg des geringsten Widerstands wählte, würde er zahlen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Außer vielleicht...

„Okay, du kriegst das Geld", hörte er sich selbst sagen. Ob sie auch schon bei Beatrix gewesen war? Und ob diese genauso schnell eingeknickt war, wie er? Vermutlich nicht. Deswegen war das Miststück ja jetzt bei ihm.

„Na, siehst du? So schnell und einfach kann es gehen. Du hast eine Woche Zeit, um das Geld aufzutreiben. Den Treffpunkt für die Übergabe werde ich dir rechtzeitig verraten."

Sie ging in die Hocke, um ihre Schuhe vom Boden aufzusammeln. Kurz überlegte er, ob er ihr nicht mit der hässlichen, schweren Metall-Skulptur, die auf dem Tisch stand, eins überbraten sollte. Er war schon drauf und dran, die Hand danach auszustrecken, als sie sich wieder aufrichtete. Zu spät.

„Du solltest wieder in die Ausstellungshalle zurückgehen. Ich glaube, man wartet dort bereits auf dich", meinte sie, zog sich ihre Pumps im Stehen wieder an und stöckelte dann zur Tür. Sie legte ihre Hand auf die Klinke und drückte sie herunter. Kurz bevor sie hinaustrat, blickte sie noch einmal über ihre Schulter und lächelte ihn an. Dieses Engelslächeln, das direkt aus der Hölle kam.

Nachdem sie weg war, blieb er noch eine ganze Weile in der Dunkelheit sitzen und starrte auf die Tür, durch die sie soeben entschwunden war. Wie schön es doch wäre, wenn sie genauso einfach für immer verschwinden könnte...


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